Der Mindestlohn und seine Kontrolle. Der Zoll bekommt jetzt Verstärkung. Von den Unternehmen

Er ist aus den großen Schlagzeilen verschwunden, der zum Jahresanfang eingeführte gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde für fast alle. Die Berichterstattungskarawane ist weitergezogen, aber gerade deshalb lohnt immer wieder ein Blick darauf, was sich denn in der Praxis tut. Und wenn wir uns erinnern an die großen Debatten Anfang des Jahres – neben den von vielen Ökonomen vorhergesagten massiven Beschäftigungsverlusten, die bislang auf sich warten lassen, wurde das Bild einer Überdosis an Kontrollen an die Wand geworfen, bei dem Beamte der Zollverwaltung – bewaffnet und in Rudeln auftretend – arme Geschäftsinhaber drangsalieren. Und eine zweite Front wurde eröffnet beim Thema Stundennachweise, also der Arbeitszeitdokumentation, aus der angeblich ein Bürokratiemonster erwachsen sei. Insgesamt ist es hier deutlich ruhiger geworden, aber die Politik hat ja zwischenzeitlich auch erste Lockerungsübungen veranstaltet. Das Mindestlohngesetz verlangt die Dokumentation von Arbeitszeiten aller Mitarbeiter, die unter 2.985 Euro verdienen. Zum 1. August 2015 wird die Grenze abgesenkt auf 2.000 Euro. Auch Familienangehörige werden von der Dokumentationspflicht ausgenommen. Eine Verordnung für diese Lockerungen wird gerade vom Bundesarbeitsministerium auf den Weg gebracht. Aber diese Kontrollen. Wie ist der Stand nach mehr als einem halben Jahr?

Der Zoll kontrolliert und offensichtlich ist das Ergebnis überschaubar. So berichtet die Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung in dem Artikel Bisher wenig Verstöße gegen den Mindestlohn:

»Das Gastgewerbe steht im Fokus des Zolls. So bestätigte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums …, dass in den ersten sechs Monaten des Jahres das Gastgewerbe gleich nach dem Baugewerbe am häufigsten kontrolliert wurde … „Von insgesamt 25.000 Kontrollen fanden rund 15 Prozent davon im Gaststättengewerbe statt“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Im Baugewerbe hätten insgesamt 46 Prozent aller Kontrollen stattgefunden. Am dritthäufigsten sei die Spedition/Transport kontrolliert worden. Im Rahmen der Kontrollen wurden insgesamt 210.000 Personen befragt.«

Und wie sieht es aus mit Verstößen gegen das Mindestlohngesetz? In 146 Fällen – weniger als ein Prozent – sind laut Ministerium Ermittlungen eingeleitet worden. Hört sich nicht gerade dramatisch an. Nun ist das mit den Zahlen immer so eine Sache – sind nun 25.000 Kontrollen viel oder weniger? Was ist die Grundgesamtheit? Offensichtlich erkennbar ist derzeit nur eines: Der Zoll läuft nicht herum und pickt sich wahllos Unternehmen heraus, sondern es gibt schon klare Schwerpunktsetzungen auf Branchen, in den denen man mit plausiblen Gründen Mindestlohnverstöße vermutet.

Aber die Kontrolldichte des Zolls wird kritisiert. Ein Beispiel, hier aus dem Artikel Wird der Mindestlohn eingehalten?:

»… Unmut herrscht … auf der Gewerkschaftsseite. Die Industriegewerkschaft Bauen – Agrar – Umwelt (IG BAU) fordert nun mehr Mindestlohn-Kontrollen, auch in Wilhelmshaven. „Wir stellen eklatante Verstöße gegen das Mindestlohngesetz in fast allen Bereichen fest“, erklärt der stellvertretende Regionalleiter der IG BAU im Bezirksverband Nordwest-Niedersachsen, Gero Lüers, und bezieht sich dabei auf Angaben von Arbeitnehmern.
Festzumachen sei das auch an den Umgehungsstrategien. So würden Arbeitnehmer zu Selbstständigen gemacht und Manipulationen bei der Arbeitszeiterfassung vorgenommen. Viele Arbeitnehmer würden das aus Angst, ihren Job zu verlieren, auch mittragen. Die Gewerkschaft glaubt, dass mehr Kontrollen gegen die Verstöße helfen könnten.«

