Einen Schritt vor und einen zur Seite. Eine römisch-katholische Tanzbewegung? Nein, das kirchliche Arbeitsrecht wird (etwas) bewegt

»Kirchliche Kitas, Schulen und Krankenhäuser werden größtenteils aus öffentlichen Mitteln finanziert. Die Kirchen bestimmen aber über die Moralvorstellungen ihrer Angestellten und verlangen deren Kirchenmitgliedschaft. Sind diese Sonderrechte noch zeitgemäß?« So lautet die Fragestellung eines längeren Beitrags von Gaby Mayr unter der Überschrift Die Sonderrechte der Amtskirchen, der vom Deutschlandradio Kultur ausgestrahlt worden ist. Ein immer wieder vorgetragenes Thema von grundsätzlicher Bedeutung, das besonders dann ins Bewusstsein gerufen wird, wenn die Amtskirche mal wieder sanktionierend tätig geworden ist (vgl. dazu aus der jüngsten Vergangenheit nur den Artikel Erzieherinnen wegen ihres Privatlebens gekündigt. Darin werden zwei unterschiedliche Fälle behandelt: Eine lesbische Erzieherin verliert ihren Job in einem Kinderhort, weil sie ihre Freundin heiratet, was auf großes Unverständnis und Kritik stößt. Einer anderen Erzieherin, die in einer Einrichtung der Diakonie arbeitet, wird gekündigt, weil sie in ihrer Freizeit Pornos dreht. In diesem Fall sei die Kündigung rechtmäßig, so das Landesarbeitsgericht in München).

Gaby Mayr beleuchtet in ihrer Reportage die gesamt Bandbreite dessen, was als „Kirchenprivilegien“ kontrovers diskutiert wird, beispielsweise dass der Staat mit seinen Finanzbehörden für die Kirchen den Kassenwart gibt (Stichwort Kirchensteuereinzug). Übrigens: Der staatliche Steuereinzug wurde in einem Konkordat von 1933 zwischen der Hitlerregierung und dem Heiligen Stuhl geregelt. Es ist der einzige internationale Vertrag der Nazi-Regierung, der nicht aufgehoben wurde.
Der Schwerpunkt des Beitrags liegt aber auf dem Sonderrecht der Kirchen hinsichtlich des Arbeitsrechts – dazu gehört auch und in diesen Tagen besonders prominent das Streikverbot der Mitarbeiter konfessionell gebundener Einrichtungen, was wir in den kommenden Tagen erleben werden, wenn die Erzieher/innen der kommunalen Kindertageseinrichtungen in einen unbefristeten Arbeitskampf ziehen werden. Ihre Kolleginnen aus den katholischen und evangelischen Einrichtungen können da nur als Zaungäste die Daumen drücken.

Hinsichtlich des eigenen Sonderarbeitsrechts der Kirchen ist viel überkommene Tradition im Spiel, die man zu Recht kritisieren kann und muss – aber auch, das macht die Sache noch schlimmer – auch viel Willkür. Hierzu ein Beispiel aus dem Beitrag von Gaby Mayr:

»Bei den beiden großen christlichen Kirchen folgen Gesetzgeber und Gerichte häufig dem, was die Kirchen selber für ihr gutes Recht halten. So gab im Oktober 2014 das Verfassungsgericht einem katholischen Krankenhaus Recht, das einen Chefarzt wegen seiner Wiederverheiratung nach der Scheidung entlassen hatte. Das falle unter das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, urteilte Karlsruhe.«

Das ist die eine Seite der Medaille. Nun könnte man an dieser Stelle argumentieren, schlimm genug, dass man für eine Angelegenheit aus dem Privatleben dermaßen und möglicherweise existenzbedrohend sanktioniert werden kann. Aber wenn dann wenigstens die Praxis des Umgangs mit dem Thema einheitlich und verlässlich wäre – also wenn die Lage so wäre, dass jeder, der sich auf eine Tätigkeit in einem konfessionell gebundenen Unternehmen einlässt, weiß, das es diese Konsequenzen haben wird. Aber dem ist in praxi gerade nicht so. Ich kenne zahlreiche Chefärzte katholischer Krankenhäuser, die in – aus katholischer Sicht – völlig „unverantwortlichen“ privaten Verhältnissen leben. Und kein Hahn kräht danach. Weil auch die katholischen Träger von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen wissen genau, was das Wort Fachkräftemangel bedeutet. Und wenn sie die Positionen nicht anders besetzt bekommen, dann drücken sie auch gerne mal zwei Augen ganz dicke zu.

