Der Griff in die Beitragskasse der Arbeitslosenversicherung: Wenn Haushaltstrickser Luftbuchungen und einen nicht nur kosmetischen Schaden produzieren

Das kommt dabei heraus, wenn man über keinen sicherheitshalber ausgearbeiteten Plan B verfügt, sondern im Nachgang zu dem offensichtlich die amtierende Regierung völlig überraschenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.11.2023 und den daraus resultierenden handfesten Auswirkungen in Form fehlender Milliarden auf den Bundeshaushalt 2024 planlos und auf die Schnelle in Gestalt hektischer Nachtsitzungen in das Aufstellen von mehr oder weniger belastbaren Streichlisten bei den Ausgaben (und weitaus gewichtiger dem Verschieben von Finanzierungslasten auf Dritte wie Steuer- und Beitragszahler) reinschlittert. Da sind dann Sach- und Personenschäden vorprogrammiert.

Einen schon auf den ersten Blick perfiden „Sparbeitrag“ für den Bundeshaushalt muss das ausgabenträchtige Bundesministerium für Arbeit und Soziales leisten: »In der Pandemie zahlte die Bundesagentur für Arbeit massenhaft Kurzarbeitergeld und verbrauchte dabei sämtliche Reserven. Eigentlich sollten die Rücklagen nun wieder aufgebaut werden. Doch jetzt will die Ampel an das Geld«, so eine der Meldungen zu dem Griff in die Beitragskasse der Arbeitslosenversicherung, hier unter der Überschrift Ampel zapft Reserve der Bundesagentur an – Gewerkschaften und Arbeitgeber empört. Christina Ramb von der Arbeitgeberseite in der Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit kritisiert, »Beitragsgelder seien kein Sparbuch zur Entlastung des Bundesetats.« Was ist da los?

Begeben wir uns zurück in die Pandemie-Krise, vor allem in die Turbulenzen, die wir in den ersten beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 auch auf dem Arbeitsmarkt erfahren haben. Anders als beispielsweise in den USA, wo 2020 innerhalb kürzester Zeit Millionen Menschen von heute auf morgen ihren Job verloren haben (vgl. dazu beispielsweise den Beitrag Unbelievable. Eine „Grafik des Schreckens“ wird innerhalb einer Woche noch schrecklicher: COVID-19 verursacht eine historische Krise auf dem Arbeitsmarkt in den USA, der hier am 2. April 2020 veröffentlicht wurde), hat man in Deutschland zu einem seit langem vorhandenen und überaus erfolgreichen arbeitsmarktpolitischen Instrument gegriffen, um einen solchen Absturz in die Massenarbeitslosigkeit zu verhindern: der Kurzarbeit. Und die wurde in einem bislang nie gekannten Ausmaß in der Corona-Krise genutzt. Zeitweise waren sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit und wurden mit der Lohnersatzleistung Kurzarbeitergeld unterstützt und damit in ihren bestehenden Beschäftigungsverhältnissen gehalten. Die Arbeitgeber wiederum profitieren mehrfach von diesem Krisenbewältigungsinstrument, denn sie können ihre Mitarbeiter mit deren oft über Jahre entwickelten betriebsspezifischen Know-how halten, Entlassungskosten vermeiden und sich zu einem späteren Zeitpunkt dann wieder anfallende (erhebliche) Rekrutierungskosten ersparen. Hier wäre daran zu erinnern, dass man den Unternehmen in der Krise sehr weitgehend entgegengekommen ist, in dem auch die gesamten Sozialversicherungsbeiträge vom Staat bzw. genauer: von der Arbeitslosenversicherung übernommen wurden.