Helfen könnte natürlich auch, wenn mögliche oder tatsächliche Verletzungen des Mindestlohngesetzes überhaupt verfolgt werden. Und an dieser Stelle betreten jetzt ganz neue Player das Parkett. Pizzalieferanten gehen gegen Niedriglohn-Konkurrenz vor, kann man dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel entnehmen.
Der Artikel beginnt mit einem konkreten Sachverhalt aus der Welt der  Gastronomie: den Pizzadiensten:

»Dass er sich keine Hoffnungen auf den Mindestlohn machen dürfe, wurde Manuel P. (Name geändert) schon im Bewerbungsgespräch in der Pizzeria deutlich gemacht. Für die Auslieferung werde er einen Stundenlohn von sechs Euro erhalten, die Touren müsse er mit seinem privaten Pkw fahren, teilte ihm sein künftiger Arbeitgeber mit. Das Geld werde er ihm am Ende jeder Schicht bar ausgezahlt.
Am Ende des ersten Arbeitstages ging Manuel P. nach vier Touren und drei Stunden Arbeit mit insgesamt 22 Euro nach Hause, also mit einem Stundenlohn von 7,33 Euro.«

Mit Hilfe einer eidesstattlichen Erklärung des Manuel P. konnte die Anwältin Nicole Thomas vor dem Landgericht Berlin einen Erfolg erzielen.

»In einer einstweiligen Verfügung untersagte das Gericht daraufhin der Berliner Pizzeria unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250 000 Euro oder einer Ordnungshaft, Arbeitnehmer unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns zu bezahlen.«

Das Besondere  im vorliegenden Fall: Nicole Thomas ist nicht etwa eine Anwältin einer Gewerkschaft, sondern Hauptgeschäftsführerin des Vereins zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, der im September 2014  in der Gastronomie gegründet worden ist. Pizzalieferanten wie Joey’s Pizza, Call a Pizza oder Smiley’s gehören dem Verein an.

»„In der Gastronomie gibt es viele schwarze Schafe, die Schwarzarbeiter beschäftigen und keine Mindestlöhne zahlen“, sagt Hauptgeschäftsführerin Nicole Thomas. Wenn ein Unternehmen den Mindestlohn nicht zahle, könne es auch bei den Kunden niedrigere Preise verlangen. „Das führt zu massiven Wettbewerbsverzerrungen“, kritisiert die Anwältin. Seit Anfang des Jahres geht ihr Verband gegen solche Verstöße vor.«

Um Mindestlohnverstöße aufzudecken, arbeitet der Verband auch mit einer Detektei zusammen. Bislang haben sich in zwei weiteren Fällen in Bayern und Schleswig-Holstein Unternehmen in einer Unterlassungserklärung verpflichtet, ihren Mitarbeitern künftig den Mindestlohn zu zahlen. Vor dem Landgericht Berlin ist außerdem eine weitere Klage gegen einen Pizzalieferanten anhängig, berichtet Cordula Eubel in ihrem Artikel.

Interessant ist die Reaktion der Gewerkschaft:

»Bei der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten beobachtet man die Tätigkeiten des Vereins mit Skepsis. Die Vereinsmitglieder hätten sich in der Vergangenheit dadurch ausgezeichnet, nicht tarifgebunden zu sein und Niedriglöhne zu zahlen, sagte Sprecherin Karin Vladimirow. Der Verein verfolge lediglich den Zweck, Konkurrenz zu denunzieren. Unstrittig sein, dass Mindestlohnverstöße wettbewerbsverzerrend seien, sagt Vladimirow.«

Das klingt doch jetzt ein wenig nach beleidigter Leberwurst.

Hartz IV-Anwälte dürfen umsonst arbeiten

Immer wieder wird von den zahlreichen Klagen vor den
Sozialgerichten berichtet, die das Hartz IV-System betreffen. Neben den vielen
erfolgreichen Klagen gegen die Jobcenter und der damit verbundenen Rolle der
Anwälte, den Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen, gab es auch an der einen
oder anderen Stelle in den Medien Hinweise darauf, dass es findige Anwälte
geben würde, die ein Geschäftsmodell mit Hartz IV-Empfängern aufgebaut haben
und die Jobcenter mit teilweise fragwürdigsten Klagen überziehen (vgl. beispielsweise
den Beitrag Gierige
Anwälte – Das Geschäft mit Hartz IV
im ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus am
25.02.2015: Einige Anwälte, so die These des Beitrags, überziehen die Jobcenter
mit einer Flut von Widersprüchen und Klagen. Finanziell gewinnt der Anwalt
immer).

