Wenn Dein starker Arm es will – Von Warnstreiks, Streiks und der (Nicht-)Lust auf Arbeitskämpfe in härter werdenden Zeiten

Nach Bussen, Bahnen und Kindertagesstätten sind nun die Flughäfen an der Reihe. Auf sieben Airports haben Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes ihre Arbeit niedergelegt. In Frankfurt kommt es zu massiven Beeinträchtigungen durch Hunderte Flugausfälle, an den übrigen Airports läuft der Betrieb – bislang – annähernd normal, so einer der vielen Artikel, die man derzeit im Netz finden kann. Damit setzt die Gewerkschaft ver.di die Warnstreikwelle fort, die schon in den vergangenen Tagen im Umfeld der Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen – nicht aber den Ländern, die separat verhandeln – stattgefunden haben. Die Gewerkschaft will damit Druck vor der dritten Tarifrunde machen, die Anfang der Woche stattfinden wird. Die Gewerkschaften fordern, dass die Einkommen der 2,1 Millionen Angestellten im Bund und in den Kommunen um einen Betrag von 100 Euro und dann zusätzlich um weitere 3,5 Prozent steigen.
Die Arbeitgeber haben in den bisherigen zwei Verhandlungsrunden bislang kein Angebot vorgelegt. Die Angelegenheit hat zwei Dimensionen: Zum einen die aktuelle Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst im engeren Sinne, da geht es dann um Fragen, ob die Forderungen berechtigt sind und ob die massive Warnstreikwelle zum jetzigen Zeitpunkt in Ordnung ist. Zum anderen aber lohnt ein Blick auf die generelle Streikbilanz der vergangenen Jahre. Hier geht es dann um die Frage, ob die Arbeitskämpfe zugenommen haben und wie Deutschland im internationalen Vergleich aufgestellt ist.

Stefan Menzel hat seinen Kommentar im Handelsblatt unter die Überschrift „Die lahmgelegte Republik“ gestellt. Ein erster flüchtiger Blick auf diesen Titel lässt erwarten, dass der Kommentator die vielen Warnstreiks und die gerade heute für viele Menschen erfahrbaren Einschränkungen als überzogen kritisiert. Menzel weist zwar darauf hin, dass es natürlich Alternativen zu den vielen Warnstreiks gegeben hätte, argumentiert im weiteren Gang aber differenzierter:

»Trotz aller aktuellen Kritik an Verdi verhält sich die Gewerkschaft so, wie man es von ihr erwartet …  Die Steuereinnahmen sprudeln. Bundesfinanzminister Schäuble will im kommenden Jahr sogar erstmals wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Dass eine Gewerkschaft in einer solchen Situation und nach mehreren mageren Jahren wieder einen „größeren Schluck aus der Pulle“ nehmen will, ist vollkommen logisch, nachvollziehbar und kalkulierbar. Die öffentlichen Arbeitgeber wissen also schon länger, was auf sie zukommt.«

Und dann kommt Menzel zu dieser – für die aktuelle Lage wichtigen – Bewertung, an die man sich erinnern sollte, wenn nun die Gewerkschaften verantwortlich gemacht werden für die erheblichen Störungen, die durch die bisherigen Arbeitskampfmaßnahmen hervorgerufen werden:

»Trotzdem fährt die Arbeitgeberseite in dieser Situation einen unverhohlenen Konfrontationskurs. Während Verdi schon ziemlich früh ihre Wünsche für mögliche Gehaltssteigerungen auf den Tisch gelegt hat, zögern die öffentlichen Arbeitgeber von Bund und Kommunen immer noch mit der Preisgabe ihres ersten Angebots.
Die Arbeitgeber fahren einen Kurs der Konfrontation, wenn sie kein eigenes Angebot vorlegen. Dass die Gewerkschaft dann mit Warnstreiks reagiert, ist eine völlig nachvollziehbare Schlussfolgerung … Bund und Kommunen tragen also die Verantwortung dafür, dass im Nahverkehr und an den Flughäfen im Moment nicht viel geht. Die aktuelle Konfrontation hätte vermieden werden, wenn sich die Arbeitgeber an den vergangenen Tagen verhandlungsfreudiger gezeigt hätten.«

So kann man das sehen und einordnen.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht das rigider und hat sich unter der Überschrift „Unverhältnismäßig“ positioniert. Das von den Arbeitgebern getragene Institut weist zwar darauf hin, dass die von Streiks bei Bahnen, Bussen, Flughäfen oder Kitas betroffenen Dritten von der Arbeitskampfrechtsprechung keinen besonderen Schutz eingeräumt bekommen, denn Streikrecht geht als Grundrecht den Interessen der Fahrgäste oder der Eltern grundsätzlich vor. Das Institut fordert aber eine Ausrichtung beider Tarifpartner darauf, wie sie negative Drittwirkungen weitestgehend vermeiden können. Im Gegensatz zu der klaren Einordnung bei Menzel, der in seinem Kommentar die Verantwortlichkeit der Arbeitgeberseite herausgearbeitet hat, spekuliert das IW in eine andere Richtung:

»Vor allem bei ver.di drängt sich momentan allerdings der Verdacht auf, dass der Warnstreik in erster Linie organisationspolitische Ziele verfolgt, um im Wettbewerb mit den streikfreudigen Berufsgewerkschaften um die besten Tarifabschlüsse zu bestehen.«

Da scheint die Einordnung der aktuellen Ereignisse, wie man sie bei Menzel finden kann, überzeugender. Zugleich kann man an dieser Stelle aber die angesprochene grundsätzliche Dimension das Arbeitskampfgeschehen in Deutschland betreffend aufrufen.

