Von teilkranken Krankenhäusern und der Frage nach finanziellen und personellen Grenzüberschreitungen

Das sind beunruhigende Nachrichten: »Trotz umfangreicher staatlicher Hilfen zur Bewältigung der Corona-Pandemie geht es den Krankenhäusern in Deutschland wirtschaftlich so schlecht wie seit über 20 Jahren nicht.« Da berichtet Tim Szent-Ivanyi unter der Überschrift Umfrage: Krankenhäusern geht es so schlecht wie seit über 20 Jahren nicht. Er beruft sich dabei auf das „Krankenhaus Barometer“ 2021 des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI). »Danach rechnen 60 Prozent der Krankenhäuser für das abgelaufene Jahr 2021 mit wirtschaftlichen Verlusten. Gegenüber dem Vorjahr dürfte sich damit der Anteil der Kliniken, die rote Zahlen schreiben, verdoppeln.« Eine so düstere Lage habe es seit der erstmaligen Erhebung des Krankenhaus-Barometers im Jahre 2000 noch nicht gegeben, wird Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), zitiert. Und die Krankenhausgesellschaft macht mit ihrer Mitteilung zur neuen Ausgabe des Krankenhaus-Barometers bereits in der Überschrift deutlich, was als Kernbotschaft transportiert werden soll: Krankenhäuser finanziell und personell am Limit. Vor diesem Hintergrund lohnt ein Blick in das Original:

➔ Deutsches Krankenhausinstitut (2021): Krankenhaus-Barometer. Umfrage 2021, Düsseldorf, Dezember 2021

Wenn man die dort präsentierten Daten zu den tatsächlichen finanziellen Jahresergebnissen der deutschen Krankenhäuser mit den aus dem Vorgängerjahr vergleicht, dann ergibt sich das folgende, den einen oder anderen vor dem Hintergrund der aktuellen Notstandsmeldungen sicher irritierendes Bild:

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Raus mit den Kindern und Jugendlichen? Also aus den Fallpauschalen, mit denen die Krankenhäuser finanziert werden? Die Bundesregierung sagt (derzeit): Nein

»Der Wettbewerb im Gesundheitswesen trifft die Schwächsten. Davon sind Kinder- und Jugendärzte überzeugt. „Die Sorge, aus finanziellen Gründen bald keine Kinderstation mehr in der Nähe zu haben, ist berechtigt“, sagt Professor Norbert Wagner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin«, so der Artikel Kinderärzte schlagen Alarm. Und deshalb haben zahlreiche kinder- und jugendmedizinischen Verbände die gemeinsam getragene Aktion „Rettet die Kinderstation“ gestartet. Dazu aus einem Interview mit Norbert Wagner unter der Überschrift „Die Öko­nomi­sierung der Medizin fordert ihre ersten Opfer“ und mit Blick auf die stationäre Krankenhausversorgung der Kinder: »Die stationäre Pädiatrie hat enorme Vorhaltekosten, nur ein Fünftel unserer Leistungen sind planbar, die Notfallquote liegt bei über 50 Prozent. Mit 400 bis 500 unterschiedlichen Fallpauschalen decken Kinderkliniken zudem ein doppelt so großes Spektrum ab wie vergleichbare Einrichtungen der Erwachsenenmedizin. Für viele Leistungen gibt es aufgrund der geringen Fallzahlen oft keine eigenen, adäquaten Fallpauschalen. Insgesamt bestehen in den Kliniken und Abteilungen für Kinder- und Jugendmedizin deshalb hohe Vorhaltekosten, ohne die Aussicht auf Vergütung.« Anno Fricke kommentierte das unter der Überschrift Sparen auf Kosten der Kinder so: »Das Problem steckt im DRG-System selbst. Kleinkinder funktionieren nicht so, wie sich die Erfinder von Fallpauschalen das wünschen. Psychosoziale Faktoren sind den DRG sehr fremd. Die Zeit, die der Arzt braucht, um ein Kind davon zu überzeugen, für eine Untersuchung stillzusitzen, wird nicht berücksichtigt. Auch dass eine Mutter lieber bei ihrem kranken Kind in der Klinik übernachten will, als es über Nacht alleine zu lassen, ist in der Regel nicht vorgesehen. Manche Kliniken halten ihre Kinderstationen nur noch mit Hilfe von bürgerschaftlich organisierten Fördervereinen über Wasser.«

Und was wird gefordert? Ein „Sicherstellungszuschlag für Kinderkliniken, Kinder­krankenhäuser, Fachabteilungen für Kinder- und Jugendmedizin sowie Kinderchirurgien“.

Um das an dieser Stelle gleich korrekt einzuordnen: Das waren Berichte aus dem Jahr 2014.

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Entleerte Krankenhäuser, verloren gegangene Patienten, eine Leere-Betten-Prämie mit Durchschnittsproblem und die Vor-Corona-Strukturprobleme erneut in Sicht

Eine bittere Erfahrung der vergangenen Wochen lautet: Es ist leichter, eine ganze Volkswirtschaft runterzufahren, als sie dann wieder und vor allem schnell in Gang zu bringen. Das gilt auch für viele kleinere Systeme. Beispielsweise für die Krankenhäuser in unserem Land. Die standen ja am Anfang der Pandemie im Mittelpunkt der ununterbrochenen Corona-Berichterstattung. Der Lockdown und die Bereitschaft der Bevölkerung, sich dem unterzuordnen, wären ohne die Bilder aus den Kliniken in Bergamo und den Berichten aus Frankreich nicht so friktionslos realisierbar gewesen. Und in der ersten Phase der gesellschaftlichen Runterfahrens war die Angst vor einer Überlastung der Krankenhäuser mit den Händen zu greifen gewesen und der Anstieg der Kurven gab auch allen Anlass dafür.

Bis zum Ausbruch der Corona-Krise stand eine seit Jahren laufende Debatte über angeblich „zu viele“ Krankenhäuser, über fehlendes Personal vor allem im Pflegebereich, über ein fallpauschalierendes Vergütungssystem mit zahlreichen Anreizen, aus monetären Motiven bestimmte Eingriffe besonders häufig zu machen auch jenseits der tatsächlichen Notwendigkeit, zugleich aber auch aus anderen Bereichen wie der Versorgung kranker Kinder oder der Geburtshilfe zu flüchten, weil die sich nicht mehr „rechnen“, im Mittelpunkt der gesundheitspolitischen Auseinandersetzungen. Und dann war von einem Moment auf den anderen alles anders. Vollbremsung im bislang normalen Krankenhausbetrieb. Die Kliniken sollten sich vorbereiten auf eine große Zahl an Covid-19-Patienten.

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