Sterbehilfe: Eine normativ höchst anspruchsvolle Debatte über die (Un-)Möglichkeit des „freien Sterbens“ – oder doch nur auf der Rutschbahn in ein Geschäftsmodell mit outgesourcten „Suizidhelfern“?

»Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.«

Mit diesen Worten hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 eine dieser wegweisenden Entscheidungen gefällt, die wie ein Fallbeil wirken. Es handelt sich um den Anfang der Mitteilung des hohen Gerichts, die unter der unmissverständlichen Überschrift Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig gesetzt wurde. Wer die Entscheidung des Gerichts im Original und damit in aller Ausführlichkeit nachlesen will, der kann das hier machen: BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15

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Neben den Gleisen. Seit 1894. Bahnhofsmissionen als letzter Halt in einer mobilen Welt

Die einen lieben es, auf Bahnhöfen zu sein, den Strom der vielen Menschen zu beobachten und die Atmosphäre des Ankommens und Wegfahrens zu genießen. Viele andere haben eine rein funktionale Beziehung zu Bahnhöfen, sie wollen irgendwo hin und Gefühle entwickeln sich bei ihnen meistens nur dann, wenn etwas nicht funktioniert. Verspätungen, Zugausfälle, fehlende Sitzplatzreservierungen. Was ziemlich häufig der Fall ist.

Zugleich gibt es gerade an diesen Orten unserer Bewegungsgesellschaft eine eigene Welt des scheinbaren Stillstandes, des völligen Gegensatzes zu den mobilen Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes auf der Durchreise sind. Gemeint sind die Menschen, die den öffentlichen Raum Bahnhof als Ort des Daseins, des Bleibens benutzen, obdachlose Menschen, Suchtkranke und die vielen anderen Einzelschicksale aus der großen Gruppen derjenigen, die man ansonsten kaum oder gar nicht zu Gesicht bekommt.

Und für viele von Ihnen gibt es in zahlreichen Bahnhöfen (noch) ein letztes Auffangnetz, das die meisten von uns kennen: Bahnhofsmissionen. Und die haben eine lange, eine sehr lange Geschichte. Genauer: Sie blicken zurück auf 125 Jahre. Denn 1894 wurde die erste Bahnhofsmission am Schlesischen Bahnhof, dem heutigen Berliner Ostbahnhof, ins Leben gerufen.

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BAG-BVerfG-EuGH-Blues: Katholisch-weltliches Ping-Pong eines wiederverheirateten Chefarztes im Orbit der höchsten Gerichte über mehr als zehn lange Jahre

Die katholische Kirche hat wieder einmal die medialen Aufmerksamkeit. Diesmal ist zwar kein weißer Rauch aus dem Vatikan aufgestiegen, so dass man das machen kann, was viele Medien so gerne tun: personalisierte Berichterstattung. Wer ist der neuen Papst? Was hat er an, wenn er auf den Balkon tritt? Welchen Namen hat er sich selbst gegeben? Nein, der derzeitige Papst ist noch da, aber er hatte in den Vatikan geladen und nicht wenige Gläubige hatten inständig gehofft, dass auch diesmal irgendwie weißer Rauch emporsteigen würde, um eines der weiteren dunklen Kapitel in der Geschichte dieser so langlebigen Organisation endlich auszuleuchten. Es geht um den „Anti-Missbrauchsgipfel“. Vier Tage lang wurde im Vatikan über das Thema Missbrauch diskutiert. Was sagen die deutschen Bischöfe und Theologen dazu? Die einen finden die Ergebnisse „sehr klar“, die anderen fürchten, dass die Kirche „mit Karacho an die Wand fährt“, so der Bericht Anti-Missbrauchsgipfel: Das sagen Deutschlands Bischöfe und Theologen. Und der eine oder andere wird sich daran erinnern, dass die Deutsche Bischofskonferenz sogar einen eigenen „Missbrauchsbeauftragten“ hat, in Gestalt des Trierer Bischofs Stephan Ackermann.