Hierzu findet man wichtige Daten und Einordnungen auf der gewerkschaftlichen Seite, konkret beim „WSI Tarifarchiv„. Die veröffentlichen regelmäßig eine „Streikbilanz“ – und die für das abgelaufene Jahr 2013 findet man unter der Überschrift „Weniger Streiks bei anhaltender Dominanz des Dienstleistungsbereichs“ publiziert, mit einigen sehr interessanten Details.

Quelle der Abbildung: Böcklerimpuls 5/2014, S. 3

Der WSI-Arbeitskampfexperte Heiner Dribbusch kommt zu folgenden Befunden, die von den Abbildung illustriert werden:

Im internationalen Vergleich wird in Deutschland nach wie vor relativ wenig gestreikt. Deutschland hat im mehrjährigen Durchschnittsvergleich fast das niedrige US-amerikanisches Niveau erreicht. Ganz anders hingegen die Arbeitskampfintensität in  Frankreich, aber auch in skandinavischen Ländern wie Dänemark, Finnland oder Norwegen.

Dribbusch kommt vor dem Hintergrund der langjährigen Beobachtung des Streikgeschehens zu der folgenden Feststellung: »Seit etwa zehn Jahren beobachtet Dribbusch einen Trend zu einer Verschiebung des Arbeitskampfgeschehens in den Dienstleistungsbereich. Dieser setzte sich auch 2013 fort. Rund 80 Prozent aller tariflichen Arbeitskämpfe fanden im Dienstleistungssektor statt … Außerhalb des Dienstleistungsbereichs gab es besonders viele, kleinere und größere Arbeitsniederlegungen in der von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) organisierten Getränke- und Lebensmittelindustrie.« Dribbusch wird dann mit diesen Worten zitiert: „Sehr deutlich lässt sich der Zusammenhang zwischen Konflikthäufigkeit und Zerklüftung der Tariflandschaft beobachten.“

Die Konfliktfokussierung auf den Dienstleistungsbereich lasse sich nach Dribbusch strukturell erklären: »Hier wirkten sich einerseits die Abkehr öffentlicher Auftraggeber von ehemals einheitlichen Tarifstrukturen sowie die Privatisierung von Post, Telekommunikation und im Gesundheitswesen aus. Hinzu kämen Versuche von privatwirtschaftlichen Unternehmen, sich Tarifverträgen zu entziehen oder erst gar keine Tarifbindung einzugehen.«

Die angesprochene „Zerklüftung“ der Tariflandschaft kann man auch daran erkennen, dass es wie in den vergangenen Jahren zu zahlreichen Arbeitskämpfen im Zusammenhang mit Haus- und Firmentarifverträgen gekommen ist. Die vielen bekannte Auseinandersetzung um Amazon kann verdeutlichen, wie schwierig dieses spezielle Gelände für die Gewerkschaften ist.
Vor dem Hintergrund der auch vom IW in Köln behaupteten angeblichen Konkurrenzsituation zu den kleinen Berufsgewerkschaften und einer daraus abgeleiteten größeren Konfliktbereitschaft der traditionellen Gewerkschaften besonders interessant ist der folgende Befund:

»Die Streikaktivitäten der Berufsgewerkschaften blieben nach der Auswertung des Arbeitskampfexperten 2013 wie im Vorjahr marginal. „Sie trugen nicht nennenswert zum Streikvolumen bei“, erklärt Dribbusch.«

Eigentlich – das soll an dieser Stelle abschließend als These in den Raum gestellt werden – müsste die Konfliktintensität, gemessen an den Arbeitskämpfen, angesichts der in vielen Bereichen, vor allem in den Niedriglohnsektoren des Dienstleistungsbereichs, sich verschlechternden Arbeitsbedingungen, deutlich höher ausfallen. Hier nun stoßen wir auf strukturelle Probleme der Gewerkschaften, die in der folgenden Abbildung illustriert werden:

Man erkennt bei einer Analyse der Jahre von 1996-2011 eine erhebliche Abnahme (-31%) des „klassischen“ Modells, wo Betriebsräte in Unternehmen mit einem Branchentarif agieren. Massiv zugenommen (+50 %) hat die Konstellation am anderen Ende, also kein Tarifvertrag und auch kein Betriebsrat. Und das sind die Zahlen über alle Branchen hinweg, die Organisationsprobleme hinsichtlich betrieblicher Mitbestimmung wie auch gewerkschaftlicher Durchsetzungsfähigkeit gerade in vielen Dienstleistungsbranchen, wo es auch sehr viele Niedriglohnbeschäftigte gibt, sind natürlich noch einmal deutlich ausgeprägter.

