Kindertagesbetreuung – war da nicht mal was? Ja – und da sind weiterhin viele Baustellen. Und Baustellen kosten bekanntlich Geld. Also wird es Zeit, über Geld zu reden. Und nicht nur über zu wenig Geld

Es ist eine alte Binsenweisheit, dass die Berichterstattung in den Medien dem Regelwerk einer immer komplexer werdenden Aufmerksamkeitsökonomie folgt. Exemplarisch kann man das beobachten am Themenfeld Kinderbetreuung (und für ein Beispiel aus einem anderen Handlungsfeld vgl. den Artikel „Die Toten von Lampedusa sind schon wieder weit weg„). Bis zum 1. August dieses Jahres gab es eine intensive und sehr kontroverse Debatte über den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für die Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Diese Debatte nahm wie so oft partiell hysterische Züge an und aufgrund der inneren Systemlogik musste das Thema immer weiter zugespitzt und damit auch verengt werden. Verengt wurde die Debatte nicht nur auf die – für viele Familien – völlig lebenswirklichkeitsfremde Frage Familie oder Kita-Betreuung, sondern vor dem magischen Datum des 1. August immer stärker auf die Frage Betreuungsplatz da oder nicht da. Immer wieder wurde hin und her ventiliert, ob eine große Klagewelle die Kommunen überfluten wird. Und man konnte noch so oft ausführen, dass das nicht zu erwarten sei, auch wenn es weiterhin reale Probleme bei der Realisierung eines Kita-Platzes gibt, sondern weil die meisten Familien die Probleme einer Nicht-Versorgung so regeln, wie sie die meisten ihrer anderen Probleme regeln, nämlich irgendwie alleine mit der Mangelsituation fertig zu werden versuchen. Immer stärker wurde der Fokus der medialen Aufmerksamkeit ausgerichtet auf die „Stunde Null“-Erwartung eines großen Desasters. Und als dieses dann – scheinbar – ausblieb, ebbte die Zugewandtheit dem Themenfeld schnell wieder ab und man beschäftigte sich mit anderen Aktualitäten.

Geblieben sind viele eröffnete und teilweise liegen gebliebene Baustellen. Und damit ist an dieser Stelle nicht nur die Frage der quantitativen Bedarfsdeckung mit irgendeiner Kinderbetreuung gemeint, sondern vor allem Fragen der Qualität dessen, was denn da eigentlich (nicht) gemacht wird mit den vielen kleinen Kindern in mehr als 50.000 Kindertageseinrichtungen und bei den mehreren zehntausend Kindertagespflegepersonen, die sich in diesem Land um mehr als drei Millionen Kinder tagaus tagein zu kümmern haben.

Und nachdem der große Strom der Aufmerksamkeit weitergeflossen ist, kommen nunmehr nur noch hin und wieder Bruchstücke der tatsächlichen Problemlagen an die Oberfläche der medialen Berichterstattung. Die man finden kann, wenn man sie sucht. Um nur ein Beispiel zu zitieren, sei an dieser Stelle auf den Artikel „Erzieherinnen fühlen sich überlastet und im Stich gelassen“ hingewiesen, der in der Online-Ausgabe der WAZ veröffentlicht wurde: »Doch während alle über Quantität sprachen, hat niemand auf die Qualität geachtet.« Wohl wahr und von vielen, die sich in diesem so wichtigen und sensiblen Arbeitsfeld auskennen, immer wieder angemahnt. Berichtet wird aus Dortmund und der lapidar daherkommende Satz – „Während der Personalschlüssel gleich blieb, wurden die Gruppenstärken erhöht“ – wird mit Frontberichterstattung illustriert. Silke Hoock lässt das plastisch werden am Beispiel einer Gruppe eines Familienzentrums im Dortmunder Norden:

»20 Mädchen und Jungen, die zwischen drei und sechs Jahre alt sind, haben bereits Diagnosen oder/und kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen: Vier Kinder werden vom Jugendhilfedienst betreut, weil sich die Eltern nicht angemessen kümmern können. Ein Kind ist behindert, also ein Integrationskind. Vier sind Migranten, sieben wachsen bei nur einem Elternteil auf, sieben benötigen Logopädie, vier Ergotherapie und ein Kind muss psycho-motorisch gefördert werden. Betreut werden sie von einer Erzieherin, einer Pflegerin und einer 30-Stunden-Kraft. Urlaub, Krankheit und Fortbildung machen aus diesem Dreier-, mehrheitlich ein Zweier-Team. Nachmittags ändert sich die Gruppenstruktur. Dann kommen noch unter Dreijährige mit Wickelbedarf dazu. Noch Fragen?«

