Das Kreuz mit den Sanktionen im Hartz IV-System und die (nicht nur verfassungsrechtlich) eigentlich offene, in der Praxis allerdings gegebene Antwort auf die Frage: Wie weit darf man gehen?

Viele, sehr viele Beiträge haben sich in diesem Blog angesammelt zum Thema Sanktionen im Hartz IV-System. Es ist ein in mehrfacher Hinsicht polarisierendes Thema. Für die einen sind die Sanktionen das scharfe Schwert eines strafenden Systems, dem es um Einschüchterung und Drangsalierung geht, um die Betroffenen auf das „richtige“ Gleis zu setzen. Zugleich kann man mit dem Damoklesschwert-Charakter der Sanktionen die vielen anderen dazu bringen, sich systemkonform zu verhalten. Auf der anderen Seite wird der bedürftigkeitsabhängige Sozialhilfe-Charakter der Grundsicherung herausgestellt und auf die unbedingten Mitwirkungspflichten der Hilfeempfänger abgestellt. Wenn man das Instrumentarium der Sanktionen nicht mehr zur Verfügung hätte, dann könnten einem die Transferleistungsbezieher auf der Nase herumtanzen.

Wir können schon an dieser holzschnittartigen Zusammenfassung erkennen, dass es hier zum einen um ganz unterschiedliche Menschenbilder geht (die sich auch in der letztendlich nie auflösbaren und höchst widersprüchlichen Dichotomie von Fördern und Fordern spiegeln), zum anderen geht es hier aber eben auch um den systemischen Aspekt, dass es sich bei Hartz IV um eine Art „nicht-bedingungsloses Grundeinkommen“ (vor allem für diejenigen, die lange Zeit in diesem System verbringen müssen) handelt, in dem man die Einhaltung der Bedingungen im Griff behalten muss.

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Alte Muster: Damit die „Hartz IV-Debatte“ nicht aus dem Ruder läuft, muss man „die“ einen gegen „die“ anderen in Stellung bringen. Und dann kann man im Windschatten etwas ganz anderes ansteuern

Am 8. April 2018 habe ich den Beitrag Die abgehobene und letztendlich verlogene Hartz IV-Debatte so begonnen: »Jetzt wird das Thema durch die Talkshows getrieben – oftmals ein guter Indikator, dass der Höhepunkt einer den Gesetzen der Erregungs- und Aufmerksamkeitsökonomie folgenden öffentlichen Debatte überschritten wurde und dass das Thema demnächst im medialen Mülleimer landet, weil bereits die nächste Sau darauf wartet, durch das Dorf hecheln zu müssen.«

Vorher aber wartet offensichtlich und wieder einmal ein anderer, inhaltlich und menschlich höchst relevanter Mülleimer. Es geht um den Versuch, die „Hartz IV“-Debatte, bei der man mit Abschaffungsvisionen gestartet ist und bei dem die „Ernsthaften“-Fraktion in der Diskussion zumindest versuchen, substanzielle Verbesserungsvorschläge in den öffentlichen Raum zu stellen (vgl. für derartige Bemühungen stellvertretend die Beiträge Was an Hartz IV wirklich abgeschafft gehört von Florian Diekmann und Ken Loach statt Alex Dobrindt von Sebastian Puschner), einerseits wieder runterzuholen, was die Aufgabe der „Rückzieher- und Abkühler“-Fraktion ist, für die stellvertretend der neu zuständige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) steht, der sich jetzt semantisch (und damit auf Zeit spielend) in die Prüfwolke zurückgezogen hat, um die anfänglich wohl reichlich visionären Äußerungen aus seiner Partei, Hartz IV könne abgeschafft werden, wieder auf den Boden der GroKo- und eigenen Agenda-Realität zu holen, also soweit zu verdünnen und die Leute hinzuhalten, dass endlich die nächste Sau zu rennen beginnt und man das Thema los werden kann. Das wird dann sekundiert durch emotionslos daherkommende Basta-Versuche des Vizekanzlers Olaf Scholz (SPD) – Scholz will Hartz IV behalten -, was dann nur noch getoppt wird von den aus seiner Sicht völlig verständlichen, aber von der Außenwirkung her verheerenden Statement der „Genervten“, für die der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil steht, der es zu so einer Headline gebracht hat: „Die Agenda-2010-Debatte langweilt mich“ (vgl. dazu die Auseinandersetzung von Tom Strohschneider in seinem Artikel Der gelangweilte Herr Klingbeil, die SPD und die Agenda-Reformen). Hier geht es letztendlich nur noch darum, das Spielfeld möglichst schnell wieder zu verlassen, weil man als SPD angesichts der gegebenen Rahmenbedingungen hier keinen Blumentopf gewinnen kann (selbst wenn man richtige Ideen für Verbesserungen hätte, weil die immer an der Unionsfront in der Regierung abprallen würden) und man so eher erneut die Frustrationen der anderen, die immer noch hoffen, ernten würde. 

