Was für ein unheiliges Desaster: Die katholische Caritas blockiert den Weg zu einem allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag für die Altenpflege, die Verbände der privatgewerblichen Arbeitgeber freuen sich und die Pflegekräfte ganz unten bleiben unten

Am 1. Juli 2018 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Die einen wollen Tariflöhne in der Altenpflege, die anderen die Arbeitgeber genau davor bewahren. Der Weg wird kein einfacher sein. Darin und in Folgebeiträgen (beispielsweise am 19. Januar 2019: Ein flächendeckender Tarifvertrag für die stationäre und ambulante Altenpflege? Es ist und bleibt kompliziert) wurde beschrieben, wie schwierig die Umsetzung der lobenswerten Absicht sein wird, in der Altenpflege zu einem für alle Beschäftigten geltenden Tarifvertrag zu kommen. Das Feld der stationären und ambulanten Pflege ist tarifpolitisch besonders vermint, hier stehen sich im Grunde zwei Blöcke gegenüber, die gemeinnützigen Anbieter (mit einem besonderen Schwergewicht bei den katholischen und evangelischen Trägern) sowie die privatgewerblichen Anbieter (kommunale Träger sind nur noch in Spurenelementen) vorhanden. Fast die Hälfte der immer im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stehenden Altenheime sind schon in privatgewerblicher Hand, bei den ambulanten Pflegediensten sind es zwei Drittel. Und mit Blick auf diese Seite des „Marktes“ müssen wir eine quasi tariffreie Zone konstatieren (die übrigens auf der Seite der Beschäftigten durch einen desaströs niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrad komplettiert wird). Hinzu kommt, dass auf der Seite der gemeinnützigen Anbieter die beiden konfessionell gebundenen Schwergewichte, vertreten durch Caritas und Diakonie, in einer Sonderwelt leben dürfen, dem sogenannten „Dritten Weg“. Danach werden den Beschäftigten in konfessionell gebundenen Einrichtungen und Diensten elementare Arbeitnehmerrechte vorenthalten (beispielsweise das Streikrecht) und die Kirchen dürfen ihre Angelegenheiten weitgehend selbst und auch unter Ausschluss von Gewerkschaften regeln, selbst in den vielen Bereichen des Gesundheits- und Sozialwesens, die zu 100 Prozent aus Steuer- und Beitragsmitteln finanziert werden.

Man muss jetzt an dieser Stelle an den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Jahr 2018 erinnern, denn dort hatte man sich damals dieses hehre Ziel gesetzt:

»Wir wollen die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken. Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen wir dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen. Wir wollen angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen in der Altenpflege. Dafür schaffen wir die gesetzlichen Voraussetzungen.«

Das liest sich wie so oft einfacher, als es dann in der wirklichen Wirklichkeit umzusetzen ist. Der „normale“ Weg einer Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) über den § 5 TVG (Tarifvertragsgesetz) ist im Fall der Altenpflege blockiert. Die offensichtliche Wirkungslosigkeit der Möglichkeit der „klassischen“ Allgemeinverbindlicherklärung liegt im Satz 1 des § 5 Absatz 1 TVG verborgen: »Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss (Tarifausschuss) auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien für allgemeinverbindlich erklären.« „Einvernehmen“ ist das hier entscheidende Stichwort. Anders ausgedrückt: hier findet man das Veto-Recht der Arbeitgeber im bestehenden System, denn ohne deren Zustimmung läuft gar nichts. Die können sich jedem Antrag verweigern. Außerdem muss es sich um einen „gemeinsamen Antrag“ der Tarifvertragsparteien handeln.

Es bleibt als eine Art „Umgehungsstrategie“ der Weg über das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG). Eine Rechtsverordnung auf Basis des Entsendegesetzes wäre in der Tat eine Alternative zum Weg über das Tarifvertragsgesetz. Der Vorteil aus Sicht der Gewerkschaft: Das Arbeitsministerium könnte die Allgemeinverbindlicherklärung auch gegen den Willen der Arbeitgeber durchsetzen. Bereits frühzeitig wurde auch hier darauf hingewiesen, dass das eine ziemlich „wackelige“ Konstruktion darstellt, die man das als Ausweichstrategie ins Auge gefasst hat, denn: Mit diesem Gesetz sollten in bestimmten Branchen Mindeststandards für Arbeitsbedingungen festgelegt werden können, die dann auch für Arbeitnehmer gelten, die von im Ausland ansässigen Arbeitgebern zur grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen, insbesondere im Bauhaupt- und Baunebengewerbe, nach Deutschland entsandt werden. Das Gesetz war ursprünglich ein rein protektionistisches Gesetz, das deutsche Bauunternehmer und Bauarbeiter vor ausländischer Billigkonkurrenz schützen sollte.

Wie dem auch sei: Der Rückgriff auf das AEntG – das ursprünglich eine andere Intention hatte und hat als die AVE eines ganzen Tarifvertrages zu ermöglichen – wäre mit einigen juristischen Verrenkungen vielleicht möglich. Aber spätestens dann stellt sich die bereits erwähnte Frage: Welcher Tarifvertrag denn? Es gibt schlichtweg keinen halbwegs relevanten Tarifvertrag in diesem tariffreien Gelände (und zugleich aufgrund des „dritten Weges“: In den kirchlich gebundenen Einrichtungen und Diensten gibt es zwar Arbeitvertragsrichtlinien, aber eben keine klassischen Tarifverträge, die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt werden).

