Die Notwendigkeit der Beherrschung „höherer Mathematik“ im Allgemeinen und bei der „Mütterrente“ im Besonderen

Nur weil am vergangenen Freitag das „Rentenpaket“ verabschiedet worden ist, sollte man nicht glauben, dass die Diskussionen darüber nun erledigt sind. Vielleicht wird das „hysterische Gejaule“ verstummen, von dem die Bundesarbeitsministerin Nahles (SPD) mit Blick auf die Nörgler und sonstigen Kritiker verächtlich gesprochen hat. Nicht aber der nüchterne Blick und die daraus abgeleiteten Anfragen an das, was die Regierenden der Bevölkerung und dem Rentensystem ins Nest gelegt hat. Nehmen wir als ein Beispiel die so genannte „Mütterrente“, korrekt formuliert die rentenrechtliche Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten. Bekanntlich wollte man auch hier eine „Gerechtigkeitsverbesserungsoperation“ vornehmen, denn die bisherige Rechtslage hat unterschieden zwischen Kindern, die vor und solche, die nach 1992 das Licht dieser Sozialstaatswelt erblickt haben. Für die einen, die vor dem Stichtag geboren wurden, gab es nur einen Rentenpunkt, für die jüngeren Racker immerhin drei. Nun hat man diese „Gerechtigkeitslücke“ zwar nicht geschlossen, aber immerhin halbiert, denn in Zukunft soll es für die älteren Exemplare zwei, wenn auch nicht drei Punkte geben.

In den westlichen Bundesländern ist ein solcher Punkt vom Juli 2014 an 28,61 Euro wert, im Osten sind es 26,39 Euro. Also bekommt eine – im Regelfall ist es die – Mutter für ein Vor 1992-Westkind 57,22 Euro monatlich bei der Rente cash auf die Hand, für ein entsprechendes Ost-Pendant wären das dann 52,78 Euro. Es soll hier nun nicht darum gehen, dass das Ostkind (immer noch) weniger wert ist als das Westkind, das liegt in der Systematik der unterschiedlichen Rentenwerte begründet. Es soll hier um das berühmte „Kleingedruckte“ gehen, mit dem wir alle schon sicher unsere Erfahrungen im Leben gemacht haben. Stefan Sauer hat das in seinem Artikel Die Mütterrente und das Kleingedruckte aufgearbeitet.

Also, wenn wir mal von der Nur-Halbierung der „Gerechtigkeitslücke“ großzügig absehen, dann ist die Sachlage also klar: Es gibt mehr Geld für die Mütter, die einen Teil ihres Lebens mit der Pflege, Betreuung, Bespaßung und Bildung der kleinen (potenziellen) zukünftigen Beitragszahler verbracht haben. Also eigentlich. Und schon ist wieder da, das „aber“. Denn das „mehr Geld“ »gilt allerdings nur für Frauen, die während der Erziehungszeiten kein oder ein nur geringes sozialversicherungspflichtiges Einkommen erzielten. Mütter, die bald nach der Geburt ihrer Kinder wieder in den Beruf einstiegen und gut verdienten, profitieren von der Mütterrente hingegen weniger – und im Extremfall gar nicht. Dies betrifft vornehmlich ostdeutsche Frauen.«

Ups – wie das?

Jetzt braucht der geneigte Leser profunde Kenntnisse der Schulmathematik, um den erläuternden Ausführungen folgen zu können. Hilfsweise ganz langsam lesen und sich Notizen machen:

»Vereinfacht gesagt werden der Rentenpunktwert, der in einem Jahr durch Berufstätigkeit erworben wurde, mit dem Rentenpunkt der Mütterrente verrechnet, wenn bestimmte Obergrenzen überschritten sind. Ein Beispiel: Im Jahr 1975 konnten westdeutsche Arbeitnehmer, die den Höchstbeitrag in den Rentenkassen zahlten, maximal 1,54 Rentenpunkte erwerben. Die Mutter eines 1974 geborenen Kindes, die 1975 aufgrund ihres Arbeitseinkommens 1,2 Rentenpunkte angesammelt hat, erhält für das Erziehungsjahr 1975 daher nicht einen vollen Rentenpunkt, sondern nur 0,34 Punkte – im Westen also nicht 28,61 Euro, sondern 9,28 Euro.«

