Zahlreiche Kommunen stehen in diesen Tagen vor gewaltigen Herausforderungen, um die vielen Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, unterzubringen. Dafür notwendige Kapazitäten sind in den vergangenen Jahren – als die Zahl der Asylbewerber deutlich zurückgegangen ist – abgebaut worden. Das ist schon alles schwierig genug.
Es kann leider nicht überraschen, dass in einer solchen Situation auch Anbieter herangezogen werden, die versprechen, mit ihrem Personal den verantwortlichen Kommunen ein Problem vom Hals zu schaffen. In diesem Kontext muss man dann zur Kenntnis nehmen, dass zahlreiche Wohnheime für Flüchtlinge von privaten Firmen betrieben werden und auch private „Sicherheitsdienste“ zum Einsatz kommen. Man darf und muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass hier oftmals Menschen ganz unterschiedlicher Nationalitäten und aus verschiedenen Kulturkreisen, teilweise schwer traumatisiert durch ihre Erfahrungen vor und während der Flucht, auf engstem Raum unter nicht selten desaströsen Bedingungen zusammen leben müssen. Sie brauchen nicht nur ein Dach über dem Kopf und Essen, sondern man muss sich um sie kümmern und sie auch schützen vor den Aggressionen, die eine solche Lage zwangsläufig auslösen. Dabei denkt man an mögliche Übergriffe von anderen Mitbewohnern. Aber richtig übel wird es, wenn die Menschen solchen Übergriffen ausgesetzt sind von denen, die sie eigentlich beschützen sollen – und denen sie in der lagerähnlichen Konstellation auch ausgeliefert sind, was eine besondere Verantwortung auf der anderen Seite zur Folge haben sollte.
Über Vorwürfe, dass es solche Übergriffe seitens derjenigen, die eigentlich zum Schutz der Menschen da sein sollen, gegeben hat, berichtet das Politikmagazin „WESTPOL“ (WDR-Fernsehen) in seinem Beitrag Misshandlungen und zu wenig Personal: Vorwürfe gegen privaten Flüchtlingsheimbetreiber in der Sendung am 28.09.2014. Zum Sachverhalt:
»In nordrhein-westfälischen Flüchtlingsheimen soll es zu gewalttätigen Übergriffen des Wachdienstes gekommen sein. Asylbewerber aus einem Flüchtlingsheim in Essen berichten gegenüber WESTPOL von Prügelattacken und Demütigungen. WESTPOL liegt außerdem ein ärztliches Attest eines Flüchtlings vor, in dem Verletzungen dokumentiert werden. Auch in einer Unterkunft in Burbach soll es zu Übergriffen des Wachdienstes auf Flüchtlinge gekommen sein. Beide Flüchtlingsunterkünfte werden von der Firma European Homecare betrieben. Das Unternehmen ist einer der größten Betreiber von Flüchtlingsunterkünften in Deutschland. Allein in Nordrhein-Westfalen betreibt es sechs der zentralen landesweiten Erstaufnahmeeinrichtungen.«
Das Unternehmen European Homecare hat seinen Sitz in Essen und wurde 1989 für den Betrieb von Wohnheimen für Asylbewerber und Flüchtlinge gegründet. Der Website des Unternehmens kann man entnehmen: »Im Laufe der Zeit erweiterte sich unser Leistungsspektrum, so dass wir seit vielen Jahren die Unterbringung und soziale Betreuung samt Nebenleistungen von Asylbewerbern, Flüchtlingen und anderen sozialen Randgruppen durchführen. Inzwischen sind wir nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit tätig.« Interessanterweise datiert der letzte Eintrag auf der Startseite des Unternehmens mit der Überschrift „Neuer Auftrag im Landkreis Gifhorn“ vom 16.07.2013.
Weiter zu den aktuellen Vorwürfen des Politikmagazins in seinem Beitrag:
European Homecare hält sich nach WESTPOL-Recherchen außerdem nicht an die vom Land geforderten und vertraglich vereinbarten Standards für den Betrieb von Flüchtlingswohnheimen. In der Erstaufnahmeeinrichtung in Schöppingen gibt es zu wenig qualifiziertes Personal vor. Es fehlt an Psychologen, Erziehern und Sozialpädagogen. Das räumt European Homecare selbst gegenüber WESTPOL ein, und verweist auf den Anstieg der Flüchtlingszahlen. Auf die Frage, ob European Homecare die vorgeschrieben Standards und den Personalschlüssel im Moment einhalten kann, antwortet Renate Walkenhorst, Pressesprecherin von European Homecare, gegenüber WESTPOL: „Nein, klares Nein. In dieser Notsituation können wir das nicht.“
Das ist an sich schon ein starkes Stück. Aber es kommt noch schlimmer. Denn es gibt doch eine Aufsicht über solche Einrichtungen, die sich an Recht und Gesetz halten wird, die muss doch eingreifen. Dazu das Politikmagazin WESTPOL:
Die Aufsicht über die landesweiten Flüchtlingsunterkünfte hat die Bezirksregierung Arnsberg. Der stellvertretende Behördenleiter Volker Milk räumt die Vertragsverletzungen durch European Homecare gegenüber WESTPOL ein. Dass das Land nicht einschreitet, begründet er so: „Wir sind im Moment sehr froh, dass uns alle Hilfsorganisationen und auch der private Betreiber European Homecare nach ihren besten Kräften unterstützen und es ermöglichen, dass die Menschen nicht in die Obdachlosigkeit geraten. Vor diesem Hintergrund bin ich nicht der Meinung, dass wir im Moment die Standards diskutieren sollten.“
Da bleibt einem doch die Spucke weg. Da gibt es offensichtlich erhebliche Probleme, Übergriffe und Misshandlungen von schutzbedürftigen Menschen stehen im Raum, und der Behördenvertreter erdreistet sich, mit fast schon kafkaesk anmutenden Zynismus zu sagen, er sei nicht der Meinung, »dass wir im Moment die Standards diskutieren sollten«. Geht’s noch? Das soll ein Vertreter der öffentlichen Ordnung sein? Da wird einem übel und man kann nur hoffen, das so eine offen ausgebreitete Einstellung Konsequenzen hat.
