Wieder einmal muss berichtet werden aus den Tiefen und Untiefen des deutschen Arbeitsrechts. Es geht nicht um Spartengewerkschaften und deren gesetzgeberische Behandlung, die immer noch unter dem Stichwort „Tarifeinheit“ vor sich hin gart, aber irgendwie schon um eine ganz besondere „Sparte“, in der sich allerdings sehr viele Menschen tummeln, als Arbeitnehmer eigener Art sozusagen. Reden wir also wieder einmal über die Kirchen und über die in konfessionell gebundenen Unternehmen arbeitenden Menschen, denn denen werden – immer noch – Grundrechte vorenthalten, die für „normale“ Arbeitnehmer normal sind. Im aktuellen Fall geht es aber nicht um die nicht nur fragwürdige, sondern skandalöse Ausschaltung des Streikrechts unter dem weiten Mantel des „dritten Wegs“, den man den Kirchen zugestanden hat, sondern um ein Kleidungsstück, das allerdings höchst aufgeladen daherkommt. Es geht um Kopftücher. Nicht die von Nonnen natürlich, sondern die von Frauen muslimischen Glaubens. Eine verkopfte Angelegenheit wurde nun mit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts behandelt.
Zuerst einmal der Blick auf den Sachverhalt, der dem Bundesarbeitsgericht vorgelegt wurde und von diesem so beschrieben wird:
»Die Klägerin, die dem islamischen Glauben angehört, ist seit 1996 bei der beklagten Krankenanstalt – zuletzt als Krankenschwester – angestellt. Arbeitsvertraglich sind die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags in der für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen geltenden Fassung (BAT-KF) sowie die sonstigen für die Dienstverhältnisse der Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen beschlossenen arbeitsrechtlichen Bestimmungen in Bezug genommen. Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 27. März 2006 bis zum 28. Januar 2009 in Elternzeit. Danach war sie arbeitsunfähig krank. Im April 2010 bot die Klägerin schriftlich eine Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit im Rahmen einer Wiedereingliederung an. Dabei teilte sie der Beklagten mit, dass sie das von ihr aus religiösen Gründen getragene Kopftuch auch während der Arbeitszeit tragen wolle. Die Beklagte nahm dieses Angebot nicht an und zahlte keine Arbeitsvergütung. Mit der Zahlungsklage fordert die Klägerin Arbeitsentgelt wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 23. August 2010 bis zum 31. Januar 2011.«
Man muss ergänzend wissen, dass die Klägerin erst im Laufe ihrer Beschäftigung zum Islam konvertiert ist, nicht also als Muslima eingestellt worden ist. Während die Betroffene vor dem Arbeitsgericht Bochum noch Recht bekommen hat, wurde das vom Landesarbeitsgericht Hamm in der Berufung wieder verworfen. Nun hat sich das Bundesarbeitsgericht im Grunde der ablehnenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts angeschlossen. Entsprechend die Schlagzeilen nach Bekanntwerden des Urteils: Muslimische Krankenschwester darf kein Kopftuch tragen oder an anderer Stelle Kirchliche Arbeitgeber dürfen Kopftuch verbieten, um nur zwei zu zitieren.
In den dürren Worten des höchsten Arbeitsgerichts lautet die Entscheidung so:
»Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer abweichenden Religionszugehörigkeit ist regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu neutralem Verhalten nicht vereinbar.«
Warum dann die Formulierung „dem Grunde nach“? Weil das Bundesarbeitsgericht das Verfahren erneut zurückverwiesen hat an das Landesarbeitsgericht in Hamm, von der das gekommen ist, mit einer „interessanten“ Begründung:
»Zwar kann einer Arbeitnehmerin in einer kirchlichen Einrichtung regelmäßig das Tragen eines islamischen Kopftuchs untersagt werden, es ist aber nicht geklärt, ob die Einrichtung der Beklagten der Evangelischen Kirche institutionell zugeordnet ist.« Das ist bemerkenswert, es scheint gar nicht so einfach zu sein, die Frage zu beantworten evangelisch oder nicht?
Was ist also das Proprium der Entscheidung: »Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen seien zumindest zu neutralem Verhalten verpflichtet, erklärte eine Gerichtssprecherin. Damit sei das Kopftuch als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben nicht vereinbar«, erläutert uns einer der Artikel. Hier findet sich auch ein weiterer wichtiger Hinweis: »Das Gericht betone aber, dass in Einzelfällen eine Entscheidung je nach konkreter Tätigkeit auch anders ausfallen könnte, zum Beispiel wenn jemand in einem Labor arbeite und wenig Kontakt zu Menschen habe.«
Der Anwalt der Klägerin hatte auf ihre Glaubensfreiheit gepocht. „Die Religionsfreiheit überwiegt hier das Weisungsrecht des kirchlichen Arbeitgebers“, so Abdullah Emili. Dem folgten die Richter aber nicht. Man muss sogar konzedieren, dass die Gegenseite durchaus Versuche gemacht hat, der Betroffenen „entgegenzukommen“, was sich teilweise schon skurril liest:
»Die Klinik hatte der Klägerin das Tragen alternativer Kopfbedeckungen angeboten, etwa eine Kappe oder die Haube einer Nonne. „Wir erwarten nicht, dass sie sich zum christlichen Glauben bekennen. Sie dürfen sich aber nicht offen zu einem anderen Glauben bekennen“, erklärt der Anwalt der Klinik, Sascha Leese.«
Wie dem auch sei – es ist die erste höchstrichterliche Entscheidung zur Koptuchfrage in konfessionell gebundenen Einrichtungen. Darüber hinaus gibt es schon Entscheidungen zum Umgang mit dem Kopftuch, allerdings nur zu Streitfällen in privaten und staatlichen Einrichtungen. Einer Verkäuferin darf das Kopftuch nicht verboten werden, einer Lehrerin an einer staatlichen Schule bei entsprechender Landesgesetzgebung dagegen schon.
