Panikmache mit (scheinbar) wissenschaftlichem Flankenschutz. Die bösen Sozialabgaben mal wieder und das Jobkiller-Motiv

Ältere Semester werden schon bei dem Begriff mit den Augen rollen, begleitet uns dieser doch seit Jahrzehnten in höchst aufgeladener Form durch die wirtschafts- und sozialpolitische Debatte: Lohnnebenkosten. Man spricht auch von „indirekten Arbeitskosten“. Das Arbeitgeber-Institut der deutschen Wirtschaft verwendet den Terminus „Personalzusatzkosten“ und versteht darunter alles, was zusätzlich zum (Brutto-)Lohn für tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt wird (vgl. Arbeit in Deutschland ist teuer). Dazu gehört beispielsweise die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, betriebliche Altersvorsorge bis hin zum größten Posten, den Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung.

Und um die geht es hier besonders. Wobei man anmerken muss, dass die Sozialversicherungsbeiträge formal differenziert werden in den Teil, den die Arbeitgeber zu finanzieren haben, und einen anderen, der von den Arbeitnehmern von deren Bruttolöhnen bzw- gehältern einbehalten wird. Das war mal „paritätisch“, auch so eine scheinbare Zauberformel der deutschen Finanzierungsarchitektur der sozialen Sicherung, also beide Seiten teilen sich die Gesamtsumme zu Hälfte. Aber damit ist schon seit längerem Schluss. Nicht nur in der Krankenversicherung, wo der Arbeitgeberbeitrag eingefroren wurde und die Arbeitnehmer den übersteigenden Finanzbedarf über Zusatzbeiträge alleine zu finanzieren haben. Man denke hier auch an die Rentenversicherung, wo wir seit dem rentenpolitischen Paradigmenwechsel 2001 mit der Riester-Rente (die alleine von den Arbeitnehmern zu stemmen ist) und der gleichzeitigen Absenkung der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit entsprechenden Auswirkungen auf den Beitragssatz eine faktische Abkehr von der Parität im Sinne einer einseitigen Belastungsverschiebung haben. Bei der sozialen Pflegeversicherung wird gerne vergessen, dass dort zwar formal eine Arbeitgeberbeteiligung praktiziert wird – am Anfang stand aber die Streichung eines Feiertags als Kompensation für die Arbeitgeberseite. 

mehr

Normaler Lohn, böser Mindestlohn? Der „Normenkontrollrat“ hadert (immer noch) mit dem gesetzlichen Mindestlohn und verheddert sich in eigenartigen Kostenbegriffen

Hand aufs Herz – wer kann was gegen Bürokratieabbau haben? Erst einmal werden alle sagen, dass das ein wichtiges und richtiges Anliegen sei. Und wenn es dann auch noch richtige Bürokraten trifft, dann macht das doppelt Sinn. Aber auch hier gilt: Theorie und Praxis liegen zuweilen weit auseinander. So ist es leicht, den Abbau von Bürokratie zu fordern, aber wenn dann beispielsweise Sicherheitsanforderungen abgebaut werden und es kommt zu Schäden, dann heißt es oftmals, wieso hat man da nicht genauer hingeschaut und warum hat man das nicht verhindert.

Aber zusätzlich problematisch wird es dadurch, dass der Begriff „Bürokratie“ offensichtlich sehr dehnungsfähig ist, um das mal nett auszudrücken. Man ahnt schon, wo der Schuh hier drückt: Was für die einen Bürokratie ist, mag für andere ganz normales Geschäft sein. Immer eine Frage der Perspektive.

Und besonders lautstark gegen Bürokratie wettert die Wirtschaft. Denn für die Unternehmen resultieren aus Bürokratie Kosten. Und Kosten sind betriebswirtschaftlich gesehen immer schlecht und wenn sie aus bürokratische Auflagen entspringen, dann kosten sie auch noch Nerven, vor allem, wenn es sich um unverständliche Obliegenheiten handelt, zu denen man vom Staat zwangsverpflichtet wird. Nur muss man eben immer genau hinschauen, was denn da als bürokratische Last definiert wird, die man am besten beseitigen sollte, um die Wirtschaft zu entlasten.

Aber mit der Forderung nach „Bürokratieabbau“ kann man viele Sympathien gewinnen. Nur ist die Umsetzung dann mit vielen Mühen der Ebene gespickt. Für die Politik bietet es sich hier förmlich an, den bekannten Weg der eher symbolischen Politik nach dem Motto „Seht her, wir tun was“ zu beschreiten. Diesen Ansatz hatte die vorletzte große Koalition, die in den Jahren 2005 bis 2009 das Land verwaltet hat, beschritten.

