Das Europa der EU und die Sozialpolitik

Eigentlich hat die EU in der Sozialpolitik keine Zuständigkeit, das sollen die Mitgliedsstaaten in eigener Verantwortung nationalstaatlich machen. Aber grau ist alle Theorie und in der wirklichen Wirklichkeit hat sich schon seit langem eine zunehmend eigenständigere „EU-Sozialpolitik“ herausgebildet und das europäische Recht und vor allem die europäische Rechtsprechung über den Europäischen Gerichtshof (EuGH) üben immer intensiver Einfluss aus auf die (eigentlich) nationalstaatliche Ausgestaltung der Sozialpolitik.

Gerade die vergangenen Jahre haben immer öfter zeigen können, dass die Bedeutung der europäischen Ebene – und damit des Europäischen Parlaments – in vielen sozialpolitisch relevanten Handlungsfeldern zugenommen hat. Auch wenn die Befugnisse und die konkreten Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments im komplizierten Zusammenspiel mit Kommission sowie dem Rat der Europäischen Union (noch?) begrenzt bis verbaut sind, können aus dem Parlament sozialpolitisch förderliche oder eben auch hemmende Impulse gesetzt werden. Von daher ist die EU-Ebene nicht nur vor dem Hintergrund der Wahlen zum Europäischen Parlament von einer (wichtiger werdenden) sozialpolitischen Bedeutung.

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Wenigstens den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Plattform-Dach? Die (verwässerte) EU-Richtlinie über Plattform-Arbeit kommt – auch gegen die FDP-Blockade aus Deutschland

»Die EU-Kommission will über digitale Plattformen Beschäftigte sozial absichern und Arbeitsbedingungen verbessern. Der richtige Ansatz lässt für die Praxis noch viele Fragen offen«, so Tatjana Ellerbrock in ihrem Beitrag EU-Kom­mis­sion will Platt­form­ar­beit regu­lieren, der im Januar 2022 veröffentlicht wurde. »Mit ihrem am 9. Dezember 2021 veröffentlichten Richtlinienvorschlag will die EU-Kommission durch das Setzen von europäischen Mindeststandards die Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten verbessern. Denn für die Bestimmung des arbeitsrechtlichen Status von Plattformarbeitenden hält das geltende Recht bisher keine klare Antwort bereit. Diskussionsthema ist insbesondere die Frage, ob diese Personen Arbeitnehmende oder Selbstständige sind.«Nach deutschem Recht, konkret § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), ist Arbeitnehmer, wer weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit erbringt. Nach dieser allgemeinen Definition ist eine Einordnung jedoch nicht immer unproblematisch, da Abgrenzungskriterien fehlen.

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Bessere Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie – eine mögliche Regelung auf der europäischen Ebene „von Deutschland“ blockiert?

Die Bundesregierung besteht bekanntlich aus drei Parteien, die sich in einer „Ampel-Koalition“ zusammengeschlossen haben: SPD, Grüne – und FDP. Während sich Sozialdemokraten und Grüne in vielen gerade sozialpolitisch relevanten Fragen durchaus nahe stehen, vertritt die FDP oftmals davon abweichende Positionen und die Liberalen tun sich erkennbar schwer mit so manchem Vorhaben der beiden anderen Partner. Das reicht dann bis hin zu einer versuchten Positionierung der FDP-Politik als Gegengewicht zu den beiden „linken“ Parteien im eigenen Regierungsbündnis, wie das der FDP-Chef, der amtierende Bundesfinanzminister Christian Lindner, auch öffentlich vorträgt.

Eine solche Vorbemerkung erscheint wichtig, um solche viele erst einmal irritierende Meldungen einordnen zu können: »Verhandlungen in der Europäischen Union über bessere Arbeitsbedingungen von Beschäftigten bei Onlineplattformen wie Lieferando, Uber oder Gorillas sind vorerst gescheitert. Offenbar konnte sich die Bundesregierung nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Hätte Berlin dem Vorhaben zugestimmt, hätte es nach Informationen von EU-Diplomaten eine ausreichende Mehrheit dafür gegeben«, kann man diesem Bericht entnehmen: EU-Regeln für Dienste wie Lieferando: Bessere Arbeitsbedingungen blockiert. Und direkt unter der Überschrift werden wir darüber informiert: »Alle EU-Staaten waren bereit – nur die Bundesregierung wegen des FDP-Widerstands nicht: Die Verhandlungen über bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte von Onlineplattformen sind gescheitert – zumindest vorerst.« Was ist da los?