Also haben sich einige auf den Weg gemacht, dieses Problem „aus der Welt zu schaffen“, in dem auf der gemeinnützigen Seite extra ein eigener Arbeitgeberverband ins Leben gerufen wurde (der BVAP – Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche), der dann mit der Gewerkschaft ver.di Tarifverhandlungen geführt hat für die Altenpflege. Mit dem Ziel, ein Tarifwerk zu schaffen, dass dann seitens des Bundesarbeitsministeriums bzw. der Bundesregierung genutzt werden kann für eine Allgemeinverbindlicherklärung auch gegen den Widerstand der in zwei Arbeitgeberverbänden zusammengeschlossenen privatgewerblichen Anbieter (zum einen der bpa Arbeitgeberverband und zum anderen der AGVP – Arbeitgeberverband Pflege). Die hatten im Vorfeld bereits massiven Widerstand angekündigt, u.a. wollten sie gegen den Versuch einer offensichtlich erwarteten Allgemeinverbindlichkeit klagen, nachdem im Januar bekannt wurde, dass sich der BVAP mit ver.di über einen Tarifvertrag verständigt hatte (vgl. dazu: »Der Streit um einen Lohnpakt für die Altenpflege spitzt sich zu: Der Arbeitgeberverband Pflege will die Gewerkschaft Verdi vor Gericht für „tarifunfähig“ erklären lassen«, so ein Artikel in der FAZ vom 1. Februar 2020: Pflege-Arbeitgeber verklagen Verdi. Der Gewerkschaft fehle es an Tariffähigkeit in der Altenpflege, da sie „keine Durchsetzungskraft in der Branche für sich in Anspruch nehmen kann“, so der Entwurf eines Antrags an das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Besonders interessant ist die Pressemitteilung des Arbeitgeberverbandes mit Klageabsicht, denn die ist so überschrieben: Arbeitgeberverband Pflege klagt mit Unterstützung der Evangelischen Heimstiftung auf Nichtigkeitsfeststellung des Tarifvertrags ver.di/ BVAP. Da wird sich der eine oder andere die Augen gerieben haben: Mit Unterstützung der Evangelischen Heimstiftung, einem der ganz großen kirchlichen Träger in Baden-Württemberg? Einem diakonischen Unternehmen bzw. besser: Konzern? Moment mal, die beiden kirchlichen Trägerverbände, also Caritas und Diakonie, müssen doch dem Vorstoß hin zu einem Tarifvertrag in der Altenpflege, der dann allgemeinverbindlich erklärt wird, vorher ihren Segen geben?

Die privaten Betreiber von Pflegeheimen und Pflegediensten schießen aus vollen Rohren gegen die Möglichkeit, mit einem allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag konfrontiert zu werden

Die Klageankündigung des AGVP nach der Verabschiedung eines Tarifwerks für die Altenpflege zwischen dem BVAP und ver.di war nicht die erste Drohkulisse, die aufgebaut wurde. Bereits am 30. März 2019 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Viele haben die Absicht, Tarifverträge in der Altenpflege allgemeinverbindlich zu erklären (wenn es welche geben würde)? Feuer frei von Seiten der privaten Arbeitgeber. Der Aufbau einer Drohkulisse läuft üblicherweise so, dass man den politisch Verantwortlichen mit Klagen gegen eine geplante Maßnahme droht und diese Drohung mit einer bezahlten Auftragsstudie zu untermauern versucht. Damals ging es um den zweiten Arbeitgeberverband der privaten Pflege-Anbieter, der bpa Arbeitgeberverband. Der hatte sich ein Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen in der Pflege erstellen lassen. Mit dem nicht überraschenden Ergebnis: „Die Instrumente der Allgemeinverbindlichkeitserklärung und die Erstreckung von Tarifverträgen sind ungeeignet und zur Erreichung sozial- und gesundheitspolitisch erstrebter Ziele verfassungswidrig“, so auftragsgemäß Gutachter Udo Di Fabio, ehemaliger Richter am Bundes­verfassungsgericht (BVerfG), vor der Presse. Es wäre jetzt natürlich schön, wenn man erfahren dürfte, wie der Auftragsgutachtenersteller Di Fabio zu diesem ex cathedra verkündeten Befund kommt, dass das alles verfassungswidrig sei. Ansonsten wäre man ja auf den reinen Glauben an die Verkündigungsqualität eines Ex-Verfassungsrichters zurückgeworfen. Meine damaligen Ausführungen am Ende des Beitrags seien hier noch einmal dokumentiert: »Nun müsste man die wenigen Hinweise, die gegeben werden, in dem Gutachten überprüfen, denn nur dann kann man die Substanz(losigkeit) ermitteln. Dieser korrekte Weg wird einem aber versperrt, denn: Das Gutachten will der bpa Arbeitgeberverband allerdings bis zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu der geplanten gesetzlichen Vorlage unter Verschluss halten. Ach ja.« Wie praktisch für die Auftraggeber, denen es offensichtlich nur darum ging, eine Überschrift in den Medien zu platzieren und Kritiker am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen.

Nun gibt es seit Januar 2021 tatsächlich eine Einigung zwischen dem BVAP und ver.di (vgl. dazu Eckpunkte zum Tarifvertrag für die Altenpflege Stand. 25.01.2021). Und nunmehr wäre es an der Zeit, dass die beiden Arbeitgeberverbände der privatgewerblichen Pflege-Anbieter die Karten auf den Tisch legen und – das ist ihr gutes Recht – vor die Gerichte ziehen, um eine mögliche Allgemeinverbindlichkeit des Regelwerks zu verhindern. Denn diese beiden Verbände schießen seit geraumer Zeit aus allen verfügbaren Rohren gegen das, was da auch sie zukommt.