Aber jetzt kommt Hoffnung auf, wenn man denn den Überschriften trauen darf: Deutsche Bischöfe ändern kirchliches Arbeitsrecht oder Katholische Kirche geht auf geschiedene Mitarbeiter zu, um nur zwei Berichte zu zitieren. Was ist passiert? Hat man endlich ein Einsehen, dass 99% der Katholiken sowieso anders leben, als es die kirchliche Moral sich so vorstellt? Akzeptiert man, dass die Menschen ein Recht haben, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Privatleben verbringen?
Die Antwort wird nicht überraschen, denn sie fällt typisch katholisch aus: Ein bisschen schon und man weiß um diese an sich verwerflichen Dinge, aber man will es auch nicht übertreiben mit dem Entgegenkommen. Signale der Ermunterung und Hoffnung, dass es vorangeht, aussenden und die Zügel in der Hand zu halten hoffend, so kann man das vielleicht beschrieben.

Schauen wir uns den Sachverhalt an, um den es geht:

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts beschlossen – das hört sich doch erst einmal vielversprechend an. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) klärt uns auf vgl. dazu den Beitrag Deutsche Bischöfe ändern kirchliches Arbeitsrecht): »Reformen gibt es insbesondere im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Angestellten, die in eingetragenen Lebenspartnerschaften leben. Außerdem sollen die Gewerkschaften – als Reaktion auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2012 – mehr Mitsprache bei der Aushandlung der Arbeitsbedingungen erhalten.«

Wie immer im Leben muss man ins Kleingedruckte schauen: Beschlossen wurde eine Änderung der sogenannten „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ (Grundordnung – GrO). Da stehen jetzt die Neuerungen drin. Aber: Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken appellierte an die 27 Oberhirten, ein einheitliches kirchliches Arbeitsrecht in Deutschland zu erhalten. Sicher ist das nicht. Denn vergangene Woche hatten nur «mehr als zwei Drittel» der Diözesanbischöfe für die Reform gestimmt. Sollte der ein oder andere Bischof die neue Grundordnung nicht in Kraft setzen, gilt in seinem Bistum die alte Rechtslage.

Scheidung und erneute standesamtliche Heirat soll in katholischen Krankenhäusern, Kindergärten oder Schulen in Deutschland nur noch in Ausnahmefällen ein Kündigungsgrund sein. So kann man es jetzt lesen. Aber man muss schon genauer hinschauen, beispielsweise in die Mitteilung der Deutschen Bischofskonferenz: »Die erneute standesamtliche Heirat nach einer zivilen Scheidung ist zukünftig grundsätzlich dann als schwerwiegender Loyalitätsverstoß zu werten, wenn dieses Verhalten nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen. Dasselbe gilt für das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.«
Man muss das mal eine Zeit lang auf sich wirken lassen – ein „erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft“. Klarheit sieht anders aus. Nicht Fisch, nicht Fleisch.

Angekündigt werden auch Verbesserungen im kollektiven Arbeitsrecht – und da geht es vor allem um die (Nicht-)Rolle der Gewerkschaften. Hierzu erfahren wir:

Öffnungen gibt es auch mit Blick auf die Beteiligung der Gewerkschaften, die bei der Gestaltung der kirchlichen Arbeitsbedingungen mit am Tisch sitzen wollen. In Zukunft sollen sie – je nach gewerkschaftlichem Organisationsgrad der kirchlichen Angestellten – in den arbeitsrechtlichen Kommissionen von Kirche und Caritas repräsentiert sein. Zugleich heißt es aber in der neuen Grundordnung, dass «kirchliche Dienstgeber keine Tarifverträge mit Gewerkschaften abschließen. Streik und Aussperrung scheiden ebenfalls aus.»