Eine neue und abweichende Variante lernen wir durch den
folgenden Artikel kennen: Gut
verteidigt, trotzdem pleite
, so hat Antje Lang-Lendorff ihren Beitrag
überschrieben: »Manche Jobcenter zahlen Anwälten von Arbeitslosen kein Honorar
mehr, sondern verrechnen es mit deren Schulden. Anwaltskammer sieht Schutz von
Armen in Gefahr.«

Sie beginnt mit einem konkreten Fall, der die Anwältin
Aglaja Nollmann betrifft:

»Das Jobcenter war der Ansicht, dass ihr Mandant zu viel
Geld ausgezahlt bekommen habe, und verlangte es zurück. Die Anwältin für
Sozialrecht legte Widerspruch ein – und bekam recht. Trotzdem erhält sie für
ihre Leistung nun kein Honorar. Rund 800 Euro, die ihr das Jobcenter hätte
erstatten sollen, seien mit den Schulden ihres Mandanten verrechnet worden,
erzählt sie. Das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg habe dieses Honorar zwar
anerkannt. „Es hat mir aber auch geschrieben, dass ich dieses Geld nicht
kriege.“«

Auch andere im Sozialrecht tätige Anwälte bestätigen eine
solche Vorgehensweise. Wie aber kann das sein?

»In einem Praxishandbuch der Bundesagentur für Arbeit wird
darauf hingewiesen, dass nicht der Anwalt, sondern der Kläger – also der
Arbeitslose – Anspruch auf Kostenerstattung habe. Und weiter: „Vor jeder
Auszahlung von zu erstattenden Kosten (…) ist zu prüfen, ob gegen den Kostengläubiger
Forderungen seitens des Jobcenters bestehen, die aufgerechnet werden können.“
Im Klartext heißt das: Wenn Arbeitslose dem Jobcenter Geld schulden, ist es
gewünscht, dass das Anwaltshonorar mit diesen Schulden verrechnet wird. Die
Anwälte gehen dann leer aus.«

Das kann natürlich dazu führen, dass
Grundsicherungsempfänger Schwierigkeiten bekommen können, überhaupt einen
Rechtsbeistand zu finden, wenn der damit rechnen muss, nicht auf seine Kosten
zu kommen.

Für Rechtsanwälte werde es immer schwerer, den sozial
Schwachen einen wirkungsvollen Zugang zum Recht zu gewährleisten, so Marcus
Mollnau, Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin. Die Anwaltskammer setze sich
dafür ein, „die gesetzlichen Regelungen zu ändern und ein Aufrechnungsverbot zu
verankern“.
Wenn man sich das klar macht – das hat schon was: Der
Mandant eines Anwalts wird (teil)entschuldet auf Kosten des erfolgreichen
Anwalts und zugunsten der unterlegenen Partei, die aber dem Mandaten vorher
einen Kredit gewährt hat.
Und das Problem der Verschuldung von Hartz IV-Empfänger ist
nicht irgendein Randproblem. Ende April 2015 konnte man beispielsweise lesen: Langzeitarbeitslose
brauchen häufiger Kredite
.

»Wenn das Arbeitslosengeld II, Hartz IV genannt, nicht
reicht, geraten Langzeitarbeitslose schnell in eine Abwärtsspirale.
Zehntausende sind jeden Monat auf zusätzliche Darlehen für Waschmaschine,
Kühlschrank, Kleidung oder andere Dinge angewiesen. Im vergangenen Jahr
erkannten die Jobcenter pro Monat im Schnitt bei rund 18.700 Hartz-IV-Beziehern
einen Anspruch auf ein solches Darlehen an. Das geht aus einer Antwort der
Bundesagentur für Arbeit auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten
Sabine Zimmermann hervor … Im Vergleich zum Jahr 2013 mit im Schnitt rund
17.800 Darlehen pro Monat ist die Zahl 2014 um mehr als fünf Prozent gestiegen.
Im Jahr 2010 waren es sogar nur 15.500 Kredite pro Monat – seither ist die Zahl
demnach um knapp 21 Prozent gestiegen.«