Es ist schon ein Krampf mit der Kopftuchfrage – obgleich hier nicht verschwiegen werden soll, dass die Frage, ob man in seinem Unternehmen ein Kopftuch akzeptieren muss, nach meiner Perspektive deutlich weniger schwer wiegt als beispielsweise das Vorenthalten des Streikrechts für alle Beschäftigten in konfessionell gebundenen Einrichtungen.
Detlef Esslinger kommentiert allerdings – den Blick über den aktuellen Sachverhalt weitend – unter der Überschrift Die Debatte geht über Kopftücher hinaus: »Die Kirchen mögen sich freuen: Das Bundesarbeitsgericht gesteht ihnen zu, muslimischen Mitarbeiterinnen das Tragen eines Kopftuches zu verbieten. Doch sie sollten sich wappnen.« Wie das?
Er schreibt: »Es geht nie bloß darum, ob die muslimische Krankenschwester in einem evangelischen Krankenhaus in Bochum bei der Arbeit ein Kopftuch tragen darf. Das wurde am Mittwoch wieder deutlich, kaum dass in diesem Fall das Bundesarbeitsgericht der Krankenschwester unrecht gegeben hatte. Sofort nahm, beispielsweise, die Bundestagsfraktion der Linken Bezug aufs Große und Ganze: Die Entscheidung füge sich ein „in die gesellschaftliche Stigmatisierung von Musliminnen“, erklärte sie.« Geht’s einige Nummern kleiner, kommt da einem in den Sinn? Auch Esslinger kommentiert das kurz und bündig: »Diese Bewertung ist ebenso bezeichnend wie daneben.« Wohl wahr.
Das Problem liegt woanders, nicht in der grundsätzlichen Frage, ob man in einem Krankenhaus prinzipiell ein Kopftuch untersagen sollte, denn – so Esslinger – es mag »ein bisschen engherzig sein, dass ein evangelisches Krankenhaus ein Kopftuch verbietet – wo ist das Problem, solange der muslimische Glaube nicht dazu führt, dass die Krankenschwester sämtliche Betten Richtung Mekka dreht?«
Matthias Kaufmann hat in seinem – vor der Urteilsverkündigung verfassten – Artikel Christliche Leere so formuliert:
»Am Arbeitsplatz Krankenhaus entfaltet dieses Recht seine volle Absurdität: Wollen Sie das Blut gern katholisch abgenommen bekommen? Oder im konkreten Fall: Kann eine Muslimin die Bettpfannen glaubhaft auf evangelische Weise wechseln? Die wenigsten Patienten dürfte der christliche Überbau ihrer Behandlung interessieren, Hauptsache, alles steht auf einer seriösen medizinischen Basis.«
Das Bundesarbeitsgericht hat sich von einer ganz anderen Perspektive leiten lassen, auf die Esslinger hinweist wie man einen Finger in die eigentliche Wunde legt:
Die Bundesrichter »orientieren sich traditionell an der Bestimmung des Grundgesetzes, dass „jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig ordnet und verwaltet“. Im Fall der Kirchen wollen die Erfurter Richter so gut wie nie bewerten, wie sie dieses oder jenes finden. Weil eben dieser Satz in der Verfassung steht und weil die Kirchen karitativ und nicht kommerziell arbeiten, billigen sie ihnen Freiheiten zu, die sie kommerziellen Arbeitgebern nicht zubilligen.«
Genau hier liegt der entscheidende Punkt: Die Frage, wie lange dieses Wegschauen aufgrund eines abstrakten Regelwerks noch Bestand haben kann in einer Gesellschaft, die sich zunehmend „entkonfessionalisiert“ und die immer weniger bereit ist, den Kirchen diese weiten Sonderrechte zuzugestehen. Vor allem nicht – Hand aufs Herz -, wenn es um Einrichtungen geht, die zu 100% aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Beim Deutschen Städte- und Gemeindebund heißt es dazu: „Wenn die Kirchen im Durchschnitt noch fünf Prozent Eigenmittel beisteuern, muss man schon froh sein.“ Und gar nicht weiter vertieft werden soll hier die Aussage, „weil die Kirchen karitativ und nicht kommerziell arbeiten“, über die man in mehrfacher Hinsicht streiten kann.
Aber auch aus einer Binnensicht der betroffenen Kirche spricht einiges dafür, eine grundsätzliche Infragestellung der Sonderrechte zumindest in den Bereichen, die nicht wirklich – außer in Sonntagsreden – „verkündigungsnah“ sind, zuzulassen und das Feld endlich zu bereinigen. Denn die kirchlichen Einrichtungen geraten zunehmend in den Schraubstock eines „doppelten Fachkräftemangels“, also ein partiell immer gravierender werdender Fachkräftemangel bei medizinischen, pflegerischen und sozialen Berufen, denn alle Unternehmen in diesem Bereich ausgesetzt sind, und einen „zusätzlichen“ aufgrund der Anforderungen an den „Lebenswandel“ der Mitarbeiter, die von immer weniger Menschen erfüllt werden (können bzw. die wollen das auch nicht). Insofern wird sich dieses Thema in den kommenden Jahren schon „von alleine“ lösen, dann aber sehr schmerzhaft. Aus eigenem Interesse sollten die Kirchen sich hier endlich mal substanziell bewegen.
Und wenn die sich nicht bewegen? Dann ist die Antwort klar: Ändern kann das nur der Gesetzgeber. Aber da sind noch einige Würdenträger vor.