BAG-BVerfG-EuGH-Blues: Katholisch-weltliches Ping-Pong eines wiederverheirateten Chefarztes im Orbit der höchsten Gerichte über mehr als zehn lange Jahre

Die katholische Kirche hat wieder einmal die medialen Aufmerksamkeit. Diesmal ist zwar kein weißer Rauch aus dem Vatikan aufgestiegen, so dass man das machen kann, was viele Medien so gerne tun: personalisierte Berichterstattung. Wer ist der neuen Papst? Was hat er an, wenn er auf den Balkon tritt? Welchen Namen hat er sich selbst gegeben? Nein, der derzeitige Papst ist noch da, aber er hatte in den Vatikan geladen und nicht wenige Gläubige hatten inständig gehofft, dass auch diesmal irgendwie weißer Rauch emporsteigen würde, um eines der weiteren dunklen Kapitel in der Geschichte dieser so langlebigen Organisation endlich auszuleuchten. Es geht um den „Anti-Missbrauchsgipfel“. Vier Tage lang wurde im Vatikan über das Thema Missbrauch diskutiert. Was sagen die deutschen Bischöfe und Theologen dazu? Die einen finden die Ergebnisse „sehr klar“, die anderen fürchten, dass die Kirche „mit Karacho an die Wand fährt“, so der Bericht Anti-Missbrauchsgipfel: Das sagen Deutschlands Bischöfe und Theologen. Und der eine oder andere wird sich daran erinnern, dass die Deutsche Bischofskonferenz sogar einen eigenen „Missbrauchsbeauftragten“ hat, in Gestalt des Trierer Bischofs Stephan Ackermann.

Für Ackermann ist der Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan im Ergebnis „doch ein bisschen vage“ geblieben nach vielen starken und offenen Worten während des Treffens. Er habe sich zum Abschluss „eine Art to-do-Liste“ erhofft, einen konkreteren Fahrplan für die nächsten Schritte, so der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Anne Will“. Dort wurde unter der Überschrift Krisengipfel im Vatikan – wie entschlossen kämpft die Kirche gegen Missbrauch? über dieses für viele Menschen so zerstörerische Thema debattiert und natürlich wurde Ackermann aufgrund seiner Funktion an die Medienfront geworfen. Die Rezensionen der Sendung verdeutlichen, wie schwer man sich damit tut: Bei Anne Will wird schnell klar, dass die Kirchenvertreter weiter im PR-Sprech verharren, so Hans Hütt in seinem Artikel unter der schon richtig ketzerisch daherkommenden Überschrift Sie müssen die Reformation nachholen!  Und man spürt die Distanz und das Kopfschütteln, wenn man liest:

»Ein Priester, der Kinder missbraucht, werde „zu einem Werkzeug Satans“ sagte der Papst. Bleibt die Ahndung daher dem Fegefeuer vorbehalten? Der Aufklärungswille kommt über vage Gelöbnisse nicht hinaus. Dass Täter der weltlichen Gerichtsbarkeit überantwortet werden, ist nicht so selbstverständlich, wie man erwarten könnte. Die Theologie, die sich einem Menschenopfer verdankt, zeigt sich außerstande, auf die verletzte Würde von Opfern ihrer Amtsträger angemessen zu antworten. Warum ist es nicht zu einem ausdrücklichen Schuldeingeständnis gekommen? Warum muss Satan aus der Kiste geholt werden? … Was hat den Papst dazu verleitet, den „Gerechtigkeitswahn“ zu geißeln, obschon das Verlangen nach Gerechtigkeit aus Sicht der Missbrauchsopfer der einzige gangbare Weg ist, die Glaubwürdigkeitskrise der Kirche zu überwinden? Wenn er am Ende darüber klagt, dass unter den Skandalen das Ansehen der Kirche leide, erniedrigt er das eigene Amt auf dem Stuhle Petri zu dem eines PR-Beauftragten … Bischof Stephan Ackermann, der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Bischofskonferenz, beherrscht meisterhaft das Parlando der Krisenkommunikation. Nur geht es bei diesem Skandal nicht um das Verklappen von Dünnsäure in der Nordsee oder um Hygienemängel in der Fleischverarbeitung, sondern um die Lebensführung von geistlichen Würdenträgern, die sich an Schutzbefohlenen vergangen haben. Was geht in ihm vor, wenn er davon redet, dass Maßnahmen „auf den Prüfstand“ gehören?«