Das wäre auch deshalb der richtige Weg, weil man durchaus jenseits der Schützengräben substanzielle Anfragen an den vereinbarten Tarifvertrag stellen kann, zum einen hinsichtlich des offensichtlichen Legitimationsproblems angesichts der wenigen und dann auch noch im Gesamtfeld der stationären und ambulanten Pflege unbedeutenden Arbeitgeber (als Arbeitgeber haben über den BVAP die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), die Volkssolidarität und als Besonderheit der Diakonische Dienstgeberverband Niedersachsen (DDN) mit der Gewerkschaft ver.di verhandelt, die ihrerseits kaum Mitglieder hat, die in der Altenpflege unterwegs sind). Zum anderen könnte und müsste man die konkreten Vereinbarungen in diesem Tarifwerk hinsichtlich der Höhe der Mindestentgelte kritisch beleuchten.

Aber dazu kommt es nun gar nicht mehr. Denn der ganze Prozess, an dessen Ende möglicherweise ein allgemeinverbindlich erklärter BVAP/ver.di-Tarifvertrag stehen könnte (der Konjunktiv sei hier dick unterstrichen), wurde bereits am Anfang gestoppt und für die absehbare Zukunft verunmöglicht, sollte es nicht ein Wunder geben. Auf Seiten der kirchlichen Trägerverbände. Denn das hat sicher viele überrascht:

Die Möglichkeit eines allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags für die Altenpflege scheitert nicht an den privaten Pflege-Anbietern, sondern die katholische Caritas beerdigt den von vielen und seit langem geforderten Vorstoß

Vom „Irrsinn folgender Nachricht“ spricht beispielsweise Charlotte Parnack unter der kürzest möglichen Überschrift Scheinheilig: »Einen neuen flächendeckenden Mindestlohn für Pflegekräfte wird es vorerst nicht geben. Und verantwortlich dafür sind nicht etwa Verbände gieriger privater Heimbetreiber – sondern die Dienstgeberseite der katholischen Caritas, die die Ausweitung eines neuen Tarifvertrags zum Scheitern gebracht hat.« Und sie bilanziert zutreffend: »Dass ausgerechnet die Caritas einen höheren Mindestlohn verhindert, ist ein neuer Tiefpunkt im Umgang mit den Pflegekräften.« Was hier am 25. Februar 2021 passiert ist, verdeutlicht die folgende Abbildung:

Man kann der Abbildung entnehmen, dass die beiden großen kirchlichen Player in der Altenpflege, vertreten über die Arbeitsrechtlichen Kommissionen der Caritas und der Diakonie, der Antragstellung des Arbeitgeberverbandes BVAP und der Gewerkschaft ver.di auf Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit zustimmen müssen, bevor das überhaupt in Gang gesetzt werden kann – um eine quantitativ ausreichende Zahl an Arbeitgebern (und Beschäftigten) zu erreichen, mit dessen Voten dann der Antrag hätte entschieden werden können. Und man muss wissen, dass man die beiden kirchlichen Trägerverbände bei den Verhandlungen zwischen BVAP und ver.di eingebunden und beteiligt hatte, damit die zustimmen können und gleichzeitig ihr Selbstbestimmungsrecht („Dritter Weg“) nicht aufgeben müssen.

Aber es gab schon im Vorfeld Hinweise, dass eine Zustimmung zum BVAP/Ver.di-Tarifwerk seitens der Kirchenverbände eben keine reine Formsache sein wird. So beispielsweise dieses Interview mit zwei Vertretern aus dem diakonischen Lager: »Seit Jahren kämpfen die Diakonie-Funktionäre Rüdiger Becker und Hans-Peter Daub für einen flächendeckenden Altenpflege-Tarifvertrag. Kurz vor dem Ziel könnte nun ausgerechnet ihr Verband für das Aus sorgen.« Das Interview wurde am 23.02.2021, also kurz vor den Sitzungen der Kommissionen von Caritas und Diakonie am 25. und 26.02.2021 unter der Überschrift »Wir sind sehr besorgt. Es sieht kritisch aus« in der Online-Ausgabe des SPIEGEL veröffentlicht. Darin Rüdiger Becker: »Wir sind sehr besorgt. Für eine Zustimmung ist in der Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie eine Zweidrittelmehrheit nötig. Dafür sieht es derzeit kritisch aus. Es könnte sogar ein recht deutliches Votum gegen diesen Tarifvertrag geben.« Und er ergänzt: »Wir sind in diesen insgesamt komplexen und schwierigen Prozess hin zu einem Flächentarif mit der Erwartung gegangen, dass diese Zustimmung nicht die Hürde ist, an der es scheitern könnte. In der politischen Debatte treten die Kirchen seit Langem für Tarifverträge in der Pflege ein. Und sowohl bei der Caritas als auch bei uns werden die Pflegekräfte ohnehin bereits ordentlich bezahlt, da entstünde ja noch nicht einmal indirekt ein Kostenproblem.«

Nicht nur bei der Diakonie waren deutliche Hinweise auf eine Ablehnung des tarifpolitischen Vorstoßes zu vernehmen – im SPIEGEL-Interview wurde das auch angesprochen: »Nicht nur in der Diakonie droht die Ablehnung. Der Sprecher der Arbeitgeberseite in der Caritas-Kommission hat sich in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« ebenfalls sehr skeptisch geäußert.« Gemeint ist dieses Interview mit Norbert Altmann, dem Sprecher der „Dienstgeberseite“, so nennen sich die kirchlichen Arbeitgeber: „Pflege-Tarifvertrag überzeugt nicht“. Es wurde in der Print-Ausgabe der FAZ am 22.02.2021 ebenfalls wenige Tage vor den Sitzungen der Arbeitsrechtlichen Kommissionen veröffentlicht.