Ganz offensichtlich ist der private Betrieb von „Flüchtlingsunterkünften“ ein eigenes Geschäftsmodell, in dem sich die merkwürdigsten Gestalten tummeln. Vor kurzem konnte man dem Artikel Der Ex-Stasi-Offizier und seine Flüchtlingsheime den Hinweis auf ein anderes Privatunternehmen entnehmen, das hier offensichtlich „gutes“ Geld verdient. Zugleich eine „interessante“ Verbindung mit der deutschen Vergangenheit: »In der DDR jagte Wilfried Pohl Republikflüchtlinge. Heute betreibt er Heime für Asylbewerber … Seine Heime sorgen immer wieder mit menschenunwürdigen Bedingungen für Schlagzeilen.« Wilfried Pohl diente einst als hochrangiger Offizier dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Nach der Wiedervereinigung ist er nicht wie viele andere gestrandet, sondern hat eine zweite Karriere hingelegt – »allerdings nicht mehr im Dienst der Staatssicherheit, sondern im Dienste deutscher Kommunen. Mit seinen acht Großunterkünften für Flüchtlinge ist Pohl heute einer der größten privaten Betreiber von Asylbewerberheimen. Bis zu 1.500 Asylbewerber beherbergt er mit seinen Firmen ITB Dresden und S&L in Oberursel.«
Im „Heim-TÜV“, einem Vergleich der Flüchtlingsherbergen des sächsischen Ausländerbeauftragten, schneiden Pohls Herbergen schlecht ab. Der von Martin Gillo entwickelte „Heim-TÜV“ machte erstmals den Zustand von Heimen in einem Bundesland transparent und zeigte Defizite auf. Die »Bestandsaufnahme von 40 Großunterkünften brachte ein erstaunliches Ergebnis hervor: Privat betriebene Heime schneiden – von Ausnahmen abgesehen – besonders schlecht ab. Und auf der Rangliste weit unten standen 2013 drei Heime mit einem bekannten Betreiber: Wilfried Pohl. Insgesamt sechs Heime hat der Unternehmer in Sachsen, ein weiteres in Thüringen und das in Oberursel.«
In dem Beitrag Das Getto im zweitreichsten Landkreis Deutschlands haben Ileana Grabitz und Lars-Marten Nagel über die „Asyl-Industrie“ geschrieben – am Beispiel eines Containerlagers für mehr als 220 Flüchtlinge in Oberursel – betrieben von Wilfried Pohl im Auftrag des Hochtaunuskreises, wo teilweise skandalöse Zustände vorherrschen sollen. Auf die Frage, wie es dazu kommen kann in diesem doch nun wirklich sensiblen Bereich, wo es um elementare Menschenrechte geht, wird eine simple und zugleich erschütternde Erklärung des sächsischen Ausländerbeauftragten Gillo zitiert: „schlechte Verträge und keine Kontrolle.“
„Über die Formulierung von Mindeststandards, etwa die minimal erforderliche Quadratmeterzahl pro Person, geht es meist nicht hinaus.“ Betreuungskonzepte würden bestenfalls grob gefordert. Ob und was davon umgesetzt werde, sei häufig Sache des Betreibers. Genauso schlecht ist es oft um die Aufsicht bestellt: „Kontrollen gibt es bei den Privaten noch weniger als bei den Heimen in kommunaler Hand“, beklagt Gillo. „Entsprechend fragwürdig sind dann dort oft die Bedingungen.“
In dem Artikel Der Ex-Stasi-Offizier und seine Flüchtlingsheime wird es von den Autoren auf den Punkt gebracht:
»Kaum Auflagen gibt es für die privaten Betreiber, wenig Kontrollen, kaum verbindliche Standards. Nur der Preis muss stimmen. Damit ist der Markt zum Tummelplatz für Leute geworden, die in ihren Methoden nicht gerade zimperlich sind – und die Gunst der Stunde schon früh erkannt haben.«
Und doch wäre es der verkehrte Ansatz, den Schwarzen Peter allein den privaten Betreibern zuzuschieben. Der Staat hat ihr eine ureigene Verantwortung und die muss er gefälligst wahrnehmen. Man kann die Aufgabenerlerdigung wegdelegieren, nicht aber seine Verantwortung dafür, was da passiert.