Das Bundesverfassungsgericht grummelt, beißt aber (noch) nicht. Zur Entscheidung über die Bestimmung der Höhe der Regelbedarfsleistungen im Grundsicherungssystem

Sicher hatten manche die Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung mal wieder eine Entscheidung präsentiert, nach der eine bestehende Regelung verfassungswidrig sei und korrigiert werden müsse. Und bei dem hier anzusprechenden Sachverhalt geht es immerhin um die Höhe einer existenziellen Leistung für mehrere Millionen Menschen, konkret wurde vor dem Gericht die Bestimmung der Höhe der Regelleistungen im Grundsicherungssystem beklagt, umgangssprachlich als Hartz IV-System bekannt. Immerhin viereinhalb Jahre nach dem letzten großen Hartz IV-Urteil – das Gericht hatte im Februar 2010 ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums formuliert, das die physische Existenz wie auch die „Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“ umfasst (BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010) – war das BVerfG wieder mit diesem wichtigen Thema befasst. Und die Hoffnung vieler Kritiker an einer möglichen Verfassungswidrigkeitsfeststellung basiert auf den mehr als fragwürdigen „Modifikationen“ bei der Ermittlung der konkreten Höhe der Regelleistungen, manche werden das auch deutlicher „Manipulationen“ nennen.
Aber die Überschrift der Pressemitteilung des höchsten Gerichts verdeutlicht bereits, dass diese Hoffnung nicht erfüllt wird: Sozialrechtliche Regelbedarfsleistungen derzeit noch verfassungsgemäß.

Das BVerfG schreibt zu dem heutigen Beschluss:

»Die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, werden im Ergebnis nicht verfehlt. Insgesamt ist die vom Gesetzgeber festgelegte Höhe der existenzsichernden Leistungen tragfähig begründbar.«

Wie immer bei der richterlichen Sprache achte man aber genau auf die konkrete Wortwahl.
Die ersten Berichte in den Online-Ausgaben der Zeitungen bringen das auf den Punkt:
Hartz-IV-Sätze „noch“ hoch genug, so die FAZ. Und die Süddeutsche Zeitung wird noch deutlicher:
Verfassungsrichter geben Hartz IV die Note Vier.
Wie so oft betont das BVerfG bei sozialpolitisch konkreten Fragen den zumeist sehr weit ausgelegten Ermessensspielraum des Gesetzgebers, so auch im vorliegenden Fall: Das BVerfG spricht von einem »Entscheidungsspielraum sowohl bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse als auch bei der wertenden Einschätzung des notwendigen Bedarfs«. Und das Gericht liefert auch gleich eine Zuständigkeitsabgrenzung mit:

»Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber … nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen; darum zu ringen ist vielmehr Sache der Politik.«

Und an anderer Stelle schreiben die Verfassungshüter:

»Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers entspricht eine zurückhaltende Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht; es setzt sich bei seiner Prüfung nicht an die Stelle des Gesetzgebers. Das Grundgesetz selbst gibt keinen exakt bezifferten Anspruch auf Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz vor.«

Wie ist es denn nun aber mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, von dem das Gericht im Jahr 2010 in seiner Entscheidung gesprochen hat? Nun, wie meistens mit den Grundrechten:

»Entscheidend ist aber, dass die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, im Ergebnis nicht verfehlt werden.«

Also „im Ergebnis“ darf die Sorge für eine menschenwürdige Existenz „nicht verfehlt“ werden. Das lädt zur Exegese und Interpretation ein, neue Promotionsthemen tun sich hier auf.