Interessant und relevant ist der Hinweis von Hans-Peter Daub aus den Reihen der Diakonie auf die möglichen tatsächlichen Gründe, die dann zu einer Ablehnung seitens der Caritas-Kommission geführt haben: »Der Hauptgrund ist offenbar die Sorge um die arbeitsrechtlichen Sonderrechte der Kirchen … Die Befürchtung ist eher grundsätzlich und langfristig, in dem Sinne, dass solch ein Tarifvertrag irgendwann einmal faktisch zur Leitwährung der Branche würde und damit indirekt doch von außen das Sonderrecht der Kirchen gefährdet sei, ihre inneren Angelegenheiten zu regeln.«

Was sagt denn die Caritas selbst? Die veröffentlichte am 25.02.2021 diese Pressemitteilung: Tarifvertrag Altenpflege: Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas lehnt Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit ab: Der Caritas-Präsident Peter Neher wird mit diesen Worten zitiert: „Offenbar hat die Kommission mehrheitlich befunden, dass sich der vorgelegte Tarifvertrag nachteilig auf den caritaseigenen Tarif und auf die Einrichtungen und Dienste der Caritas sowie deren Beschäftigte ausgewirkt und letztlich nicht zur Verbesserung der Bedingungen in der Pflege beigetragen hätte.“ Das hilft nicht wirklich weiter. Also schauen wir uns die Pressemitteilung der Arbeitnehmerseite in der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas an, denn die Beschäftigtenvertreter – das muss hier auch einmal deutlich hervorgehoben werden – haben für den Tarifvertrag gestimmt: „Keine Zustimmung zum allgemeinverbindlichen Tarif Altenpflege! Antrag scheiterte an fehlender Unterstützung der Dienstgeberseite“, so die klare Botschaft und Zuordnung, wer hier Verantwortung trägt: „Dienstgeberseite beschädigt Ruf und Glaubwürdigkeit der Caritas“. Thomas Rühl, Sprecher der Caritas Mitarbeiterseite, wird mit diesen Worten zitiert:

„Wir bedauern die mangelnde Solidarität der Caritas-Dienstgeber. Ein allgemeinverbindlicher Tarif Altenpflege hätte für tausende zumeist bei privaten Anbietern beschäftigte Menschen ein Ende von Dumpinglöhnen bedeutet. Die Caritas Mitarbeiterseite wollte, dass auch in der übrigen Branche gute Mindestbedingungen herrschen – dieses gesellschaftlich wichtige Projekt ist nun ausgerechnet an den Dienstgebern der Caritas gescheitert.
Die Caritas wirbt derzeit mit einer Kampagne für mehr Solidarität in der Gesellschaft und nicht zuletzt auch für eine Aufwertung sozialer Berufe und Gesundheitsberufe. Mit ihrer Verweigerungshaltung hat die Dienstgeberseite den Ruf und die Glaubwürdigkeit der Caritas massiv beschädigt.“

Ein klares Statement. Aber diese Sichtweise konnte sich aufgrund der Widerstände im Arbeitgeberlager nicht durchsetzen. Was sagen die „Dienstgeber“? In deren Pressemitteilung findet man diese Begründungsversuche:

»Der Tarifvertrag Altenpflege greift in Strukturen unserer AVR z.B. bei der Ost-West-Angleichung oder unserer Differenzierung der Entgelte zwischen Alltagsbegleiter*innen / Betreuungskräften etc. und ungelernten Hilfskräften ein, die sich nicht lösen ließen. Zudem fehlen Überstundenregelungen, eine betriebliche Altersvorsorge und passgenaue Arbeitszeitmodelle sowie Stufendifferenzierungen.« Das klingt technisch und bemüht. Man kommt dann aber zum eigentlichen Kern der Ablehnungsbegründung, der zugleich ummantelt wird mit dem scheinbar überzeugenden Verweis auf ein Bedrohungsszenario für die Refinanzierung der (angeblich) so viel besseren und höheren Tarife:

»Wir haben jenseits dessen grundsätzliche Bedenken. Ändert sich bei der Frage der Pflegefinanzierung nichts, dann zahlen allein die Pflegebedürftigen bzw. die Kommunen die höheren Kosten bei steigenden Löhnen. Schon heute stehen die Kostenträger unter finanziellem Druck, der durch die Corona-Pandemie noch größer geworden ist und den sie weitergeben werden. Deshalb besteht die Gefahr, dass sie nach und nach nur noch die Bedingungen des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags anerkennen und zusätzlich abweichende Regelungen nicht mehr gegenfinanzieren. Das würde massiv der Caritas mit ihren höheren Tarifen schaden.«

Ein netter Versuch. Die Pflegefinanzierung steht sowieso auf dem Prüfstand und soll laut Ankündigung des Bundesgesundheitsministers noch in dieser Legislaturperiode weiterentwickelt werden.

