Einiges soll, nichts muss. Der EU-Sozialgipfel von Porto 2021, die „Europäische Säule sozialer Rechte“ und die fundamentalen Probleme der Europäischen Union

»Zwischen Göteborg und Porto liegen 2500 Kilometer – oder dreieinhalb Jahre. Im November 2017 hatte sich die EU in Schweden erstmals auf grundlegende gemeinsame soziale Standards geeinigt: angemessene Mindestlöhne, die Gleichbehandlung von Frauen und Männern, das Recht auf lebenslange Weiterbildung, eine gute Gesundheitsversorgung«, so Jakob Mayr in seinem wenigstens mit einem Fragezeichen im Titel versehenen Bericht Wie sozial darf’s denn sein? »In Göteborg vereinbarten die Staats- und Regierungschefs eine „europäische Säule sozialer Rechte“. In der portugiesischen Küstenstadt Porto diskutieren sie jetzt, ob diese Säule wirklich trägt – mit Blick auf die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie, die die Sozialsysteme einiger EU-Mitgliedsstaaten überfordert hat.«

Und offensichtlich scheint es nicht nur bei Diskussionen geblieben zu sein, folgt man solchen Meldungen: EU-Staaten verpflichten sich auf konkrete Sozialziele: »Eine hohe Beschäftigungsquote, Fortbildungsgarantie und der gezielte Kampf gegen die Armut: Die EU will die soziale Lage in Europa bis 2030 spürbar verbessern.« Das sind bedeutsame Ziele. Was genau hat man denn nun vereinbart? »In einer Erklärung verpflichteten sich die Teilnehmenden des Sozialgipfels auf konkrete Ziele, um die soziale Lage bis 2030 spürbar zu verbessern. So soll bis zum Ende des Jahrzehnts eine Beschäftigungsquote von mindestens 78 Prozent in der EU erreicht werden. Mindestens 60 Prozent der Erwachsenen sollen jährlich Fortbildungskurse belegen und die Zahl der Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, soll um mindestens 15 Millionen reduziert werden.« Zur Einordnung der letzten Zahl: Aktuell sind nach Angaben des Europäischen Statistikamtes Eurostat rund 91 Millionen Menschen in den 27 EU-Ländern von Armut oder sozialem Ausschluss bedroht.

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EU-Entsenderichtlinie: Etwas weniger Lohndumping – und die weiterhin offene Flanke Sozialdumping im Baubereich. Da setzt ein slowenisches Geschäftsmodell an, das über Brüssel gestoppt werden soll

„Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Auf diese einprägsame und für alle verständliche Formel versucht die EU-Kommission die nach langem Ringen reformierte EU-Entsenderichtlinie zu verkaufen. Die wurde im vergangenen Jahr verabschiedet (vgl. dazu beispielsweise EU-Parlament verabschiedet neue Vorschriften gegen Lohndumping) und muss nun in das jeweilige nationale Recht der Mitgliedstaaten der EU umgesetzt werden. Dafür haben die bis spätestens Mitte 2020 Zeit. Und das betrifft bekanntlich nicht nur einige wenige Arbeitnehmer. Mehr als 2,3 Millionen entsandte Kräfte arbeiten nach offiziellen Angaben in einem anderen EU-Land, über 440.000 in Deutschland. Viele werkeln auf dem Bau, bei Speditionen, in Gaststätten oder in der Pflege.

»Auf deutschen Baustellen geht es mittlerweile international zu. Bauunternehmer engagieren jeden zehnten Arbeiter im Ausland, meist stammen sie aus Osteuropa. Es sind größtenteils Unternehmen aus Österreich, Polen und Rumänien, die die Arbeiter in Deutschland anbieten – ein lukratives Geschäft, denn hierzulande ist in den vergangenen Jahren die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften kräftig gestiegen. Zum einen, weil die Auftragsbücher gut gefüllt sind, es vielen Betrieben aber an den nötigen Fachkräften fehlt. Zum anderen sind die ausländischen Firmen günstig. Nicht selten geht das zulasten der Arbeiter, die oft niedrigere Löhne erhalten als ihre heimischen Kollegen. Und auch bei den Sozialversicherungsbeiträgen versuchen jene Unternehmen immer wieder, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.« So beginnt der Beitrag Tricks auf dem Bau von Simon Groß. Und der berichtet von einem ganz besonderen Geschäftsmodell aus Slowenien, um den angesprochenen Wettbewerbsvorteil bei den Sozialversicherungsbeiträgen zu vergrößern.

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Das gespaltene Europa und die nicht nur, aber auch sozialpolitischen Herausforderungen

Die Wahlen zum europäischen Parlament sind gelaufen und nunmehr beginnt der Reigen der Analysen und Kommentierungen zu einzelnen Aspekten der Wahlergebnisse aus den einzelnen Ländern der EU. Die wichtigsten Befunde aus dem Artikel Gerupfte Volksparteien, grüne Gewinner:

➔ Die großen Verlierer der Wahl sind Christ- und Sozialdemokraten. Laut der ersten Sitzverteilungsprognose des Europaparlaments büßen sowohl die Europäische Volkspartei (EVP) als auch die Sozialisten und Demokraten (S&D) jeweils rund 20 Prozent ihrer Mandate ein. Für die EVP geht es von 216 auf 173 abwärts, für die S&D von 185 auf 147. Die Christ- und die Sozialdemokraten können damit erstmals nicht mehr zusammen auf eine Mehrheit aller Sitze im EU-Parlament kommen. Drittstärkste Kraft wird laut den Berechnungen des Parlaments das neue Bündnis aus Liberalen und der En-Marche-Bewegung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit 102 Sitzen.

➔ Die großen Wahlsieger sind die Grünen. In Deutschland haben sie mit über 20 Prozent das Ergebnis der letzten Europawahl von 2014 fast verdoppelt. Und auch in der restlichen EU sind die Grünen stark; im Europaparlament wird die Zahl ihrer Sitze voraussichtlich von 52 auf 71 steigen.

➔ Der Großteil Europas atmet auf, zumindest ein bisschen: Der ganz große rechtspopulistische Erdrutsch ist ausgeblieben. Die Pro-EU-Parteien halten gemeinsam weiterhin eine überwältigende Mehrheit im Europaparlament. Allerdings hat Marine Le Pen es geschafft, den Rassemblement National – der früher Front National hieß – in Frankreich zur stärksten Kraft zu machen – noch vor Präsident Macron und seiner En-Marche-Bewegung. Auch in Italien wird mit einem klaren Wahlsieg der rechten Lega von Innenminister Matteo Salvini gerechnet. Die von ihm angeführte geplante neue Fraktion namens „Europäische Allianz der Völker und Nationen“ könnte im nächsten EU-Parlament die Grünen überflügeln und vierstärkste Kraft werden.

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