Aber dieses mehr als dunkle Kapitel soll hier gar nicht weiter vertieft werden – sondern neben der Tatsache, dass die Kirche an dieser Stelle mal wieder eine (aus Sicht der Amtskirche sicher nicht wirklich anstrebenswerte) enorme öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, die sie sogar in die Prime-Time der deutschen Talkindustrie gespült hat (und erst vor wenigen Monaten hatte Sandra Maischberger über die Ergebnisse einer Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche debattieren lassen, vgl. dazu ebenfalls Hans Hütt unter der Überschrift Gebremster Aufklärungswille), soll es hier aus der besonderen sozialpolitischen Sicht um ein Thema gehen, dass parallel ebenfalls für einen Moment im Strudel der Berichterstattung verwurstet wurde. Und bei dem Thema geht es ebenfalls um Verwüstungen bis hin zu Zerstörungen menschlicher Existenzen, die für oder bei der Kirche arbeiten – und dann konfrontiert werden mit der eigenen Welt, mit der wir es hier zu tun bekommen, wenn es um Fragen des Arbeitsrechts geht. Eine nicht-weltliche Welt, von der aber eben nicht nur Theologen und meinetwegen Küster und Heizer der Kirchen betroffen sind, die an der Verkündigung des katholischen Wortes werkeln, sondern weit mehr als eine Million Beschäftigte, die in höchst weltlichen Einrichtungen und Diensten unseres Landes arbeiten, die auch meistens vollständig oder doch fast vollständig nicht von den Kirchen, sondern von Beitrags- und Steuerzahlern finanziert werden.

Die simplen Geister unter uns, die davon ausgehen, dass beispielsweise Grundrechte oder davon abgeleitete Rechte wie beispielsweise einen Streik durchzuführen oder vor der Willkür des Arbeitgebers durch das allgemeine Arbeitsrecht geschützt zu sein, eben für alle gelten, werden immer wieder vor den Kopf gestoßen, wenn sie zur Kenntnis zu nehmen haben, dass die Kirchen in unserem Land unter dem Schutzschirm einer aus heutiger Sicht schwer verständlichen Sonder-Behandlung stehen, die es ihnen ermöglicht, ihre Angelegenheiten in weit gefasster Autonomie selbst regeln zu dürfen (worauf andere Arbeitgeber sicher auch ganz scharf wären).

Und wer kennt sie nicht, die vielen Berichte über Erzieherinnen oder andere Beschäftigte in Einrichtungen, die von den Kirchen, insbesondere der katholischen Kirche, getragen werden (und sei es auf dem Etikett) und die dann ihren Job verloren haben, weil sie gegen irgendwelche kirchlichen Vorstellungen vom „richtigen“ Leben verstoßen. Beispielsweise weil sie sich haben scheiden lassen und dann nicht etwa in gehöriger Doppelmoral mit einem neuen Partner in wilder Ehe leben, sondern auf die Idee kommen, den neuen Lebensabschnittspartner auch noch zu legalisieren, also erneut zu heiraten.

Die Erfahrung, dass dieses Verhalten nicht nur zu einem kirchlich erhobenen Zeigefinger führen kann, sondern sogar zur Entlassung und damit zu einer existenziellen Bedrohung (vor allem, wenn man in Berufen und/oder Regionen arbeitet, in denen kirchliche, vor allem katholische Arbeitgeber oftmals eine Monopolstellung einnehmen), haben so manche Menschen machen müssen. Und manche der Betroffenen wehren sich gegen diese Ausübung des kirchlichen Sonderarbeitsrechts – das man in „normalen“ Arbeitsverhältnissen nie und nimmer akzeptieren würde, denn was geht es den Arbeitgeber an, ob man in erster, zweiter oder x-ter Ehe mit wem auch immer Bett und Haushaltskasse zu teilen versucht. Die ziehen dann vor weltliche Gerichte – und dann gehen die Probleme erst so richtig los.

Diese Erfahrung hat auch ein ehemaliger Chefarzt eines Krankenhauses in katholischer Trägerschaft machen müssen. Allerdings ist das nun schon mehr als zehn Jahre her und der eine oder andere aufmerksame Leser dieses Blogs wird sich erinnern: Da war doch schon mal was hier? Genau, beispielsweise dieser Beitrag aus dem Jahr Juli 2016: Zweifel an der – willkürlichen – Trennung zwischen unter dem Kreuz arbeitenden und normalen Menschen führen zu einem Ping-Pong-Spiel zwischen ganz oben und noch höher. Darin wurde berichtet von einer Verhandlung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt über die Kündigung eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses. Interessant dabei: Das Bundesarbeitsgericht musste sich bereits zum zweiten Mal mit dem Fall befassen, nachdem das Bundesverfassungsgericht das erste Urteil des BAG aus dem Jahr 2011 für unwirksam erklärt hat. Das Bundesarbeitsgericht hatte die gegenüber dem Mediziner ausgesprochene Kündigung aufgehoben. Die Verfassungsrichter sahen dabei das Selbstbestimmungsrecht der Kirche zu wenig beachtet.