Fortschritt sieht anders aus. Bewegung ja, aber eben eher tänzerische Pirouetten.
Aber man kann es auch gelassen sehen. Spätestens, wenn der „doppelte Fachkräftemangel“ die konfessionell gebundenen Einrichtungen immer stärker erreicht, wird es weitere Bewegungen geben müssen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Der Blick verengt sich auf den mehrtägig angelegten Streik der Lokführer. Und gleichzeitig wird im Parlament das Streikrecht und seine (eingeschränkte) Zukunft auf die Tagesordnung gesetzt

Alle Augen sind auf den nun im Güterverkehr angelaufenen und morgen auch den Personenverkehr erreichenden mehrtägigen Ausstand der Lokführergewerkschaft GDL gerichtet. Wie auch immer man dazu steht – ein Aspekt taucht immer wieder auf, wenn es um die Frage geht, warum die GDL diese enorme Eskalation der Arbeitskampfmaßnahme vorantreibt: Gemeint ist der Hinweis auf das „Tarifeinheitsgesetz“ der Bundesregierung, das diese derzeit durch den Bundestag schleust.  Bereits ab 1. Juli soll das Tarifeinheitsgesetz nach dem Willen der Koalitionäre in Kraft treten. Heute fand nun im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages eine Sachverständigenanhörung statt. Unter der Überschrift Kontroverse zur Tarifeinheit berichtet der Pressedienst des Parlaments darüber. Ergänzend auch die Stellungnahmen der Sachverständigen zum Entwurf eines Tarifeinheitsgesetzes. Zur Diskussion stand außerdem ein Antrag der Fraktion Die Linke (18/4184) und ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (18/2875). Darin sprechen sich die Fraktionen gegen die geplante Gesetzesinitiative aus. Im Mittelpunkt stand aber das, was die Bundesregierung beabsichtigt:
»Der derzeit vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Tarifeinheit (18/4062) sollte noch nicht das letzte Wort zu diesem Thema sein. So lassen sich, vereinfacht gesagt, die Äußerungen der Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagmittag zusammenfassen.«

Klar für das Gesetz sprachen sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) aus. Bei der BDA verwundert das nicht, das Votum des DGB überrascht dann schon etwas, wenn man weiß, dass es innerhalb der Gewerkschaften erhebliche Widerstände gibt, vor allem gegen die – seitens der Kritiker behauptete – faktische Einschränkung des Streikrechts.

Erhebliche Zweifel wurden auch von einigen geladenen Sachverständigen vorgetragen:

»Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, sprach sich zwar grundsätzlich für das Ziel aus, die Zersplitterung der Tariflandschaft gesetzlich verhindern zu wollen. Er äußerte jedoch in einigen Punkten deutliche Zweifel an den im Entwurf vorgeschlagenen Mitteln. So bezeichnete er einige „Sicherungsmittel“, die die Verfassungskonformität des Entwurfs gewährleisten sollen, als „absurd“. Ein einklagbares Recht der Minderheitsgewerkschaft, ihre Forderungen mündlich vortragen zu dürfen sei genauso funktionslos wie das Recht einer Gewerkschaft, den von ihr nicht mit beeinflussten Tarifvertrag einer Konkurrenzgewerkschaft nachzuzeichnen.«

»Am deutlichsten äußerten der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler und Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister, ihre Kritik. So verwies Däubler darauf, dass die Arbeitgeberseite künftig durch legale Maßnahmen die Struktur der Arbeitnehmerseite so beeinflussen könne, dass die von ihr geschätzte Gewerkschaft die Mehrheit im Betrieb habe. Das greife aber in die Unabhängigkeit der Gewerkschaften ein und lasse sich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren, sagte Däubler. Außerdem sei es fraglich, wie festgestellt werden solle, welche Gewerkschaft die Mehrheitsgewerkschaft sei. Noch unklar sei, welche Arbeitnehmer als betriebszugehörig gezählt würden, was mit den „Karteileichen“ geschehe oder mit jenen, die sich weigerten, ihre Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft offenzulegen.«

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum »kritisierte, dass das mehrheitlich bestehende gute Kooperationsklima zwischen den Tarifpartnern durch das geplante Gesetz gestört werde und die Gefahr bestehe, dass die Öffentlichkeit allgemein gegen das Streikrecht mobilisiert werden soll. „Das betrifft dann auch den DGB“, sagte Baum.«

Ebenfalls zu Wort gemeldet hat sich heute die ehemalige stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende Ursula Engeren-Kefer in ihrem Blog unter der mehr als eindeutigen Überschrift Hände weg vom Streikrecht. Sie wägt die Vor- und Nachteile der Tarifeinheit ab, findet aber klare Worte beim Thema Streikrecht:

»In jedem Fall ist es jedoch eine unzulässige Einschränkung des grundgesetzlich verbrieften Rechts auf Vereinigungs- und Tarifvertragsfreiheit, wenn den Spartengewerkschaften per Gesetz das eigenständige Streikrecht genommen werden soll. Die vorgesehene Regelung in den Eckpunkten zu einem derartigen Gesetz, die bereits im Sommer vom BMAS vorgelegt worden waren, ist über das zuträgliche Maß hinausgegangen. Danach wären die Spartengewerkschaften zu der Einhaltung des Tariffriedens während der Laufzeit des Tarifvertrages der Mehrheitsgewerkschaft gezwungen und hätten deren Tarifergebnis übernehmen müssen.  Dies wäre dem faktischen „Tod“ derartiger Spartengewerkschaften gleichzusetzen. Warum soll ein Arbeitnehmer für die Mitgliedschaft in einer Spartengewerkschaft dann überhaupt Beiträge zahlen? Damit würde eine grundgesetzwidrige Einschränkung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit und Tarifautonomie  erfolgen … Jede gesetzliche Einschränkung des Streikrechtes der Spartengewerkschaften verstößt  gegen § 9 des Grundgesetzes und die dem zugrundliegenden Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), 87 und 98. Gewerkschaften ohne Streikrecht haben keine Existenzberechtigung.«

Engelen-Kefer präsentiert aber auch einen Lösungsansatz jenseits des Weiter so:

»Die Bundesregierung ist daher gut beraten, wenn  sie von ihrem diesbezüglichen Vorhaben Abstand nimmt und den Gesetzentwurf  entsprechend abschwächt. Dabei könnte es durchaus berechtigt sind, von Mehrheits- und Spartengewerkschaft zu verlangen, sich regelmäßig über die Tarifpolitik abzustimmen. Ziel muss dabei sein, die Interessen der zu betreuenden Menschen sowie der zu erbringenden Dienstleistungen, der übrigen Mitarbeiter und der wirtschaftlichen sowie finanziellen Rahmenbedingungen zu beachten. Zum Beispiel könnten  für den Fall des Konfliktes geeignete Schiedsverfahren vorgesehen werden.«

Große Zweifel an dem Tarifeinheitsgesetz wurde hier schon an anderer Stelle formuliert, beispielsweise am 05.03.2015 in dem Beitrag Schwer umsetzbar, verfassungsrechtlich heikel, politisch umstritten – das ist noch nett formuliert. Das Gesetz zur Tarifeinheit und ein historisches Versagen durch „Vielleicht gut gemeint, aber das Gegenteil bekommen“.

Besonders relevant vor dem Hintergrund zum einen des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens, von dem man plausibel annehmen kann, dass es die parlamentarische Hürde nehmen wird, zum anderen aber auch der Wutwelle, die jetzt gegen die GDL und deren Mega-Streik aufgebaut und die sich in den kommenden Tagen entfalten wird (wobei hier nur angemerkt werden kann, dass es auch die GDL verteidigende Kommentierungen gibt, beispielsweise Bahnvorstand will Unterwerfung von Pascal Beucker, Ein Lob des Streiks von Andreas Oswald oder Danke, GDL von Tom Strohschneider), sind die Hinweise in dem Beitrag vom 20.04.2015: Die Katze aus dem Sack lassen. Unionspolitiker fordern eine explizite Verankerung des Streikverbots für kleine Gewerkschaften und in der „Daseinsvorsorge“ Einschränkungen des Streikrechts für alle: Der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ein Streikverbot für die kleineren Gewerkschaften innerhalb eines Betriebes gefordert. Das geht aus einem Positionspapier hervor, das der Wirtschaftsflügel an den Vorsitzenden der Unionsfraktion Volker Kauder geschickt hat, kann man dem Beitrag entnehmen. Zudem fordern die Unionspolitiker, dass das Streikrecht im Bereich der „Daseins­vorsorge“ eingeschränkt wird, beim Luft- und Bahnverkehr zum Beispiel, aber ebenso im Erziehungswesen, der Energie- und Wasserversorgung und der medizinischen Versor­gung. Das Papier des Wirtschaftsflügels der Union ist erfrischend deutlich: „Der Ergänzungsvorschlag für die Daseinsvorsorge erfasst Streikfälle mit besonderer Breitenwirkung“. Die sollen in die Mangel genommen werden.