Aber schauen wir einmal genauer hin, was genau denn das BVerfG nun entschieden hat. Dazu erst einmal der Hinweis auf die zentralen Kritikpunkte an der von der Bundesregierung im Nachgang zum Hartz IV-Urteil aus dem Februar 2010 vorgenommenen „Modifikationen“ am Berechnungsverfahren zur Bestimmung der konkreten Höhe der Regelleistungen (vgl. dazu ausführlicher aus der Vielzahl an Stellungnahmen, die dem Gericht zugeleitet worden sind: Deutscher Caritasverband: Regelbedarfe müssen erhöht werden):

  • Früher wurden als Referenzgruppe für die Regelbedarfsstufe 1 (alleinstehende Erwachsene) die unteren 20% der nach ihrem Einkommen geschichteten Ein-Personen-Haushalte (ohne Empfänger/-innen von Leistungen des SGB II und SGB XII) herangezogen, nach der Neuregelung des Verfahrens sind es nur noch die untersten 15%.
  • Kritker bemängeln, dass die verdeckt armen Menschen (also Menschen, die ihren Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nicht wahrnehmen und somit mit einem Einkommen unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums leben, aus der Referenzgruppe nicht herausgenommen werden.
  • Auch Haushalte, die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehen, also Studierende, sind in der Referenzgruppe enthalten, sollten aber herausgenommen werden, denn sie haben aufgrund ihrer Lebenssituation und vielfältiger Vergünstigungen spezifische Bedarfe und Ausgaben, die in der Regelbedarfsbemessung nicht als repräsentativ gelten können.
  • Die Kritiker stellen darauf ab, dass der Anteil für Strom im Regelbedarf zu niedrig bemessen ist. Er muss auf Grundlage des tatsächlichen Stromverbrauchs von Grundsicherungsempfängern ermittelt werden. Legt man der Berechnung des Stromanteils im Regelbedarf den tatsächlichen durchschnittlichen Verbrauch der Referenzgruppe zugrunde, muss der Regelbedarf in der Stufe 1 deutlich erhöht werden, so der Deutsche Caritasverband.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich mit diesen und weiteren Kritikpunkten auseinandergesetzt und kommt in seiner Entscheidungen zu folgenden Ergebnissen – die zugleich verdeutlichen, wie unsicher das Gericht ist:

»Entscheidet sich der Gesetzgeber bei der Berechnung des Regelbedarfs für ein Statistikmodell, das Leistungen nach Mittelwerten bestimmter Ausgaben bemisst, muss er Vorkehrungen gegen mit dieser Methode verbundene Risiken einer Unterdeckung treffen. Fügt er Elemente aus dem Warenkorbmodell in diese statistische Berechnung ein, muss er sicherstellen, dass der existenzsichernde Bedarf tatsächlich gedeckt ist. Als Pauschalbetrag gewährte Leistungen müssen entweder insgesamt den finanziellen Spielraum sichern, um entstehende Unterdeckungen bei einzelnen Bedarfspositionen intern ausgleichen oder Mittel für unterschiedliche Bedarfe eigenverantwortlich ansparen und so decken zu können, oder es muss ein Anspruch auf anderweitigen Ausgleich solcher Unterdeckungen bestehen. Für einen internen Ausgleich darf nicht pauschal darauf verwiesen werden, dass Leistungen zur Deckung soziokultureller Bedarfe als Ausgleichsmasse eingesetzt werden könnten, denn diese gehören zum verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimum.«

Und – tut der Gesetzgeber das? Nach Auffassung des BVerfG ja, aber:
»Nach diesen Maßstäben genügen die vorgelegten Vorschriften für den  entscheidungserheblichen Zeitraum in der erforderlichen Gesamtschau noch den Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG.« Also noch ist das vereinbar, denn: »Die Festsetzung der Gesamtsumme für den Regelbedarf lässt nicht  erkennen, dass der existenzsichernde Bedarf evident nicht gedeckt wäre.  Der Gesetzgeber berücksichtigt nun für Kinder und Jugendliche auch Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben.« Mit dem letzteren sind die Leistungen aus dem „Bildungs- und Teilhabepaket“ gemeint, die man nach dem letzten Urteil des BVerfG eingeführt hat.