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Neue Zahlen zu den Sanktionen im Hartz IV-System: Die Relativierung eines eigentlich unrelativierbaren Existenzminimums und die erneuten Vorstöße für kleine Korrekturen im System

Das Thema Sanktionen im Hartz IV-System erhitzt die Gemüter seit langem. Auch hier wurde immer wieder über die Sanktionen und die Debatte über Sinn und Unsinn dieses Instrumentariums berichtet. Immerhin geht es hier nicht um die Frage, ob jemand ein Bußgeld zahlen muss, sondern Menschen werden Leistungen gekürzt, die das soziokulturelle Existenzminimum abdecken sollen. Darunter dürfe es also eigentlich nicht weniger geben. Bei sanktionierten Hartz IV-Empfängern wird das aber vollzogen, in einigen tausend Fällen gibt es sogar eine „Vollsanktionierung“, was bedeutet, dass alle Leistungen der Jobcenter eingestellt werden (vgl. dazu den Beitrag Sanktionen und Mehrfachsanktionen gegen das Existenzminimum der Menschen in der Willkürzone und der Hinweis auf ein (eigentlich) unverfügbares Grundrecht vom 3. November 2016.

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Über das unauflösbare Dilemma zwischen Bedürftigkeit und Vermögen in einer steuerfinanzierten bedürftigkeitsabhängigen Sozialhilfe oder: Wenn Politiker mal eben die Systemfrage stellen

Grundsätzlich ist die Sache relativ einfach: Sozialhilfe bzw. Grundsicherung kann man bekommen, wenn man nichts (mehr) hat. Wenn aber Einkommen und vor allem wenn Vermögen vorhanden ist, dann muss man darauf zurückgreifen, bevor der Staat bzw. die Gemeinschaft der Steuerzahler helfend einspringen. Also erst einmal verwerten, was da ist und dann auf die Hilfe der anderen vertrauen können. Im Kern geht es um die Vorstellung und die konkrete Voraussetzung von Bedürftigkeit, die gegeben sein muss, bevor das Existenzminimum von anderer Seite gesichert werden muss.

Der Gesetzgeber hat das im SGB II so formuliert: Im § 7 Abs. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes findet man den Hinweis, dass Leistungen der Grundsicherung Personen erhalten, die „hilfebedürftig sind“. Zum Begriff der Hilfebedürftigkeit wird dann im § 9 SGB II ausgeführt:

»(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen … 5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.«

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Die abgehobene und letztendlich verlogene Hartz IV-Debatte

Jetzt wird das Thema durch die Talkshows getrieben – oftmals ein guter Indikator, dass der Höhepunkt einer den Gesetzen der Erregungs- und Aufmerksamkeitsökonomie folgenden öffentlichen Debatte überschritten wurde und dass das Thema demnächst im medialen Mülleimer landet, weil bereits die nächste Sau darauf wartet, durch das Dorf hecheln zu müssen.
Dabei gäbe es wahrlich viele Gründe, über das Thema Hartz IV zu streiten und ernsthaft über Alternativen oder wenigstens doch substanzielle Korrekturen zu streiten. Wir reden hier nicht über irgendeinen Orchideen-Bereich, sondern um den letzten Außenposten unseres Sozialstaats, von dem allerdings eine Menge Menschen betroffen und abhängig sind. Um es genau zu beziffern: 5.950.000. So viele Menschen haben im März 2018 Leistungen aus dem Grundsicherungssystem bezogen. Und schon der etwas genauere Blick auf die Zahlen wird den einen oder anderen irritieren. Von den gut sechs Millionen „Hartz IV-Beziehern“ – im Technokraten-Deutsch werden die „Regelleistungsberechtigte“ genannt – waren 4,3 Mio. (71,6 Prozent)  erwerbsfähig, davon sind 1,6 Mio. (37,5 Prozent) als arbeitslos bei einem Jobcenter gemeldet.

Irritieren wird das den einen oder anderen, weil in der öffentlichen Debatte – ob bewusst oder unbewusst – in der Regel diese Gleichung aufgemacht wird: Hartz IV-Bezieher = Arbeitslose = Langzeitarbeitslose. Die gehören auch dazu, sie sind aber noch nicht einmal die Mehrheit derjenigen, die sich unter dem weiten Dach des Grundsicherungssystems versammelt haben bzw. dort Unterschlupf suchen müssen. 

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