Eine Erzieherin wird zitiert mit den Worten: „Manchmal hast du zwei Kinder auf dem Arm, eines am Bein und dann führst du noch ein Elterngespräch“. Auch das bedarf keiner Kommentierung. Dabei sind die Forderungen der Betroffenen keineswegs auch nur in der Nähe der Übertreibung: »Insgesamt wünschen sich die Erzieherinnen eine Aufwertung ihres Berufs. Auch mehr Anerkennung. Sie fordern eine bessere Bezahlung, bessere Fortbildung, feste Pausen (manchmal besteht die aus einem Toilettengang) und vor allem: mehr Personal oder kleinere Gruppen. Und sie wünschen sich für manche Einrichtung Wickeltische.« Also um das hier klar zu stellen – sie wünschen sich Wickeltische für Kindertageseinrichtungen, die unter dreijährige Kinder aufgenommen haben. Die werden dann am Boden gewickelt. Das sollten manche Entscheidungsträger mal machen. Aber das ist nur ein Beispiel von ganz vielen Beispielen. Deswegen springen wir jetzt auf eine andere Ebene und werfen die Frage auf, woran das liegt und vor allem, was man dagegen machen könnte, wenn man denn wollte. Es geht neben der weiter bestehenden und übrigens anwachsenden Aufgabe, genügend Betreuungsangebote zu schaffen und auf Dauer zu ermöglichen (also die quantitative Dimension) auch und vor allem angesichts der Tatsache, dass wir hier über sehr kleine Kinder sprechen, um die Ermöglichung der konkreten Arbeit in den Tageseinrichtungen und in der Tagespflege (also die qualitative Dimension).

Es geht damit natürlich auch um Geld. Um viel Geld, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2011 mehr als 17 Mrd. Euro netto von der öffentlichen Hand für die Kindertagesbetreuung ausgegeben worden sind. Auf der einen Seite ist das erst einmal viel Geld, auf der anderen Seite ist es noch viel zu wenig Geld, um die Arbeit vor allem hinsichtlich dessen, was seit Jahren diskutiert wird mit Blick auf Personalschlüssel, Fachkraft-Kind-Relation oder Außengelände, ausreichend finanzieren zu können. Das führt uns zu dem ersten Problempunkt der bestehenden Finanzierungssystematik: Wir sind konfrontiert mit einer erheblichen Unterfinanzierung des Systems.

Wenn man die Vorgabe der OECD von vor vielen Jahren kennt, dass mindestens ein Prozent des BIP in den Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung investiert werden sollte (was in skandinavischen Ländern und in Frankreich erreicht wird, mithin also nicht eine „Wünsch-dir-was“-Zahl darstellt, dann müssten neben den bereits genannten 17,3 Milliarden Euro zusätzliche 9 Milliarden Euro in das System hinein gegeben werden, um eine finanzielle Ausstattung gewährleisten zu können, mit der sich eine qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung realisieren ließe. Das wäre an sich schon ein gewaltiger Kraftakt der vor uns liegenden Jahre.

Hinzu kommt nun ein zweiter Problempunkt: Die Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Dazu muss man vorwegschicken, dass es in Deutschland in den Bundesländern 16 verschiedene Kita-Finanzierungsysteme gibt, die sich teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Aber über alle Bundesländer hinweg kann man sagen, dass der Anteil der Kommunen an den öffentlichen Netto-Ausgaben der Kindertagesbetreuung mit Blick auf die Regelfinanzierung der Einrichtungen und der Tagespflege gut 60 % beträgt, während der Anteil der Bundesländer bei knapp 40 % liegt – im Durchschnitt über alle Bundesländer wohlgemerkt, mit einer großen Streuung. Der Bund ist bislang vor allem anteilig beteiligt an den Ausbaukosten im Kontext des neuen Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr und ab dem kommenden Jahr mit mehr als 900 Mio. Euro Beteiligung an den Betriebskosten der Kindertagesbetreuung, die aber nicht direkt an die Einrichtungen weitergereicht werden, sondern in Form der Neu-Aufteilung der Umsatzsteuerpunkte zwischen Bund und Ländern den Ländern zur Verfügung gestellt werden – in der Hoffnung, sie werden es auch zweckbestimmt verwenden. Die eigentliche Fehlfinanzierung ist nun aber darin zu sehen, »dass es … um die Tatsache (geht), dass die derzeit gegebene Finanzierung in den meisten Bundesländern dazu führt, dass die Ebene am stärksten belastet wird, die rein monetär gesehen den relativ geringsten Nutzen aus der Kindertagesbetreuung zieht, während die Ebenen, bei denen volkswirtschaftlich und auch fiskalisch gesehen die größten in Geld messbaren Nutzen-Anteile anfallen, nicht oder nur in einem geringen Ausmaß an der Regelfinanzierung der Kindertageseinrichtungen sowie der Kindertagespflege beteiligt sind.« Anders formuliert: Die Kommunen müssen die Hauptlast der Kita-Finanzierung tragen, während große Teile des aus diesem Angebot generierten Nutzens auf der Ebene des Bundes und der Sozialversicherungen anfallen.