Also 9,28 Euro sind weniger wert als 28,61 Euro. Das versteht jeder. Und jetzt wieder diese Ostrentner mit ihren ständigen Abweichungen, denn Mitte der 1970er Jahre herrschte der real existierende Sozialismus in der damals noch existierenden DDR und damit auch keine D-, sondern die Ostmark. Man muss als umrechnen:

»Hierfür gibt es die „Umrechnungswerte“, mit denen das DDR-Einkommen mal genommen wird, um auf vergleichbare Westentgelte zu kommen. Der Umrechnungswert für 1975 liegt bei 2,62. Bei einer Frau mit dem damals in der DDR für die Rentenberechnung gängigen Monatseinkommen von 600 Mark werden also 1.576,30 DM als beitragspflichtiges Einkommen berücksichtigt (600 mal 2,62). Das Durchschnittseinkommen im Westen lag damals bei 1.817 Mark, wofür es einen Rentenpunkt gab. Für 1.576,30 werden der Frau also 0,87 Rentenpunkte gut geschrieben. Für ihr Kind erhält sie nun eigentlich einen weiteren Punkt. Da die erreichbare Obergrenze 1975 im Westen aber bei 1,54 Punkten lag, werden der Mutter nur 0,67 Punkte für die Mütterrente gut geschrieben (1,54 minus 0,87). Sie erhält nicht 26,39 pro Monat zusätzlich, sondern nur 17,68 Euro.«

Und dann wird noch ein „Sahnehäubchen“ oben drauf gesetzt: »Als wäre all das nicht kompliziert genug, wird diese Rechnerei nur bei Frauen vorgenommen, die nach dem 30. Juni diesen Jahres in Rente gehen. Für alle „Bestandsrentnerinnen“ wird pauschal pro Kind ein Rentenpunkt aufgeschlagen. Sie erhalten also den vollen Punktwert.« Alles klar?

Ja klar – aber 17,68 Euro sind nun mal mehr als 9,28 Euro für unser beispielhaftes Westkind. Die westdeutschen Mütter werden also scheinbar „benachteiligt“ gegenüber den werktätigen Ex-DDR-Mädels, könnte jetzt auch eine Conclusio aus der dargestellten Rumrechnerei sein. Die natürlich nicht wirklich stimmt, denn der aufmerksame Mitrechnet wird natürlich in Erinnerung haben, dass die Westwerktätige über dem durchschnittlichen Arbeitseinkommen verdient hat, während es bei der Ostwerktätigen genau das damalige durchschnittliche Arbeitseinkommen war. Deshalb bekommt die mehr, weil die weniger verdient hat und insofern werden die also eigentlich gleich behandelt. Alles klar?

Was den Fall so „interessant“ macht hinsichtlich seines „logischen Gehalts“: Der „normale“ Bürger wird bislang davon ausgehen, ein Rentenpunkt mehr für ein Vor 1992-Kind ist ein Punkt mehr. Nichts da. Wir haben gesehen, dass der Rentenpunkt im Falle der frühzeitigen Erwerbstätigkeit eindampft auf ein anteiliges Rententeilpünktchen. Das ist – um das hier nur anzumerken – per se nicht unlogisch, denn den vollen Punkt soll es ja als Kompensation für die Nicht-Erwerbsarbeit und der daraus abgeleiteten Beitragszahlungen und korrespondierend Rentenansprüche später gewährt werden. So sind wir konfrontiert mit der Tatsache, dass viele Betroffene offensichtlich (noch) nicht wissen, dass es weniger als einen Punkt in „Nach-dem-30.Juni-Rentenfällen“, geben wird – und die Aufklärung des Durchschnittsbürgers wird didaktisch angesichts der zu berücksichtigenden Parameter auch eine echte Herausforderung werden.

An dieser Stelle mal ein großes Dankeschön an die Bundesrentenministerin Andrea Nahles: Wie viele unlösbare Klausuraufgaben kann der Hochschullehrer für Sozialpolitik aus diesen neuen Regelungswelten konstruieren? Damit schaffen wir jede Durchfallquote, die gewünscht wird, um die Zahl der Studierenden zu reduzieren 😉

Eine „Höchstquote“ für Studienabbrecher? Über abbrechende Weiterstudierende, Schein-Studierende mit Semesterticket und am System Gescheiterte. Und einige kritische Anfragen an unser Bildungssystem

Da ist wieder so ein Vorhaben, das einen leider bestärken kann in dem Empfinden, dass in unserem Bildungssystem einiges richtig schief läuft: Unis lehnen Höchstquote für Studienabbrecher ab. Also bekanntlich gibt es ja ganz viele Quoten, für Frauen in Aufsichtsräten, für Syrien-Flüchtlinge usw. – aber eine „Höchstquote“ für Studienabbrecher? Schauen wir einmal genauer hin, um was es hier geht: Die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in Gestalt der Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) plant eine Pflicht zur Absenkung der Studienabbrecher-Quoten an den Hochschulen in NRW.