Offensichtlich ging es um einen Fall, der sich seit Jahren durch die Instanzen zieht und vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass auch in diesem Blog bereits über den Fall sowie – weit darüber hinausreichend – über die grundsätzlichen Implikationen der Rechtsprechung berichtet wurde, so am 20. November 2014 in dem Beitrag Katholische und andere Menschen. Das Bundesverfassungsgericht steht (weiter) fest an der Seite der Kirche. Es wird Zeit für eine grundlegende Änderung. In diesem Beitrag war die damalige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Auslöser der Berichterstattung und kritischen Diskussion. Und ja, es wird jetzt keinen verwundern, obgleich wir das Jahr 2019 nach Christi Geburt schreiben, dass es auch in diesen Tagen wieder um den besagten Chefarzt geht. Der hat, um genau zu sein, seinen Posten im Jahr 2009 verloren. Und nun hat das Bundesarbeitsgericht erneut in dieser Angelegenheit entschieden und dabei solche Schlagzeilen produziert: Kündigung von katholischem Chefarzt nach Wiederheirat unwirksam. Aber ging es 2016 nicht darum, dass das BVerfG das erste Urteil des BAG als zu weitgehend verworfen und die Kirche gestärkt hatte? Und haben wir alle nicht gelernt: Oben sticht unten? Und das BVerfG ist doch höher als das BAG. Aber in solchen Fällen gibt es einen Ausweg, wenn man das, was von oben kommt, nicht zu akzeptieren bereit ist. Man sticht oben mit noch mehr oben aus. Oder versucht das. Und über dem BVerfG schwebt nicht sofort der heilige Geist, sondern da gibt es ja noch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und die kann man anrufen und befragen, wie sie die Fallkonstellation durch die europäische Rechtsbrille sehen. Genau das hat das BAG damals gemacht. Und 2018 auch eine Antwort bekommen (vgl. hierzu Kündigung eines katholischen Arztes wegen erneuter Heirat kann Diskriminierung sein).

Wem das alles jetzt zu kompliziert daherkommt, der sei auf die folgende zusammenfassende Abbildung verwiesen, die zugleich auch neben dem aktuellen Urteil den Finger auf die Wunde des möglicherweise auf uns Zukommenden legt:

Bringen wir etwas Ordnung in das Durcheinander und schauen uns den Fall hier einmal genauer an: » Ein Chefarzt eines katholischen Krankenhauses hat erfolgreich gegen seine Kündigung nach einer Scheidung und erneuten Heirat gekämpft. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt entschied, der Mediziner sei von seinem kirchlichen Arbeitgeber gegenüber nicht katholischen Kollegen unzulässig benachteiligt worden. Dem Chefarzt am St. Vinzenz-Krankenhaus in Düsseldorf war 2009 gekündigt worden, weil ihm die Kirche einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß vorwarf. Er hatte nach der Scheidung von seiner ersten Frau ein zweites Mal standesamtlich geheiratet … Der Fall ist von grundsätzlicher Bedeutung, weil er die Sonderrechte der Kirchen als Arbeitgeber von etwa 1,4 Millionen Menschen in Deutschland betrifft. Ihre Sonderrolle resultiert aus dem Grundgesetz, das den Kirchen ein Selbstbestimmungsrecht bei ihren Angelegenheiten garantiert.« Unter der erst einmal sehr neutral daherkommenden Überschrift Kündigung des Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung berichtet das Bundesarbeitsgericht höchstselbst: »Ein der römisch-katholischen Kirche verbundenes Krankenhaus darf seine Beschäftigten in leitender Stellung bei der Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des katholischen Selbstverständnisses zu verhalten, nur dann nach ihrer Religionszugehörigkeit unterschiedlich behandeln, wenn dies im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.«

Aber Moment, wird der eine oder andere irritiert anmerken: Hat nicht das höchste deutsche Gericht dem Bundesarbeitsgericht anlässlich seiner ersten Entscheidung zugunsten des Arztes zwischen die Beine gegrätscht und sich auf die Seiten der kirchlichen Würdenträger geschlagen? Dazu findet man in der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts nur diesen lapidaren Hinweis, der sich in Karlsruhe für hohen Blutdruck sorgen wird:

»Nationales Verfassungsrecht (vgl. dazu BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 -) steht dem nicht entgegen. Das Unionsrecht darf die Voraussetzungen, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten.« Nehmt das von noch weiter oben.