Vor diesem für die Gewerkschaften wahrlich nicht einfachen Umfeld klingt dann der Blick des Arbeitskampfexperten Dribbusch auf die Streiks im vergangenen Jahr (für die Gewerkschaften) zumindest vielversprechend, was die Perspektive einer ansteigenden Konfliktbereitschaft in den Bereichen angeht, wo es die meisten Probleme gibt, zugleich aber auch oftmals keinen oder nur einen geringen Organisationsgrad der Beschäftigten gibt: „Diese Streiks sind Ausdruck wachsender Unzufriedenheit in den traditionellen Niedriglohnbranchen“, so wird Dribbusch zitiert. Man wird sehen, ob hier der Wunsch Vater des Gedankens ist.

Irgendwie zurück in die Vergangenheit und das auf Kosten der Versicherten? Zur Reform der Finanzierung der Krankenkassen

Und schon wieder muss man sich ein neues Gesetzeskürzel merken: „GKV-FQWG“, so heißt die neueste Begriffskreation aus dem Bundesgesundheitsministerium. Oder in epischer Langform: „Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz – GKV-FQWG)“. Den Entwurf zu diesem Gesetz hat der Bundesgesundheitsminister Größe (CDU) zumindest schon mal durch das Bundeskabinett gebracht, jetzt geht das dann seinen weiteren parlamentarischen Gang. Eines der Kernelemente des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Neuregelung der Art und Weise der Finanzierung der einzelnen Krankenkassen, die man so ausdrücken kann: Irgendwie zurück in die Vergangenheit und das auf Kosten der Versicherten.

Mit Vergangenheit sind die Jahre bis 2009 gemeint, denn bis dahin gab es kassenindividuelle Beitragssätze für die Versicherten, mithin also teurere und billigere Kassen. Dann kam es zu einer fundamentalen Veränderung des Finanzierungssystems mit der Einführung des Gesundheitsfonds, denn damit verbunden war die Installierung eines über alle Kassen einheitlichen Bundesbeitragsatzes in Höhe von 15,5% des beitragspflichtigen Einkommens. Die Einnahmen auf der Basis dieses Beitragssatzes fließen in den Fonds, aus dem wiederum dann die Mittel weiterverteilt werden auf die einzelnen Kassen. Krankenkassen, die ihren Finanzbedarf nicht durch Beiträge aus dem Gesundheitsfonds decken können, müssen seit 2009 einen Zusatzbeitrag erheben. 2011wurde die Begrenzung der Höhe dieser Beiträge aufgehoben. Auf der anderen Seite können Krankenkassen, so sie denn dazu in der Lage sind, Überschüsse in Form von Prämien an ihre Mitglieder ausschütten.
Damit soll jetzt Schluss sein, mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf kehrt man wieder zurück zu einem System der kassenindividuellen Beitragssätze.Und wenn man einen ersten flüchtigen Blick auf die neue Krankenkassenfinanzierung, die am 1. Januar 2015 das Licht der Welt erblicken soll, wirft, dann scheinen die Versicherten die großen Gewinner zu sein. Denn immerhin, so ist dem Entwurf des Gesetzes zu entnehmen, sinkt der Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung von bislang 15,5% auf nur noch 14,6% und der Arbeitnehmer-Anteil soll von derzeit mindestens 8,2% auf 7,3% reduziert werden. Also müsste das ein Tag der Freude sein für die Versicherten.

Aber schauen wir genauer hin. In der Abbildung sind die wichtigsten Elemente der bestehenden und der nunmehr geplanten neuen Finanzierung der Krankenkassen skizziert.

Nina von Hardenberg schreibt in ihrem Artikel „Übersichtlicher – und manchmal teurer„:
»Ein Teil der 52 Millionen Kassenmitglieder muss Anfang 2015 wahrscheinlich tatsächlich etwas weniger für die Krankenversicherung ausgeben. Laut Gesetzesentwurf soll der Pflicht-Beitragssatz der Krankenkassen zum 1. Januar 2015 von derzeit 15,5 auf 14,6 Prozent sinken. Damit wird nach Einschätzung des Ministers allerdings keine Kasse auskommen. Die Kassen dürfen dann den Beitragssatz individuell wieder etwas nach oben schrauben. Manche Kassen werden aber weniger benötigen als die zuletzt pauschal gültigen 15,5 Prozent. Ihre Versicherten würden also Geld sparen.« Hingegen werden andere Kassen mit den 14,6% nicht auskommen und einen höheren Beitragssatz von den Versicherten verlangen.