Hinsichtlich der erwähnten zentralen Kritik an der Zusammensetzung der Referenzgruppe ist das Ergebnis in der Entscheidung des BVerfG für die Kritiker sicher frustrierend:

»Die Entscheidung, bei der EVS 2008 nur noch die einkommensschwächsten 15% der Haushalte als Bezugsgröße heranzuziehen (statt wie bei der EVS 2003 die unteren 20%), ist sachlich vertretbar. Der Gesetzgeber hat auch diejenigen Haushalte aus der Berechnung herausgenommen, deren Berücksichtigung zu Zirkelschlüssen führen würde, weil sie ihrerseits fürsorgebedürftig sind. Dass er die sogenannten „Aufstocker“, die neben den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über weiteres Einkommen verfügen, nicht herausgenommen hat, hält sich im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums. Der Gesetzgeber ist auch nicht dazu gezwungen, Haushalte in verdeckter Armut, die trotz Anspruchs keine Sozialleistungen beziehen, herauszurechnen, da sich ihre Zahl nur annähernd beziffern lässt. Schließlich ist nicht ersichtlich, dass es die Höhe des Regelbedarfs erheblich verzerrt hätte, in die Berechnung Personen einzubeziehen, die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhielten.«

Ein weiterer häufig kritisierter Punkt ist, dass der Gesetzgeber nicht ausschließlich auf das Statistikmodell abstellt (also eine Ableitung aus den Verbrauchsausgaben der Haushalte in den unteren Einkommensgruppen), sondern zugleich wird auf das Warenkorbmodell dann zurückgegriffen, wenn man es braucht, um die Ausgaben runterzurechnen. Denn derzeit ist es so, dass der Gesetzgeber hingegangen ist und nicht die Verbrauchsausgaben der unteren Einkommensgruppen zu 100% zugrundelegt, sondern das auf 72 bis 78% eindampft. Auch hier wieder seitens des Gerichts eine „noch“-Bewertung:

»Soweit der Gesetzgeber in einzelnen Punkten vom Statistikmodell abweicht, lässt sich die Höhe des Regelbedarfs nach der erforderlichen Gesamtbetrachtung für den entscheidungserheblichen Zeitraum noch tragfähig begründen.«

Und etwas genauer:

»Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, aus der Verbrauchsstatistik nachträglich einzelne Positionen – in Orientierung an einem Warenkorbmodell – wieder herauszunehmen. Die Modifikationen des Statistikmodells dürfen allerdings insgesamt kein Ausmaß erreichen, das seine Tauglichkeit für die Ermittlung der Höhe existenzsichernder Regelbedarfe in Frage stellt; hier hat der Gesetzgeber die finanziellen Spielräume für einen internen Ausgleich zu sichern. Derzeit ist die monatliche Regelleistung allerdings so berechnet, dass nicht alle, sondern zwischen 132 € und 69 € weniger und damit lediglich 72 % bis 78 % der in der EVS erfassten Konsumausgaben als existenzsichernd anerkannt werden. Ergeben sich erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Deckung existenzieller Bedarfe, liegt es im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, geeignete Nacherhebungen vorzunehmen, Leistungen auf der Grundlage eines eigenen Index zu erhöhen oder Unterdeckungen in sonstiger Weise aufzufangen.«

An dieser Stelle kommen dann wenigstens eine wenige Änderungsaufforderungshäppchen an die Politik:
  • Beim Haushaltsstrom (der derzeit als Pauschale in den Regelleistungen enthalten ist), ist der Gesetzgeber im Falle außergewöhnlicher Preissteigerungen bei dieser gewichtigen Ausgabeposition verpflichtet, die Berechnung schon vor der regelmäßigen Fortschreibung anzupassen.
  • Das gilt auch für den Mobilitätsbedarf, wo der Gesetzgeber Ausgaben für ein Kraftfahrzeug nicht als existenznotwendig berücksichtigen muss, aber sicherzustellen hat, dass der existenznotwendige Mobilitätsbedarf künftig tatsächlich gedeckt werden kann. Was immer das konkret bedeuten mag.
  • Das BVerfG hat sich offensichtlich auch mit den Niederungen der Haushaltsgeräte befasst: »Zudem muss eine Unterdeckung beim Bedarf an langlebigen Gütern (wie Kühlschrank oder Waschmaschine), für die derzeit nur ein geringer monatlicher Betrag eingestellt wird, durch die Sozialgerichte verhindert werden, indem sie die bestehenden Regelungen über einmalige Zuschüsse neben dem Regelbedarf verfassungskonform auslegen. Fehlt diese Möglichkeit, muss der Gesetzgeber einen existenzsichernden Anspruch schaffen.«