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Das EU-Parlament hat „sozialpolitische Geschichte in Europa“ geschrieben: Eine neue Richtlinie zu „angemessenen“ Mindestlöhnen und zur Tarifbindung

Das Europaparlament und der Ministerrat, das Gremium der Mitgliedstaaten, haben sich auf eine (umstrittene) EU-Richtlinie zu Mindestlöhnen und Tarifbindung geeinigt. »Der CDU-Abgeordnete Dennis Radtke, einer von zwei Verhandlungsführern des Parlaments, sagte in Straßburg, damit „schreiben wir sozialpolitische Geschichte in Europa“«, so Björn Finke in seinem Artikel Brüssel will Gewerkschaften in Deutschland stärken – und anderswo. Die überschwänglich daherkommende Einordnung der neuen Richtlinie durch den Abgeordneten Dennis Radtke muss richtig verstanden werden vor dem Hintergrund, dass – eigentlich – die europäische Ebene wenig Befugnisse in der Sozialpolitik hat. Normalerweise reklamieren die Mitgliedsstaaten dieses Politikfeld für sich und verweigern sich einer wie auch immer gearteten europäischen Regulierung. Und wenn die EU-Ebene dann mal tätig wird, dann gibt es viele Blockierer und man muss mit langen Zeiträumen rechnen (generell dazu die Beiträge zur EU-Sozialpolitik, die in den vergangenen Jahren in diesem Blog veröffentlicht wurden).

Den Entwurf für die neue Richtlinie hat die EU-Kommission bereits im Herbst 2020 vorgelegt. Und in der Zwischenzeit gab es eine Menge Querschüsse aus einzelnen Mitgliedsstaaten, von den üblichen Blockade- und Verwässerungsaktionen der Lobbyisten abgesehen. Und noch sind die lange Zeit nassen Tücher auch noch nicht wirklich trocken, denn die Arbeits- und Sozialminister der Mitgliedstaaten müssen dem gefundenen Kompromiss bei einem Treffen in Luxemburg noch zustimmen.

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Sozialdumping durch den Import von Leiharbeitern aus anderen EU-Ländern: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bremst darauf spezialisierte Geschäftsmodelle aus

Wieder einmal erreicht uns eine sozialpolitisch bedeutsame Entscheidung aus dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Diesmal geht es um Leiharbeiter, die in ein anderes Mitgliedsland der EU entsandt werden und die dort weiter den Sozialrechtsvorschriften ihres Herkunftslandes unterliegen, was gerade bei osteuropäischen Staaten bedeutet, dass man in erheblichen Umfang Sozialabgaben sparen kann, wenn die Arbeitnehmer beispielsweise in Deutschland eingesetzt werden. Dann sind solche entsandte Leiharbeiter deutlich günstiger zu haben als die einheimischen Kräfte.

Und noch Anfang Januar dieses Jahres wurde von gewerkschaftlicher Seite in einer Erklärung die Befürchtung vorgetragen, dass eine anstehende Entscheidung des EuGH zu einer massiven Schwächung des Sozialschutzes entsandter Arbeitnehmer innerhalb der EU führen könnte. Die Befürchtung der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU): »Leiharbeitsunternehmen könnten sich in dem EU-Mitgliedsstaat mit den niedrigsten Sozialrechtsvorschriften alleine mit dem Ziel niederlassen, Beschäftigte zu entleihen und die geltenden Sozialrechtsvorschriften im Zielland zu umgehen. Dies wäre ein Konjunkturprogramm für Briefkastenfirmen und windige Personalvermittler.«

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