Wie kann man diese Grundprobleme  lösen? Dazu habe ich am 24. Oktober 2013 vor der Bundespressekonferenz in Berlin gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden der AWO, Wolfgang Stadler, einen Reformvorschlag vorgelegt und zur Diskussion gestellt: Ich plädiere für die Einrichtung eines „KiTa-Fonds“, über den der Bund seinen Finanzierungsanteil (für sich und die Ebene der Sozialversicherungen) als Zuschuss an die regionalen „KiTa-Fonds“ auf die Ebene der Bundesländer weiterreicht, die dann zusammen mit den Anteil des jeweiligen Bundeslandes einen Betrag je Kind ergeben, der dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe helfen würde – denn die Kommunen werden in dem hier  vorgeschlagenen Modell ganz erheblich entlastet. Die Letztverantwortung bleibt bei den Kommunen, die bekommen aus dem „KiTa-Fonds“ einen deutlich größeren Anteil der laufenden Kosten erstattet und müssen die Restfinanzierung vor Ort sicherstellen aus ihren anteiligen Mitteln. Dabei haben sie die Möglichkeit, vor Ort eigene Schwerpunkte zu setzen, beispielsweise Kindertageseinrichtungen, die Zusatzaufgaben als Familienzentrum übernehmen, finanziell besser auszustatten. Eine stärkere Bundesbeteiligung an den Kosten der Kindertagesbetreuung ist auch deshalb unbedingt erforderlich, weil die – auch dringend notwendige – Absicht besteht, ein „Bundesqualitätsgesetz“ zu entwickeln, mit dem z.B. Mindeststandards bei den Personalschlüsseln im Gesetz, also im SGB VIII, verankert werden sollen. Wenn aber der Bund auf der Ebene eines Bundesgesetzes detaillierte Vorgaben machen würde, was er durchaus darf, dann stellt sich natürlich automatisch die Frage der Finanzierung der Konsequenzen.

Den Modellvorschlag eines „KiTa-Fonds“ findet man hier genauer dargestellt:

Stefan Sell: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland, Berlin 2013

Der Mindestlohn als große Schweinerei. Nein, nicht so, wie jetzt manche reflexhaft denken. Sondern die Fleischindustrie will mit einem solchen sauberer werden

Die Zustände in Schlachthöfen und anderen Betrieben der deutschen Fleischindustrie sind stark in Verruf geraten – seit Monaten häufen sich die kritische Berichte in den Medien über unerträgliche Arbeitsbedingungen in dieser Branche. Nicht umsonst hat es Deutschland geschafft, zum „Billigschlachthaus“ Europas zu werden. Einen wesentlichen Beitrag zur „Effizienz“ der deutschen Schlachthöfe leistet der Einsatz billigste Arbeitnehmer aus den Ostgebieten der EU, die im Regelfall auf Basis von Werkverträgen tätig werden. Zu Löhnen, die man wirklich nur noch als eine riesengroße Schweinerei bezeichnen muss und oft untergebracht in völlig überlegtem Wohnraum, für den sie dann auch noch teilweise Wucher-Mieten zahlen müssen.

Doch endlich kann und darf berichtet werden: Es bewegt sich was. „Dumpinglöhne durch den Wolf gedreht„, so die Überschrift eines Artikels in der taz. »Die großen Fleischkonzerne in Deutschland wollen mit einem Mindestlohn ihren schlechten Ruf abschütteln.« Und die Tarifverhandlungen dafür sollen jetzt beginnen. Die Vertreter der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und der Fleischindustrie (VDEW) werden sich zum ersten Mal in Hannover an einen Tisch setzen.

»Ziel der Verhandlungen sei ein Mindestlohn für alle Beschäftigten in der Fleischwirtschaft, sagt Michael Andritzky, Hauptgeschäftsführer des … VDEW … Damit solle es den „schwarzen Schafen“ in der Branche „unmöglich“ gemacht werden, „Dumpinglöhne zu zahlen und das Ansehen der Branche weiter zu beschädigen“. Andritzky verhandelt im Auftrag der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss (ANG) und ihren regionalen Branchenverbänden. Damit sind die vier großen Schlachtkonzerne Tönnies, Vion, Danish Crown und Westfleisch sowie die großen Geflügelschlachtereien Wiesenhof und Heidemark alle vertreten – genauso wie die überwiegend mittelständischen Verarbeitungsbetriebe.«