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Das Kreuz mit dem richtigen Kreuz bei Nicht-Einstellungen durch kirchlich gebundene Arbeitgeber

Ach, die kirchlichen Arbeitgeber in Deutschland und ihre Extra-Würste, die man ihnen in einem zentralen Bereich des gesellschaftlichen Zusammenlebens zugesteht – im Arbeitsrecht. Das regelt bekanntlich wesentliche Aspekte des Zusammenspiels und des Konflikts zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und die arbeitsrechtlichen Vorschriften gelten für alle. Also eigentlich, denn die konfessionell gebundenen Arbeitgebern dürfen in einem nur ihnen zugestandenen Sondersystem operieren, in dem wichtige Regeln des „normalen“ Arbeitsrechts so nicht gelten. Das produziert dann immer wieder mal Schlagzeilen, wenn für die interessierten Beobachter der Szenerie mehr als merkwürdig daherkommende Entscheidungen in den Fokus der öffentlichen Berichterstattung geraten, beispielsweise die Entlassung einer Erzieherin, die in einem katholischen Kindergarten gearbeitet hat, weil sie geschieden ist und nun das eigentlich völlig „unmoralische“ Zusammenleben mit einem neuen Partner durch eine neue Eheschließung gleichsam aufwerten will, was dann zu einem „öffentlichen Ärgernis“ in der kirchlichen Selbstwahrnehmungswelt wird und den Rausschmiss auslöst. Die Falltür mit der Wiederheirat kann auch für einen Chefarzt eines katholischen Krankenhauses zum jobmäßigen Genickbruch führen – während in vielen anderen katholischen Kliniken die heftigsten Lebensformen ohne Probleme praktizierbar sind (weil die kirchlichen Arbeitgebern ansonsten keine lebenden Ersatz mehr finden würden). Vgl. dazu beispielsweise diesen Beitrag vom 29. Juli 2016: Zweifel an der – willkürlichen – Trennung zwischen unter dem Kreuz arbeitenden und normalen Menschen führen zu einem Ping-Pong-Spiel zwischen ganz oben und noch höher. Man erkennt bereits an diesen wenigen Hinweisen, dass wir uns auf höchst schwankendem Grund bewegen (müssen).

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Kein Job ohne Konfession? Darüber muss der EuGH entscheiden. In kirchlich gebundenen Unternehmen ist das ein echtes Problem

Es ist eine dieser niemals ein Ende findenden Geschichten: Die aus dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in Deutschland abgeleiteten Sonderrechte der Kirchen wie auch der Unternehmen, die sich in kirchlicher Trägerschaft befinden, beispielsweise im Arbeitsrecht, dessen Bestimmungen eben nicht für alle Arbeitnehmer Anwendung finden. Ers vor kurzem wurde dies wieder an die Oberfläche der öffentlichen Aufmerksamkeit gezogen aufgrund des ersten Streikversuchs in einem Krankenhaus, das sich in katholischer Trägerschaft befindet (vgl. hierzu den Beitrag Ein Streik unter dem Kreuz? Die einen sagen, das geht gar nicht, die anderen probieren es und viele reiben sich verwundert die Augen vom 11. Oktober 2017).

Vor dem Hintergrund, dass die konfessionell gebundenen Unternehmen in Deutschland aufgrund ihrer Noch-Stärke im Bereich der Gesundheits- und Sozialwirtschaft nicht nur ein paar Menschen beschäftigen, sondern weit über eine Million Arbeitnehmer, kreisen die Auseinandersetzungen über die Anwendbarkeit der kirchlichen Sonderrechte naturgemäß oft um die Frage, was man einem Beschäftigten in solchen Unternehmen abverlangen kann. Die Konflikthaftigkeit wird dadurch befördert, dass man hier in der Regel über Unternehmen spricht, die nicht etwa aus Kirchenmitteln finanziert werden, sondern aus Steuer- und Beitragsmitteln, beispielsweise bei Krankenhäusern oder Pflegeheimen, also aus öffentlichen Mittel, nicht selten zu 100 Prozent. Und die, wenn sie sich in anderer Trägerschaft befinden, selbstverständlich an die ansonsten geltenden Bestimmungen des Arbeitsrechts oder des Antidiskriminierungsrechts zu halten haben, ob ihnen das gefällt oder nicht.

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