Dazu passt dann leider auch der Artikel Ziel: Kampf dem Arbeitskampf von Claudia Wrobel. Sie berichtet von einem „Hearing zum Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes“, zum dem der Deutsche Beamtenbund und Tarifunion (dbb) in Berlin geladen hatte. Die  Bundestagsfraktionen von SPD und CDU/CSU hatten keine Vertreter zu dem Symposium geschickt. Wrobel notiert am Ende ihres Artikels, dass viele an dem Symposium Teilnehmenden oft »bemerkten …, dass es der Bundesregierung vor allem darum gehe, die Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) einzuschränken. Allerdings traue sie sich nicht, dies öffentlich zuzugeben.«

Man kann nur weiterhin hoffen, dass die Gewerkschaften und vor allem die Spitze des DGB erkennt, auf was für eine schiefe Bahn man sich hier hat setzen lassen.

Sie fährt, sie fährt nicht, dann fährt sie wieder – aber jetzt soll sie eine ganze Woche zwangspausieren. Die Bahn. Denn die Lokführer-Gewerkschaft GDL will es offensichtlich wissen, wie weit man gehen kann. Da kommt vieles unter die Räder

Und täglich grüßt das Murmeltier. So in etwa lässt sich zusammenfassen, wie sich mittlerweile der Konflikt zwischen der Lokführer-Gewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn für viele Menschen darstellt. Die Bahn fährt (mehr oder weniger), dann streikt die GDL zwei oder drei Tage, dann fährt sie wieder und nach einiger Zeit zurück auf Streik seitens der Lokführer. Und vor wenigen Tagen hat die GDL erneut die Verhandlungen mit der Bahn abgebrochen, das von der Bahn-Spitze vorgelegte Angebot sei keinesfalls akzeptabel. Man ahnte es schon – das Muster sollte sich wiederholen. Aber alles hat mal ein Ende und offensichtlich will es die GDL jetzt so richtig wissen, wie weit man gehen kann. Die Eilmeldungen überschlagen sich derzeit: Lokführer streiken sechs Tage langEine Woche Bahnstreik ab Montag oder Lokführer streiken die ganze nächste Woche, um nur drei davon zu zitieren.

Bahnreisende müssen sich von Dienstag an auf den bisher längsten Streik der Lokführer im Tarifkonflikt bei der Bahn einstellen. Der Ausstand soll im Personenverkehr sechs Tage lang von 5. Mai um 2.00 Uhr morgens bis 10. Mai um 9.00 Uhr dauern, teilte die Gewerkschaft am Sonntag in Frankfurt am Main mit. Im Güterverkehr soll bereits ab Montag um 15.00 Uhr gestreikt werden. Es wäre bereits der achte Streik in dem Tarifkonflikt. Um was es da geht? Das ist gar nicht so ein fach zu beschreiben.

Die Gewerkschaft hatte am Donnerstag das neue Tarifangebot des Unternehmens zurückgewiesen. Die Bahn hatte angeboten, die Löhne sollten vom 1. Juli an in zwei Stufen um insgesamt 4,7 Prozent steigen. Dazu komme eine Einmalzahlung von insgesamt 1.000 Euro bis zum 30. Juni. Die GDL fordert für die Beschäftigten fünf Prozent mehr Geld und eine Stunde weniger Arbeitszeit pro Woche.  Aber die Differenz zwischen Angebot und Forderung auf dieser Ebene ist noch nicht einmal der eigentliche Knackpunkt. Die GDL will nicht nur für Lokführer, sondern auch für Zugbegleiter und Rangierführer eigene Verträge abschließen. Dies strebt auch die größere, konkurrierende Gewerkschaft EVG an. Die Bahn will unterschiedliche Abschlüsse für dieselbe Berufsgruppe vermeiden.

Hinzu kommt – sicher ein Motiv für die für viele unerwartete Härte der Lokführer-Gewerkschaft: Die GDL befürchtet, unter die Räder des Terifeinheitsgesetzes zu geraten, das derzeit im Bundestag seinen Gang nimmt und das dann bald in Kraft treten könnte, so dass Streikaktionen der GDL möglicherweise nicht mehr zulässig wären. Die GDL unterstellt der Bahn, sie spiele auf Zeit und lasse die Gewerkschaft am ausgestreckten Arm verhungern, bis es zu der gesetzlichen Neuregelung gekommen ist. Vor diesem Hintergrund wäre die Eskalation der GDL aus deren Binnensicht ein durchaus logischer Schritt – allerdings, wie noch zu diskutieren sein wird – mit ganz erheblichen und teilweise unabsehbaren Konsequenzen. Auch für die GDL selbst, die scheinbar in den Selbstzerstörungsmodus gewechselt ist. Aber blicken wir zuerst noch einmal kurz zurück auf den bisherigen Stand vor der nun erfolgten Ankündigung des Mega-Streiks.