Und dann war da doch noch die Kritik an den Leistungen für Kinder und Jugendlichen. Auch hier gilt: Das BVerfG hat „keine verfassungsrechtlich durchgreifenden Bedenken“:

»Gegen die Festsetzung der Regelbedarfe für Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres und Jugendliche zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr mit Hilfe von Verteilungsschlüsseln bestehen keine verfassungsrechtlich durchgreifenden Bedenken. Die Höhe der Leistungen ist nach der verfassungsrechtlich gebotenen Gesamtschau derzeit nicht zu beanstanden … Die teilweise gesonderte Deckung von existenzsichernden Bedarfen, insbesondere über das Bildungspaket und das Schulbasispaket, ist tragfähig begründet. Es liegt im Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers, solche Leistungen teilweise in Form von Gutscheinen zu erbringen. Allerdings müssen die damit abgedeckten Bildungs- und Teilhabeangebote für die Bedürftigen auch tatsächlich ohne weitere Kosten erreichbar sein; daher ist die neu geschaffene Ermessensregelung zur Erstattung von Aufwendungen für Fahrkosten als Anspruch auszulegen.«

Das war’s. Wie man auf der Basis dieser Entscheidung zu der folgenden Schlussfolgerung kommen kann, bleibt wohl das Geheimnis des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bzw. seines Hauptgeschäftsführers Ulrich Schneider, der laut einer Presseerklärung ausführt:

»Das BVG hat heute die rigorose Pauschalierung der Regelsätze gekippt. Damit ist die seit Rot-Grün verfolgte Philosophie des Vorrangs der absoluten Massenverwaltungstauglichkeit vor der Lebensrealität der Menschen und ihren individuellen Bedarfen endlich juristisch beendet. In zentralen Punkten wie bei der Anschaffung langlebiger Gebrauchsgüter, den Kosten für Mobilität oder den Preissprüngen bei den Energiekosten ist das Bundesverfassungsgericht der Kritik des Paritätischen gefolgt und hat das derzeitige Modell der Regelsatzbemessung an diesen Punkten für untauglich erklärt. Stattdessen ist den tatsächlichen individuellen Bedarfen wieder Rechnung zu tragen.«

Man kann sich aber auch alles irgendwie so hinbiegen, dass es zu passen scheint. Aber diese Bewertung ist nun im Lichte dessen, was das BVerfG entschieden hat, mehr als euphemistisch. Hier ist wohl der Wunsch nach einer anderen Welt Vater des Gedankens.

Pflegenotstand – und nun? Notwendigkeit und Möglichkeit von Mindeststandards für die Ausstattung der Krankenhäuser mit Pflegepersonal