Der Hinweis auf die Einbindung von Tönnies, der größte deutsche Schlachtkonzern, ist von besonderer Bedeutung. Noch Anfang September berichtete DER SPIEGEL im Heft 37/2013 unter der Überschrift „Nur ohne Gewerkschaft„: Der Fleischkonzern Tönnies blockiert die Einführung eines Tarif-Mindestlohns auf Schlachthöfen. Danach hatten sich bereits im Juli Manager der großen vier Fleischkonzerne in Deutschland – Danish Crown, Tönnies, Vion und Westfleisch – mit dem Verband der Ernährungswirtschaft in Bonn getroffen und »die vier Konzerne (einigten sich) in der Sitzung auf einen Mindestlohn, der sich an der Zeitarbeitsbranche orientieren sollte – aktuell 8,19 Euro im Westen. Und auch die Kollegen vom „Weiß-Fleisch“, Hähnchenschlachter wie Wiesenhof, ließen sich mitreißen. Wer dann aber ausscherte, war der Tönnies-Konzern.« Als Argument wurde von Clemens Tönnies angeführt, er sei nicht gegen den Mindestlohn, sehr wohl aber gegen eine Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft NGG und man wolle in Eigenregie die Bedingungen verbessern.

Vor diesem Hintergrund ist dann diese aktuelle Meldung interessant: „Arbeitsminister Schneider und Tönnies über Mindestlohn einig„, kann man in der Online-Ausgabe der WAZ lesen. Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) erwarte nach einem Gespräch mit Fleischunternehmer Clemens Tönnies, dass es bald einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde geben werde. Laut Minister Schneider sollen Werkvertrags-Arbeitnehmer dabei genauso behandelt werden wie Festangestellte. Dem habe Clemens Tönnies, Chef des größten deutschen Schlachtkonzerns, vor Beginn der Tarifverhandlungen zugestimmt.
Das sind alles sehr positive Signale. Natürlich hat die Branche primär aus Sorge um ihr zunehmend ramponiertes Image in Verhandlungen über einen Mindestlohn eingewilligt – aber wenn es denn zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen für einen Teil der Beschäftigten beitragen kann, dann ist die Ausgangsmotivation nicht entscheidend.

»… derzeit klaffen die Löhne weit auseinander: Während ein deutscher Facharbeiter nach Angaben der Gewerkschaft einen Stundenlohn von rund 15 Euro erhält,bekommen ausländische Werkvertragsleute für das Schlachten, Zerlegen und Weiterverarbeiten von Schweinen, Rindern und Geflügel oft nur drei bis sechs Euro pro Stunde. In Einzelfällen liegen die Löhne laut NGG sogar noch niedriger«, kann man dem taz-Artikel entnehmen. »Die Fleischindustrie habe jahrelang auf das lukrative Geschäftsmodell aus Werkverträgen und Subunternehmerketten gesetzt und sich vehement gegen Änderungen gewehrt … Die Spitze bildeten die Schlachthöfe, in denen unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 50 und 80 Prozent der Beschäftigten Werkvertragsarbeitnehmer sind.«
Die erfasste Zahl der sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten in der Branche lag im Jahr 2012 bei 181.000 – sie hat in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent abgenommen, während gleichzeitig Umsatz und Produktion der Branche angestiegen sind.

Sollten die Verhandlungen eine Einigung auf einen Mindestlohn bringen, muss eine weitere Hürde genommen werden: Denn damit der Mindestlohn auch für ausländische Werkvertragsnehmer gelten kann, muss die Fleischbranche in das sogenannte Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden. Dies müssen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite beantragen. Die Allgemeinverbindlichkeit ist deswegen so wichtig, weil nur dann auch die Arbeitgeber den Mindestlohn zahlen müssen, die ihren Sitz im Ausland haben.

Wie gesagt, positive Signale, aber erst einmal müssen die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden. Und auch hier treffen wir auf ein Argument, dass diese Tage immer wieder im Kontext der allgemeinen Debatte über einen gesetzlichen Mindestlohn im Kontext der Mitte dieser Woche beginnenden Koalitionsverhandlungen vorgetragen wird: Ob sich die Arbeitgeber auf die geforderten 8,50 Euro einlassen werden, ließ Andritzky, der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, mit Verweis auf die Lohnsituation in Ostdeutschland offen.

Nur selten haben sich so viele über Ostdeutschland Gedanken gemacht, wie in diesen Tagen der Mindestlohn-Diskussion. Natürlich immer nur mit dem guten Ansinnen, Millionen Arbeitslose in den Niedriglohnreservaten Deutschlands zu verhindern, die es geben muss, wenn die nicht mehr für sechs Euro oder weniger in der Stunde arbeiten dürfen. Ironie aus.