Eine gute Übersicht über das, was im vergangenen Jahr passiert ist, liefert der Artikel Deutsche Bahn AG. Tarifrunde 2014 des WSI-Tarifarchivs:

»Die Tarifrunde 2014 bei der Deutschen Bahn AG verlief besonders konfliktreich und war zum Jahresende auch noch nicht abgeschlossen. Ursache dafür waren die besonderen (tarif)-politischen Rahmenbedingungen in diesem Tarifbereich. Seit über zehn Jahren streiten zwei Gewerkschaften bei der Deutschen Bahn um Einfluss und Zuständigkeiten. Anders als in anderen Wirtschaftszweigen gibt es keine funktionierende Tarifkooperation, sondern lediglich einen seit 2008 befristet festgeschriebenen „Waffenstillstand“, der die Tarifkonkurrenz zwischen den beiden Gewerkschaften EVG (bis 2010: Transnet/GDBA) und GDL aber nicht befriedet hat.«

Schon im vergangenen Jahr hat das Agieren der GDL polarisiert:

»Die Streiks der GDL führten zu einer sehr kontroversen öffentlichen Debatte. Zum einen wurden die Arbeitsniederlegungen als unverhältnismäßig kritisiert. Der GDL und speziell ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky wurde vorgeworfen, aus purem Organisations- und Machtinteresse heraus zu streiken … Rufe nach einer Begrenzung des Streikrechts im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge wurden laut. Auf der anderen Seite gab es auch explizit positive Stimmen, die die GDL für ihr Vorgehen ausdrücklich lobten …«

Aber auch im neuen Jahr ist der Konflikt weiter gegangen und nach einem weiteren „normalen“, das heißt hier zweitägigen Streik (vgl. dazu beispielsweise den Artikel Die Paralleluniversen von Bahn und GDL), steht nun der große Konflikt vor der Haustür. Die Gespräche seit Mitte vergangenen Jahres drehen sich immer wieder um dieselbe Frage: Welche Gewerkschaft darf welche Berufsgruppe im Bahn-Konzern vertreten? Denn neben der kleineren GDL, die übrigens keine DGB-Gewerkschaft ist, sondern unter den Fittichen des Deutschen Beamtenbundes segelt, gibt es noch die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Die waren und sind bislang in einer sehr unkomfortablen Position, laufen sie doch immer im Windschatten der überaus öffentlichkeitswirksamen Aktionen der GDL und müssen zugleich zunehmend Anfragen der eigenen Mitglieder hinsichtlich ihres vergleichsweise sehr friedlichen Umgangs mit dem Arbeitgeber Deutsche Bahn zur Kenntnis nehmen – sicher auch ein Grund für solche Meldungen: Jetzt drohen auch die anderen Eisenbahner mit Streik. Irgendwie kommen die jetzt natürlich immer mehr in Zugzwang, gegenüber den eigenen Mitgliedern zu demonstrieren, dass sie auch noch da sind.

Bahnstreik und kein Ende? Das fragen sich viele Menschen. So auch die Überschrift eines Artikels, in dem über ein Gespräch mit dem Streikforscher Heiner Dribbusch von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung berichtet wurde. Auch Dribbusch verweist auf die direkt-indirekt fatalen Auswirkungen des laufenden Gesetzgebungsprozesses im Kontext der Tarifeinheit:

»Da das Gesetz noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden soll, laufe der GDL aber auch langsam die Zeit davon. Insofern habe Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes zur Verhärtung beigetragen und vermutlich auch die Auseinandersetzung in die Länge gezogen. Denn die Bahn scheine auf Zeit zu spielen und zu hoffen, mit Hilfe des Tarifeinheitsgesetzes die GDL als Tarifvertragspartei letztlich ausschließen zu können. Ob dies in allen 300 Bahnbetrieben wirklich gelingen würde, sei zwar unklar. Aber das Management hoffe, zumindest die Verhandlungsposition der GDL nach einer Neuregelung zu schwächen. Die EVG wiederum zögere mit der Bahn zum Abschluss zu kommen, solange nicht klar ist, welche Zugeständnisse das Management der GDL macht. All dies verhindere eine schnelle Lösung.«

Schon beim letzten, zweitägigen Streik der Lokführer im April dieses Jahres lief die Anti-GDL-Berichterstattung auf Hochtouren. Neben den betroffenen Reisenden wurde diesmal besonders auf die – angeblichen und tatsächlichen – volkswirtschaftlichen Schäden abgestellt, die durch die Arbeitsniederlegungen der Lokführer hervorgerufen werden.