Und dann kommt das entscheidende Argument – die Verteidigung der eigenen Sonderrechte und die Abwälzung auf die Pflegekommission, in der die Branchen-Mindestlöhne für Pflegeberufe festgelegt werden:

»Dieser allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag Altenpflege würde nur Mindestbedingungen regeln. Dafür gibt es bereits mit der Pflegekommission ein Instrument im Arbeitnehmerentsendegesetz. Sie kann explizit Empfehlungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche aussprechen, die über eine Rechtsverordnung verbindlich gemacht werden. Darin werden die Interessen zwischen Tarifpartnern und Drittem Weg gleichwertig zum Ausgleich gebracht. Wir halten sie für den besseren Weg.«

Und dann in aller Deutlichkeit und Ehrlichkeit, um was hier wirklich geht – eben nicht um eine dringend erforderliche wenigstens teilweise Verbesserung der Löhne für die vielen Pflegekräfte, die in tariflosen Einrichtungen und Diensten arbeiten müssen:

»Wir bekennen uns klar zum Dritten Weg. Er ist unser Modell, zu guten und gerechten Arbeitsbedingungen zu kommen. Es gibt nicht unerhebliche Stimmen, die unseren Dritten Weg in Gefahr sehen, wenn wir uns am Zustandekommen der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages Altenpflege beteiligen würden. Egal, ob man diese Meinung teilt oder nicht, mussten wir auch dies verantwortungsvoll in unsere Entscheidung miteinbeziehen.«

Aber was ist nun eigentlich mit der evangelischen Diakonie? Deren Arbeitsrechtliche Kommission musste doch auch über den Tarifvertrag und den damit einhergehenden Antrag abstimmen? Die evangelische Seite hatte schlichtweg Glück (oder gut geplant), dass ihr Termin ein Tag nach der Sitzung der katholischen Seite platziert worden ist. Und wie hat man sich verhalten? Man hat einfach nichts getan, sondern gar nicht erst abgestimmt mit Verweis auf das Nein der katholischen Geschwister. Wie passend, so musste man keine Farbe bekennen und möglicherweise/wahrscheinlich ein vergleichbares Signal der Ablehnung aufgrund einer fehlenden Zwei-Drittel-Mehrheit in der Kommission aussenden. So bekommt nun die Caritas die volle Breitseite der massiven Kritik in der Öffentlichkeit an der Verweigerungshaltung ab und die evangelische Seite kann im Windschatten hoffen, dass sie weniger bis gar nicht beschädigt wird.

Der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD), die evangelische Arbeitgeberseite, hat in einer Pressemitteilung dann auch noch triumphierend nachgelegt: Schade um die verlorene Zeit!, so ist die überschrieben. Darin: „Die Arbeitsrechtlichen Kommissionen von Caritas und Diakonie haben der Versuchung widerstanden, sich vor den Karren einer halbherzigen Politik spannen zu lassen“ so wird Christian Dopheide, Vorstandsvorsitzender des VdDD, zitiert – was natürlich so nicht stimmt, denn die Diakonie hat sich hinter die Büsche geschlagen mit ihrer Nicht-Entscheidung.

Zurück zur Caritas. Man bemüht sich dort, die von vielen Seiten heftig kritisierte Ablehnung mit einer Erzählung verständlich zu machen, die ein Bedrohungsszenario für die (angeblich) viel besseren Löhne bei den Kirchen an die Wand werfen: Die Befürchtung der Dienstgeberseite ist, dass von Kostenträgern den Einrichtungen nur noch das erstattet wird, was dem Flächentarif entspricht, und die höheren Caritas-Tarife nicht mehr finanziert sind.

Dazu aus einem einem Interview unter der Überschrift Caritas-Mitarbeitervertreter zum Flächentarif: „Die Chance ist vertan“ Thomas Rühl, der Sprecher der Mitarbeiterseite, der das ausschließt: »Der § 7a (Arbeitnehmersentsendegesetz) lässt nicht viele andere Regelungsmöglichkeiten zu, als sie auch die Pflegekommission mit dem Pflegemindestlohn beschließen kann. Das Gesetz schließt viele Regelungsbereiche aus, zum Beispiel ist es nicht möglich, eine betriebliche Altersvorsorge allgemeinverbindlich zu machen.« Auf de Nachfrage „Es besteht also zu keiner Zeit die Gefahr, dass Caritas-Mitarbeitende schlechter gestellt würden bei einem Flächentarif?“ antwortet er: »Nein. Wenn die Gefahr bestanden hätte, hätten wir auf Mitarbeiterseite das nicht mitgemacht.«

Ein bemerkenswerter Widerspruch zahlreicher katholischer Sozialethiker und am Ende die Drohung mit dem katholischen Rohrstock

Nicht nur in vielen Medien und bei zahlreichen Pflegekräfte ist die Tatsache, dass die katholische Seite das Geschäft einer Verhinderung des Tarifvertrags mit Mindestbedingungen den privaten Arbeitgeberverbände abgenommen hat, so dass bei denen mit Sicherheit nicht nur eine Sektflasche oder höherpreisige Getränkesorten dafür geköpft wurden, dass die Caritas jetzt den ganzen Shitstorm abbekommt, auf Protest gestoßen.