Manche glauben das sogar, obgleich sie es nicht wissen, sondern vermuten. Und manchen ist das egal, die behaupten das aber auch einfach mal so, weil sie Angst und Schrecken säen wollen unter den „risikoaversen“ Deutschen. Und das sind die Schlimmsten. Nicht selten beginnen die dann ihre Sätze mit „Studien haben gezeigt …“ oder „Top-Ökonomen befürchten …“. Aber das macht ein ganz großes Fass auf. Für heute bleibt der Deckel drauf.

Der Mindestlohn im Ringkampf der Parteien und Ökonomen – zugleich ein Fallbeispiel für die Reduzierung von Arbeitsmarktpolitik auf eine unterkomplexe Ein-Punkt-Politik

In der Wirtschaftspolitik gibt es ein immer wiederkehrendes Ritual – im Frühjahr und im Herbst veröffentlicht eine Gruppe ausgewählter Wirtschaftsforschungsinstitute ihre so genannte „Gemeinschaftsdiagnose“. Heute war es wieder soweit – das „Herbstgutachten 2013“ wurde der Öffentlichkeit vorgestellt. Die eigentliche Funktion dieser Gutachten besteht darin, eine Prognose über die wirtschaftliche Entwicklung im laufenden sowie im kommenden Jahr vorzulegen. Immer wieder nutzen die beteiligten Wirtschaftsforschungsinstitute die Kommentierung der wirtschaftlichen Entwicklung, um zu einzelnen wirtschaftspolitischen Themen Position zu beziehen. So auch im diesjährigen Gutachten, das mit der Überschrift „Konjunktur zieht an — Haushaltsüberschüsse sinnvoll nutzen“ eine frohe und eine gezielte Botschaft transportieren möchte. Bereits vor der offiziellen Veröffentlichung des Herbstgutachtens berichtete die Online-Ausgabe des Handelsblatts über wesentliche Inhalte des Gutachtens mit der knackigen Überschrift: „Wirtschaftsforscher lehnen Mindestlohn ab„. Bei Einführung eines Mindestlohns könne es vor allem in Ostdeutschland zu einem beträchtlichen Abbau von Arbeitsplätzen kommen und diese bereits gestern vom Handelsblatt verbreitete Botschaft findet sich heute in vielen Tageszeitungen wieder.

Wenn man nun einen Blick in das mittlerweile im Original vorliegende Herbstgutachten wirft, dann wird man dort den folgenden Passus zum Thema Mindestlohn finden:

»Derzeit scheint unter den Parteien ein breiter Konsens darüber zu bestehen, in der nächsten Legislaturperiode Mindestlöhne beziehungsweise Lohnuntergrenzen einzuführen. In den Wirtschaftswissenschaften werden Mindestlöhne inzwischen differenzierter gesehen, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war. Mittlerweile liegen erste Analysen der Mindestlohn-Regelungen für einzelne Branchen in Deutschland vor. Sie ergaben keine gravierenden negativen Folgen für die Beschäftigung. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass es sich hierbei um Erfahrungen mit branchenspezifischen Mindestlöhnen handelt, die zumeist für Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Regelungen enthalten. Ein einheitlicher, d.h. für alle Branchen und alle Regionen geltender Mindestlohn hätte wahrscheinlich deutlich negativere Folgen für den Arbeitsmarkt als die bisherigen Branchenverträge. So verdient in Ostdeutschland rund ein Viertel aller Arbeitnehmer weniger als der von manchen geforderte Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde; bei Einführung eines Mindestlohns in dieser Höhe könnte es dort zu einem beträchtlichen Stellenabbau kommen. Auch wären wohl kleine Betriebe stärker betroffen als große. Schließlich dürfen die Wirkungen eines Mindestlohns auf die personelle Einkommensver- teilung nicht überschätzt werden« (S.56)

Das nun wiederum klingt schon deutlich differenzierter und auch vorsichtiger als die markige Zitation im vorangegangenen Handelsblatt-Artikel. Und insgesamt ist die hier vorfindbare Art und Weise der Formulierung ein deutlicher „Fortschritt“ gegenüber den bisherigen Verlautbarungen der Mainstream-Ökonomen in Deutschland, die sich immer wieder ablehnend gegenüber jeglicher Form von Mindestlohnregelungen ausgesprochen haben (an dieser Stelle übrigens im internationalen Vergleich selbst gegenüber den amerikanischen Ökonomen ziemlich isoliert) und grundsätzlich den Teufel des massiven Jobabbaus an die Wand gemalt haben. Eingeweihte werden sich an dieser Stelle sicherlich noch gut daran erinnern, dass beispielsweise das ifo-Institut vor noch gar nicht langer Zeit den Verlust von mehr als einer Million Jobs in den (politischen und medialen) Raum gestellt hatte.