»Streikbedingte Schäden können von einstelligen Millionenbeträgen schnell auf bis zu 100 Millionen Euro Schaden pro Tag wachsen«, warnte Dieter Schweer, Mitglied der Hauptgeschäftsführung im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Besonders hart betroffen seien Branchen, die auf die Bahn angewiesen seien, etwa Chemie-Gefahrguttransporte, die Stahlindustrie oder die Autowirtschaft. Auch der Chefökonom des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Alexander Schumann, sprach am Mittwoch in »Bild« von einem bis zu 100 Millionen Euro großen Schaden durch den aktuellen 66-stündigen Streik im Güterverkehr«, so Rainer Balcerowiak in seinem diese Argumentation kritisierenden Artikel Kein Grund für Horrorszenarien. Er spricht von „Fantasiezahlen“ und sieht „Panikmache und Anti-GDL-Propaganda“ am Werke. Seine Begründung dafür:

»Ein Sprecher des DIHK räumte … ein, dass es »keine konkreten Zahlen gibt« und man auch keinerlei konkrete Angaben von einzelnen Branchen oder Betrieben über die möglichen Auswirkungen des Streiks habe. Vielmehr handele es sich um »Modellrechnungen« für den Fall eines längeren flächendeckenden Streiks im Güterverkehr. Für ein bis zwei Tage seien Firmen in der Lage, Produktionsausfälle weitgehend zu vermeiden. Kohle- und Stahlfirmen, die zu den Großkunden der Bahn zählen, besitzen nach eigenen Angaben sogar einen Puffer von fünf bis sieben Tagen. Zudem kann die Bahn trotz der Arbeitsniederlegung besonders terminsensible Großkunden weiter bedienen, weil sie nicht streikberechtigte verbeamtete Lokführer einsetzen kann.«

Auch der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) sieht derzeit keinen Grund für Horrorszenarien. »Erst nach drei Tagen wird es bei den meisten kritisch«, so wird deren Sprecher Gunnar Gburek in dem Artikel zitiert – eine Grenze, die allerdings bei dem nunmehr angekündigten Ausstand von einer Woche mehr als überschritten würde, was die neue Qualität dessen verdeutlicht, was wir seit heute zur Kenntnis zu nehmen haben.

Die Hinweise auf die Schäden durch die Streikaktionen müssen auch vor dem Hintergrund gesehen werden, über eine solche Argumentation den Gesetzgeber zum Einschreiten zu bewegen. Noch vor der Ankündigung der neuen Streikaktionen findet man dann beispielsweise in der FAZ die folgende Kommentierung von Heike Goebel unter der bezeichnenden Überschrift: Ran ans Streikrecht! Auch sie sieht den Zusammenhang mit dem Tarifeinheitsgesetz der großen Koalition, zieht allerdings eine „interessante“ Schlussfolgerung:

»An der Eskalation ist die große Koalition mitschuldig. Ihr Tarifeinheitsgesetz bedroht die Existenz der Sparten-Gewerkschaften, auch deswegen kämpft die GdL so rücksichtslos. Die Regierung sollte das Gesetz einstampfen und stattdessen das Streikrecht begrenzen, zumindest da, wo solche Konflikte das öffentliche Leben unter hohen Kosten für Dritte empfindlich stören. Eine gute Debattengrundlage sind die Vorschläge des CDU-Wirtschaftsflügels, die andere Länder erfolgreich anwenden: Streiks sollten erst nach einem Schlichtungsversuch erlaubt sein, es muss längere Ankündigungsfristen geben und höhere Abstimmungshürden.«

Genau diese Entwicklung wurde bereits kritisch in dem Beitrag Die Katze aus dem Sack lassen. Unionspolitiker fordern eine explizite Verankerung des Streikverbots für kleine Gewerkschaften und in der „Daseinsvorsorge“ Einschränkungen des Streikrechts für alle vom 20. April 2015 behandelt.

Noch wesentlich weiter geht Werner Rügemer in seinem Beitrag DB im GdL-Streik: „Bewusst eine Sackgasse herbeiführen“: »Polizei- und Geheimdienstmethoden gegen streikbereite Gewerkschaften wie die GdL. Strategische Beratung durch Zürcher Union Busting-Institut SNI«, so beginnt sein Artikel, in dem er darauf hinweist, dass auch seitens der Deutschen Bahn „Union Busting“-Methoden Anwendung finden.