17 Professorinnen und Professoren aus der Christlichen Sozialethik haben sich mit einem bemerkens- und lesenswerten Aufruf an die Caritas gewandt:

Sozialethische Stellungnahme zur Weigerung der Caritas, einem einheitlichen Tarifvertrag Altenpflege zuzustimmen, 04.03.2021

»Die Arbeitsrechtliche Kommission (Bundeskommission) der Caritas hat – zumindest vorerst – einen bundesweit einheitlichen Tarifvertrag Altenpflege verhindert. Damit steht sie einer notwendigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge im Wege und untergräbt die Gemeinwohlorientierung der Caritas. Zugleich setzt sie sich in einen eklatanten Widerspruch zu grundlegenden Maßstäben der kirchlichen Sozialverkündigung und fügt dem eh schon angeschlagenen gesellschaftlichen Ansehen der katholischen Kirche weiteren Schaden zu.« Die Unterzeichner des Aufrufs fordern die Bundeskommission auf, der Ausweitung des Tarifvertrags Altenpflege in einem zweiten Anlauf zuzustimmen. Außerdem ermutigen sie die Gremien der Caritasverbände und andere kirchliche Stellen sowie die Beschäftigten der Caritas, insbesondere auf der „Dienstgeber“-Seite darauf zu dringen, die ablehnende Entscheidung zu revidieren.

Im weiteren Verlauf der Argumentation in der Stellungnahme wird darauf hingewiesen, dass eine »über die Arbeitskosten ausgetragene Konkurrenz verschafft denjenigen Anbietern einen unfairen Wettbewerbsvorteil, die ihre Beschäftigten schlecht behandeln« und das andere Anbieter, die (noch) anständige Löhne und Arbeitsbedingungen bieten, auf die Dauer unter Druck (geraten), ihre Beschäftigten in ähnlicher Weise auszupressen wie die Dumping-Konkurrenten«, man also mit einer „race-to-the-bottom“-Konkurrenz konfrontiert wird. »Um den für die Beschäftigten ruinösen Preiswettbewerb um die Arbeitskosten zu unterbinden, werden für die sozialen Dienstleistungen seit vielen Jahren einheitliche Tarifverträge gefordert. Solche Regelwerke, die alle Anbieter gleichermaßen binden, sind zwar nicht der einzige, gleichwohl aber ein wichtiger Weg hin zu besseren Arbeitsbedingungen für die in diesem Bereich beschäftigten Menschen.«

Die in dem BVAP/ver.di-Tarifvertrag »vereinbarten Mindestbedingungen durch Rechtsverordnung nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz für die gesamte Branche allgemein verbindlich gemacht werden. Diese Rechtsverordnung würde den bestehenden Pflegemindestlohn ersetzen, der über die Vierte Pflegearbeitsbedingungenverordnung vom 28.04.2020, also ebenfalls durch eine Rechtsverordnung, besteht. Der von Ver.di und BVAP ausgehandelte Tarifvertrag sieht u.a. vor, die Mindeststundenentgelte (für die unterschiedlichen in der Pflege beschäftigten Gruppen differenziert) in vier Schritten zu erhöhen und die Schlechterstellung der Beschäftigten in Ostdeutschland vorzeitig zu beenden. Mit den vereinbarten Einkommenssteigerungen könnten sich die Beschäftigten gegenüber dem bisherigen Pflegemindestlohn deutlich verbessern.« Und dann in aller Deutlichkeit: »Der Tarifvertrag legt für die jeweilige Tarifgruppe in der Altenpflege Mindestbedingungen fest; bessere Regelungen bleiben davon unberührt und sind auch weiterhin möglich.«

Und damit das nicht vergessen wird: »Die kirchlichen ›Dienstgeber‹ sind weder in dem BVAP noch in irgendeinem anderen tarifpolitisch handlungsfähigen Arbeitgeberverband vertreten. Gleichwohl wurden sie in den Verhandlungen zwischen Ver.di und BVAP über die im Arbeitnehmerentsendegesetz vorgesehenen Anhörungen beteiligt. Auf die dort aus den kirchlichen Arbeitsrechtlichen Kommissionen geäußerten Bedenken wurde in dem von Ver.di und BVAP ausgehandelten Tarifvertrag Rücksicht genommen.«

Und die Sozialethiker kritisieren in aller Deutlichkeit die verheerenden Wirkungen der Entscheidung: »Jene Mitglieder der Bundeskommission, welche die Zustimmung der Caritas zur Allgemeinverbindlicherklärung verhindert haben, schaden nicht nur den Beschäftigten der privat-gewinnwirtschaftlichen Träger. Sie machen es vielmehr bis auf Weiteres unmöglich, mit einem für alle Anbieter verbindlichen Tarifvertrag einer „race-to-the- bottom“-Konkurrenz bei den Arbeitsbedingungen und den Arbeitseinkommen verlässlich entgegenzutreten … Insofern zeugt es von betriebswirtschaftlicher Kurzsichtigkeit, einem Mangel an ökonomischem Sachverstand und Missachtung der kirchlichen Sozialverkündigung, wenn die ›Dienstgeber‹ der Caritas als Begründung für ihre Ablehnung erklären, sie setzten auf den „Wettbewerb von Tarifwerken“.«

Offen angesprochen wird ein auf der Hand liegender „Vermögensschaden“ für die katholische Caritas: »Seit den 1990er-Jahren wird die Caritas nicht müde, sich als „Dienstleister, Anwalt, Solidaritätsstifter“ vorzustellen. Mit der Ablehnung des einheitlichen Tarifvertrags Pflege tritt die ›Dienstgeber‹-Seite der Caritas nun als ein für die Beschäftigten gefährlicher Entsolidarisierer auf. Dass der Caritasverband vor diesem Hintergrund noch glaubwürdig als Anwalt für die Interessen von Benachteiligten auftreten kann, ist unwahrscheinlich. Er wird öffentlich an diese Solidaritätsverweigerung erinnert und von daher beurteilt werden.«