Es ist natürlich ganz offensichtlich, warum die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem diesjährigen Herbstgutachten trotz aller mittlerweile vorliegenden differenzierten und teilweise gegenteiligen Befunde, was die Auswirkungen von Mindestlohnregelungen angeht, eine Warnung vor diesem Instrument der Arbeitsmarktpolitik so prominent zu platzieren versuchen, obgleich – wie hier durch die Zitation belegt – die eigentlichen Ausführungen im Gutachten selbst nur von sehr schlichtem Umfang sind. Denn mehr oder gar irgendwelche Belege findet man im vorliegenden Herbstgutachten nicht. Es geht um die derzeit (noch) laufenden Sondierungs- und (demnächst) Koalitionsbildungsgespräche zwischen Union und SPD, bei dem die Frage nach der Einführung eines gesetzlich einheitlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 € vor allem für die Sozialdemokratie von höchster Bedeutung ist. Genau auf diese Gespräche will man dahingehend Einfluss nehmen, die Einführung eines Mindestlohnes in dieser Höhe möglichst nicht zu vereinbaren. Dabei ist zwischenzeitlich die Entwicklung über diese Form der Fundamentalopposition schon längst hinweg gegangen: Wir haben mittlerweile – folgt man der aktuellen Presseberichterstattung – bereits die Phase der orientalischen Basarverhandlungen erreicht, wo die Union der SPD signalisiert, beim sozialdemokratischen „Herzensanliegen“ Mindestlohn Entgegenkommen zu zeigen, wenn die SPD ihrerseits auf Steuererhöhungen verzichtet, was prompt den Protest von sozialdemokratisch-gewerkschaftlich orientierten Ökonomen ausgelöst hat: »Renommierte linke Ökonomen haben die SPD eindringlich davor gewarnt, bei Koalitionsverhandlungen mit der Union die Forderung nach Steuererhöhungen aufzugeben«, so die Berliner Zeitung in ihrem Artikel „Professoren fordern höhere Steuern„.

Zurück zum eigentlichen Thema Mindestlohn. Zugespitzt könnte man formulieren, dass die Vorhersage von massiven Arbeitsplatzverlusten durch die Einführung eines Mindestlohnes im Prinzip auf äußerst modellhaften und damit die Komplexität der heutigen Arbeitsmärkte gar nicht mehr abbildenden Annahmen zu den Angebots-Nachfrage-Verhältnissen basieren. Sie folgen der reduktionistischen Logik, dass die Nachfrage nach Arbeit immer dann zurückgehen muss, wenn der Preis für das Angebot steigt, was ja passieren würde, wenn man einen Mindestlohn von beispielsweise 8,50 € in der Stunde einführt und davon Beschäftigte profitieren, die derzeit deutlich unter diesem Stundensatz verdienen. Aber die Wirklichkeit gerade auf den vielen unterschiedlichen Teilarbeitsmärkten folgt eben nicht dieser sehr einfach gestrickte Logik. Bereits die einfache gedankliche Berücksichtigung der Tatsache, dass die Löhne den Hauptbestandteil der privaten Konsumnachfrage bilden, mag verdeutlichen, dass man der einseitigen Kostenbetrachtung eines Mindestlohnes immer auch eine andere Dimension gegenrechnen muss. Letztendlich geht es hier um das ewige Dilemma des Doppelcharakters des Lohnes, der aus betriebswirtschaftlicher Sicht immer Kosten darstellt, die man gerne reduzieren will, der aber aus volkswirtschaftlicher Sicht gleichzeitig maßgeblich die Nachfrageseite determiniert.

Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig und nur redlich, wenn man den Mindestlohnbefürwortern ins Stammbuch schreibt, dass man den Mindestlohn nicht überfrachten sollte mit Erwartungen, die er nicht erfüllen kann. So wird immer wieder – ob bewusst oder unbewusst – behauptet, dass der Mindestlohn in der Lage sei, Armut zu verhindern, besonders gerne wird auf die Verhinderung von Altersarmut hingewiesen. Hier nun muss man allerdings bei einer halbwegs objektiven Betrachtung eine Menge Wasser in den Mindestlohnwein gießen. So wissen wir doch – um nur ein Beispiel zu nennen –, dass wir derzeit bei der bestehenden Rechtslage einen Mindestlohn von über elf Euro pro Stunde bräuchten, damit man eine gesetzliche Rente bekommen kann, die oberhalb von Hartz IV liegt. Und auch die immer wieder und völlig zurecht kritisierte und skandalisierte Problematik der „Aufstocker“ würde nur teilweise durch einen Mindestlohn reduziert werden – denn der größte Teil der Aufstocker im Grundsicherungssystem arbeitet in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, die auch bei 8,50 Euro-Stundenlohn weiterhin aufstockende Leistungsansprüche generieren werden. Diese beiden Beispiele sind nun allerdings kein Problem des Mindestlohns, sondern zum einen der rentenrechtlichen Ausgestaltung der erwartbaren Leistungsansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung geschuldet (Stichwort Absenkung des Rentenniveaus) sowie der Tatsache, dass man mit einer geringfügigen Beschäftigung eben kein existenzsicherndes Einkommen verdienen kann.