Was sagt die Wissenschaftsministerin dazu?

»Rot-Grün will im „Hochschulzukunftsgesetzes“ festschreiben, dass die Hochschulen künftig Abbrecherquoten bilanzieren, hinterfragen und absenken sollen. „Es ist eine Verschleuderung von Talenten, wenn jeder zweite sein Ingenieurstudium abbricht“, sagte Schulze. Sie erwarte, dass bei besserer Unterstützung mehr Studenten den Abschluss schafften.« Das hört sich doch erst einmal nicht unplausibel an, wer kann denn etwas gegen mehr Unterstützung haben? Wenn man dadurch die Abbrecher-Zahl verringern kann, ist das doch eine gute Sache.

Ja, genau. Wenn.

Scheinbar passt dazu die heutige Meldung auf Spiegel Online: »Den Masterabschluss schaffen die meisten, doch im Bachelor sieht es teils finster aus: Jeder Vierte verlässt hier vorzeitig die Hochschule, in Mathematik scheitert sogar jeder Zweite«. Aber man muss genauer lesen, denn dann findet man diesen wichtigen Hinweis:
»Die Studie basiert nur auf statistischen Berechnungen: Die Forscher haben den Absolventenjahrgang mit relevanten Studienanfängerjahrgängen ins Verhältnis gesetzt. Fach- und Hochschulwechsler gehen nicht in die Quote ein. Die Ursachenforschung laufe, die aktuelle Veröffentlichung sei aber „rein deskriptiv“.«

Die Studie ”Die Entwicklung der Studienabbruchquoten an den deutschen Hochschulen. Statistische Berechnungen auf der Basis des Absolventenjahrgangs 2012″ des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) kann im Original als PDF-Datei abgerufen werden.

Anders gesagt: Wenn in einem Fach beispielsweise 50% der Studierenden, die angefangen haben, keinen Abschluss machen, dann kann das heißen, dass die alle das Studium abgebrochen haben und jetzt entweder unter der Brücke schlafen oder aber irgendwas anderes machen. Es kann aber auch so sein, dass von denen, die das Fach abgebrochen haben, viele in einem anderen Studienfach gelandet sind, wo sie ihr Studium mit Erfolg beendet haben. Oder es kann darunter Menschen geben, die sich nur eingeschrieben haben, weil man beispielsweise als Studierender ein höchst attraktives Semester-Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr bekommt.
Wenn man das alles berücksichtigen würde, dann würden sich die Abbrecherquoten schon mal ganz anders darstellen.

Aber auch wenn wir davon ausgehen, dass die Studierenden das Studium abgebrochen haben, weil sie schlichtweg kognitiv gescheitert sind an den basalen Anforderungen des Studiums – wir reden hier beispielsweise von dem halbwegs sicheren Umgang mit Prozentrechnung (also nicht etwa Differential- oder Integralrechnung) im Studium der Wirtschafts- und anderer Sozialwissenschaften. Jeder neutrale Beobachter würde sicher zugestehen, dass das eine unabdingbare Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss eines Studiums in diesen Bereichen sein sollte. Oder die Fähigkeit, einen Brief oder einen Bericht in einem halbwegs fehlerfreien Deutsch zu verfassen. Wenn diese Studierenden dann an den zwangsläufigerweise immer selektierenden Hürden einer Klausur auch im dritten Anlauf scheitern und deshalb ausscheiden – ist das wirklich ein Problem? Ist es nicht eher eine Selbstverständlichkeit, dass man dann auch sagen können muss, das passt nicht?