Hartz IV-Austria ante portas? Österreich soll am deutschen Hartz IV-Wesen genesen. Für so einen Vorschlag gibt es Fassungslosigkeit und viel Kritik

Deutschland ist bekanntlich eine weltmeisterliche Exportmaschine – und offensichtlich gehen nicht nur Autos der Premiumklasse, Maschinen aus dem Schwabenland, Chemieprodukte für Landwirtschaft und Kriegsführung über den Ladentisch, sondern auch politische Vorlagen. Griechenland muss das gerade erleben – und jetzt werden aus unserem Nachbarland Österreich Importwünsche hinsichtlich eines der in Deutschland selbst umstrittensten sozialpolitischen Produkte der jüngeren Vergangenheit angemeldet: Hartz IV.

Konkret geht es nicht um irgendwelche Hinterbänkler, die das Sommerloch füllen wollen, sondern um den österreichischen Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP), der in einem Interview so zitiert wird: »Es ist auch deshalb schwer, Arbeitskräfte zu finden, weil das Arbeitsloseneinkommen fast genauso hoch ist wie das Arbeitseinkommen. In Deutschland gibt mit Hartz IV ein Modell, das offenbar besser funktioniert.« Diese Äußerung hat nun eine breite und heftige Diskussion ausgelöst. Hartz IV kommt in Österreich an, so ist einer der Artikel dazu überschrieben.

Allerdings gibt es parteiübergreifend heftigen Gegenwind: Zu hohes Arbeitsloseneinkommen: Hagel an Kritik für Schelling. Zuerst einmal eine kurze Skizzierung des bestehenden Sicherungssystems bei Arbeitslosigkeit in Österreich, denn dann wird verständlich, warum das auf so viel Widerspruch stößt.

In »manchen Punkten ist das österreichische Arbeitslosengeld-System … sogar schlechter als die deutschen Hartz-Regelungen. Wer in Österreich seine Arbeit verliert, bekommt unmittelbar nach dem Jobverlust weniger Arbeitslosengeld als in Deutschland. Zumindest, was die Nettoersatzrate betrifft: In Deutschland beträgt das Arbeitslosengeld 65 Prozent des vorher verdienten Nettolohns, in Österreich sind es nur 55 Prozent. Sie wurde seit den 1990er Jahren sukzessive reduziert. 1993 sank die Nettoersatzrate, die von der Höhe des letzten Gehalts berechnet wird, von 57,9 Prozent auf 57 Prozent 1995 auf 56 Prozent und in weiterer Folge im Jahr 2000 auf 55 Prozent. Österreich hat damit eine der niedrigsten Nettoersatzraten beim Arbeitslosengeld Europas. Die Bezugsdauer ist gestaffelt, je nach Alter und Beschäftigungsdauer erhält man 20, 30, 39 bzw. 52 Wochen lang Arbeitslosengeld … Danach kann man Notstandshilfe beantragen. Sie ist unbefristet und macht 95 Prozent des vorher bezogenen Arbeitslosengeldes. Das wiederum ist vergleichsweise viel im internationalen Vergleich. Wer also in Österreich länger arbeitslos bleibt, für den ändert sich bei der Höhe des Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandshilfe wenig. Langzeitarbeitslose in Deutschland stürzen dagegen ab.« (Hervorhebungen nicht im Original). Die Sozialhilfe der Bundesländer ist mittlerweile ersetzt worden durch die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS). Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung besteht aus 2 Teilen: 620,87 Euro Grundbetrag und  206,96 Euro Wohnkostenanteil pro Monat. Zusammen sind das 827,83 Euro. Für Kinder gibt es jeweils 149,01 Euro. Je nach Bundesland können höhere Beiträge sowie Ergänzungsleistungen ausgezahlt werden, z.B. wenn die tatsächlichen Wohnkosten höher sind. Wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe niedriger ist als die Mindeststandards der Bedarfsorientierten Mindestsicherung und kein relevantes Vermögen vorhanden ist, kann eine ergänzende Mindestsicherungsleistung bezogen werden.
Wie man unschwer sehen kann, finden wir in Österreich eine Systematik, die es auch mal in Deutschland mit dem Arbeitslosengeld und der (unbefristeten, ebenfalls am ehemaligen Arbeitseinkommen orientierten) Arbeitslosenhilfe gegeben hat, bis die Arbeitslosenhilfe mit der damaligen Sozialhilfe nach dem BSHG zum Arbeitslosengeld II nach dem SGB II zusammengelegt wurde. Zum anderen ist die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes kürzer als die beim Arbeitslosengeld I in Deutschland, danach aber gibt es die Notstandshilfe, die bei marginaler Absenkung dem vorherigen Arbeitslosengeld entspricht.