»Mit dem Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ legte die Bundesregierung im April 2006 ein konsistentes Gesamtkonzept für bessere Rechtsetzung vor. Ins Bundeskanzleramt wurde ein Beauftragter für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung berufen – als Koordinator der Bundesregierung. Als unabhängiges Gremium wurde der Nationale Normenkontrollrat (NKR) 2006 per Gesetz eingerichtet. Der NKR berät und kontrolliert die Bundesregierung in Fragen des Bürokratieabbaus und der besseren Rechtsetzung.«

So liest sich die Selbstdarstellung des Normenkontrollrats. Hört sich tatkräftig an. Das zehnköpfige Expertengremium meldet sich nun regelmäßig mit Stellungnahmen zu Regelungsvorhaben der Bundesregierung vor. Zum Hintergrund:

»Die Bundesministerien sind verpflichtet, den sich aus ihren Regelungsentwürfen ergebenden Erfüllungsaufwand, also die Folgekosten, für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung transparent darzustellen. Der Erfüllungsaufwand umfasst dabei den gesamten messbaren Zeitaufwand und die Kosten, die durch die Befolgung einer bundesrechtlichen Vorschrift bei Bürgern, Wirtschaft sowie Verwaltung entstehen.

Der NKR überprüft den Erfüllungsaufwand und übersendet seine entsprechende Stellungnahme dem zuständigen Ministerium vertraulich.«

Der interessierte Leser wird am Begriff „Erfüllungsaufwand“ hängen bleiben. Was muss man sich darunter vorstellen? Wie fast alles in diesem Land gibt es dafür sogar eine gesetzliche Grundlage: Gemäß § 2 Absatz 1 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normen­kontrollrates (NKRG) schließt er „den gesamten messbaren Zeit­aufwand und die Kosten, die durch die Befolgung einer bundes­rechtlichen Vorschrift bei Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft sowie der öffentlichen Verwaltung entstehen“ ein.

Und nach dieser Vorarbeit wird der eine oder andere schon ahnen, was das alles mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu tun haben könnte. Und ganz treue Leser dieses Blogs werden sich möglicherweise erinnern, dass in diesem Zusammenhang hier schon mal der Normenkontrollrat aufgetaucht ist. Zugegeben, das ist schon eine Weile her, genauer gesagt am 17. April 2014 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Der gesetzliche Mindestlohn wird in die Mangel genommen – jetzt gibt es sogar angeblich eine „Ohrfeige“ für die Bundesregierung. Zur Kritik des „Normenkontrollrats“ an dem Gesetzentwurf zum Mindestlohn.

Damals, in der Konstruktionsphase des Mindestlohngesetzes, wurde seitens des Normenkontrollrats massive Kritik vorgetragen: Die Kosten und Folgen des zu diesem Zeitpunkt noch geplanten gesetzlichen Mindestlohnes seien von der Bundesregierung mangelhaft kalkuliert worden. Das Gremium hatte drei Kritikpunkte vorgetragen.

Einer der drei Punkte war damals – und auch aus heutiger Sicht – korrekt: »Das Gremium kritisiert … die unvollständige bzw. schlichtweg fehlende Kalkulation und Offenlegung der mit der Einführung des Mindestlohns anfallenden Kontrollkosten. Der Normenkontrollrat moniert, »dass die Regierung den Verwaltungsaufwand durch die geplanten Mindestlohn-Kontrollen nicht beziffert habe, sondern nur allgemein auf „höhere Personal- und Sachkosten“ bei der Zollverwaltung hinweist. Das zuständige Ressort – das Finanzministerium – sei aber verpflichtet, den damit einhergehenden Erfüllungsaufwand darzustellen.« Das wurde von mir dahingehend kommentiert, dass »hier … tatsächlich eine offensichtliche Leerstelle im bislang vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung adressiert (wird) – die unvollständige bzw. schlichtweg fehlende Kalkulation und Offenlegung der mit der Einführung des Mindestlohns anfallenden Kontrollkosten. Dies muss auch vor dem Hintergrund einer bereits seit längerem vorgetragenen Kritik an der fehlenden Konkretisierung des zusätzlich erforderlichen Personalbedarfs für die Kontrolle des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns gesehen und bewertet werden.«

Die defizitäre Situation bei der Mindestlohnkontrolle wurde hier zuletzt in dem Beitrag Wie sieht es aus mit der Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohns? Aus der Welt der Mindestlohnvermeider vom 9. Juni 2017 thematisiert. Hilfreich sicher auch der Blick in diesen Beitrag vom 27. Februar 2016: Der gesetzliche Mindestlohn: Wie viel darf, soll oder muss es sein? Und wer schaut eigentlich genau hin, ob er überhaupt gezahlt wird?

