Karlsruhe statt Bierzelt. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) irrlichtert in der eskalierenden Debatte über das Bürgergeld. Verfassungsrechtliche Nachhilfe wäre angezeigt

Wir haben in den vergangenen Monaten eine teilweise abgründige Debatte über das „Bürgergeld“ – eine vor allem semantisch wohlklingende Umetikettierung dessen, was man früher „Hartz IV“ nannte – erleben müssen. Mit teilweise abstrusen Modellberechnungen, was die einen angeblich kriegen und die anderen angeblich nicht. Mit der unter die Leute gebrachten Botschaft, dass alle Bürgergeld-Empfänger arbeitslos sind und es sich mit einem Netflix-Abo und einem Flachbildfernseher ausgestattet auf der heimischen Couch in den voll von den Jobcentern bezahlten Mietwohnungen bequem machen und den vielen Menschen, die von ihrer Hände Arbeit mit überschaubaren Arbeitseinkommen über die Runden kommen müssen, den Mittelfinger zeigen. Schnell hat man mit der entsprechenden medialen Unterstützung gemerkt, dass man damit ganz viele Menschen so richtig in Wallung bringen kann und in diesem Kontext folgerichtig war dann auch eine Eskalation mit immer radikaleren Forderungen bis hin zu einer grundlegenden Infragestellung des Bürgergeldes und damit der Grundsicherung, also dem letzten Auffangnetz der sozialen Sicherung in unserem Land.

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Selbst angeblich „selbstlosen Dienern“ steht das Mindeste an Lohn zu, wenn sie in einem Yoga-Zentrum arbeiten. Das Bundesverfassungsgericht beendet eine besondere Variante der versuchten Mindestlohn-Vermeidung

Es ist wahrlich kein Geheimnis, dass es zahlreiche Umgehungsversuche die gesetzliche Lohnuntergrenze für (fast) alle betreffend, gibt. Und dass die Kontrollen viel zu selten und Nachzahlungen noch seltener sind. Es wird immer weniger kontrolliert, zugleich die steigt die Zahl der eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Verstößen gegen das Mindestlohngesetz (vgl. hierzu die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage im Bundestag: Mindestlohnbetrug und Kontrollen zur Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland, BT-Drs. 20/12347 vom 19.07.2024).

Man kann sich an einer – der Antwort der Bundesregierung entnommenen – Zahl verdeutlichen, wie viele Menschen darauf angewiesen sind, dass ihre Arbeitgeber sich an das Mindeste auch halten, auf die die Beschäftigten einen Anspruch haben: So wurde nach der Verdiensterhebung aus dem April 2023 in Deutschland bezogen auf 30 Millionen Beschäftigungsverhältnisse mit Gültigkeit des Mindestlohngesetzes in insgesamt 8,4 Millionen Beschäftigungsverhältnissen (ohne Auszubildende, Praktikantinnen/Praktikanten, Minderjährige) weniger als 14 Euro in der Stunde verdient. Das sind 28 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland.

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Zahlen bitte! Sanktionen im Hartz IV- bzw. im Bürgergeld-System. Und potemkinsche „Einsparungen“ mit den geplanten Verschärfungen der Sanktionen im SGB II

Deutschland, am Jahresende 2023: Im Dezember 2023 lebten in 2.897.000 Bedarfsgemeinschaften 5.473.000 Personen, die einen Anspruch auf Regelleistungen nach dem SGB II hatten. Hinter dieser einen großen Zahl von fast 5,5 Millionen Menschen, die auf Leistungen aus dem Grundsicherungssystem (SGB II) angewiesen sind, verbergen sich nicht nur 5,5 Millionen Einzelschicksale, sondern auch extrem unterschiedliche Fallkonstellationen, die zu einer Hilfebedürftigkeit geführt haben. In der öffentlichen und diese formatierenden medialen Diskussion muss man als unbedarfter Beobachter aber den Eindruck bekommen, als sind alle Hartz IV- bzw. neudeutsch „Bürgergeld“-Empfänger Arbeitslose, genauer: Erwerbsarbeitslose und das Hauptproblem des „neuen“ Bürgergeldes besteht darin, dass es keine „Anreize“ geben würde, irgendeine Erwerbsarbeit aufzunehmen oder dass sogar Jobs hingeschmissen werden, weil man mit dem Bürgergeld angeblich besser, vor allem angenehmer leben könne. In diesem höchst selektiven Kontext, der viele Millionen Hilfebedürftige und deren Lebenslagen komplett ignoriert, passt dann die Forderung nach einer (Wieder-)Verschärfung der Sanktionen, also der Leistungsminderungen in der Grundsicherung. Besonders populär, weil auf den ersten Blick für viele nachvollziehbar ist die Forderung, dass die Ablehnung einer angebotenen Erwerbsarbeit und die damit einhergehende Verlängerung des steuerfinanzierten Leistungsbezugs zu einer „knallharten“ Sanktionierung führen müsse, damit man sich nicht von Faulenzern und den Sozialstaat missbrauchenden Menschen an der Nase durch den Ring ziehen lassen muss und damit die Solidargemeinschaft geschützt wird vor einer Über-Inanspruchnahme aus „niederen“ Beweggründen.

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