In der Stellungnahme wird kritisiert, dass jede plausible Begründung für eine Ablehnung fehlt – aber zugleich wird der Finger auf eine offene Wunde hinter dem allgemeinen und für die meisten nicht nachprüfbaren Argument, bei Caritas (und Diakonie) würde ja so viel besser bezahlt:

»Als Begründung für ihre Weigerung gibt die Arbeitgeberseite der Caritas an, dass sie die besseren Tarife der Caritas gegenüber dem einheitlichen Tarifvertrag schützen wolle. Diese Begründung hat die Gewerkschaft Ver.di zu Recht als „scheinheilig“ bezeichnet: Durch eine neue Rechtsverordnung, die die von Ver.di und BVAP in ihrem Tarifvertrag vereinbarten Mindestbedingungen allgemein verbindlich setzt, werden geltende Tarifverträge und wird auch das Tarifwerk der Caritas nicht außer Kraft gesetzt, – sofern dort die neuen Mindestbedingungen erfüllt würden. Somit würde der Caritas die mit ihren Beschäftigten vereinbarten besseren Arbeitsbedingungen, höheren Tarifeinkommen und zusätzlichen Leistungen nicht verboten. Mehr noch: Erst durch einen einheitlichen Tarifvertrag würde der Anspruch der Caritas, bessere Tarifregelungen zu ›haben‹, für die Beschäftigten in transparenter Weise nachprüfbar. Erst dann gäbe es einen Maßstab, von dem her beurteilt werden könnte, in welchen Bereichen die Caritas ihren Beschäftigten tatsächlich bessere Arbeitsbedingungen gewährt und höhere Einkommen als andere Dienstleister zahlt. Zugleich würde auffällig, wo sie – entgegen ihrem Anspruch – unterhalb der rechtlich angehobenen Mindestbedingungen bleibt. Dort würde die neue Rechtsverordnung das Tarifwerk der Caritas tatsächlich außer Kraft setzen und die Caritas-Einrichtungen zwingen, wenigstens bis zu den neuen Mindestbedingungen aufzustocken.«

Und auch das bereits angesprochene Bedrohungsszenario, dass die so viel besseren Löhne der Caritas nicht mehr finanziert werden, taucht hier wieder auf. Mit einer klaren Ansage: »Durch die neue Rechtsverordnung auf der Grundlage des von Ver.di und BVAP vereinbarten Tarifvertrags würde schließlich auch nicht ausgeschlossen, dass einzelne Anbieter ihre aufgrund eigener Tarifsysteme besseren Arbeitsbedingungen und höheren Zahlungen in Pflegesatzverhandlungen vertreten. Gemäß § 84 Abs. 2 SGB XI dürfen ihre dadurch entstehenden höheren Kosten nicht als unwirtschaftlich gelten und müssen daher – abgesehen vom Eigenanteil der Pflegebedürftigen – öffentlich refinanziert werden.«

➔ Na klar – so muss man hier anmerken: Im bestehenden und ebenfalls heftig kritisierten System der Ausgestaltung der Pflegeversicherung als eine Teilleistungsversicherung, die dazu führt, dass alle Kostensteigerungen z.B. durch höhere Löhne auf die Pflegebedürftigen in Form von steigenden Zuzahlungen abgewälzt werden, sind das „Konkurrenznachteile“ der teuereren Anbieter, denn dort müssten die Bewohner höhere Eigenanteile leisten. Aber das müssen sie doch heute schon und von einer Anhebung der Pflegelöhne im unteren Bereich – und nur darum geht es beim Tarifvertrag von BVAP und ver.di – sind doch die heute schon teureren kirchlichen Häuser gar nicht betroffen. Im Gegenteil: Dann würden bei den Lohndumpern die Kosten steigen und die Differenz zu den christlichen Häusern schrumpfen. Man sieht, es lohnt sich, genauer hinzuschauen und sich nicht hinter die Fichte führen zu lassen.

Aber wieder zurück zu der gehaltvollen Stellungnahme, denn die Unterzeichner nehmen auch das Heiligtum des „Dritten Weges“ ins Visier:

»Sachlich unrichtig ist zudem der Hinweis auf die segensreiche Wirkung des ›Dritten Weges‹, der durch einen einheitlichen Tarifvertrag Schaden nähme. Tatsächlich basiert das auf dem ›Dritten Weg‹ ausgehandelte Tarifwerk AVR Caritas zu großen Teilen auf der durch ›weltliche‹ Tarifpolitik und damit ohne die Kirche sowie ihre Caritas ausgehandelten Vereinbarungen. Der AVR Caritas ist inhaltlich weitgehend von dort übernommen und hat auch eine von dort her ›beliehene‹ normative Qualität. Nun sucht man mit diesem abhängigen Tarifwerk die notwendigen Fortschritte in der Tarifpolitik zu verhindern, von der man abhängig ist.«

Volltreffer. Man kann den katholischen Sozialethikern nur für diese klare Stellungnahme danken.