Dann aber wurde es teilweise hanebüchen.

Kritikpunkt 2: Der Normenkontrollrat bemängelte eine „unvollständige“ Darstellung möglicher Alternativen zum vorliegenden Mindestlohngesetz. »So hätte die Bundesregierung zumindest erläutern müssen, warum das Anfangsniveau des Mindestlohns mit 8,50 Euro zum 1. Januar 2015 gesetzlich festgelegt werden solle.« Der Rat vermisst den Hinweis auf die aus ihrer Sicht „relevante Alternative“, einen (zunächst geringeren) Mindestlohn auf Vorschlag einer unabhängigen Kommission festzulegen.

Dazu kann man dem damaligen Beitrag entnehmen, dass das grundsätzlich auch noch ein diskussionswürdiger Punkt ist, denn selbst von einigen Mindestlohnbefürwortern war eine „Kommissionslösung“ bei der Taxierung des festzulegenden Mindestlohns im Vorfeld der Debatte, die nun zu dem vorliegenden Gesetzentwurf geführt hat, ausdrücklich gefordert worden – vor allem von denjenigen, die der Bundesregierung ein Vorgehen nach dem Modell der in Großbritannien agierenden „Low Pay Commission“ empfohlen haben. Aber es gab auch eine kritische Einordnung:

»Allerdings erscheint doch die Art und Weise der Präsentation dieser Alternative seitens des Normenkontrollrats selbst mehr als einseitig, denn offensichtlich kann sich der Rat nur einen „zunächst geringeren“ Mindestlohn vorstellen – was jetzt irgendwie halbiert rüberkommt, denn möglicherweise wäre eine unabhängige Kommission ja auch zu einem anderen Ergebnis gekommen, was das Anfangsniveau angeht.«

Kritikpunkt 3 entblößte dann in voller Pracht die grundsätzliche Ablehnung des Mindestlohnes als solches (was aber den eigentlichen Auftrag des Gremiums in jeder Hinsicht überschreitet) und eine damit verbundene notwendigerweise völlig entrückte Umdefinition von „Erfüllungsaufwand“, der sich ja im engeren Sinne und dann auch richtig auf die Umsetzung einer Vorschrift und damit auf die Umsetzungskosten im engeren Sinne bezieht. Der Normenkontrollrat hat damals den Spieß einfach umgedreht und so argumentiert: »Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht nur auf Bürokratiekosten im engen Sinne ein, die „für die Wirtschaft nur in geringem Maße“ anfallen würde. Der Normenkontrollrat weist darauf hin, dass der geplante Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde die Unternehmen nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in der Anfangsphase mit etwa 16 Milliarden Euro belasten dürfte.«

Das nun war wirklich dreist. Meine damalige Einordnung und Bewertung:

»Zum einen ist von „Bürokratiekosten“ die Rede, die man – soweit vorhanden – auch für die Wirtschaft ausweisen müsste, zum anderen aber werden DIW-Zahlen zitiert, nach denen der Mindestlohn die Unternehmen »in der Anfangsphase mit etwa 16 Milliarden Euro belasten dürfte«. Das nun sind aber die Kosten durch die Lohnerhöhung, die da kalkuliert werden und auch nur – ohne das hier vertiefen zu wollen – die Bruttokosten, denen u.a. an anderer Stelle entsprechende Einsparungen gegenüberstehen können.«

Warum aber die Rezeption dieses älteren Artikels im Jahr 2017? Weil sie es wieder gemacht haben. In dem neuen Jahresbericht 2017 des Normenkontrollrats, der unter der Überschrift Bürokratieabbau.
Bessere Rechtsetzung. Digitalisierung. Erfolge ausbauen – Rückstand aufholen steht. Und wenn man sich anschaut, dann muss man sich die Augen reiben.