Das hat nun für wahre Jubelarien gesorgt: »Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist aber nun mehr als die Entscheidung über den Einzelfall. Sie zeigt, dass die Sonderstellung der Kirche als Arbeitgeber unzeitgemäß ist und keine Berechtigung hat. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche darf nicht schwerer wiegen als die im Grundgesetz verankerte Gleichheit«, kommentiert beispielsweise Luisa Jacobs unter der jauchzenden Überschrift Willkommen im Grundgesetz, liebe Kirche! Und sie bringt wahrhaft eine frohe Botschaft für viele Menschen: »Homosexuell, geschieden, nicht getauft – es gibt vieles, was der Kirche als Arbeitgeber nicht passt. Jetzt muss auch sie sich endlich an geltendes Arbeitsrecht halten.«

Aber nein, wünschen kann man sich ja eine Menge, aber so eindeutig ist die Rechtslage eben nicht vor dem Hintergrund des weiter bestehenden Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und dessen Verteidigung in den heiligen Hallen der Verfassungsrichter. Darauf weist Michael Fuhlrott in seinem Beitrag unter der erst einmal unverdächtigen Überschrift Eine zweite Ehe ist kein Kün­di­gungs­grund hin. Es meint einen möglichen neuen Konflikt am Horizont erkennen zu können, denn: »Auch wenn das BAG maßgeblich auf die noch alte, strengere Fassung der Grundordnung abstellt, bedeutet die für die Kirchen – nach dem Urteil des EuGH – absehbare Entscheidung einen empfindlichen Eingriff in ihre bisher gelebte weitgehende Autonomie bei Personalangelegenheiten.« Denn: »Zwar haben die Kirchen die auf die Arbeitsverhältnisse anwendbare Grundordnung im Jahr 2015 modifiziert und liberalisiert. Doch auch wenn Ehebruch oder eingetragene Lebenspartnerschaften damit nicht mehr zwingend zu einer Kündigung führen müssen, bleiben sie weiterhin arbeitsrechtliche Verfehlungen. Allein bereits dieser „Makel“ dürfte mit den diskriminierungsrechtlichen Vorgaben aus Luxemburg nur schwer in Einklang zu bringen sein.«

Und das ist bzw. wäre für die Kirchen nicht der einzige Makel: »Zusätzlich werden sich die Kirchen gefallen lassen müssen, dass künftig staatliche Gerichte prüfen, ob für eine bestimmte Tätigkeit die kirchlichen Vorgaben eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstellen. Dies ist eine echte Rechtmäßigkeitskontrolle und mehr als die bislang vom Bundesverfassungsgericht geforderte eingeschränkte bloße Mißbrauchskontrolle.

Vor diesem Hintergrund überrascht es denn auch nicht, wenn der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz erklärt: »Die Deutsche Bischofskonferenz sieht das Urteil des EuGH kritisch, weil die verfassungsrechtliche Position, die den Kirchen nach dem Grundgesetz zukommt, nicht ausreichend berücksichtigt wurde … Die Verfassungsrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland enthält zum einen das Recht der Kirche, über ihre Angelegenheiten selbst zu bestimmen, zum anderen die Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität. Es ist danach Sache der Kirche, nicht der staatlichen Gerichte, im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts aus ihrer religiösen Überzeugung heraus selbst festzulegen, welche Loyalitätserwartungen sie an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellt, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert und welches Gewicht ein ggf. schwerer Loyalitätsverstoß hat.« Und dann der entscheidende Satz: »Wir werden die Urteilsgründe genau analysieren und zunächst die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abwarten. Anschließend muss geprüft werden, ob die Entscheidungen mit den Vorgaben des Grundgesetzes in Einklang stehen.«