Was für die eine oder andere Krankenkasse eine erhebliche Vereinfachung und Erleichterung der Erhebung von Zusatzbeiträgen im Vergleich zur heutigen Situation darstellt, kann und wird sich für zahlreiche Versicherte als ein Bumerang-Effekt erweisen:

  • Im bisherigen System können die Krankenkassen, wenn sie mit den zur Verfügung gestellten Finanzmittel nicht auskommen, zwar einen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten erheben, dieser ist allerdings ausgestaltet als ein pauschaler, einheitlicher Fixbeitrag für alle Versicherten, hinzu kommt ein so genannter „Sozialausgleich“ im Sinne einer Schutzklausel vor Überforderung von niedrigen Einkommen durch den Zusatzbeitrag. Die Erhebung des Zusatzbeitrags, der ja von den Versicherten alleine getragen werden muss, ist mit erheblichen administrativen Aufwendungen verbunden.
  • Die neue Finanzierungssystematik beinhaltet neben dem allgemeinen Beitragssatz ebenfalls die Option, einen Zusatzbeitrag erheben zu können, wenn die Finanzmittel aus dem Gesundheitsfonds für die jeweilige Kasse nicht ausreichend sein sollten. Allerdings – und das ist der entscheidende Unterschied zum bisherigen System – verlässt der Gesetzgeber die bisherige Systematik eines pauschalen, einheitlichen Fixbetrags für alle Versicherten der Kasse, stattdessen führt man (wieder) einen prozentualen Zusatzbeitrag gemessen am jeweiligen Einkommens ein. Auf den ersten Blick scheint das sozialpolitisch eine sinnvolle Sache zu sein, denn durch die prozentuale, also anteilige Ausgestaltung des Zusatzbeitrags werden natürlich höhere Einkommen stärker herangezogen als kleine oder mittlere Einkommen. Mit diesem Argument werden sicherlich Vertreter der SPD zu punkten versuchen. Die Kassen selbst werden von diesem Punkt der Finanzierungsreform äußerst angetan sein, denn anders als beim bisherigen Zusatzbeitrag erledigt die Einziehung des neuen Zusatzbeitrags der Arbeitgeber durch die entsprechende Abführung vom Gehalt seines Mitarbeiters. Hier besteht insgeheim sicher die Hoffnung, dass durch diesen „en passant“ erfolgenden Abzug direkt beim Arbeitgeber der einzelne Versicherte weniger motiviert sein wird, seine bisherige Krankenkasse zu verlassen und zu einer billigeren Kasse zu wechseln.
  • Allerdings muss man in aller Deutlichkeit sehen, dass mit dem neuen System der gesamte zukünftige Finanzierungsbedarf der Krankenkassen einseitig auf die Schultern der versicherten Arbeitnehmer verlagert wird, den der Anhebungsspielraum der Kassen für den prozentualen Zusatzbeitrag ist nicht mehr begrenzt und gleichzeitig fällt der im bestehenden System vorhandene Sozialausgleich, nachdem es eine Belastungsdeckelung bei den Versicherten gibt, vollständig weg.

Florian Diekmann hat seinen Artikel über den Gesetzentwurf überschrieben mit „Auf Kosten der Versicherten„. Die Umsetzung der einseitigen Verschiebung zukünftiger Beitragsbelastungen auf die Arbeitnehmer in der GKV ist eine Umsetzung dessen, was in dem Koalitionsvertrag zwischen SPD und den Unionsparteien vereinbart worden ist – aber bereits daran hatte es aus den Reihen der Sozialdemokratie Kritik gegeben (vgl. hierzu beispielsweise den Artikel „SPD will Arbeitgeber stärker zur Kasse bitten“ aus dem Februar dieses Jahres, wobei es besser geheißen hätte, Teile der SPD wollen das). Die Abschaffung des alten pauschalen Zusatzbeitrags wird aus Sicht der Kritiker mit einer neuen Ungerechtigkeit erkauft.

Aber damit nicht genug, denn Diekmann weist auf einen weiteren Tatbestand hin, der sich übrigens einbettet in die auch in der Rentenversicherung beobachtbare Indienstnahme des Beitragszahlers zur Entlastung des Bundeshaushalts: »Denn zusätzlich stößt sich auch noch der Staat im großen Stil auf Kosten der Versicherten gesund: Deutlich mehr als zehn Milliarden Euro wollen Gröhe und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bis zum Jahr 2018 im Vergleich zur aktuellen Gesetzeslage beim Gesundheitssystem einsparen.« Also bei den Steuergeldern, die ansonsten eigentlich in die GKV hätten fließen sollen, muss man hier anfügen.
Und das geht so:

»Eigentlich ist per Gesetz festgelegt, dass der Bund 14 Milliarden Euro pro Jahr in den Gesundheitsfonds zahlt – als ohnehin nur teilweisen Ausgleich für versicherungsfremde Leistungen wie die Familien-Mitversicherung. Doch bereits im vergangenen Jahr überwies Schäuble lediglich 11,5 Milliarden Euro, auch für 2015 ist dieser Betrag vorgesehen. In diesem Jahr werden es mit 10,5 Milliarden Euro gar noch weniger sein. Insgesamt entsteht so ein 8,5-Milliarden-Euro-Loch im Gesundheitsfonds.«

Für eine gewisse Übergangszeit wird dieses Loch aus den derzeit gut gefüllten Schatullen des Gesundheitsfonds und damit aus Beitragsmitteln gegenfinanziert werden können. Aber die allgemeine Kostenentwicklung und der Entzug der Steuermilliarden werden alsbald den Druck im Kessel ansteigen lassen. Und die dann auszustellende Rechnung wird der Versicherte alleine zu stemmen haben. Die Arbeitgeber sind auf Dauer abgekoppelt von den Beitragssatzsteigerungen. Bundesgesundheitsminister Größe verteidigt die Entscheidung, dass der Beitragssatz der Arbeitgeber eingefroren bleibt. „Höhere Beiträge würden die Wirtschaft belasten und damit Arbeitsplätze gefährden“, so wird er zitiert. Da sind sie wieder, die berüchtigten „Lohnnebenkosten“.