Die Argumentation des Normenkontrollrats geht so: Erfreulicherweise wäre der sogenannte Erfüllungsaufwand, also die Folgekosten von Gesetzen für Wirtschaft und Verwaltung, in dieser Legislaturperiode kaum angestiegen – hätte es den Mindestlohn nicht gegeben, heißt es in dem Bericht. Von den zusätzlichen jährlichen Kosten in Höhe von 6,7 Milliarden Euro entfielen demnach allein 6,3 Milliarden auf die Einführung der gesetzlichen Lohnuntergrenze Anfang 2015 und ihre erstmalige Anpassung in diesem Jahr.

Zusätzliche Kosten von jährlich 6,3 Milliarden Euro durch den Mindestlohn? Erneut hat man die kalkulierte Lohnsumme als „Erfüllungsaufwand“ angesetzt. Das ist schon ein dreistes Spiel mit dem Kostenbegriff. Was für ein Unsinn – und offensichtlich ausschließlich der zielgerichteten Verunglimpfung des gesetzlichen Mindestlohnes geschuldet, die als eigentliche Absicht dem sich als Wiederholungstäter gerierenden Gremium nun nicht mehr nur unterstellt, sondern ins Stammbuch geschrieben werden muss.

Denn warum werden dann beispielsweise die Aufwendungen der vielen Unternehmen nicht in Rechnung gestellt, die ihren Beschäftigten branchenbezogene Mindestlöhne zahlen müssen? Davon sind Millionen Arbeitnehmer betroffen. Und die Unternehmen werden auch hier vom Gesetzgeber verpflichtet, dieses Salär auszuzahlen.

Vor diesem Hintergrund ist eine solche Reaktion mehr als verständlich: Andrea Nahles platzt der Kragen, so hat Frank Specht seinen Artikel überschrieben:

»Als der Bericht Nahles erreichte, platzte der Arbeitsministerin der Kragen: „Die Tatsache, dass der Normenkontrollrat zum wiederholten Male die Einführung des Mindestlohns als Erfüllungsaufwand und Bürokratielast für Arbeitgeber bezeichnet, zeigt, dass er seinen Auftrag entweder nicht verstanden hat oder einer klaren politischen Zielsetzung folgt“, kritisierte sie.«
Und weiter erfahren wir:

»Der Mindestlohn sei das Minimum, das ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern schuldet. Er sei kein Mehraufwand, sondern die Beendigung eines jahrelangen Minderaufwands der deutschen Wirtschaft, sagte Nahles.«

Tatsächlich haben die Arbeitgeber mit der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns inzwischen weitgehend ihren Frieden gemacht. In vielen Bereichen ist es gelungen, die dadurch entstandenen höheren Preise auf die Kunden abzuwälzen, so Specht in seinem Artikel.

In Wirklichkeit geht es in einigen Branchen – man denke hier an den Hotel- und Gaststättenbereich mit seinen spezifischen Problemen mit den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes, deren Nicht-Einhaltung nun durch die Mindestlohnkontrollen transparent werden können oder die Unternehmen, die ein Teil ihres Geschäftsmodells auf unbezahlte Mehrarbeit der Beschäftigten aufgebaut haben –  um die Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten, die das Mindestlohngesetz (MiLoG) mit sich gebracht haben.

Und um die zu schleifen, braucht man entsprechende Schützenhilfe wie die vom Normenkontrollrat, der sich dazu hergibt, die den Arbeitnehmern zustehende Lohnsumme als Bürokratiekosten zu verzerren.

Und zumindest die Perspektive, dass da noch mal gebohrt werden kann, besteht durchaus:

»CDU und CSU schreiben in ihrem Wahlprogramm, dass sich die Einführung des Mindestlohns zwar „grundsätzlich bewährt“ habe und man deshalb daran festhalten wolle. In der Praxis habe sich allerdings gezeigt, dass viele Regelungen zu bürokratisch und wenig alltagstauglich seien. „Unser erklärtes Ziel ist daher der Abbau unnötiger Bürokratie gleich zu Beginn der neuen Wahlperiode“, verspricht die Union.«

Man sollte das aus Sicht der Arbeitnehmer als Drohung verstehen, die wieder einmal als Wolf im Schafspelz verkleidet – also als Bürokratieabbau, gegen den doch keiner was haben kann – daherkommt.