Und bei aller Sympathie für die unbedingte Notwendigkeit, endlich eine nach unten verbindliche Lohnuntergrenze für die meisten Beschäftigungsverhältnisse einzuziehen, damit sich die Arbeitgeber nicht mehr der von Ihnen zu tragenden betrieblichen Kosten in Form einer Sozialisierung auf die Steuerzahler entledigen können, muss bei objektiver Betrachtung der vielen unterschiedlichen Fallkonstellationen gesehen werden, dass die Umsetzung dieses Vorhabens immer auch auf Schwierigkeiten stoßen wird beziehungsweise dass es Ausnahmen geben muss, man denke hier beispielsweise nur an die Vergütung der Auszubildenden in vielen Berufen des dualen Berufsausbildungssystems. Und natürlich wird es auch bei einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn immer wieder Versuche geben, diesen zu unterlaufen, beispielsweise durch unbezahlte Mehrarbeit, was wir ja bereits derzeit in vielen Branchen erleben müssen.

Und es gibt auch Wirtschaftsbereiche, in denen die wünschenswerte Durchsetzung der Mindestlohnvergütung vor großen praktischen Schwierigkeiten steht – der Taxibereich mag hier als Beispiel genannt sein. Die angestellten Fahrer, die möglicherweise entlassen werden, weil sie aufgrund der bestehenden, von den Kommunen festgesetzten Preise, nicht in der Lage sind, die notwendigen Umsätze zu erwirtschaften, um den Mindestlohn daraus zu finanzieren, können beispielsweise durch Solo-Selbständige substituiert werden, für die es überhaupt keine Vergütungsuntergrenze gibt. Wer sich differenzierter über das Thema informieren will, dem empfehle ich den Beitrag „Keine Allheilmittel gegen Armut. Vor- und Nachteile eines gesetzlichen Mindestlohns oder einer tariflichen Lohnuntergrenze“ in der Sendereihe „Hintergrund“ des Deutschlandfunks (DLF) vom 04.10.2013. Die Sendung kann hier als Audio-Datei abgerufen werden. Dort werden – gerade auch von grundsätzlichen Mindestlohnbefürwortern – notwendigerweise zu diskutierende Probleme und Schwierigkeiten, die mit der Einführung eines Mindestlohns verbunden sein werden, angesprochen und differenziert behandelt.

Schlussendlich – und das soll hier das Hauptargument bilden – brauchen wir aber eine Abkehr von der derzeit beobachtbaren Engführung auf die Frage nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Notwendig ist in der Arbeitsmarktpolitik ein Ansatz, der an mehreren Stellschrauben Veränderungen hervorzurufen versucht. An dieser Stelle passt es, dass parallel zu dem Herbstgutachten ausgewählter Wirtschaftsforschungsinstitute das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) einen eigenständigen Wirtschaftsausblick und eine Kommentierung der Wirtschaftspolitik veröffentlicht hat, in dem das Themenfeld Arbeitsmarktpolitik wesentlich differenzierter als das entfaltet wird, was es sein sollte: als Mehr-Ebenen-Politik im Sinne eines Bestandteils von Beschäftigungspolitik.

IMK: Krise überwunden? Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2013/2014 (= IMK-Report 86), Düsseldorf, Oktober 2013