»Die Personalbesetzung der pflegerischen Berufsgruppen in deutschen Krankenhäusern liegt auf einem grenzwertig niedrigen Niveau, sodass häufig nicht gewährleistet ist, dass alle notwendigen pflegerischen Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden können. Sowohl die internationalen Vergleiche der Betreuungsrelation (im Sinne Verhältnisses von Patienten je Pflegekraft) als auch die nationalen Studien zur Belastungssituation in der Pflege zeigen einen gesundheitspolitischen Handlungsbedarf auf« (Thomas et al. 2014: 29). Diese akademisch daherkommende Beschreibung dessen, was andere hemdsärmeliger als real existierenden Pflegenotstand bezeichnen, kann man in einer neuen Studie nachlesen, die im Auftrag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di von einem Wissenschaftlerteam der Universität Duisburg-Essen unter Leitung von Jürgen Wasem erstellt worden ist: Instrumente zur Personalbemessung und ‐finanzierung in der Krankenhauspflege in Deutschland, so lautet der Titel der Expertise. Und sie beschäftigt sich angesichts der teilweise desaströsen Beschäftigungsbedingungen in zahlreichen Krankenhäusern mit einem  wichtigen Thema, von dem viele unbedarfte Bürger gar nicht ahnen werden, dass es ein Thema ist: mit der Frage, ob es notwendig und vor allem ob es möglich ist, seitens des Gesetzgebers Mindeststandards für die Personalausstattung der Krankenhäuser im pflegerischen Bereich vorzugeben. 

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Burger-Brater auf der Straße. Streikaktionen von Fastfood-Beschäftigten in mehr als 150 Städten in den USA

Jeder, der schon mal in den USA gewesen ist, weiß um die enorme Alltagsbedeutung der zahlreichen Fastfood-Läden. Insofern gibt es nicht nur viele Verkaufsstellen, sondern auch sehr viele Menschen, die in diesem Bereich arbeiten (müssen). Und die Bezahlung in diesem Bereich ist hundsmiserabel. Nicht einmal acht Euro verdienen sie in den Burger-Läden zurzeit nach Angaben der Gewerkschaft Service Employees International Union.

Unter dem Motto „Fight for 15″ haben Angestellte von Unternehmen wie McDonald’s oder Wendy’s ihre Arbeit niedergelegt. Der Kampagnen-Name „Fight for 15“ ist eine Ableitung aus der Forderung nach einem Stundenlohn von mindestens 15 Dollar (rund 11,40 Euro). Wer die Streikaktionen und die Medienberichterstattung in den USA verfolgen möchte, der wird auf der Seite www.strikefastfood.org fündig. Auch auf Twitter kann man den Aktionen unter @fightfor15 folgen.

Wer sich für die Hintergründe interessiert, dem seien zwei aktuelle wissenschaftliche Bestandsaufnahmen empfohlen:

Zum einen hat das Economic Policy Institute im August dieses Jahres die Studie Low Wages and Few Benefits Mean Many Restaurant Workers Can’t Make Ends Meet von Heidi Shierholz veröffentlicht. Sie verdeutlicht die Bedeutung hinsichtlich der Beschäftigung: »The restaurant industry is a large and fast-growing sector of the U.S. economy. It currently employs 5.5 million women … and 5.1 million men«. Wenn es sich auch um eine durchaus heterogene Branche handelt, muss doch gesehen werden, dass viele Beschäftigte an oder unter der (sehr niedrig angesetzten) Armutsgrenze leben müssen:

»The restaurant industry includes a wide range of establishments, from fast-food to full-service restaurants, from food trucks to caterers, from coffee shops to bars. While there are certainly employers in the restaurant industry who provide high-quality jobs, by and large the industry consists of very low-wage jobs with few benefits, and many restaurant workers live in poverty or near-poverty.«

Shierholz arbeitet in ihrer Studie heraus, dass der Median-Stundenlohn der in der Restaurant-Branche arbeitenden Menschen einschließlich der Trinkgelder bei $ 10 liegt und damit deutlich niedriger als die $ 18 Dollar außerhalb dieser Branche. Nun kann man argumentieren, dass die soziodemografische Struktur der Beschäftigten hier eine andere sein wird als in anderen Branchen. Auch das hat sie berücksichtigt bzw. bereinigt und kommt zu folgendem Befund:

»After accounting for demographic differences between restaurant workers and other workers, restaurant workers have hourly wages that are 17.2 percent lower than those of similar workers outside the restaurant industry. This is the “wage penalty” of restaurant work.«