Die Banken als Ruhrgebiet der vor uns liegenden Jahre? Ein Blick auf die Beschäftigungs- und Ausbildungsentwicklung

In Deutschland schließen immer mehr Bankfilialen. Allein im vergangenen Jahr waren es etwas mehr als 2.000 Zweigstellen, die ihre Pforten für immer geschlossen haben. In den Jahren seit 2008 sind mehr als 7.500 Filialen abgewickelt worden – das entspricht einem Abbau von gut 20 Prozent der Zweigstellen, die es 2008 noch gegeben hat.

Die Deutsche Bundesbank hat über diese Entwicklung wie in jedem Jahr berichtet: Bankstellenentwicklung im Jahr 2016. Anzahl der Kreditinstitute sinkt deutlich, so ist die entsprechende Mittelung überschrieben.

Die Süddeutsche Zeitung hat das wie andere Medien auch aufgegriffen: In Deutschland sterben die Bankfilialen, so die etwas zuspitzende Überschrift des Artikels hierzu. Darin wird nicht nur darauf hingewiesen, dass die Ausdünnung des Filialnetzes für die Kunden oft weitere Wege bedeutet. Die Gemeinden fürchten zugleich den Leerstand, viele Immobilien können kaum weitervermietet werden.
Und offensichtlich gewinnt das Filialsterben an Tempo: »Das seit Jahren anhaltende Sterben der Bankfilialen hat sich im vergangenen Jahr immens beschleunigt: Mehr als 2.000 Zweigstellen machten 2016 nach Daten der Bundesbank dicht. Knapp die Hälfte davon waren Sparkassen, deutschlandweit schlossen sie innerhalb von nur zwölf Monaten mehr als 900 Filialen – fast jeden zwölften Standort. Die Genossenschaftsbanken dünnten ihr Netz zugleich um 666 Filialen aus, die Privatbanken um mehr als 280. Sie hatten allerdings schon früher damit begonnen, im großen Stil Standorte zu schließen.«

Insgesamt hat sich die Zahl der Bankfilialen in Deutschland seit den Neunzigerjahren zwar halbiert, erst langsam, dann immer schneller. Trotzdem gilt Deutschland unter Beobachtern im Vergleich zu anderen Ländern noch immer als „überversorgt“ mit Banken und Filialen – was aus dem dreigliedrigen Bankensystem bei uns resultiert: Neben den Privatbanken sind es vor allem die untereinander in starker Konkurrenz stehenden Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken, die gerade auf dem Land eine umfangreiche Filialstruktur aufgebaut haben, was in Zeiten hoher Zinsen auch kein Problem war hinsichtlich der damit verbundenen Kosten.

Aber die Zeiten haben sich geändert:

»Inzwischen aber treffen gleich zwei negative Trends die Finanzbranche mit voller Wucht: Einerseits machen die Institute in der anhaltenden Niedrigzins-Phase längst nicht mehr so viel Gewinn wie früher, zugleich erledigen viele Kunden ihre Bankgeschäfte inzwischen zunehmend digital. In der Filiale kommen sie dann oft nur noch zum Geldabheben vorbei – wenn überhaupt: Der Durchschnittskunde ist nur noch einmal im Jahr am Schalter, rechnen Bayerns Sparkassen vor. Aber er macht 108 Geschäfte online.«

Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass das Filialsterben weitergehen muss – verbunden mit einer Konzentration in den verbleibenden Niederlassungen, die dann die durchaus aufwändige Beratungsarbeit übernehmen müssen, für die die Kunden dann auch längere Wege in Kauf nehmen, wenn sie entsprechende Qualität bekommen, was wiederum aufgrund der damit verbundenen Anforderungen an die Berater für einen weiteren Zentralisierungsschub sorgen wird.

Passend dazu Studie: Bankfilialen steht Massensterben erst noch bevor, so ist eine Artikel überschrieben, in dem über eine Umfrage der Managementberatung Investors Marketing berichtet wird: »In den kommenden zehn Jahren werden deutsche Banken und Sparkassen noch mehr Filialen schließen – und zwar in höherem Tempo … Demnach dürfte es bis zum Jahr 2025 nur noch rund 20.000 Bankfilialen in Deutschland geben.« Angesichts von derzeit noch 32.000 Bankfilialen wäre das in wenigen Jahren ein gewaltiger weiterer Aderlass.

Auch die in der Umfrage unter Führungskräften der Banken ermittelten Ursachen sind nicht wirklich überraschen: Insbesondere Regionalbanken müssen massiv Kosten sparen, um die stark rückläufigen Zinsüberschüsse auszugleichen und simultan digitale Vertreibskanäle auszubauen.