Praktisches und theoretisches Streikrecht: Die einen (warn)streiken für ihre Forderungen, die anderen im Windschatten hoffen und bekommen Schützenhilfe vom Bundesverwaltungsgericht

Jetzt warnstreiken die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Bund und Kommunen wieder – bzw. genauer: die, die streiken dürfen, also die Angestellten. Die Beamten begleiten das als Zaungäste und drücken die Daumen. Die Forderungen der Arbeitnehmerseite liegen seit längerem auf dem Tisch und die Arbeitgeberseite hat sich noch nicht durch ein eigenes Angebot hervorgetan. Am kommenden Montag und Dienstag gibt es die nächste Verhandlungsrunde und für die sind alle Beteiligten „zuversichtlich“, was einen Abschluss angeht. Bis dahin werden wir Zeugen des „Showdown vor der letzten Runde„, wie Eva Völpel ihren Artikel über die neue Warnstreikwelle überschrieben hat. „Streik trifft Pendler, Rentner und Eltern in der Region„, so kann man es in der Online-Ausgabe der WAZ lesen.

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Die Schwarzarbeit und der Zoll sowie der Missbrauch mit dem Teil-Missbrauch. Notizen aus den Schmuddelecken des Arbeitsmarktes

Haben Zollverwaltung, Schwarzarbeit und Ein-Mann-Unternehmen aus Rumänien oder Bulgarien etwas gemeinsam? Ja, denn sie treffen sich in der Welt der Kontrollen. Wenn denn kontrolliert wird.
Der Zoll stand früher an den Grenzen unseres Landes. Doch die Grenzzäune innerhalb Europas sind gefallen und nunmehr haben viele Zollbeamten andere Aufgaben bekommen, die sich nach innen richten. Darunter die Bekämpfung der Schwarzarbeit. Innerhalb der Zollverwaltung gibt es dazu die Organisationseinheit „Finanzkontrolle Schwarzarbeit„. Und die hat – folgt man ihrer Selbstdarstellung – sehr wichtige Aufgaben:

»Die Bekämpfung der Schwarzarbeit hat viele Facetten: Es gibt den Arbeitgeber, der seine Arbeiter nicht zur Sozialversicherung anmeldet, die Arbeitnehmerin, die ohne Steuerkarte arbeitet, den Ausländer, der ohne Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung arbeitet, den Arbeitsverleiher, der ohne Erlaubnis Arbeitskräfte illegal verleiht, die Arbeitslose, die Bezüge bezieht und nebenbei arbeitet und vieles andere mehr. Sie alle haben jedoch eines gemeinsam: Ihr Tun vernichtet dauerhaft legale Arbeitsplätze und erhöht damit die Arbeitslosigkeit, bringt den Staat um Steuern und die Sozialversicherungen um Beiträge. Das verursacht Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten legal arbeitender Unternehmen und Arbeitnehmer, erhöht die Abgabenlast für die Solidargemeinschaft und trägt zur Ausbeutung illegal Beschäftigter bei. Dagegen ist der Zoll tagtäglich mit bundesweit rund 6.700 Beschäftigten im Einsatz.«

Die neuen Ergebnisse dieser Arbeit aus dem vergangenen Jahr hören sich beeindruckend an: Die rund 6.700 Zöllnerinnen und Zöllner der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (bei einem Gesamtpersonalbestand der Zollverwaltung von 34.027 im vergangenen Jahr) ermittelten 2013 in 135.000 Verfahren wegen Schwarzarbeit. Sie deckten dabei einen Schaden von insgesamt über 777 Millionen Euro auf, so das Bundesfinanzministerium in einer Mitteilung.

Dietmar Seher berichtet in seinem Artikel „Schwarzarbeit richtete 777-Millionen-Euro-Schaden an„:
»Fahnder des Zolls haben im vergangenen Jahr zahlreiche Fälle von Schwarzarbeit aufgedeckt. Vor allem die angeblichen Ein-Mann-Betriebe, die Einwanderer aus Osteuropa anmelden, kosten dem Staat viel Geld.«

In dem Artikel wird Jörg Hellwig von der Dortmunder Finanzkontrolle zitiert, der vor einem neuen erkennbaren Trend berichtet:

»Immer weniger ist es der Hartz-IV-Bezieher, der nebenher arbeitet. Dafür mischen grenzüberschreitend operierende Banden mit. Sie schleusen Arbeitskräfte aus Osteuropa ein, die keinen Arbeitsvertrag erhalten, sondern als Ein-Mann-Unternehmen bei Großprojekten arbeiten und sich vorher als selbstständiger Gewerbebetrieb anmelden müssen. So entgehen dem Staat Abgaben. Den Trend gebe es im ganzen Ruhrgebiet.«