Zum Problem könnte es dann werden, wenn die Strukturen, in denen sich die Studierenden bewegen müssen, keinerlei Hilfestellung anbieten, wenn die Dozenten einen miesen Unterricht machen, der zum Scheitern maßgeblich beiträgt. Dann könnte man sagen, dass es hier ein Stück weit um Systemversagen geht, das sich in scheinbar individuellen Versagen ausdrückt und eine Investition in widergelagerte Strukturen wäre sinnvoll und hilfreich. Aber auch die Hilfestellung hat ihre Grenzen, nicht alle können auch durch eine gute Förderung auf das notwendige Niveau gehoben werden, außer – ja, außer man senkt das Niveau ab. Und auf diese Gefahr verweist auch der Einwand des Rektors der Uni Duisburg-Essen, Ulrich Radtke: »Die Gefahr von „Fehlsteuerungen“ sei groß, wenn die Zahl der Abbrecher zum gesetzlichen Qualitätsmerkmal erhoben werde«. Klar, weil die Systeme dann auf diese Anforderung entsprechend reagieren werden (müssen), also wird man die Zahl der Abbrecher mit allen Mitteln zu verringern versuchen, auch wenn das mit einer erheblichen Absenkung des Niveaus verbunden wäre. Das kann dem einen oder der anderen möglicherweise helfen, einen Abschluss zu bekommen – auf dem Papier. Aber hilft es auch der Sache und am Ende auch den Betroffenen? „Besser der eine oder andere Ingenieur bricht ab als später die Brücke“, so wird der Rektor der Universität Duisburg-Essen zitiert.

Man betritt hier vermintes Gelände – aber nur, weil es irgendwie nicht konform ist, sollte man es sich trotzdem nicht so leicht machen wie viele andere, einfach den Gegenstand der Beobachtung zu umschiffen oder einfach auszublenden. Und gerade wenn man den Standpunkt vertritt, dass es wichtig ist, Strukturen und Prozesse des Förderns, des Begleitens und des Untersützens zu stärken und einzufordern, gerade dann hat man das Recht und die Pflicht, auch die andere Seite einzufordern. Beispielsweise Anstrengung, Mitarbeit und Engagement. Und auch die Akzeptanz, das manche Dinge nicht passen und auch nicht passend gemacht werden können.
In diese Richtung gehen nur scheinbar kulturpessimistisch daherkommenden Ausführungen zur Lage an der „Bildungsfront“, wie man sie beispielhaft finden kann in dem Kommentar von Jürgen Kaube über den man sicher streiten kann, der aber einige diskussionsbedürftige Wahrheiten enthält: Die Bildungsmisere hört nie auf.
Kaube denkt in Spiralen. Das geht so: »Eine Spirale ist das: Die Politik verspricht den Aufstieg für alle. Das finden alle gut, außer denen, die nicht dran glauben, und denen, die schon aufgestiegen sind, die wollen nur nicht absteigen. Aber das sind Minderheiten. Der Aufstieg für alle soll über Bildung erfolgen. Also sollen alle aufs Gymnasium und von dort ins Studium.«

Hierzu nur eine Zahl als Illustration: Anfang der 1980er Jahre haben vielleicht 25% eines Jahrgangs die allgemeine Hochschulreife erlangt. Im vergangenen Jahr waren das in Rheinland-Pfalz mehr als 52% aller Schulabgänger. Und durch das, was wir unter dem Stich- und Reizwort „Akademisierungswahn“ diskutieren, kommen die meisten auch an die Hochschulen oder in das, was sich also solche bezeichnet.

Aber weiter bei Kaube, der sich an dem Aufstiegsversprechen für alle abarbeitet:

»Wenn das nicht allen auf Anhieb gelingt, weil natürlich Integralrechnung, Iphigenie und Zitronensäurezyklus nach wie vor schwierig sind, stimmt etwas mit dem Gymnasium nicht. Denn dann ist es ja ein Aufstiegshindernis. Also muss man das Gymnasium abschaffen. Das geht schwer. Oder man muss es so ändern, dass man leichter drüber hinwegkommt. Das geht leicht. Man druckt einfach mehr Abiturzeugnisse und setzt die Namen ein. Anschließend muss man allerdings noch im Hochschulbau etwas machen. Denn hochschulreif ist dann ja bald nicht mehr ein Viertel, sondern die Hälfte eines Jahrganges. Doch das Doppelte soll der Aufstieg aller nun auch wieder nicht kosten.«

Durch die Hauptspirale »drängen sich nun fast alle in der Aufstiegszone, wobei das Gedränge noch zunimmt durch doppelte Jahrgänge (G8), gebührenfreies Studieren, Herunterreden der Berufsbildung und Heraufreden der Wissensgesellschaft. Wenn dieses Gedränge einen kritischen Wert erreicht, fangen die Hochschulen an, Studienhürden zu errichten.« Das kann man tatsächlich derzeit flächendeckend erleben an den deutschen Hochschulen. Knapp die Hälfte aller Bachelorstudiengänge hat schon einen Numerus clausus; die Hochschulrektoren haben gerade gedroht, es könnten noch mehr werden.

