Statistisch hat die Nicht-Sanktionierung in der Grundsicherung gewirkt, so neue Berechnungen

Es liegen Monate der von vielen interessierten Seiten vorangetriebenen und medial enorm verstärkten Debatten über die (angeblich) schädlichen Wirkungen des neuen Bürgergeldes auf die Bereitschaft, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, hinter uns. Mit mehr oder meistens weniger seriösen Berechnungsversuchen wurde aufzuzeigen versucht, dass es sich nicht lohnen würde, aus dem Bürgergeld-Bezug auszusteigen, um eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Die Verhandlung dieser Diskussionen und Kampagnen sind ein eigenes Thema.

Da ist aber noch ein anderes, ebenfalls hochgradig emotionalisierendes Thema, das mit Hartz IV und dem Bürgergeld verbunden war und ist: die Sanktionen, also der teilweise bis hin zu einem vollständigen Entzug von Leistungen der Grundsicherung. Und man wird damit rechnen müssen, dass die Sanktionierung von Bürgergeldempfängern demnächst wieder in Berlin auf die Tagesordnung gesetzt wird, denn ein Teil der Planungen der amtierenden Bundesregierung den Bundeshaushalt 2024 nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.11.2023 beinhalten „Sparbeiträge“ der Bundesagentur für Arbeit und darunter, neben einem Griff in die Beitragskasse der Arbeitslosenversicherung, auch rechnerisch unterstellte Einsparungen, die dadurch realisiert werden sollen, dass man „Totalverweigerer“ im Bürgergeldbezug härter anpacken will, so der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). „Wer … sich allen Angeboten verweigert, muss mit härteren Konsequenzen rechnen. Die Sanktions­möglichkeiten gegen Totalverweigerer werden wir daher verschärfen“, kann man dem Bericht Arbeitsminister Heil verteidigt Haushaltskompromiss entnehmen.

Auch vor diesem Hintergrund sind neue Ausführungen des Arbeitsmarktforschers Enzo Weber interessant und relevant, der sich mit der Frage beschäftigt hat, was Menschen möglicherweise länger in der Arbeitslosigkeit hält.

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Eine abgesenkte „Sonderbedarfsstufe“ für alleinstehende erwachsene Asylbewerber in Sammelunterkünften verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums

Zu diesem Ergebnis ist das Bundesverfassungsgericht gekommen. Der erste Senat des BVerfG hat entschieden, »dass § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar ist.«

Wenn das BVerfG von einem „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ spricht, dann ist das ist zum einen natürlich für die betroffenen Menschen in diesem Fall interessant, aber generell auch vor dem Hintergrund der parallel laufenden Diskussionen und gesetzgeberischen Entscheidungen im Kontext der Einführung eines „Bürgergeldes“, mit dem Hartz IV abgelöst werden soll, denn auch in der Grundsicherung nach SGB II (sowie SGB XII) geht es um dieses Grundrecht, das hier so prominent hervorgehoben wird.

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Wenn das „sozialwidrige Verhalten“ im Hartz IV-System die Gerichtsleiter nach oben klettert, kommt es irgendwann beim Bundessozialgericht an (und fällt wieder runter)

Im September 2016 konnte man hier lesen: »Die Bundesagentur für Arbeit (BA) will … schärfer gegen Hartz-IV-Empfänger vorgehen, die ihre Bedürftigkeit selbst verursacht oder verschlimmert haben. Demnach sollen Betroffene, die ihre Hilfebedürftigkeit selbst herbeiführen, sie verschärfen oder nicht verringern, künftig sämtliche erhaltenen Leistungen für bis zu drei Jahre zurückzahlen müssen. Strenger ahnden sollen die Ämter demnach auch „sozialwidriges Verhalten“ von Hartz-Empfängern.« Das ist ein Zitat aus dem Artikel Jobcenter sollen „sozialwidriges Verhalten“ sanktionieren. Was muss man sich denn darunter vorstellen – „sozialwidriges Verhalten“? Das war die Leitfrage in dem hier am 2. September 2016 veröffentlichten Beitrag Wo soll das enden? Übergewichtige und Ganzkörpertätowierte könnte man doch auch … Ein Kommentar zum „sozialwidrigen Verhalten“, das die Jobcenter sanktionieren sollen. Es ging damals um neue Weisungen der BA auf der Grundlage einer Rechtsänderung, in denen dieses „sozialwidrige Verhalten“ konkretisiert wurde: »Betroffen seien etwa Berufskraftfahrer, die den Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer verlieren und dann auf Hartz IV angewiesen sind … Die schärferen Bestimmungen könnten demnach auch Mütter treffen, die sich weigern, die Namen der Väter ihrer Kinder zu nennen. Denn dieser müsste möglicherweise Unterhalt zahlen, das Jobcenter müsste dann weniger Leistungen an die Mütter überweisen.«