Aber nicht nur dort, sondern auch in anderen Regionen unseres Landes. Der „krasseste“ Fall aus der Welt der „Ein-Mann-Unternehmen“, über den die Dortmunder berichten können: »2013 ließ das Hauptzollamt nach zwei Jahren Ermittlungen eine Gerüstbaufirma auffliegen, die auf diese Weise bis zu 150 Mann je Baustelle beschäftigte. Am Ende standen 25 Millionen Euro Schaden beim Staat, 70 Durchsuchungen und sieben Haftbefehle.«

Quelle: Die Zollverwaltung: Jahresstatistik 2013, Berlin, März 2014, S. 18

Ein Blick auf die Tabelle aus der Jahresstatistik 2013 der Zollverwaltung verdeutlicht den bundesweiten Umfang und Ergebnisse der letzten drei Jahre im Bereich der Schwarzarbeitsbekämpfung.

Mit Blick auf den erwähnten „Trend, was die Billigst-Arbeitskräfte aus Osteuropa betrifft, ist die dann die folgende Meldung interessant: Der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich zu Wort gemeldet. Er nimmt bei der Begrenzung von Sozialmissbrauch durch Zuwanderer die Verantwortlichen in Deutschland ins Visier. „Wenn wir den Missbrauch einschränken wollen, dürfen wir den Blick nicht nur auf die Zuwanderer selbst richten“, so wird er zitiert. Und weiter: „Wir müssen uns auch genau die Leute und Strukturen anschauen, die aus eigenen, niederen Interessen Zuwanderer hierher holen und sie ausbeuten.“

»Es könne nicht sein, dass Menschen, die kein Wort Deutsch sprächen, mit perfekt ausgefüllten Anträgen auf dem Amt erschienen und Kindergeld oder gar einen Gewerbeschein beantragten. „Da geht es um gezieltes Anlocken von Zuwanderern zur Ausbeutung ihrer Arbeitskraft hier in Deutschland. Auch da müssen wir klar gegen vorgehen.“«

Das sind seitens der Regierung neue Töne in der Debatte über den „Missbrauch“ und vielleicht hat er sich vor seiner eigenen Verve erschrocken, denn sogleich relativiert er das, denn das Problem sei  auf sechs bis sieben Städte in Deutschland begrenzt. Es ist sicher so, dass es in einigen Großstädten eine massive Konzentration der Problematik gibt – darüber wurde bereits vor längerem berichtet, vgl. nur als Beispiel den lesenswerten Artikel über Frankfurt von Katharina Iskandar aus dem Jahr 2012: „Alles was kommt„: Die Bulgaren »werden angelockt von großen Versprechungen und werden doch nur ausgebeutet, auf dem Bau oder bei der Miete. Viele tausend Scheinselbständige soll es allein in Frankfurt geben, der Hauptstadt der „Bulgarenindustrie“.«

Um so gespannter dürfen wir angesichts dieser Ankündigung sein: »Der Innenminister und Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wollen in dieser Woche einen Plan zur Bekämpfung des Sozialmissbrauchs durch EU-Zuwanderer vorstellen.«

Gespannt muss man deshalb sein, weil sich hier die gleiche Problematik stellt wie bei der immer noch offenen Frage, wie es weitergehen soll bei der Frage des Hartz IV-Anspruchs von Zuwanderern aus EU-Staaten. Über allem schwebt das Prinzip der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU, eines der Grundrechte der Gemeinschaft. Und dieNiederlassung als Selbständige war schon vor dem Inkrafttreten der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit eine der formal legalen Möglichkeiten der Einwanderung zur Arbeitsaufnahme. Der im Titel dieses Beitrags genannte „Teil-Missbrauch“ bezieht sich darauf, dass das grundsätzlich legal ist, die selbständige Tätigkeit. Missbräuchlich wird es erst dann, wenn es sich um Scheinselbständigkeit handelt. Womit wir wieder bei der Zollverwaltung angekommen wären und deren Kampf gegen die realen Ausprägungen des Missbrauchs der Scheinselbständigkeit.

Apropos Zollverwaltung: Schon gegenwärtig hört man immer wieder Klagen aus den Reihen derjenigen, die an der Front der Missbrauchsbekämpfung ihren Mann und ihre Frau stehen, dass es zu wenig Personal gibt. Hier nun gibt es eine weitere Verbindungslinie zu einem höchst aktuellen Thema, der anstehenden Einführung eines Mindestlohngesetzes, denn man kann es drehen und wenden wie man will, die Einhaltung eines gesetzlichen Mindestlohnes muss kontrolliert werden. In dem diese Tage veröffentlichten Referentenentwurf eines Mindestlohngesetzes (MiLoG) gibt es im dritten Abschnitt einen § 14 zu der Frage der Kontrolle mit dem schönen Inhalt:
»Für die Prüfung der Einhaltung der Pflichten eines Arbeitgebers nach § 1 Absatz 1 in Verbindung mit § 2 sind die Behörden der Zollverwaltung zuständig.« Und im hinteren Teil des Entwurfs findet man die folgende „Erläuterung“ zum den §§ 14-16 des Gesetzentwurfs: »Für die Kontrolle und Durchsetzung des allgemeinen Mindestlohns werden weitestgehend die entsprechenden Vorschriften des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes übertragen. Diese haben sich bei der Kontrolle und Durchsetzung von Branchenmindestlöhnen bewährt« (S. 40 des Entwurfs vom 18.03.2014).