Man kann sich wahrscheinlich schon an dieser Stelle vorstellen, dass das nicht nur nicht umsonst zu haben war, sondern dass das eine richtig große Stange Geld gekostet hat. Also der Arbeitslosenversicherung, denn das Kurzarbeitergeld ist eine Leistung dieser Sozialversicherung (§ 95 ff. SGB III). Und tatsächlich reden wir hier von zweistelligen Milliardenbeträgen nur für diese eine Leistungsart. Pro Jahr. Am 4. Januar 2022 wurde hier der Beitrag Der Arbeitsmarkt am Ende des zweiten Corona-Jahres und die Brückenfunktion der Kurzarbeit: Alles hat seinen Preis veröffentlicht. Darin zu den realen Größenordnungen, über die wir beim Kurzarbeitergeld sprechen:

»Wenn die BA mitteilt, dass sie … 2021 mit mehr als 20 Mrd. Euro nur etwas weniger für Kurzarbeit ausgegeben hat als im ersten Corona-Jahr 2020 mit 22 Mrd. Euro, dann sollte man bei der Bewertung der 20 Mrd. Euro berücksichtigen, dass beispielsweise der gesamte Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Jahr 2020 bei lediglich 18,3 Mrd. Euro lag.«

Man kann sich vorstellen, dass solche enormen Ausgaben für das in der Krise zentrale arbeitsmarktpolitische Instrument den Haushalt der grundsätzlich beitragsfinanzierten Arbeitslosenversicherung in die Knie zwingen muss. Genau das ist dann 2020 und 2021 auch passiert:

Nun muss man wissen: Einen bedeutenden Teil des vor allem durch das Kurzarbeitergeld entstandenen Defizits konnte die BA durch die zuvor aufgebaute Rücklage abdecken. Ende 2019, unmittelbar vor Beginn der Pandemie, hatte die Bundesagentur für Arbeit eine Rücklage in Höhe von 25,8 Milliarden Euro aufgebaut, aus Beitragsmitteln der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Diese Kasse hat man damals zur Finanzierung der krisenbedingten Ausgaben genutzt – und vollständig entleert. Aber dieser zweistellige Milliardenbeträge war nicht ausreichend, um die gewaltigen in der Krise stabilisierenden Ausgaben stemmen zu können, denn die Defizite der BA in den Jahren 2020 und 2021 waren mit insgesamt 49,1 Milliarden Euro fast doppelt so hoch. Folgerichtig – auch vor dem Hintergrund, dass es sich damals um kostenintensive Maßnahmen zur Bewältigung eines exogenen Schocks handelte und die Maßnahmen nun wirklich als gesamtgesellschaftliche Maßnahmen einzuordnen sind (was eine entsprechende Finanzierung aus Steuermitteln zur Folge hat) – wurden der Arbeitslosenversicherung bzw. der sie tragenden Bundesagentur für Arbeit Mittel aus dem Bundeshaushalt als Darlehen bzw. Zuschuss zur Defizitdeckung zur Verfügung gestellt.

Das 2022 gewährte überjährige Darlehen wird im Haushaltsjahr 2023 von der BA zurückgezahlt. 2021 wurde ein Zuschuss gewährt. Aber was ist mit dem Darlehen aus dem ersten Pandemie-Jahr? Aus dem 2020 gewährten „überjährigen Darlehen“ in Höhe von 6,913 Mrd. Euro wurde ein Zuschuss. Zu den haushaltsrechtlichen Grundlagen dafür vgl. ausführlich Paul M. Schröder: Die Haushaltstrickser: Bundesregierung will einen Teil der an die BA gewährten Zuschüsse zurück, Bremen, 16.12.2023. Der Titel seines Kurzbeitrags deutet bereits an, was man aktuell als „Sparbeitrag“ für den Bundeshaushalt 2024 beabsichtigt.