Und so etwas kann man man natürlich nicht unter den Teppich zu kehren versuchen. Deshalb überrascht es auch nicht, dass sich der Chef der Caritas zu Wort gemeldet hat: Tarifvertrag Pflege: Die Caritas kann ihre Entscheidung nicht einfach verwerfen, so ist die Mitteilung aus der Zentrale vom 5. März 2021 überschrieben. Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes, kommt den Unterzeichner der hier ausführlich vorgestellten Stellungnahme (scheinbar) entgegen, in dem er zahlreiche Argumente bestätigt:

„Ja, die Entscheidung der Arbeitsrechtlichen Kommission verhindert erstmal eine höhere Entlohnung von vielen Pflegekräften außerhalb der Caritas und das mitten in einer Pandemie, die diesen Menschen unheimlich viel abverlangt; ja, sie schadet der Glaubwürdigkeit der Caritas und sie kommt zu Unzeiten für die katholische Kirche.
Ich will auch kein Hehl daraus machen: Ich hätte mir aus sozialpolitischen Erwägungen eine andere Entscheidung gewünscht. Dass Viele innerhalb des Verbandes mit der Entscheidung hadern, ist mittlerweile auch reichlich dokumentiert.“

Dann aber genug des scheinbaren Verständnisses und der katholische Rohstock wird zumindest semantisch ausgepackt:

»Der Deutsche Caritasverband hat aber in Tariffragen eine Entscheidungsstruktur, die sich bisher bewährt hat. Die Tarifautonomie in Frage zu stellen, weil das Ergebnis in diesem Fall als problematisch erachtet wird, ist einer Organisation, die sich der Regeltreue und der Transparenz verpflichtet, nicht angemessen. Deshalb ist auch von katholischen Sozialethiker_innen der Respekt vor den Entscheidungen in einer paritätisch besetzten Kommission zu erwarten, wenn sie denn nicht für den ersten Weg plädieren.« (Hervorhebungen nicht im Original).

Die Botschaft ist klar: Lassen wir das mit der Transparenz mal außen vor, was sicher an vielen anderen Stellen ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubern wird, so ist der Hinweis entscheidend, dass sich die Damen und Herren Professoren in einer Organisation bewegen, „die der Regeltreue verpflichtet ist“. Gute Katholiken werden den Hinweis verstehen.

Und geradezu putzig ist Nehers Hinweis auf die angebliche Alternative zum geheiligten Dritten Weg: „wenn sie denn nicht für den ersten Weg plädieren“. Für diejenigen, die es nicht so mit dieser Sonderwelt haben: Der sogenannte Erste Weg bezeichnet die einseitige Festlegung des Arbeitsrechts durch den kirchlichen Arbeitgeber und wurde noch in den siebziger Jahren praktiziert. Dabei beschließt allein die Synode über das für die kirchlichen Mitarbeiter geltende Arbeitsrecht. Wer mitgezählt hat, dem wird nicht entgangen sein, dass es da noch eine andere Alternative gibt neben dem ersten und dem dritten Weg: Der Zweite Weg ist das Modell des Tarifvertrags. Zwischen zwei autonomen und von einander unabhängigen Tarifparteien wird ein Tarifvertrag abgeschlossen, der unmittelbar und zwingend für den vereinbarten Geltungsbereich anzuwenden ist. Hauptstreitpunkt beim Zweiten Weg ist das Streikrecht. Das man den vielen Beschäftigten in den konfessionell gebundenen Unternehmen des Gesundheits- und Sozialwesens schlichtweg vorenthält.

Zur Abrundung: Um wie viele Euros geht es eigentlich bei dem, was man den Pflegekräften ganz unten verbaut hat?

Zum Ende dieses Beitrags soll noch aufgezeigt werden, über welche Stundenlöhne wir hier sprechen. Dazu muss man wissen – und die Ablehner eines Tarifvertrags in den kirchlichen Reihen verweisen ja immer auf die Pflegekommission, von der die Branchen-Mindestlöhne in der Pflege kommen -, dass es nicht nur einen, sondern mehrere Mindestlöhne für Pflegekräfte gibt (vgl. dazu auch ausführlicher den Beitrag Nicht nur ein Mindestlohn, sondern gleich drei Mindestlöhne. In der Pflege. Da gibt es jetzt sogar einen für Fachkräfte. Und was das mit einem gestörten „Preis-Leistungs-Verhältnis“ zu tun haben kann vom 11. Juli 2020). Seit den Empfehlungen der Vierten Pflegekommission vom 28. Januar 2020 (vom zuständigen Bundesarbeitsministerium umgesetzt mit der Vierten Pflegearbeitsbedingungenverordnung – 4. PflegeArbbV vom 22. April 2020) haben wir drei pflegerelevante Mindestlöhne, gestaffelt nach der Qualifikation. Für Pflegehilfskräfte wie bislang und ab dem 1. April bzw. dem 1. Juli dieses Jahres für qualifizierte Pflegehilfskräfte (mit einer mindestens einjährigen Ausbildung) und Pflegefachkräfte (examinierte Pflegefachpersonen).

Die folgenden drei Abbildungen zeigen zum einen, was die Pflegekommission an Mindestlöhnen und Steigerungen bis 2022 festgelegt hat und wie hoch die Abweichung zu den Werten ist, die im BVAP/ver.di-Tarifvertrag fixiert worden sind. Und hier nochmals der Hinweis: Auch der Tarifvertrag, der nun nicht kommen wird als allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag, legt ausschließlich Mindestbedingungen fest:

Selbst die Mindestentgelte im Tarifvertrag sind nun wirklich keine Reichtümer, aber sie wären eine durchaus spürbare Verbesserung zu den bestehenden bzw. per Rechtsverordnung verabschiedeten Mindestlöhnen.

Aber seien wir doch mal ehrlich: 15 Euro brutto für eine qualifizierte Pflegefachkraft in der Altenpflege – für diese Arbeit, Verantwortung, Belastung? Das ist an sich schon ein Schlag ins Gesicht der Pflege. Das ist überhaupt nicht akzeptabel. Und das sendet ein fatales Signal an viele, die man dringen braucht und brauchen wird in der Altenpflege. Aber um die geht es ja bei unserem Thema nicht wirklich.