Und dann der entscheidende Passus, der zeigt, wie sich die Systeme (alle kriegen ihr Fett weg) auf den Wahnsinn einstellen und ihn perpetuieren, gleichsam zur Vollendung bringen:

»Du hast zwar ein Spitzenabitur, teilt das mit, aber das reicht natürlich nicht, um Zahnarzt oder Kostenrechner zu werden, das können nur Genies. Also müssen die Abiturnoten noch besser werden, damit es zum Aufstieg für alle kommt. Dem werden sich die Schulen gewiss nicht versperren. Haben sie ja auch in den vergangenen Jahren nicht getan. Inzwischen muss man sich echt anstrengen, damit am Ende eine Drei vor dem Komma steht. Man kann die Lehrer da auch verstehen, wer möchte schon durch allzu strenges Abprüfen von Iphigenie und Zitronensäure eine Zahnarztkarriere verhindern oder den Arbeitsmarkt auch nur um eine einzige Unternehmensberaterin bringen? Also durchgelassen. Was ja auch für Hochschulen gilt, die nur nach unten gern streng tun, sonst jedoch ebenfalls alles – mit Durchschnitts(!)note 1,8 – loben, was sich zur Prüfung angemeldet hat. Am Ende werden dann alle zur 1,0 aufgestiegen sein.«

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen – gerade die Hochschulen, um die es ja bei dem eingangs zitierten Beispiel mit der „Höchstquote“ für Studienabbrecher geht, zeichnen sich aus durch einen erheblichen Weiterentwicklungsbedarf, gerade hinsichtlich Didaktik und Rahmenbedingungen. Zugleich ist die Ausstattung viele Hochschulen unterirdisch, vor allem hinsichtlich der Betreuungsrelationen. Es ist sicher keine Übertreibung zu sagen, dass die Privatisierung weiter Teile des Studiums eine substanzielle Bedingung des erfolgreichen Bestehens ist, also betriebswirtschaftlich gesehen das Outsourcing gewichtiger Teile der Ausbildung auf die Studierenden selbst. Nur kann man an dieser Stelle einwenden – war das nicht eigentlich immer schon so, gleichsam ein Wesenszug der akademischen Ausbildung? Auch wenn das stimmt – hier schlägt es wieder zu, das Gesetz der großen Zahl sui generis. Denn das Modell mag funktionieren, wenn nur eine Minderheit in den Genuss oder die Möglichkeit kommt, ein Studium aufnehmen und absolvieren zu können. Wenn das aber mehr als die Hälfte eines Jahrgangs ist, dann wird es automatisch auch mehr Scheiternsfälle geben müssen, es sei denn, man senkt die Anforderungen noch weiter ab.
Aber damit wäre nur kurzfristig etwas gewonnen. Gerade wenn man die Gebührenfreiheit des Studiums fordert und auch mittlerweile so gut wie flächendeckend durchgesetzt hat, darf man angesichts der erheblichen steuerfinanzierten Ausgaben für die Hochschulen auch von den Studierenden eine adäquate Gegenleistung erwarten.

Die Sorge um die einen schließt eine gut begründete Leistungserwartung an die anderen nicht aus – man könnte sogar auf die Idee kommen, das eine bedingt das andere. Wie immer – auf die Zusammenhänge kommt es an.