Als Andrea Nahles noch vorsichtig optimistisch war

»Die Ausgaben für Kurzarbeitergeld während der Corona-Pandemie hatten die Reserven der Bundesagentur für Arbeit komplett aufgebraucht. Nun geht es wieder aufwärts.« Nach Angaben der Vorstandsvorsitzenden Andrea Nahles sei der Haushalt der BA „solide“ und Rücklagen möglich. Das wurde am 10. November 2023 unter dieser Überschrift gemeldet: Bundesagentur kann wieder Rücklagen bilden. Und weiter: »Zum Ende des Haushaltsjahres 2023 könne nicht nur ein Darlehen an den Bund in Höhe von 423 Millionen Euro zurückgezahlt, sondern auch mit dem Aufbau einer Rücklage in Höhe von 2,7 Milliarden Euro begonnen werden. Im kommenden Haushaltsjahr 2024 soll die Rücklage um weitere 2,1 Milliarden Euro auf dann 4,8 Milliarden Euro aufgestockt werden.« Damit wäre man wieder auf dem empfohlenen Kurs eines (Neu-)Aufbaus von Rücklagen für die nächste Krise auf dem Arbeitsmarkt: »Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) empfiehlt, dass die BA über Rücklagen von mindestens 25 Milliarden Euro für „zukünftige spürbare Rezessionsphasen“ verfügen sollte. Bis zum Beginn der Pandemie hatte die Bundesagentur das Ziel erreicht. Im Zuge der Krise waren die Rücklagen insbesondere durch die Zahlung von Kurzarbeitergeld aber innerhalb von zwei Jahren aufgebraucht worden.« Zu den entsprechenden Argumentationslinien des IAB vgl. ausführlicher Karl-Heinz Hausner und Enzo Weber: Braucht die Bundesagentur für Arbeit nach den Erfahrungen der Corona-Krise höhere Rücklagen?, in: IAB-Forum, 06.03.2023. Darin heißt es: »Angesichts der Erfahrungen mit der Corona-Krise sollte der bisherige Wert von 0,65 Prozent des BIP jedoch zumindest als Untergrenze für das Rücklagenziel der BA verstanden werden.« Das wären dann die (anzustrebenden) 25 Mrd. Euro Rücklage für das nächste Mal – wobei sie auch die Argumente für eine höhere Rücklage (konkret in der Größenordnung von 0,85 Prozent des BIP bzw. dann etwa 32 Milliarden Euro diskutieren), insofern wären die 25 Mrd. Euro eben als mindestens anzustrebende Untergrenze zu verstehen. Hier wird erkennbar, dass das noch einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Der Anfang, so die BA-Chefin Nahles noch im November 2023, sei gemacht. Aber sie hatte wie viele andere nicht mit den Turbulenzen im Gefolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15.11.2023 gerechnet. Und ein Teil der „Lösung“ der akuten Haushaltsprobleme soll nun offensichtlich aus einem Griff in die Beitragsschatulle der Arbeitslosenversicherung bestehen.

Der geplante Griff in die aus Beitragsmittel gespeisten Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit – und darüber hinaus

»Nach Informationen aus Regierungskreisen erwartet die Bundesregierung im Rahmen der Etat-Einigung von der Bundesagentur für Arbeit einen Beitrag von jeweils 1,5 Milliarden Euro in 2024 und 2025 und von 1,1 Milliarden Euro in 2026 und 2027. Insgesamt sind dies über vier Jahre hinweg 5,2 Milliarden Euro. Die BA solle damit einen Teil der Mittel zurückzahlen, die sie während der Corona-Pandemie als Zuschüsse, zum Beispiel für Kurzarbeitergeld, erhalten hatte.« So die Bundesagentur für Arbeit in einer am 14.12.2023 veröffentlichten Pressemitteilung: Sparbeitrag der Bundesagentur für Arbeit in Milliardenhöhe gefährdet Rücklagenaufbau. Das „schmälert“ (bzw. verunmöglicht) nicht nur den Aufbau einer neuen Rücklage, sondern damit würde die Bundesregierung auf Beitragsgelder zugreifen, die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert werden.

Der Bundesagentur für Arbeit (beitragsfinanziertes) Geld wegzunehmen ist kein „Sparen“, sondern einer dieser klassischen Verschiebebahnhöfe, wie wir das seit vielen Jahrzehnten immer wieder erleben mussten im Bereich der Sozialpolitik. Die stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats der BA, Christina Ramb von der Arbeitgeberseite in der Selbstverwaltung, wird mit den Worten zitiert: „Beitragsmittel der Arbeitslosenversicherung sind kein Sparbuch. Die Bundesregierung kann nicht auf die Beitragskasse nach Belieben zugreifen. Der Bundeszuschuss an die Bundesagentur für Arbeit war notwendig, um die finanziellen Belastungen für die Gesellschaft infolge der Corona Pandemie abzufedern. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben in schweren Krisen müssen auch gesamtgesellschaftlich getragen werden. Den Zuschuss nach Jahren in willkürlicher Höhe wieder einzufordern ist das Gegenteil von verlässlichem Regierungshandeln.“