Insofern wäre eine Orientierung am deutschen Hartz IV-Modell tatsächlich für viele Arbeitslose ein herber Einschnitt.

Wie auch bei uns in Deutschland wird die Debatte mit den gleichen Vorurteilen und auch schlichten Unwahrheiten geführt, bei denen es lediglich darum geht, Stimmung zu machen gegen die Arbeitslosen. Bislang der einzige, der den Finanzminister öffentlich unterstützt, ist der  ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel, der mit diesen Worten zitiert wird: Der Finanzminister habe »vollkommen recht, dass Arbeitsanreize fehlen, wenn die erhaltenen Leistungen ohne Arbeit fast genauso hoch sind wie ein Arbeitseinkommen. Genau hier gilt es anzusetzen.« Fast genauso hoch wie ein Arbeitseinkommen ist angesichts der schon skizzierten Ersatzraten beim Arbeitslosengeld und der Notstandshilfe kein Euphemismus mehr, sonder schlichtweg falsch. So auch die innerösterreichische Kritik:

»“Fassungslos über so viel arrogante Unwissenheit“ reagieren die Grünen Abgeordneten Birgit Schatz und Judith Schwentner. „Bei einer Nettoersatzrate von 55 Prozent könne man kaum davon sprechen, dass das Arbeitslosengeld auch nur annähernd so hoch sei wie ein angemessenes Erwerbseinkommen. Fakt sei vielmehr, dass Arbeitslosigkeit in Österreich wegen des niedrigen Arbeitslosengeldes der Einstieg in die Armut sei. Für Sozialsprecherin Schwentner ist mit Schellings Aussagen klar, dass dieser keine Ahnung von der Realität habe.«

Dazu auch der Blog-Beitrag Weltfremde Politik: Die Mär vom faulen, reichen Arbeitslosen mit ein paar Rechenbeispielen.

Wie bei uns wird natürlich reflexhaft das Argument der mangelnden Arbeitsanreize wie eine Monstranz von denen vor sich hergetragen, die auf eine Absenkung der Sozialleistungen zielen. Dazu hat sich auch das Arbeitsmarktservice (AMS) als österreichische Pendant zur Bundesagentur für Arbeit zu Wort gemeldet:

»AMS-Chef Johannes Kopf hielt in einem früheren Interview … die Anreize eine Arbeit aufzunehmen, in Österreich für groß genug. Einen Sonderfall ortete er aber: „Wenn zum Beispiel eine Frau mit den Kindern zu Hause ist und der Vater ein Fall für die Mindestsicherung, dann ist diese für die Familie so hoch, wie er oftmals kaum allein verdienen kann. Das ist eine Inaktivitätsfalle. Da müsste es die Möglichkeit geben, die Mindestsicherung bei der Arbeitsaufnahme teils weiter zu beziehen.“«

Damit beschreibt er eine Problematik, die wir auch in Deutschland kennen, die aber primär mit den Sicherungsdefiziten in anderen Bereichen wie dem Familienlastenausgleich zu tun haben.

Und zu der Ausgangsthese von dem angeblich zu hohen Arbeitslosengeld in Österreich finden wir bei der OECD in dem Anfang Juli veröffentlichten aktuellen Beschäftigungsausblicks für unser Nachbarland den folgenden Hinweis: »Besonders hoch ist in Österreich laut OECD die Einkommensungleichheit. Dies lasse sich durch chronische Arbeitslosigkeit, niedriges Kompetenzniveau einiger Bevölkerungsgruppen und das generell niedrige Arbeitslosengeld erklären« (OECD: Österreich sollte AMS-Budget aufstocken). Das Budget für das Arbeitsmarktservice (AMS) sollte erhöht werden, schlägt die OECD vor.

Man kann nur hoffen, dass sich die Österreicher nicht in die Hartz IV-Falle locken lassen. Die müssen nicht die gleichen Fehler machen wie wir.