Es wird jetzt aber viele sicher nicht überraschen, dass der Gesetzentwurf leider nichts darüber aussagt, wer das genau machen soll. Also die, die schon da sind in der Zollverwaltung? Dann müssten ja einige bisher unnütze (oder gar keine) Dinge gemacht haben, auf die man nun verzichten kann, um die dadurch freiwerdenden Ressourcen auf das neue Aufgabenfeld zu verteilen. Wenn das aber nicht der Fall ist und man nicht gleichzeitig das Personal ausweitet, dann muss die neue, zusätzliche Arbeit auf Kosten der anderen Arbeit gehen. Logisch.
Dietmar Seher spricht in seinem Artikel diesen Aspekt an:

»Während IG-Bau-Chef Robert Feiger 10.000 neue Fahnder fordert, sieht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eher die Notwendigkeit interner Umbauten beim Zoll.«

Die Forderung nach 10.000 neue Fahnder erscheint von außen betrachtet eher wie die Umsetzung des Mottos „Steigen wir mal hoch ein“. Aber wenn auf der anderen Seite ein Minister die „Notwendigkeit interner Umbauten“ als Antwort auf Personalbedarf sieht, dann sollte einen das mehr als skeptisch stimmen. Denn es handelt sich hier ja wirklich um neue, zusätzliche Aufgaben, die mit dem gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen geschaffen werden und die müssen angesichts der erwartbaren Umgehungsversuche eines Teils der Unternehmen kontrolliert werden und das gerade am Anfang eigentlich mit abschreckender Wirkung. So weit die Theorie.

Was haben Manager, Hausfrauen und Studenten gemeinsam? Richtig, sie alle machen es. Angeblich. Laut einer neuen Studie

Sie nehmen Drogen. Gemeint ist hier nicht der Wein am Abend oder der Rettungsschirm des Steueraufkommens, also die Zigarette. Die Rede ist von Chrystal Meth. Im Fernsehen jagt ein Bericht den anderen, in dem von Panikmache bis hin zu seriöser Aufklärung über die Gefahren alles dabei ist. „Crystal Meth – Vormarsch einer tödlichen Droge„, so beispielsweise einer dieser Beiträge.
Eine neue Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums zeigt, dass Konsumenten von Stimulanzien wie Amphetamin („Speed“) oder Methamphetamin („Crystal Meth“) von sehr unterschiedlichen Gruppen konsumiert werden. Karin Truscheit berichtet in ihrem Artikel „Ein Gift für alle Lebenslagen„: »Knapp 400 Konsumenten wurden von Mitarbeitern des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung an der Universität Hamburg unter anderem zu ihren Lebensumständen, ihren Konsumgewohnheiten und ihrem ersten Kontakt zu Rauschgiften befragt. Zwar seien die Aussagen zurückhaltend zu interpretieren, da die Untersuchung keine repräsentative Befragung sei.«

Die unkonventionelle Studie basiert im Wesentlichen auf direkten Gesprächen in Drogenkliniken, Suchtberatungsstellen oder auf Befragungen über Internetforen.

Die Wissenschaftler versuchen eine Typisierung der Konsumentenlandschaft:

»Manche konsumierten nur in der Freizeit, manche für bessere Leistungen in Schule, Ausbildung oder Beruf. Andere hingegen, um mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen besser umgehen zu können. Einige Konsumenten kamen auch aus der „schwulen Party-Szene“, manche hatten Kinder, wieder andere zeigten besonders „riskante Konsumgewohnheiten“. Gründe für den Konsum wie „Erreichen einer Deadline“ oder „viel Arbeit (freelancing) ohne Leistungstief zu erledigen“ wurden von Befragten aus der Gruppe „Beruf“ angegeben. Hier sei auffällig, dass Angaben zu „Crystal“ tendenziell häufiger im Zusammenhang mit schwerer körperlicher Arbeit gemacht wurden, sie kamen also eher von Handwerkern. So gab ein Konsument zu Protokoll, auch „Crystal“ genommen zu haben, „um Leistung zu steigern, besonders im Beruf im Trockenbau und als Küchenhelfer, das war ziemlich anstrengend“ … „Speed“ nannten hingegen tendenziell eher Personen mit kreativen Berufen oder Bürotätigkeiten … Viele Konsumenten sagten, die Rauschgifte für exzessives Tanzen und „Partymachen“ zu brauchen …«

Den Link von Crystal und Speed zur Arbeitswelt verfolgen Corinna Budras und Nadine Bös in ihrem Artikel „Kollegen auf dem Crystal-Trip„:

»Noch immer ist allerdings Cannabis die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge. 4,5 Prozent der Erwachsenen haben diese Substanz im vergangenen Jahr konsumiert, wie die Drogenbeauftragte der Bundesregierung im November berichtete. Danach sind Kokain mit 0,8 Prozent und Amphetamine wie Speed mit 0,7 Prozent am weitesten verbreitet. Konkrete Zahlen über den Konsum von Crystal liegen noch nicht vor, aber schon die Nachricht über den gedankenlosen Einsatz im Büro oder „auf Montage“ ist alarmierend. Denn die synthetische Droge gehört zum Härtesten, was der Markt derzeit zu bieten hat.«