Bei den aktuellen Streikaktionen geht es nicht nur um die bereits erwähnte Forderung nach mehr Geld, sondern auch nach Anerkennung gewerkschaftlicher Aktivitäten. In den USA herrscht bekanntlich ein sehr gewerkschaftsfeindliches Klima, insofern überrascht es nicht, wenn wir erfahren, dass der Organisationsgrad der Gewerkschaften in diesem Bereich extrem niedrig ist (das sieht in Deutschland auch nicht anders aus), dass sich aber gewerkschaftliches Engagement durchaus auszahlen kann, zeigt die Studie ebenfalls: »Unionization rates are extremely low in the restaurant industry, but unionized restaurant workers receive wages that are substantially higher than those of non-union restaurant workers.«

Jeder sechste Beschäftigte in dieser Branche lebt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze – 16.7 Prozent der Beschäftigten, während es in den anderen Branchen nur 6.3 Prozent sind. Die tatsächliche materielle Notlage vieler Beschäftigter wird an dieser Zahl deutlich:

»Twice the official poverty threshold is commonly used by researchers as a measure of what it takes for a family to make ends meet. More than two in five restaurant workers, or 43.1 percent, live below twice the poverty line.«

Eine weitere sozialpolitisch hoch brisante Erkenntnis kann man der Studie entnehmen – wissend, dass in den USA Millionen Menschen keinen Krankenversicherungsschutz haben, weil im Regelfall ein solcher von den Arbeitgebern organisiert werden muss oder eben von diesen nicht zur Verfügung gestellt wird:

»Just 14.4 percent of restaurant workers receive health insurance from their employer, compared with roughly half (48.7 percent) of other workers. Of unionized restaurant workers, 41.9 percent receive health insurance at work, substantially higher than the share among nonunionized restaurant workers.«

Lediglich 8.4 Prozent der Beschäftigten kommen in den Genuss einer betrieblichen Altersvorsorge, in den anderen Branchen sind es hingegen 41.8 Prozent.
Die Studie gibt dann im weiteren noch einige Empfehlungen, was man politisch machen könnte, um die Qualität der Jobs in dieser Branche zu verbessern.

Die angesprochene Armut vieler Beschäftigter spiegelt sich in einer weiteren auffälligen Besonderheit, auf die in einer anderen, im April dieses Jahres publizierte Studie hingewiesen wird: Fast Food Failure. How CEO-to-Worker. Pay Disparity Undermines the Industry and the Overall Economy von Catherine Ruetschlin. In dieser Studie geht es um die Vergütungsschere zwischen den Führungskräften der Unternehmen und den normalen Beschäftigten. Eine Schere, die generell in den vergangenen Jahren immer weiter auseinandergegangen ist. Und dabei erweist sich die Fastfood-Branche als der große Treiber, so Ruetschlin in der Zusammenfassung ihrer Studie:

»New analysis of the CEO-to-worker compensation ratio across industries shows that Accommodation and Food Services is the most unequal sector in the economy, and that this extreme pay disparity is primarily driven by one of the sector’s component industries: fast food.«

Es sind traurige Spitzenwerte, die hier erreicht werden:

»Accommodation and Food Services had a CEO-to-worker pay ratio of 543-to-1 in 2012 … In 2012, the compensation of fast food CEOs was more than 1,200 times the earnings of the average fast food worker.«

Es sind zwei Faktoren, die in der Studie als Ursache für diese Entwicklung identifiziert werden:

»Pay disparity in the fast food industry is a result of two factors: escalating payments to corporate CEOs and stagnant poverty-level wages received by typical workers in the industry … Fast food CEOs are some of the highest paid workers in America. The average CEO at fast food companies earned $23.8 million in 2013 … Fast food workers are the lowest paid in the economy. The average hourly wage of fast food employees is $9.09, or less than $19,000 per year for a full-time worker, though most fast food workers do not get full-time hours. Their wages have increased just 0.3 percent in real dollars since 2000.«