Das trifft vor allem die Banken in der Fläche – und damit die vielen dort beschäftigten Mitarbeiter. Von überall kommen mit Blick auf die Beschäftigung in der Branche skeptische Stimmen. So berichtet der Artikel Warum die Sparkassen sparen sollen über eine neu Studie, die auch die Genossenschaftsbanken betrifft:

»Einer Studie zufolge müssen viele der knapp 400 Sparkassen und fast 1.000 Volks- und Raiffeisenbanken noch sehr viel mehr tun als bisher: und zwar sparen, sparen, sparen. Das zumindest meinen die Experten der Unternehmensberatung Confidum. Die niedrigen Zinsen treffen die bodenständigen Sparkassen und Genossenschaftsbanken besonders … Confidum kommt zu dem Ergebnis, dass zahlreiche Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken ihre Kosten im Schnitt um 25 bis 30 Prozent senken müssten, um längere Zeit mit den niedrigen Zinsen zurechtzukommen. Da das allein über Sachkosten nicht ginge, „bedeutet dies einen massiven Eingriff in die Personalkosten der Bank“, sind die Studienautoren Christof Grabher und Hans-Joachim Schettler überzeugt.«

Wobei an dieser Stelle nicht aus den Augen verloren sollte, dass es wir angesprochen „die“ Banken nicht gibt. Das verdeutlicht auch ein Bericht über eine Studie der Unternehmensberatung Bain:
Die Eigenkapitalrendite deutscher Banken lag 2015 nur bei 2,3 Prozent im Durchschnitt und damit deutlich niedriger als in anderen Ländern. Dabei verdeckt der Durchschnittswert wie so oft eine erhebliche Streuung:

»Hierzulande klaffen Welten zwischen den verschiedenen Institutsgruppen. Insbesondere Spezialisten wie Automobil- und Direktbanken erwirtschaften mit mehr als 6 Prozent überdurchschnittliche Eigenkapitalrenditen. Die mehr als 1.000 Volks- und Raiffeisenbanken kommen im Schnitt auf 2,9 Prozent, die 415 Sparkassen auf lediglich 1,7 Prozent. Zusammen mit den vier deutschen Großbanken und den Bausparkassen bilden sie das Schlusslicht des Bain-Rendite-Rankings.«

Die zitierte Bain-Studie gibt es hier im Original:

Walter Sinn und Wilhelm Schmundt (2016): Deutschlands Banken 2016: Die Stunde der Entscheider, München 2016.

Sinn und Schmundt identifizieren vier Gründe für die Dauermisere der deutschen Banken:

»1. Abhängigkeit vom Zinsgeschäft. Der Anteil des Zinsüberschusses an den Einnahmen liegt in Deutschland mit 73 Prozent so hoch wie in keinem anderen Land. Damit leiden die hiesigen Banken besonders stark unter den Niedrigzinsen.


2. Nachhaltig hohe Kostenbasis. Trotz aller Sparanstrengungen beläuft sich die Cost-Income-Ratio im Durchschnitt von 2012-2015 immer noch auf 69 Prozent und übersteigt damit das Niveau in den USA beispielsweise um sieben Prozentpunkte.


3. Langsame Anpassungsgeschwindigkeit. Jahr für Jahr bauen die Banken zwar Mitarbeiter ab und schließen Filialen. Doch unverändert kommen hierzulande auf 100.000 Einwohner 36 Filialen, in Großbritannien sind es 14 und in den USA noch 27 – Tendenz rückläufig.


4. Fragmentierte Bankenlandschaft. In Deutschland gibt es mit rund 1.700 Instituten fast viermal so viel Institute wie in Frankreich und mehr als zehnmal so viel wie im bevölkerungsreicheren Japan. Die Zersplitterung verhindert Skalenvorteile.«

Als wenn das nicht schon genug Probleme sind, kommen neuartige Herausforderungen auf die etablierten Banken zu – was oftmals verkürzt mit dem Begriff „Fintechs“ etikettiert wird:

»Wie in jedem der zurückliegenden Jahre, so wird auch 2017 kaum eine Woche vergehen, in der nicht irgendwo auf der Welt von irgendeinem Finanzexperten ein alter Spruch von Microsoft-Gründer Bill Gates zum Besten gegeben wird: „Banking is necessary, banks are not.“ Dass es keine Banken braucht, um Bankgeschäfte zu erledigen, war anno 1994 eine ebenso kühne wie provokative Aussage. Im Laufe der Jahre hat sich Gates’ Behauptung aber immer mehr zu einem realistisch erscheinenden Szenario entwickelt. Fast alles, was Banken leisten, macht heutzutage auch eine Vielzahl anderer Anbieter möglich.«

Der Druck auf die Banken und ihre traditionellen Geschäftsmodelle wird weiter steigen. Was bedeutet das nun für diejenigen, die in den Banken arbeiten oder eine Ausbildung in diesem Bereich erwägen?

