Das gespaltene Europa und die nicht nur, aber auch sozialpolitischen Herausforderungen

Die Wahlen zum europäischen Parlament sind gelaufen und nunmehr beginnt der Reigen der Analysen und Kommentierungen zu einzelnen Aspekten der Wahlergebnisse aus den einzelnen Ländern der EU. Die wichtigsten Befunde aus dem Artikel Gerupfte Volksparteien, grüne Gewinner:

➔ Die großen Verlierer der Wahl sind Christ- und Sozialdemokraten. Laut der ersten Sitzverteilungsprognose des Europaparlaments büßen sowohl die Europäische Volkspartei (EVP) als auch die Sozialisten und Demokraten (S&D) jeweils rund 20 Prozent ihrer Mandate ein. Für die EVP geht es von 216 auf 173 abwärts, für die S&D von 185 auf 147. Die Christ- und die Sozialdemokraten können damit erstmals nicht mehr zusammen auf eine Mehrheit aller Sitze im EU-Parlament kommen. Drittstärkste Kraft wird laut den Berechnungen des Parlaments das neue Bündnis aus Liberalen und der En-Marche-Bewegung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit 102 Sitzen.

➔ Die großen Wahlsieger sind die Grünen. In Deutschland haben sie mit über 20 Prozent das Ergebnis der letzten Europawahl von 2014 fast verdoppelt. Und auch in der restlichen EU sind die Grünen stark; im Europaparlament wird die Zahl ihrer Sitze voraussichtlich von 52 auf 71 steigen.

➔ Der Großteil Europas atmet auf, zumindest ein bisschen: Der ganz große rechtspopulistische Erdrutsch ist ausgeblieben. Die Pro-EU-Parteien halten gemeinsam weiterhin eine überwältigende Mehrheit im Europaparlament. Allerdings hat Marine Le Pen es geschafft, den Rassemblement National – der früher Front National hieß – in Frankreich zur stärksten Kraft zu machen – noch vor Präsident Macron und seiner En-Marche-Bewegung. Auch in Italien wird mit einem klaren Wahlsieg der rechten Lega von Innenminister Matteo Salvini gerechnet. Die von ihm angeführte geplante neue Fraktion namens „Europäische Allianz der Völker und Nationen“ könnte im nächsten EU-Parlament die Grünen überflügeln und vierstärkste Kraft werden.

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Kindergeld hier, Familienbeihilfe dort – und viele möchten „indexieren“. Also weniger Geld für die Kinder, die vor allem in Osteuropa leben. Die EU-Kommission will das verhindern

Ein kurzer Blick zurück in den Sommer 2018. Da war es für einen Moment mal wieder als Aufreger-Thema in den deutschen Medien. Das Kindergeld. Also nicht das Kindergeld generell, sondern das Geld, das ins EU-Ausland überwiesen wird. Wenn also ein polnischer Arbeitnehmer hier arbeitet und seine zwei Kinder sind in Polen geblieben, dann bekommt er das Kindergeld für die beiden nach Polen überwiesen. Das machen beispielsweise die vielen Pendelmigratinnen aus osteuropäischen EU-Staaten, die hier bei uns für zwei oder drei Monate im Wechselmodell in der sogenannten „24-Stunden-Pflege“ in einem der vielen deutschen Haushalte arbeiten. Aber um solche Details ging und geht es gar nicht, sondern um Stimmungsmache.

Allein 2017 wurden 343 Millionen Euro an Kindergeld auf Konten im Ausland überwiesen. Wahnsinn, so viel Geld, werden viele denken – und es wird immer „schlimmer“, weil mehr. Dass das „mehr“ allein dadurch erklärbar ist, dass gleichzeitig auch die Zahl der hier arbeitenden EU-Ausländer vor allem aus Osteuropa stark angestiegen ist. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus Osteuropa stieg von 2015 bis 2017 um 295.000 auf knapp 1,2 Millionen. Und auch der nüchterne Blick auf andere nackte Zahlen konnte vor ein paar Monate viele nicht erreichen: Ende 2017 gab es insgesamt 14,97 Mio. Kinder, für die Kindergeld gezahlt wurde. Von diesen gut 15 Mio. Kindern lebten 243.234 im Ausland – das sind 1,6 Prozent der Kinder im Kindergeldbezug. Bei den Ausgaben stellen sich die Relationen so dar: 2017 wurden insgesamt 35,9 Mrd. Euro für das Kindergeld ausgegeben. 343 Mio. Euro davon wurden auf Konten im Ausland überwiesen. Das waren 1 Prozent der Gesamtausgaben.

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Das „Nomadentum“ der Lkw-Fahrer auf den europäischen Straßen wird endlich beendet. Wirklich?

Keine Frage – wenn man die vielen teilweise abgrundtief beunruhigenden Berichte auch in diesem Blog über die Situation vieler Lkw-Fahrer auf den europäischen Straßen Revue passieren lässt, dann freut man sich zutiefst über jede Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Lebenslagen der Betroffenen. Und Grund dazu kann man haben, wenn solche Schlagzeilen die Berichterstattung bestimmen: EU will „Nomadentum“ der Lkw-Fahrer beenden. Dort erfahren wir: »Wenn es nach dem Willen der EU-Staaten geht, sollen Lkw-Chauffeure nicht mehr in ihren Fahrerkabinen schlafen dürfen und in Zukunft das Recht haben, alle drei bis vier Wochen heimzukommen. Darauf hat sich der Verkehrsministerrat nach Marathonverhandlungen in der Nacht auf Dienstag geeinigt. Die EU will damit das derzeit bestehende „Nomadentum“ von Lkw-Fahrern – wochenlange Touren ohne feste Unterkünfte – beenden. Damit das Paket in Kraft tritt, muss das EU-Parlament noch zustimmen.« Man muss an dieser Stelle aufrufen, dass wir hier über zwei Millionen Lkw-Fahrer sprechen, viele von ihnen kommen aus osteuropäischen EU-Staaten, deren Speditionen sich als Niedrigpreismodell etabliert haben und die erhebliche Einnahmen generieren, was auch den Widerstand gerade der osteuropäischen EU-Mitglieder gegen die Regulierungsversuche auf der EU-Ebene erklärt.

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