„Die EU ist keine Sozialunion“, sagt die Bundeskanzlerin. Sozialleistungen an EU-Ausländer seien „eine große soziale Errungenschaft, die man mehr würdigen sollte“, sagt ein Sozialrechtler

Immer wieder wirft man der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, sie würde eigentlich nie richtig Position zu umstrittenen Fragen beziehen. Nunmehr – wenige Tage vor den Europawahlen – scheint sie von dieser Linie abzuweichen: »Angela Merkel macht Sozialmissbrauch durch Ausländer zum Wahlkampfthema. In einem Interview lehnt die Bundeskanzlerin eine „Sozialunion“ in Europa ab. EU-Bürger, die in Deutschland Arbeit suchen, sollten kein Hartz IV erhalten«, kann man dem Artikel „Die EU ist keine Sozialunion“ entnehmen. Und in den Berichten über die Aussagen der Kanzlerin hat sich die Verwendung des Begriffs „Sozialmissbrauch“ ohne jegliche Anführungszeichen verselbständigt, so beginnt beispielsweise der Artikel Merkel will „keine Sozialunion“ in der FAZ mit der Feststellung: »Die Bundeskanzlerin verschärft in der Debatte über Sozialmissbrauch durch EU-Ausländer den Ton«. Aber es gibt natürlich auch eine andere Seite der Debatte: Pauschale Ressentiments gegenüber EU-Ausländern seien oft falsch, sagte Eberhard Eichenhofer, Professor für Sozialrecht an der Universität Jena, im Deutschlandfunk. „Europa hat nämlich ein soziales Gesicht, was selten gesehen wird.“ Er spricht sogar von einer großer sozialer Errungenschaft, die man mehr würdigen sollte, als es zuweilen geschieht (Interview mit Eberhard Eichenhofer im Deutschlandfunk). Und Gudula Geuther kommentiert: Der Ton bei Zuwanderungsfragen stimmt nicht.

Man wolle „Hartz IV nicht für EU-Bürger zahlen, die sich allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten“, so die Bundeskanzlerin in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse. Hintergrund ist ein derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) laufendes Verfahren (Az. C-333/13). Nach einer Stellungnahme des Generalanwalts beim EuGH, Melchior Wathelet, darf Deutschland Bürgern aus anderen EU-Staaten Hartz-IV-Leistungen verweigern, wenn sie ausschließlich zum Bezug von Sozialhilfe einreisen. Das eigentliche Urteil des Gerichtshofs wird vermutlich erst in einigen Monaten fallen. Zum Hintergrund des derzeitigen Verfahrens vor dem EuGH:

»Im konkreten Fall ging es um eine Rumänin aus Leipzig, die auf Zahlung von Hartz IV geklagt hatte. Das dortige Jobcenter hatte ihr die Leistungen zur Grundsicherung verweigert. Die Rumänin wohnt mit ihrem in Deutschland geborenen Sohn seit mehreren Jahren in Leipzig in der Wohnung ihrer Schwester. Die Frau hat keinen erlernten oder angelernten Beruf und war bislang weder in Deutschland noch in Rumänien erwerbstätig. Sie reiste den Angaben zufolge offenbar nicht nach Deutschland ein, um Arbeit zu suchen und bemüht sich auch nicht um eine Arbeitsstelle. Gutachter Wathelet vertrat die Auffassung, das EU-Recht erlaube EU-Bürgern und ihren Familienangehörigen, sich für drei Monate in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten – solange sie die Sozialhilfeleistungen dieses Mitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Wenn sie länger als drei Monate bleiben wollen, müssten sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, sodass sie keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmestaats in Anspruch nehmen müssen.«

Nunmehr wird aber in der aktuellen Debatte eine ganze Menge durcheinander geworfen. Also ein etwas genauerer Blick auf die Frage, welche Sozialleistungen EU-Bürgern zustehen. Grundsätzlich gilt
»Staaten können EU-Zuwanderern in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts Sozialleistungen verwehren, das erlaubt Artikel 24 der Aufenthaltsrichtlinie ausdrücklich. Damit können sich die Länder gegen Einwanderung in ihre Sozialsysteme schützen.«

Aus der genannten Aufenthaltsrichtlinie kann man dem Artikel 24 entnehmen: Grundsätzlich »genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige«. Dann aber kommt der entscheidende Passus: Der »Aufnahmemitgliedstaat (ist) jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen … während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums … einen Anspruch auf Sozialhilfe … zu gewähren.«

Das hat der Generalanwalt beim EuGH nun in seiner Stellungnahme bestätigt. Aber auch nicht mehr und zu dem mehr gehören viele Dinge, die jetzt unzutreffenderweise in einen Topf mit der beschriebenen Fallkonstellation geworfen werden. Grundsätzlich ist Deutschland verpflichtet, Zuwanderern aus anderen EU-Staaten Sozialleistungen zu zahlen und daran kann auch nichts geändert werden. Es gibt also zahlreiche Sozialleistungen, die völlig rechtmäßig an EU-Ausländer geleistet werden (müssen), ob einem das gefällt oder nicht. Allerdings vermischen sich jetzt die unterschiedlichen Ebenen, wenn man beispielsweise in dem FAZ-Artikel Merkel will „keine Sozialunion“ lesen muss:

»Im Vorjahr haben in Deutschland lebende Ausländer Hartz-IV-Leistungen in Höhe von rund 6,7 Milliarden Euro bezogen – etwa ein Fünftel des Gesamtvolumens. Auf die rund 900.000 Ausländer aus Nicht-EU-Staaten entfielen 5 Milliarden Euro, auf die 311.000 Zugewanderten aus den anderen EU-Ländern 1,7 Milliarden Euro. Das geht aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage hervor. Darin sind Gesamtaufwendungen für Hartz-IV-Leistungen von 33,7 Milliarden Euro ausgewiesen. Bundesbürger erhielten davon 26,8 Milliarden Euro.«

Ja und was hat die Darstellung des Gesamtvolumens mit dem konkret anhängigen Fall zu tun? Der weniger eingeweihte Leser könnte auf die Idee kommen, hier wird das Volumen dessen beschrieben, was vorher im Text ohne Anführungszeichen als „Sozialmissbrauch“ bezeichnet wurde, dann wäre das angesichts von 6,7 Mrd. Euro eine schockierende Nachricht. Aber der größte Teil dessen, was hier ausgewiesen wird, steht gar nicht zu gesetzgeberischen Disposition, was natürlich auch der Bundeskanzlerin bekannt ist, wird sie doch einige Zeilen vorher so zitiert: „Wir wollen Hartz IV nicht für EU-Bürger zahlen, die sich allein zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten.“ Zum Kindergeld gebe es in der EU Freizügigkeitsregelungen und ein klares Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Danach hätten in Deutschland arbeitende EU-Bürger grundsätzlich Anspruch darauf, wenn sie in Deutschland erwerbstätig sind (vgl. zur vor kurzem durch die Medien getriebenen Thema Kindergeld für EU-Ausländer zum einen das Interview mit mir im ZDF-Mittagsmagazin sowie ausführlicher den Blog-Beitrag Brandstifter unterwegs. Osteuropäische Saisonarbeiter in der Druckerpresse der Stimmungsmache kurz vor den Europawahlen. Und die Zahlen werden gebogen, bis sie passen).

Hier haben wir einen zentralen Punkt: Wenn beispielsweise ein Rumäne oder Bulgare nach Deutschland kommt und eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, mit der er so wenig verdient, dass er aufstockend Anspruch hat auf Leistungen aus dem Grundsicherungssystem, dann bekommt er die auch und die sind in den Beträgen oben mit enthalten. Und wenn ein osteuropäischer Wanderarbeiter für einige Monate in Deutschland arbeitet, beispielsweise als Erntehelfer, dann bekommt er den Differenzbetrag zwischen dem Kindergeld in Deutschland und dem in seinem Heimatland für seine Kinder ausgezahlt, wenn er unbegrenzt steuerpflichtig ist.

Aber offensichtlich fürchtet sich die Bundesregierung vor einer Instrumentalisierung des Themas durch EU-kritische Parteien in den letzten Tagen vor der Europawahl und deshalb wirft Merkel sich jetzt auch so in die Bresche – übrigens, das sei hier der historischen Richtigkeit angemerkt, Angst vor der Instrumentalisierung einer Debatte, die von der in der Regierung vertretenen CSU ausgelöst worden ist, was nicht einer gewissen zynischen Ironie entbehrt: Man will Handlungsstärke demonstrieren, man will vermitteln, dass man sich darum kümmert. Und schon wird ein Gesetzesentwurf vorgelegt – in einem Tempo, das man sich für andere, weitaus drängendere Themen wünschen würde (vgl. hierzu nur als ein Beispiel meine Kritik an der offensichtlichen Arbeitsverweigerung der Bundesregierung beim Thema Schein-Werkverträge: Nicht nur für Banken gibt es einen „Reservefallschirm“. Auch für faktisch entleihende Unternehmen, die einen (Schein-)Werkvertrag nutzen).