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Manche wollen es nicht lassen: Sie sollen wieder auferstehen, die 100-Prozent-Sanktionen im Hartz IV-System. Aber hatte nicht das Bundesverfassungsgericht …? Hat es nicht

Erinnern wir uns an den 5. November 2019. Ein wichtiger Tag nicht nur für viele Betroffene, sondern auch für das Verfassungs- und Sozialrecht insgesamt. Denn an diesem Tag verkündete das Bundesverfassungsgericht eine seit Jahren erwartete Entscheidung zu der Frage, ob Sanktionen im Hartz IV-System verfassungsrechtlich zulässig sind oder eben nicht. Immerhin ging es hier um nichts anderes als um die Frage, ob man das Unterste, also das staatlich definierte Existenzminimum, unterschreiten kann – bis hin zum völligen Wegfall. Bekanntlich fiel die Antwort aus Karlsruhe zwiespältig aus, was man schon der Überschrift der Pressemitteilung des hohen Gerichts entnehmen konnte: Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten bei Bezug von Arbeitslosengeld II teilweise verfassungswidrig. Also ein großer Erfolg der Sanktionsgegner, so scheint es. Wenn da nicht dieses eingeschobene Wort „teilweise“ wäre. Und das hat im vorliegenden Fall eine ganz besondere Bedeutung.

Nach der Urteilsverkündung konnte man überall lesen, dass es in Zukunft keine Sanktionen mehr geben darf, die eine Absenkung des Existenzminimums um mehr als 30 Prozent überschreiten. Und dass die Betroffenen auch nicht mehr schematisch für drei Monate bestraft werden dürfen. Auch müssen die Jobcenter „Härtefälle“ berücksichtigen.

Und jetzt wird man mit solchen Meldungen konfrontiert: »Hartz-IV-Beziehern sollte nach Auffassung mehrerer Arbeitsminister der Union auch künftig die Unterstützung komplett entzogen werden können, wenn sie nicht kooperieren.«

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Nach dem Urteil des BVerfG ist Hartz IV eine „bedingungslose Grundsicherung“ geworden? Was für ein Unsinn

Das nunmehr vergangene Jahr war im Bereich der Grundsicherung vor allem durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. November 2019 geprägt ( BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16), bei dem es um einen Teil der Sanktionen innerhalb des Hartz IV-Regimes ging. Dazu ausführlicher der Beitrag Ein Sowohl-als-auch-Urteil. Das Bundesverfassungsgericht, die Begrenzung der bislang möglichen Sanktionierung und eine 70prozentige minimale Existenz im Hartz IV-System vom 6. November 2019. Darin wurde nicht nur auf die argumentativen Widersprüchlichkeiten in der Entscheidung hingewiesen, sondern vor allem auf den Tatbestand, dass die Sanktionen gerade nicht generell verboten, sondern „lediglich“ eine Begrenzung der besonders harten Formen der Sanktionierung vorgenommen wurde.

Die fundamentale Bedeutung dieses Urteils, auf das man jahrelang warten musste, nachdem Sozialrichter aus Gotha durch einen Vorlagenbeschluss das Verfahren ausgelöst hatten, steht im Kontext mit der Tatsache, dass es hier um nichts weniger als um das Existenzminimum ging – und um eine Antwort auf die Frage, ob das unantastbar ist oder nicht.

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