Der eine oder andere wird sich erinnern: Unmittelbar nach den beiden Corona-Pandemie-Jahren häuften sich die Berichte in den Medien über einen Boom der Leiharbeit in der Pflege (vgl. als Beispiel diesen Artikel: Leiharbeit in der Pflege: Ohne geht es fast nicht mehr in Rheinland-Pfalz). Aus den Krankenhäusern, vor allem aber aus der stationären Langzeitpflege gab es zahlreiche Meldungen über eine zunehmende Inanspruchnahme von Leiharbeitskräften in den Einrichtungen. Zeitweilig konnte man den Eindruck bekommen, dass immer mehr Pflegekräfte in die Leiharbeit „flüchten“, weil sie dort – anders als das, was man sonst mit Leih- und Zeitarbeit verbindet – deutlich bessere Arbeitsbedingungen vorfinden als die Stammbelegschaft in einer Einrichtung oder eines Pflegedienstes.
Pflegekräfte
Wissen ist weniger das Problem. Zu den Pflegeberichten der Kranken- und Pflegekassen im Jahr 2024. Und die „Boomer“ sind auch wieder ein Thema
Jedes Jahr veröffentlichen einzelne Kranken- und Pflegekassen sogenannte „Pflegereporte“ – eine wahre Fundgrube an Materialien zu Entwicklung der Pflegelandschaft. So war das auch 2024.

Das kann doch nicht wahr sein. Doch. Krankenhäuser entlassen Hilfskräfte und die ansonsten fehlenden Fachkräfte sollen das jetzt auch noch machen
Da wird sich der eine oder andere aber die Augen reiben. Sind die denn total verrückt geworden in den Krankenhäusern? Überall liest und hört man davon, dass denen die Pflegefachkräfte fehlen, das ganze Stationen mit ihren Betten verwahrlosen (müssen), weil man nicht über ausreichend (Pflege)Personal verfügt. Zugleich wird man andauernd damit konfrontiert, dass sich die offensichtlich noch wertvoller, weil knapper gewordenen Pflegefachkräfte beklagen über Arbeitsverdichtung, Überlastung und kaum noch erträgliche Arbeitsbedingungen. Da könnte der eine oder andere auf die naheliegende Idee kommen, dass man alles versuchen muss, um diese Arbeitsbedingungen zu verbessern, dass man nach Entlastungsmöglichkeiten suchen muss, um die, die noch da sind, (möglichst lange) zu halten und andere vielleicht gewinnen zu können. Könnte man denken.
Ausländer rein!? Seit 2022 wird das Beschäftigungswachstum in der Pflege ausschließlich von ausländischen Beschäftigten getragen
»2023 waren in Deutschland knapp 1,7 Millionen Pflegekräfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in der Pflege ist lange Zeit stärker gewachsen als die Beschäftigung insgesamt. Seit Anfang 2022 hat der Beschäftigungsaufbau in der Pflege allerdings spürbar an Dynamik verloren«, so die Bundesagentur für Arbeit in ihrem im Mai 2024 veröffentlichten Bericht Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich. Und dann kann man dort lesen: »Der Anteil der beschäftigten Pflegekräfte mit einer nicht-deutschen Staatsangehörigkeit ist im Zeitverlauf deutlich gestiegen und so geht der überwiegende Anteil des Beschäftigungsanstiegs in den vergangenen 10 Jahren auf sie zurück. Seit 2022 wird das Beschäftigungswachstum in der Pflege ausschließlich von Ausländerinnen und Ausländern getragen.«
Nicht nur die Baby-Boomer: Kipppunkte der Pflege ante portas?
Aus der Klima-Diskussion kennen viele den Begriff der „Kipppunkte“. Was muss man sich darunter vorstellen? »Die Klimaforschung diskutiert seit den frühen 2000er-Jahren über Kipppunkte im Erdsystem – damals definierten Forscher um Johann Rockström und Timothy Lenton neun entsprechende Punkte, darunter das Abschmelzen der Eisschilde am Nord- und Südpol, die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes oder das Erlahmen der thermohalinen Zirkulation – einer wichtigen Ozeanströmung. Kippen sie, so das Konzept, sei diese Veränderung irreversibel. Das Bild einer auf dem Tisch stehenden Kaffeetasse wird gerne von der Klimaforschung dafür verwendet. Lange Zeit kann sie bis über den Tischrand geschoben werden, ohne dass sie herunterfällt. Irgendwann steht sie so weit über dem Tischrand, dass sie kippt und fällt«, so der Erläuterungsversuch von Janina Schreiber in ihrem Artikel Wenn das Klima kippt. Darin verweist sie auf den im Dezember 2023 veröffentlichten Bericht Global Tipping Points. Mehr als 200 Wissenschaftler aus den Klima- und Sozialwissenschaften aus 26 Ländern haben an dem Bericht mitgearbeitet. In dem Report wird auch auf sogenannte „positive“ Kipppunkte hingewiesen, also nicht nur ein gerne rezipiertes apokalyptisch daherkommendes Szenario aufgemacht.
Vor dem Hintergrund dieser wie man sich vorstellen kann überaus kontroversen Debatte in der Klimaforschung und den klimapolitischen Schlussfolgerungen kommt es erst einmal eher marketingtechnisch rüber, wenn in einem der vielen jährlich veröffentlichten Berichte über die Pflege von „Kipppunkten der Pflege“ gesprochen wird. Aber da steckt mehr Substanz drin.