Da wäre beispielsweise die Ausbildung zum Bankkaufmann bzw. Bankkauffrau. Anne Kunz hat ihren Artikel dazu so überschrieben: Von der Traum-Ausbildung zum Auslaufmodell. Am Anfang ihres Beitrags wirft sie einen Blick zurück auf Karrieren, die früher mit diesem Ausbildungsberuf möglich waren: Beispielsweise Klaus-Peter Müller, der mit 62 Jahren zum Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance & Management berufen wurde. »Als damaliger Chef der Commerzbank hatte er das Format dafür und in seinem Alter sind solche Titel ein gern gesehener Schmuck. Das Pikante daran: Müller selbst hat nie eine Universität oder Hochschule besucht.

Genauso wie der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper schaffte er es allein mit einem Ausbildungszeugnis bis an die Spitze eines großen Finanzhauses – was früher nicht ungewöhnlich war.« Die Banklehre galt als Königin der Ausbildungsberufe. Wer ein Einser-Abitur hatte, begann nicht zwangsläufig ein Studium. Er konnte stattdessen auch eine Ausbildung hinter dem Bankschalter absolvieren, so Anne Kunz.

Und heute? Nur Postbank-Chef Frank Strauß hat kein Studium vorzuweisen, »fast alle anderen Bank-Vorstände haben internationale Elite-Unis absolviert und nicht wenige machten ihre ersten Berufsschritte beim Beratungsunternehmen McKinsey.«

Im Vergleich zu 1997 ist die Zahl der neuen Ausbildungsverträge zum Bankkaufmann/-kauffrau um 40 Prozent zurückgegangen. Früher galt: »Mit einer Banklehre könne man nichts falsch machen, hieß es jahrzehntelang. Weil es entsprechend viele Bewerber gab, konnten sich die Institute die besten aussuchen.« Das hat sich geändert.

Die Digitalisierung macht die Arbeit (und die Arbeitsplätze) in den Bankfilialen zunehmend überflüssig. »Die meisten Menschen erledigen ihre Bankgeschäfte inzwischen vom PC oder Smartphone aus. Drei Viertel der Kunden nutzen Online-Banking, etwa ein Drittel erledigen ihre Bankgeschäfte via App.«

Auch die Zahl der Beschäftigten im deutschen Kreditwesen ist seit 2000 um knapp 16 Prozent gesunken, das sind fast 126.000 Vollzeitstellen weniger. »Institute wie die Münchner HypoVereinsbank (HVB) haben ihr Filialnetz beinahe halbiert. Die Deutsche Bank schließt jede vierte Filiale und will genauso wie die Commerzbank Tausende Stellen streichen. Auch die Sparkassen und Genossenschaften müssen sparen.«

Teilweise sinken die Bewerberzahlen stärker als die Zahl der Ausbildungsstellen: »Bei den Sparkassen ist die Not so groß, dass sie nicht für alle Ausbildungsplätze geeignete Kandidaten finden. Für das vergangene Jahr wurden bei der öffentlich-rechtlichen Gruppe von 5.500 geplanten Stellen nur 5.030 besetzt.«

Es ist mehr als offensichtlich, dass das Berufsbild des Bankkaufmanns dringend renoviert werden müsste. Aber: »Die Institute können sich nicht einigen, ob man die Ausbildung künftig stärker auf den Vertrieb ausrichten sollte, da alle übrigen Aufgaben zunehmend von Computern erledigt werden, oder ob die Azubis auch künftig alle Arbeitsschritte in einer Bank kennen lernen sollten.«

Mittlerweile verdichten sich die Befürchtungen, dass das Berufsbild des Bankkaufmanns/der Bankkaufrau – über eine betriebliche Ausbildung – ein Auslaufmodell darstellt. Dass die immer weniger bis gar nicht mehr gebraucht werden in Zukunft. Auch in Österreich gibt es diese Debatte. Der dortige Arbeitsmarktservice (AMS), also die Bundesagentur für Arbeit der Österreicher, hat sich vor kurzem mit einer Analyse der Beschäftigungsentwicklung im (österreichischen) Bankensektor zu Wort gemeldet:

Arbeitsmarktservice Österreich: Banken – ein interessanter Arbeitsmarkt in einem herausfordernden Umfeld, Oktober 2016

»Anfang der 2000er-Jahre hat der Strukturwandel der österreichischen Banken begonnen. Bereits in den Jahren vor der Krise (2008) kam es in Österreich zu Filialschließungen, die Beschäftigung blieb aber relativ konstant bzw. zeigte zwischen 2004 und 2008 deutliche Zuwächse. Seit der Finanzmarktkrise 2008/2009 hat sich der Personalstand im Bereich der Finanzdienstleistungen entgegen der allgemeinen Beschäftigungsentwicklung spürbar verringert. Im Bankensektor sind weitere Umstrukturierungen, Sparmaßnahmen und Personalabbau zu erwarten. Die fortschreitende Digitalisierung stellt das Bank-, Finanz- und Versicherungswesen vor Herausforderungen, bietet aber auch neue Chancen.« So heißt es in der Beschreibung des Textes.

Für Deutschland liegt beispielsweise diese Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) aus dem Jahr 2014 vor: Entwicklungen und Perspektiven von Qualifikation und Beschäftigung im Bankensektor. Darin heißt es:

»Rund 780.000 Erwerbstätige arbeiten in der Bankenbranche. Sie verfügen überwiegend über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bankkaufmann/-kauffrau und arbeiten überproportional häufig in Vollzeit … Die Einkommen liegen absolut und in den Veränderungsraten über dem Durchschnitt aller Berufe und die Arbeitslosigkeit ist gering … Jährlich beginnen über 13.000 junge Männer und Frauen eine Ausbildung zum/zur Bank­kaufmann/-kauffrau … der Anteil der Studienberechtigten im Beruf Bankkaufmann/-kauffrau liegt mit 72 % weit über dem Durchschnitt … die Zahl der Neuabschlüsse (hat sich) – aufgrund massiver Umstrukturierungsprozesse zu Beginn der 1990er-Jahre – im Vergleich zu 1992 fast halbiert … Bankkaufleute (weisen) hohe Abwande­rungstendenzen in andere berufliche Tätigkeiten außerhalb des Bankensektors auf … Da der zukünftige Bedarf an Erwerbstätigen im Bankensektor schneller sinkt als das Angebot, könnte die Arbeitslosigkeit bzw. Abwanderung in andere berufliche Tätigkeiten unter Bankkaufleuten zunehmen. Auch die Attraktivität des dualen Ausbildungsberufes könnte massiv darunter leiden.«

Die Beschäftigung von Bankkaufleuten ist auf dem Sinkflug und auch die Ausbildungszahlen gehen runter – wobei man sicher sagen kann, dass der Rückgang im Kontext dessen, was hier beschrieben wurde, erst in der Anfangsphase ist. Das wird in den vor uns liegenden Jahren noch erheblich an Dynamik gewinnen.

Zugleich kann man an diesem Beispiel ein grundlegendes Problem der Vorhersagen über die Arbeitsmarktentwicklung aufzeigen: Nur die Beschäftigungsentwicklung innerhalb einer etablierten Branche und mit Blick auf dort gewachsene Berufsbilder zu skizzieren, verwechselt Brutto- mit Nettoentwicklungen. Dann kommt es zu den plakativen Aussagen, „die“ Digitalisierung würde zahlreiche Jobs vernichten. Korrekt wäre natürlich eine methodisch sehr schwierige Gegenrechnung, welche und wie viele Jobs in anderen Bereichen anstelle der wegfallenden Arbeitsplätze bei den Banken entstehen. Ansonsten läuft man möglicherweise in die gleiche Problematik, die man auch hat, wenn man die Beschäftigung in der Industrie bilanziert und dort erhebliche Rückgänge konstatieren muss, die es gegeben hat, aber ein Teil davon ist nicht verschwunden, sondern schlichtweg umgelabelt worden in den Bereich der Dienstleistungen, beispielsweise durch Outsourcing der Beschäftigten in Dienstleistungsunternehmen. Es hat sich schlichtweg die Grundgesamtheit geändert – und für viele Beschäftigte auch die Arbeitsbedingungen, vor allem hinsichtlich einer geringeren Vergütung als in der alten Welt.