Burdas und Bös führen mit Blick auf den Konsum von Chrystal Meth weiter aus:

»Puls, Blutdruck und Körpertemperatur steigen an, die Pupillen sind erweitert. Die Droge löst Euphorie und ein gesteigertes Selbstbewusstsein aus, vor allem aber erhöht sie die Aufmerksamkeit und steigert die Leistungsfähigkeit. Von Schmerz keine Spur.
Das kann man im Job gut gebrauchen, was die Hälfte der Befragten in der ZIS-Studie auch als einen Grund nennt, Crystal Meth zu schniefen oder zu rauchen. Nur so gelingt es manchen, überhaupt noch den gesteigerten Anforderungen im Arbeitsleben gerecht zu werden, für Selbständige bedeutet ein solcher Zuwachs an Leistungsfähigkeit sogar bares Geld.«

Mit Blick auf unsere Arbeitswelt ist dieser Befund interessant: Die bisherigen Klischees über Konsumenten von Drogen kann man getrost über Bord werfen. »Auch der Handwerksmeister im vorgerückten Alter greift zur Leistungssteigerung auch schon mal zu Crystal Meth«, so wird einer der Studienautoren zitiert. Die Studie behauptet eine erkennbare Tendenz: »Wer stark körperlich tätig ist, greift eher zu Crystal Meth. Menschen, die monotone, langweilige Bürotätigkeit zu erledigen haben, etwa über Nacht stundenlange Korrekturen übertragen müssen, versuchen sich die Arbeit dagegen eher mit Speed erträglich zu machen.«

Vor dem Hintergrund der erheblichen Heterogenität der Konsumenten hört sich die Stellungnahme der neuen Drogenbeauftragten passend an: „Wir brauchen vielfältige, zielgruppenspezifische Maßnahmen, um den einzelnen Gruppen gerecht werden zu können“, sagte Marlene Mortler.

Das war dann die Sonntagsrede, zumindest muss man das so einordnen, wenn man auf der anderen Seite das hier zur Kenntnis nehmen muss: „Modellprojekte gegen Heroin und Crystal Meth vor dem Aus„, so ein Artikel von Heike Haarhoff in der taz. Schauen wir uns also die Realitäten jenseits der Sonntagsreden an: »Die Sucht- und Drogenpolitik der Bundesregierung wird Opfer der Haushaltskonsolidierung: Um 500.000 Euro will die Koalition in diesem Jahr die Ausgaben für Modellprojekte und Forschung zum Suchtmittelmissbrauch kürzen. 2013 standen hierfür noch 3,4 Millionen Euro zur Verfügung … Sinken sollen zudem die Zuschüsse an Verbände – um 160.000 Euro gegenüber 2013 auf künftig 840.000 Euro. Aufgestockt werden bloß die Mittel für Aufklärung: um 300.000 Euro auf künftig 7,5 Millionen Euro.«
Nun wird der eine oder die andere sagen – das sind doch überschaubare Beträge. Also ein Versuch der Einordnung:

»Was in absoluten Zahlen nach geringen Summen klingt, trifft Forscher und Projekte empfindlich. Denn insgesamt stehen für die Drogenpolitik nur noch 11,2 Millionen Euro zur Verfügung. Zum Vergleich: 2010, kurz nach dem Start der damaligen schwarz-gelben Regierung, waren es noch 13,4 Millionen Euro. Projekte und Studien, etwa zu Alkohol-, Crystal- oder Heroinmissbrauch, sind bedroht. Denn die Bundesmittel sind für sie die einzige Finanzierungsmöglichkeit. In den Ländern existieren keine vergleichbaren Töpfe.«

In keinem Bereich werde so stark gekürzt wie in der Drogenprävention, so die Kritik der Grünen. Und nicht nur mit Blick auf die Gelder für Projekte: »Der seit Jahresanfang amtierenden Drogenbeauftragten Marlene Mortler (CSU) stehen fünf Mitarbeiter zur Verfügung; ihre Vorgängerin, Mechthild Dyckmans (FDP), hatte neun Beschäftigte.«

Da hat sich jemand rasieren lassen.

Aber das scheint die gute Dame auch nicht besonders zu belasten, ist sie doch zu dem neuen Job gekommen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde:

»Dem agrarpolitischen Fachmedium „top agrar“ verriet die Bundestagsabgeordnete, zugleich Vorsitzende des Arbeitskreises Landwirtschaft der CSU-Landesgruppe, unlängst: „Agrarpolitik bleibt ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit.“ Etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit, so Mortler, werde sie diesem Thema widmen.«

Dann soll sie sich wenigstens für eine Legalisierung des Hanfanbaus in den ländlichen Regionen unseres Landes einsetzen, sie kann das ja als agrarpolitisches „Neuland“ verkaufen. Sinnvoller als die Verschandelung der Kulturlandschaft mit endlosen Rapsfeldern wäre das auf alle Fälle.