Und jetzt spielen wir mal das Szenario weiter, dass die Kirche tatsächlich und erneut das Bundesverfassungsgericht anruft, um den Einklang mit dem Grundgesetz aus ihrer Sicht wiederherzustellen. Was könnte passieren? Das BVerfG könnte seine Hände in Zuständigkeitsverweisen waschen und auf die Entscheidung des EuGH verweisen. Es könnte aber auch das passieren, was Fuhlrott so beschrieben hat:

»Sollte sich das BVerfG mit der Angelegenheit befassen müssen, ist im Ergebnis vieles möglich. Theoretisch wäre es sogar denkbar, dass die Verfassungsrichter der grundgesetzlich geschützten Sonderrolle der Kirchen einen Vorrang vor dem Unionsrecht einräumen. Bislang geht in Deutschland aber das Unionsrecht vor, der EuGH wendet das Unionsrecht vorrangig „vor jeder nationalen Norm“ an. Das Verfassungsgericht ist dies bislang mitgegangen, da das Europäische Recht einen dem deutschen Niveau vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleiste („Solange-Rechtsprechung“, Beschl. v. 22.10.1986, Az.: 2 BvR 197/83). Sollte das BVerfG aber nunmehr anders sehen, hätte der aktuelle Fall eine weit über das Kirchenarbeitsrecht hinausgehende Dimension.«

Möglicherweise könnte das BVerfG einen solchen Fall völlig unabhängig von dem Chefarzt, der nun endlich auf Rechtsklarheit gehofft hat, aufgreifen, um den seit langem erwarteten Konflikt mit dem EuGH zu suchen. Dann aber wäre diese bereits jetzt mit mehr als zehn Jahren unendlich erscheinende Geschichte wieder offen. Und wie jeder weiß: Vor Gericht und auf hoher See ist man angeblich in Gottes Hand, was in diesem Fall sofort Parteilichkeitsvorwürfe auslösen würde.

Vielleicht tut sie es, die Kirche, vielleicht lässt sie es. Das eigentliche Grundproblem ist ein weit über die neue Einzelfallentscheidung des Bundesarbeitsgerichts hinausreichende Frage: Wie lange soll das noch so weitergehen mit diesem reformierten Grundordnungen hin oder her restriktiven und elementare Rechte beschränkenden Sonderarbeitsrecht für Kirchen in Bereichen, die nun wirklich nichts mit den Kernprozessen der Kirche zu tun haben? Man kann an dieser Stelle erneut das Fazit eines Beitrags zitiere, der hier am 20. November 2014 unter der Überschrift Katholische und andere Menschen. Das Bundesverfassungsgericht steht (weiter) fest an der Seite der Kirche. Es wird Zeit für eine grundlegende Änderung veröffentlicht wurde und nichts an seiner Relevanz verloren hat:

»Es ist jetzt an der Zeit, endlich Schluss zu machen mit dieser nur historisch zu verstehenden Verquickung von Kirche und Staat, wenn es um die Grundrechte der Menschen geht. Das kann nur der Gesetzgeber. Wir brauchen endlich eine Verfassungskonkretisierung, mit der die Trennung von Kirche und Staat eindeutig und unabweisbar festgeschrieben wird. Und das bedeutet: Die Kirchen können ihr kirchliches Personal, also den Prediger oder andere, die im Kernbereich der Verkündigung arbeiten, gerne nach ihren Sonderwünschen behandeln. Aber die vielen Menschen, die in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Kindertageseinrichtungen arbeiten, die mittlerweile überwiegend oder im Regelfall sogar vollständig aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, sollen gefälligst so behandelt werden wie Arbeitnehmer in einer kommunalen oder privaten Einrichtung. Man muss an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass in nicht wenigen Regionen unseres Landes gerade im Bereich der Sozial- und Gesundheitseinrichtungen eben keine Wahlfreiheit für Menschen besteht, sich ihren Arbeitgeber auszusuchen, denn dort verfügen kirchlich getragene Einrichtungen oftmals über ein Monopol als Arbeitgeber. Insofern würde hier das Argument, die Menschen müssen ja nicht in einer kirchlich getragenen Einrichtung arbeiten, ins Leere laufen.

Übrigens: Auch die Kirchen, vor allem die katholische Kirche, sollte im eigenen wohlverstandenen Interesse für eine Veränderung sein. Schon heute haben wir in Teilbereichen des Sozial- und Gesundheitswesens einen erheblich wachsenden Fachkräftemangel und wenn man dann auch noch auf eine Lebensführung besteht, die nicht einmal viele Pfarrer selbst durchhalten, dann wird es irgendwann vielleicht einmal heißen: Kirche allein zu Haus.«