Ein sozialpolitisches Stehaufmännchen: Die „Bürgerversicherung“. Die schlägt wieder auf in Gestalt einer „Pflegebürgervollversicherung“

Die sozialpolitischen Veteranen werden es vor Augen haben: alle Jahre wieder wird sie an die Oberfläche der politischen Debatten geholt – die „Bürgerversicherung“. Oder zumindest einige Komponenten davon. Den bisherigen Höhepunkt hatte die Diskussion über eine „Bürgerversicherung“ in den frühen 2000er Jahren, vor allem, als 2003 die SPD und insbesondere die Grünen die Bürgerversicherung erstmals offiziell als Reformmodell vorgeschlagen haben und „die andere Seite“ mit dem Kopfprämienmodell (das später dann als „Gesundheitsprämie“ semantisch aufgehübscht wurde) zu kontern versuchte. Dabei ging (und auch in den neueren Vorstößen geht) es vor allem um die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung, konkret um die die Ablösung des bisherigen dualen Systems von gesetzlicher und privater
Krankenversicherung. Das muss man auch vor dem Hintergrund sehen, dass seit 2006 Deutschland das einzige Land in der EU ist, das für einen definierten Teil der Bevölkerung die Vollversicherung in der privaten Krankenversicherung ermöglicht.

Nun hat man bei der Einführung der Pflegepflichtversicherung Anfang der 1990er Jahre das duale System im Krankenversicherungsbereich auch auf die neue Säule der Sozialversicherung übertragen und wir haben – für 90 Prozent der Bevölkerung – die (umlagefinanzierte) Soziale Pflegeversicherung bekommen, während die Privatversicherten in einer eigenständigen (teilkapitalgedeckten) Privaten Pflegepflichtversicherung integriert wurden.

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Sozialabgaben auf Kapitalerträge – ein Schnellschuss im Wahlkampf und erwartbare Abwehrreflexe. Zugleich der Hinweis auf ein ganz großes Fragezeichen bei der Finanzierung der Sozialversicherung

Was hat ihn da geritten, mag der eine oder andere gedacht haben: Als Finanzierungsquelle für die Krankenkassen sollten auch Kapitaleinnahmen herangezogen werden. Das hatte der Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ am 12. Januar 2025 gesagt. „Wir würden gern die Beitragsgrundlage erhöhen“, so Habeck. Er kritisierte, dass Kapitalerträge bisher von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt seien. Arbeitslöhne würden dadurch stärker belastet als Kapitalerträge. „Deswegen schlagen wir vor, dass wir auch diese Einkommensquellen (…) sozialversicherungspflichtig machen“, sagte er. Das sei ein Schritt zu mehr Solidarität innerhalb des Systems, so dieser Bericht: Habeck will Sozialabgaben auf Kapitalgewinne. Und weiter kann man dort lesen: »Umgehend kommt Kritik an dem Vorschlag.« CSU-Parteichef Markus Söder wird mit den Worten zitiert: „Die Grünen wollen nicht nur höhere Steuern. Jetzt wollen sie auch noch ans Sparguthaben der Menschen und ihre Erträge ran. Das lehnen wir grundlegend ab. Auf schon einmal versteuertes Geld dürfen keine zusätzlichen Beiträge und Steuern erhoben werden.“ Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) warnte davor, dass ein solcher Schritt die Mittelschicht besonders belasten würde. Pflichtversicherte müssten dann gegebenenfalls bis zur Beitragsbemessungsgrenze Beiträge auf Kapitalerträge zahlen, so der SdK-Vorstandsvorsitzende Daniel Bauer. Und dann wurden noch ganz andere Kaliber aufgefahren.

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Beim Jobcenter raus, bei der Arbeitsagentur rein? Taschenspielertricks im haushaltspolitischen Verschiebebahnhof. Auf Kosten junger Menschen und mit einer absurden Verkomplizierung komplizierter Strukturen

Die älteren Semester werden sich an die vielen und in der jeweiligen Tagespolitik überaus beliebten haushalterischen Verschiebebahnhöfe zwischen Steuer- und Beitragstöpfen in den 1990er Jahren und danach erinnern. Ein munteres, kurzfristig die potemkinschen Zahlenfassaden aufhübschendes Hin- und Herschieben, wer denn die Rechnung zu begleichen hat. Am Ende war das volkswirtschaftlich nicht nur ein Nullsummenspiel (recht Tasche, linke Tasche), sondern je nach Dreistigkeit der finanzpolitischen Hütchenspielerei gab es dann auch substanzielle Schäden bei den „schwächeren“ Mitspielern, was in der Regel die Sozialversicherungen waren und sind, die nicht nur mehrere Wackersteine in die Tasche gesteckt bekommen (haben), sondern im Nachgang auch noch gescholten wurden angesichts ihrer hohen Ausgaben, die „der Beitragszahler“ zu stemmen habe, so dass man dort nun aber angesichts der „Belastungsgrenze“ dringend Einsparungen vornehmen müsse.

In diesen Sommertagen des Jahres 2023 werden wir nun erneut Zeugen der Fortschreibung dieser langen und unseligen Traditionslinie. Wenn es nur ein buchungstechnisches Hin- und Herschieben von Zahlen in Exceltabellen wäre – im vorliegenden Fall aber werden junge, hilfebedürftige Menschen wie Bauernfiguren auf einem Schachbrett mit ganz handfesten Folgen hin- und hergeschoben und gleichzeitig wird es im Ergebnis zu einer grotesken Verkomplizierung von sowieso schon komplizierten Strukturen der konkreten Arbeit mit den jungen Menschen kommen, abgesehen von dem damit einhergehenden Abräumen (angeblicher) sozialstaatlicher Grundprinzipien wie „Leistungen aus einer Hand“ und wie die Slogans aus den Sonntagsreden auch immer heißen.

Um was geht es genau?

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