In diesem Bericht finden wir auf den Seiten 30 und 31 folgende Hinweise auf die erforderlichen beschäftigungspolitischen Schritte:  In den letzten beiden Jahren wurde der gesamtwirtschaftliche Verteilungsspielraum auch ausgeschöpft und dadurch trug die Lohn- und Gehaltsentwicklung in dem schwierigen Umfeld der Wirtschaftskrise im Euroraum erheblich zur Stabilisierung der Binnenwirtschaft in Deutschland bei. Dies muss nun aber auch mittelfristig stabilisiert werden.
»Entsprechend einer … makroökonomisch orientierten Lohnpolitik sollten die gesamtwirtschaftlichen Lohnsteigerungen nicht nur in einzelnen Jahren, sondern generell den Verteilungsspielraum von Trendproduktivitätsfortschritt und Zielinflationsrate der EZB ausschöpfen.« Das wird sich allerdings nicht von allein einstellen, sondern dafür ist eine Re-Etablierung tarifvertraglicher Strukturen erforderlich: »So müssen das bestehende Tarifsystem stabilisiert und der Wildwuchs in nicht tarifgebundenen Bereichen durch eine Ausweitung des Tarifsystems eingedämmt werden.« Nach Auffassung des IMK »… ist eine breite Anwendung der Allgemeinverbindlicherklärung von zentraler Bedeutung für die Stabilität nationaler Tarifvertragssysteme«. Um das zu erreichen, müsse allerdings das Verfahren der Allgemeinverbindlichkeitserklärung in Deutschland reformiert werden. Denn tatsächlich ist der Grad der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen in den zurückliegenden Jahren gesunken.

»Wegen des anhaltenden Widerstands des Arbeitgeberdachverbandes BDA ist seit den 1990er Jahren Zahl und Geltung allgemeinverbindlicher Tarifverträge stark geschrumpft. Inzwischen gibt es sie fast nur noch im Friseurhandwerk und im Wach- und Sicherheitsgewerbe. Wichtig für die notwendige Wiederbelebung der Allgemeinverbindlichkeit wären neben einer Senkung des bisher erforderlichen Quorums von 50 Prozent die Abschaffung der Veto-Position des BDA und die stärkere Einbindung der Branchen-Tarifparteien in die Entscheidungsfindung. Deren Bereitschaft zur Einführung der Allgemeinverbindlichkeit ist zumeist deutlich größer«, so die Erläuterungen in einem aktuellen Beitrag im Magazin „Mitbestimmung“.

Das IMK setzt als Zielgröße, dass die Mehrheit der Tarifverträge allgemeinverbindlich werden: »Letztlich kann nur ein als allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag einen ordnungspolitischen Rahmen für einen fairen unternehmerischen Wettbewerb ohne Lohnkonkurrenz schaffen«.
Erst an dieser Stelle kommt der Mindestlohn ins Spiel: »Ergänzend ist ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn notwendig, der verhindert, dass die Löhne in den Bereichen, in denen die regulative Grundlage eines Tarifvertrages fehlt, immer weiter nach unten ausfransen und der eine allgemeine Lohnuntergrenze bildet, auf der Tarifverträge aufbauen können.«

Die öffentliche Hand kann darüber hinaus durch die Generalisierung der bereits in einigen Bundesländern vorhandenen Tariftreuegesetze dafür sorgen, das zukünftig sichergestellt wird, dass flächendeckend bei öffentlichen Auftragsvergaben die Tariftreue eingehalten wird.
Auch die Fehlentwicklung eines wachsenden Niedriglohnsektors wird von IMK thematisiert, wobei die Wissenschaftler darauf hinweisen, dass vor allem bei den Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten die Niedriglohnproblematik ausgeprägt ist. Besonders hervorzuheben ist das IMK-Plädoyer für eine politischen Neugestaltung der Minijobs, die längst überfällig ist angesichts des Wissens hinsichtlich der verzerrenden Wirkungen dieser Beschäftigungsform, über das wir heute verfügen:

»Damit geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse nicht länger als Kostensenkungsinstrumente und zur Verdrängung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen missbraucht werden können, sollten Minijobs sowohl im Haupt- als auch im Nebenerwerb abgeschafft werden. Ziel sollte ein einheitliches sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ab dem ersten Euro sein.«

Höchstens als Ergänzung könnten sich die IMK-Wissenschaftler dann ein System direkter Lohnzuschüsse für bedürftige Erwerbstätige mit niedrigen Erwerbseinkommen über das Steuersystem in Verbindung mit einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und einer Mindestförderschwelle ab beispielsweise 15 Erwerbsstunden pro Woche vorstellen (das IMK bezieht sich hier explizit auf den Beitrag von Herzog-Stein, A. / Sesselmeier, W. (2012): Alternativen zu Mini- und Midi-Jobs? Die Beispiele Frankreich und Vereinigtes Königreich, WSI-Mitteilungen, Nr. 1, S. 41-49).

Die Darstellung der Vorschläge des IMK sollten verdeutlichen, dass ein breiter beschäftigungspolitischer Zugang in den vor uns liegenden Jahren erforderlich ist – und dabei spielt der gesetzliche Mindestlohn eine Rolle, aber nur als Bestandteil in einem weit umfassenderen Puzzle an notwendigen Maßnahmen. Insofern sollte man nicht in die Falle laufen, alles auf die Frage eines Mindestlohnes und seiner Höhe zu fokussieren, sind dann doch die Enttäuschungen vorprogrammiert.