Aber das ist nicht nur ein „klassischer“ Verschiebebahnhof, sondern eine Luftbuchung, die über an sich schon problematische Haushaltskosmetik hinausgeht. Wir werden Zeugen einer handfesten Haushaltstrickserei mit real höchst spürbaren Folgen in der Arbeitsmarktpolitik.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) soll also 1,5 Milliarden Euro einsparen – für den kommenden Bundeshaushalt im Jahr 2024. »Bei Deutschlands größter Bundesbehörde fragt man sich … nach der Haushaltseinigung, wie das eigentlich funktionieren soll. Vielen ist aus den dürftigen Informationen der Regierung, wie sich die Summe zusammensetzen soll, nicht klar, wie man genau auf diesen Betrag kommen will. Man habe den Eindruck, dass die Ampel einfach in die Rücklagen geschaut habe, sagt ein hochrangiger Mitarbeiter der Bundesbehörde. Dies sei naheliegend, aber im Grunde eine Zweckentfremdung, denn die Rücklagen seien ja kein Sparkonto für den Bund«, so Tina Groll in ihrem Beitrag Auf Kosten der Beitragszahler. Man habe sich in der Koalition darauf verständigt, dass die BA einen Teil der Zuschüsse zurückzahlen solle, die sie während der Pandemie etwa für Kurzarbeitergeld erhalten hatte. »Ein Trick, mit dem aus einem Bundeszuschuss quasi ein Darlehen wird«, so die richtige Einordnung von Groll. »Doch wenn die BA 2024 gezwungen sein wird, die neu gebildeten Rücklagen aufzulösen, um Pseudoschulden beim Bund abzuzahlen, greift die Regierung letztlich auf die Beiträge der Beschäftigten und Arbeitgeber zurück, die paritätisch in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.«

Nach Angaben aus Regierungskreisen soll der Aufbau der Reserve nun „etwas langsamer“ vonstattengehen. Es ist absehbar, dass es der Bundesagentur für Arbeit auch auf längere Sicht nicht mehr gelingen kann, vor dem Hintergrund des quasi-inkassoartigen Überfalls überhaupt eine Rücklage aufzubauen: »Denn man rechnet in der Behörde damit, dass auch für den Haushalt 2025/2026 auf etwaige Überschüsse für die Rücklage zurückgegriffen wird.«

Selbst bei der BILD-Zeitung ist das angekommen, was hier versucht wird: Regierung bedient sich an unseren Beiträgen, so ist ein entsprechender Artikel dazu überschrieben worden.

Die Bundesagentur ist übrigens nicht die einzige Institution, die um den Bundeszuschuss fürchten muss, so Tina Groll: »Auch der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung wird um 600 Millionen Euro reduziert. Unklar ist noch, ob das Auswirkungen auf die Rentenerhöhung haben könnte, die zum 1. Juli wirksam wird. Die endgültige Erhöhung der Renten wird nämlich erst im Frühjahr bekannt gegeben.« Zu der Situation in der Rentenversicherung und den Bundeszuschüssen (es gibt nicht nur einen, sondern mehrere Bundeszuschüsse mit unterschiedlichen Funktionalitäten) vgl. ausführlicher den Beitrag Über die eigene Welt der Bundeszuschüsse und sonstiger Steuermittel für die Rentenversicherung. Von „nicht beitragsgedeckten“ Leistungen und Verschiebebahnhöfen, der hier am 16. Dezember 2023 veröffentlicht wurde. Außerdem wird die sowieso schon geplante Kürzung von 600 Mio. Euro nochmals um weitere 600 Mio. Euro verdoppelt auf nunmehr 1,2 Mrd. Euro. Und der Vollständigkeit halber sollte man anmerken, dass auch in der Pflegeversicherung der Bundeszuschuss um eine Milliarde Euro gekürzt wird.