Zum Gesetzentwurf können wir dem FAZ-Artikel entnehmen:

»Dem neuen Gesetzentwurf zufolge sollen unter anderem bei Sozialbetrug fünf Jahre lange Einreiseverboten und Beschränkungen beim Kindergeld drohen. Die Grundzüge des Vorhabens sind schon seit zwei Wochen bekannt – jetzt liegen auch die angepeilten Detailregelungen vor, die nach einem Kabinettsbeschluss allerdings noch durch Bundestag und Bundesrat müssen. Wer sich durch falsche oder unvollständige Angaben eine Aufenthaltserlaubnis erschleicht, muss demnach mit bis zu drei Jahren Gefängnis rechnen. Den unberechtigten Bezug von Kindergeld will man dadurch verhindern, dass der Antragsteller künftig Steueridentifikationsnummern für sich und das jeweilige Kind vorlegen muss. EU-Zuwanderer sollen zur Arbeitssuche zudem in der Regel nur noch ein auf sechs Monate befristetes Aufenthaltsrecht bekommen.«

Da wird schweres Geschütz aufgefahren – da wird Gefängnis bis zu drei Jahre in Aussicht gestellt, wenn man bei falschen Angaben erwischt wird. Auch hier wieder beschleicht einen das Gefühl, dass das immer irgendwie ungleichgewichtig daherkommt, wenn man beispielsweise an die Ausbeuter denkt, die auf deutschen Baustellen von der Beschäftigung scheinselbständiger osteuropäischer Bauarbeiter profitieren und gegenüber denen eine solche Keule nicht geschwungen wird (vgl. dazu den Beitrag „Miese Geschäfte mit Arbeits-Migranten“ des ZDF-Wirtschaftsmagazins WISO am 05.05.2014).

Ungerechtfertigte Griffe in die Sozialkassen – auch durch EU-Ausländer – zu verhindern, ist richtig. Aber in Zuwanderungsfragen mache der Ton die Musik, kommentiert Gudula Geuther, und der stimme im Kontext des Gesetzesentwurfes gegen Sozialleistungsmissbrauch derzeit nicht. Geuther stört sich an der Scheinheiligkeit des schnell zusammen geschusterten Gesetzentwurfs. Ein Beispiel:

»Da ist die Begrenzung des Aufenthalts für Arbeitssuchende. Bisher gibt es eine solche Grenze nach dem Buchstaben des Gesetzes nicht. Nach einem halben Jahr soll in Zukunft in der Regel nur bleiben dürfen, wer das aus anderen Gründen darf, zum Beispiel weil er sich selbst versorgen kann. Das klingt naheliegend. Tatsächlich ist es so naheliegend, dass es die Regelung längst gibt. Schon bisher ziehen Gerichte in der Regel bei sechs oder neun Monaten die Grenze. Man kann das trotzdem ins Gesetz schreiben. Aber wer das heute und ohne Erklärung tut, der tut so, als wäre Deutschland voll von vermeintlich arbeitsuchenden Nichtstuern aus den Nachbarstaaten. Und er tut so, als versuche Deutschland ständig erfolglos, EU-Ausländer aus den Grenzen zu weisen. Auch da ist das Gegenteil der Fall. Im Vollzug der Ausweisung ist man zurückhaltend.«

Treffer und versenkt. Eine Art Staatsversagen beim Vollzug bestehender rechtlicher Regelungen wird hier übertüncht mit symbolischer Gesetzgebung – allerdings mit falschen Symbolen. Und man möchte anfügen – wieder einmal spielt die Politik hier aus sehr kurzsichtigen wahlkampfstrategischen Überlegungen mit dem Feuer.
Deshalb zum Abschluss und als Kontrapunkt die ganz anders getaktete Positionierung des Sozialrechtlers Eberhard Eichenhofer im Interview mit dem Deutschlandfunk:

Es sei die Idee Europas, „dass Wanderarbeit nicht mit sozialrechtlichen Nachteilen verbunden sein soll“, sagte Eichenhofer. „Europa hat nämlich ein soziales Gesicht, was selten gesehen wird. Das erste Gesetz, was die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft erließ, betraf die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, dazu gehört die Regelung über die Kindergeldzahlungen. Das ist eine große soziale Errungenschaft, die man mehr würdigen sollte, als es zuweilen geschieht.“

Aber mit so einer Position kann man eben kein Krawall machen. Richtig bleibt sie trotzdem oder gerade deswegen.