Man kann es drehen und wenden wie man will – bei einem Streik in der Größenordnung, wie ihn die GDL heute angekündigt hat, wird es erhebliche negative Auswirkungen geben müssen. Dazu und hier besonders relevant kommt hinzu: In den kommenden Tagen wird die gesamte mediale Aufmerksamkeit auf den Ausstand der in der GDL organisierten Lokführer gezogen werden und man braucht keine prognostische Expertise um vorauszusagen, dass die (ver)öffentliche Meinung massiv gegen die Aktion der GDL ausgerichtet wird. Auch für viele bislang Gutmütige wird der Rubikon diesmal überschritten sein.

Nun lebt die GDL nicht auf einer Insel, auch wenn man den Eindruck bekommen könnte, dass das bei der Führungsebene dort so ist. Denn es gibt noch andere Konfliktfelder in Arbeitsbereichen, die deshalb von großer Bedeutung sind, weil Streikaktionen in diesen Bereichen aufgrund der unmittelbaren Betroffenheit vieler Menschen eine ganz andere Wahrnehmung bekommen, als wenn beispielsweise die IG Metall bei einem Metallunternehmen streiken würden. Das kann für das Unternehmen bis zur Existenzfrage gehen, für die normale Bevölkerung wäre das nicht oder nur ganz am Rande relevant.

Völlig anders sieht das aus in Bereichen wie der Kindertagesbetreuung, der Paketzustellung oder der Pflege. Hier sind zumeist Millionen Menschen direkt oder indirekt betroffen. Und diese Bereiche werden deshalb an dieser Stelle erwähnt, weil wir hier gegenwärtig ebenfalls mit Streikaktionen konfrontiert wurden bzw. werden. Man denke nur daran, dass die Gewerkschaft ver.di die Erzieher/innen der kommunalen Kindertageseinrichtungen zur Urabstimmung über unbefristete Arbeitskampfmaßnahmen aufgerufen hat und wenn sie die erforderliche Zustimmung bekommen, dann sollte sich eigentlich ab Ende der nächsten Woche, also ab dem 8. Mai 2015, der Streikzug in Bewegung setzen (vgl. hierzu beispielsweise Kita-Streik der Erzieher startet wohl vielerorts am 8. Mai). Wohlgemerkt, in einem Bereich, der viele Eltern treffen wird, die einen Warnstreik von einem Tag locker wegstecken können, die aber erhebliche Probleme bekommen werden, wenn die Kitas mehrere Tage geschlossen bleiben. Für ver.di ergibt sich aus der heutigen Ankündigung der GDL, einen Mega-Streik durchzuführen, eine überaus unangenehme Lage, denn sie drohen mit ihrem Streikvorhaben unter die Räder eines durch den Lokführer-Streiks extrem negativ aufgeheizten Klimas in der Gesellschaft zu geraten, obgleich sie mit der GDL nichts zu tun haben.
Auch auf eine andere Großbaustelle muss an dieser Stelle hingewiesen werden: Die Pflege und die Pflegekräfte. Vor kurzem fand in Berlin an der Charité eine wichtige zweitägige Warnstreikaktion von Pflegekräften statt, deren Hauptforderung darin bestand und besteht, dass mehr Pflegekräfte verbindlich eingesetzt werden. Also mehr Personal und gar nicht einmal höhere Löhne (vgl. hierzu Ein krankes System: »Der Charité-Ausstand ist im Kern ein politischer Streik – er fordert nicht nur die Universitätsklinik, sondern das Gesundheitswesen heraus«. Oder „Gravierender Warnstreik“ an der Charité – 400 Operationen fallen aus sowie Diagnose: Heilung kaum mehr möglich).

Es steht zu befürchten, dass die mehr als berechtigten Anliegen in diesen Arbeitsfeldern in den kommenden Tagen und Wochen unter die Räder geraten dessen, was in berechtigter wie auch hochgespielter Ablehnung des Lokführerstreiks im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte stehen wird. Das wäre schade und kontraproduktiv.

Der Bahn und der GDL wie auch der EVG kann man wohl nur noch von außen helfen. Aber nicht im Sinne der Forderung nach einer Beschränkung des Streikrechts, sondern im Sinne einer echten Schlichtung. Sonst kommen die da nicht mehr raus.