Aber es soll noch mehr „gespart“ werden. Beim „Bürgergeld“

Ganz handfeste Kürzungen gibt es in einem Teilbereich des Bürgergeldes – und zwar leider bei Menschen, die sich bewegen und was tun, denn auch und gerade Lernen ist mit Aufwand verbunden und positive (monetäre) Anreize in dann auch noch überschaubarer Größenordnung sind deutlich geringer die späteren zu erwartenden Nutzeneffekte aus einer daraus resultierenden besseren Vermittelbarkeit. Die amtierende Regierung will den erst zum 1. Juli 2023 eingeführten „Bürgergeldbonus“ in Höhe von 75 Euro monatlich streichen. Dann kann/konnte man bekommen bei Weiterbildungen, die nicht auf einen Berufsabschluss abzielen, wenn die Weiterbildung mindestens 8 Wochen dauert. Diesen Bonus gibt es auch für Maßnahmen für junge Menschen, beispielsweise berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen. „Ein besonders negativer Effekt ist für junge Menschen im Bürgergeldbezug zu befürchten. Für sie ist der Bonus eine wichtige Anerkennung und ein wichtiger finanzieller Anreiz, um sie zu ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen zu motivieren.“ Mit diesen Worten wird beispielsweise Alexandra Krause, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen, zitiert. Für einzelne Fälle eine hilfreiche und motivierende positive Anreizregelung – in der Gesamtschau ein überschaubarer „Einsparbetrag“: Seit seiner Einführung im Juli sei er in fast 56.000 Fällen ausgezahlt worden, so die BA. 2023 würden dafür 8,9 Millionen Euro aufgewendet (vgl. Neuer Bürgergeld-Bonus wieder gestrichen). Wegen einer möglichen Verwechselungsgefahr wichtig der Hinweis: Das ebenfalls erst zum 1. Juli 2023 eingeführte Weiterbildungsgeld von 150 Euro pro Monat bleibt aber erhalten. Dieser Zusatzbetrag gilt für Weiterbildungen, die zu einem anerkannten Berufsabschluss führen, was die arbeitsmarktliche Verwertbarkeit nochmals deutlich erhöht. Beide finanzielle Anreize reflektieren den in der Fachdiskussion seit vielen Jahren immer wieder geforderten und mit der Einführung des Bürgergeldes wenigstens als Einstieg ausgestalteten Perspektivenwechsel hin zu mehr positiven Anreizen und einer stärkeren Berücksichtigung der Förderung von Qualifizierung. Als Merkposten: Etwa 1,2 Millionen Bürgergeld-Bezieher haben keine abgeschlossene Berufsausbildung, was sie in Deutschland zu einer echten Risikogruppe auf dem Arbeitsmarkt werden lässt. Gleichzeitig haben wir einen enormen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften.

Neben positiven gibt es auch noch die negativen Anreize und deshalb kommt wie ein Bumerang jetzt erneut die Debatte über Sanktionen im Bürgergeldsystem zurück. Es werden „härtere Sanktionen“ angekündigt. In dem Papier Einigung zum Bundeshaushalt 2024 vom 13.12.2023 aus dem Bundesfinanzministerium heißt es nebulös und verständlicherweise ohne irgendeinen konkreten Euro-Betrag mit nur einem Ankündigungssatz: »Die Sanktionen im Bürgergeld für Totalverweigerer werden wir verschärfen.« Da wird man schauen müssen, ob das mehr ist als eine Referenz an die durch die Medienberichte über (angebliche) Fehlentwicklungen beim Bürgergeld aufgewühlte Stimmung vieler Bürger, vielleicht auch nur eine Vorstufe für anstehende Kürzungen bzw. Nicht-Erhöhungen des Bürgergeldes in der nächsten Runde, nachdem man die zum 1. Januar 2024 nicht mehr hat aufhalten können. Denn nur in diesem Bereich ließen sich theoretisch größere Bundesmittel „organisieren“.

Fazit: Eine lange Traditionslinie der aus kurzfristigen Haushaltskonsolidierungsbedarfen entspringenden Verschieberitis von „Lasten“ auf andere, in diesem Fall auf die Beitragszahler, feiert im aktuellen Umfeld erneut eine Wiederauferstehung. Durch noch nicht einmal kreative Haushaltstricksereien rechnet sich die amtierende Bundesregierung nüchtern. Aber die Messwerte der kritischen Begleitung bleiben unbestechlich und signalisieren: Zwischen Luftbuchungen und fragwürdigen Verschiebungen auf andere Schultern bleiben nicht nur zahlreiche Fragezeichen, sondern die Sozialversicherungen insgesamt werden mal wieder grundsätzlich beschädigt.