Es geht (nicht mehr?) voran. Zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund der Corona-Krise

Es ist noch gar nicht so lange her, da konnte man diese positiven Meldungen vernehmen: »In den Jahren 2013 bis einschließlich 2018 ist die Bevölkerung mit Fluchthintergrund in Deutschland um 1,2 Millionen Personen gewachsen … Rund die Hälfte der Geflüchteten, die seit 2013 nach Deutschland gekommen sind, geht fünf Jahre nach dem Zuzug einer Erwerbstätigkeit nach. Die Arbeitsmarktintegration erfolgt damit etwas schneller als bei Geflüchteten früherer Jahre.« So aus der Zusammenfassung dieses Berichts aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB):

➔ Herbert Brücker, Yuliya Kosyakova und Eric Schuß (2020): Fünf Jahre seit der Fluchtmigration 2015: Integration in Arbeitsmarkt und Bildungssystem macht weitere Fortschritte. IAB-Kurzbericht 4/2020, Nürnberg 2020

Nun liegt es nahe, dass die Corona-Pandemie seit dem Frühjahr diesen noch am Anfang des Jahres hervorgehobenen positiven Integrationsprozess eines Teils der geflüchteten Menschen abrupt unterbrochen hat oder haben könnte. Das nicht nur mit Blick auf eine naheliegende überdurchschnittliche Betroffenheit von Entlassungen bzw. Nicht-Einstellungen aufgrund der Branchen, in denen die meisten Flüchtlinge untergekommen sind, sondern auch, weil die vorgelagerten und für eine gelingende Arbeitsmarktintegration überaus bedeutsamen Prozesse wie Integrations- und Sprachkurse, aber auch die persönliche Begleitung und Hilfestellung seitens der Lotsen und anderer, oftmals ehrenamtlich agierender Kümmerer im Gefolge der Kontaktbeschränkungen und der Aussetzung vieler Angebote während des ersten Lockdowns schweren Schaden genommen haben.

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Von der Debatte zur Realität: Das Instrument der Wohnsitzauflage für Flüchtlinge und die vor Jahren bereits vorgetragene Skepsis hinsichtlich der Auswirkungen auf die Integration in den Arbeitsmarkt

Vor gut vier Jahren wurde in diesem Blog inmitten des zu dieser Zeit alles beherrschenden Themas Flüchtlinge dieser Beitrag veröffentlicht: Soll man oder soll man nicht? Und wenn ja, wie? Zur aktuellen Debatte über eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge. Nicht nur in Deutschland. Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte angekündigt, eine „Integrationsgesetz“ vorzulegen und ein Bestandteil dieses Gesetzes sollte „eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge, um die Integration zu erleichtern“ sein. Der Minister sagte, er wolle Ghetto-Bildung vermeiden: „Deswegen wollen wir regeln, dass auch anerkannte Flüchtlinge – jedenfalls solange sie keinen Arbeitsplatz haben, der ihren Lebensunterhalt sichert – sich an dem Ort aufhalten, wo wir das als Staat für richtig halten, und nicht, wo der Flüchtling das für richtig hält.“ Und des gab damals durchaus parteiübegreifend Zustimmung für diesen restriktiven Teil eines Integrationsgesetzes.

Das überrascht auch nicht angesichts der Zeile bzw. Hoffnungen, die man mit so einem Eingriff verbunden hat. Eine der Hauptargumentationslinien ging so:
Verhinderung von Ghettobildung und Erleichterung der Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft: Studien hätten gezeigt, dass eine hohe ethnische Konzentration in gewissen Gebieten zu einem geringeren oder jedenfalls langsameren Erlernen der Landessprache führt. Ein Umstand, der sich negativ auf spätere Arbeitsmarktchancen auswirkt. Auch sonstige Integrationsaufgaben wie etwa die Wertevermittlung – z. B. die Einstellung zur Erwerbstätigkeit von Frauen – wären wohl schwieriger, auch deswegen, weil viele ehrenamtliche Strukturen, die häufig im ländlichen Raum angeboten werden, nicht gut genutzt werden können.

Das klingt bei einer ersten Inaugenscheinnahme plausibel. Aber bereits damals wurden auch kritische Fragen und skeptische Anmerkungen vorgetragen.

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Es geht voran. Zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Wie immer aber lohnt es sich, genauer auf die Zahlen zu schauen

»Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, sieht die Integration von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt auf einem guten Weg. Die Entwicklung in den vergangenen vier Jahren sei deutlich besser als von Arbeitsmarktexperten vorhergesagt«, so beispielsweise diese Meldung aus dem September 2019: Integration „besser als vorhergesagt“. »Zuvor hatte das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) erklärt, die Integration von Flüchtlingen gehe schneller voran als zunächst angenommen. Im Herbst dürften ungefähr 40 Prozent der Flüchtlinge in erwerbsfähigem Alter einer Beschäftigung nachgehen.« Und die positive Berichterstattung setzt sich im noch neuen Jahr fort: Flüchtlinge in Hessen schneller als erwartet in Arbeit, so ist einer der vielen Artikel aus den vergangenen Tagen überschrieben. Darin wird Frank Martin, der Chef der Arbeitsagentur in Hessen, mit diesen Worten zitiert: „Dass die Arbeitsmarktintegration so schnell gelingen würde, haben wir nicht erwartet“, urteilt er. Dabei gelinge es besser, Fachkräfte zu integrieren als Menschen, „die lediglich eine Helfertätigkeit ausüben“.

Allerdings gibt es dann auch differenzierende Hinweise: Der Trend geht zur Leiharbeit, so ist beispielsweise der Artikel von Valerie Eiseler überschrieben: »Immer mehr Geflüchtete arbeiten, aber Bürokratie und fehlende Qualifikation stehen häufig im Weg.«

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Ein (angeblich) stabiles Integrationsklima in Deutschland. Und die Umrisse eines Einwanderungsgesetzes

»Nicht nur die Ereignisse in Chemnitz, auch Alltagsdebatten, Medienberichte und die Einschätzungen von Teilen der Politik etwa im Bundestag lassen den Eindruck entstehen, um das Integrationsklima in Deutschland sei es nicht zum Besten bestellt. Doch eine wissenschaftliche Studie liefert den gegenteiligen Befund. Seit 2010 untersucht der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), wie es um die Erwartungen und die Urteile der Bevölkerung zu Themen bestellt ist, die mit Integration und Migration zusammenhängen. Jährlich gibt der SVR ein Jahresgutachten heraus«, berichtet Uwe Kalbe in seinem Artikel Integration gehört zu Deutschland. Bestandteil der Jahresgutachten ist das alle zwei Jahre in einer repräsentativen Studie ermittelte Integrationsbarometer. Der Sachverständigenrat selbst fasst die neuen Befunde, die aus einer telefonischen Befragung von 9.300 Personen resultiert (vgl. dazu auch den Methodenbericht zum Integrationsbarometer), so zusammen:

»Neben den Einschätzungen zum Integrationsklima in Deutschland wurden auch die Haltungen zu Flüchtlingen erhoben. Darüber hinaus wurde ermittelt, welche Faktoren aus Sicht der Befragten wichtig sind, um in Deutschland Erfolg zu haben, und wie die Frage des Kopftuchs in Schulen und Behörden bewertet wird.
Das SVR-Integrationsbarometer zeigt: Das Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft wird überwiegend positiv wahrgenommen und zwar in allen Bevölkerungsgruppen. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die kulturelle Vielfalt im Alltag erfahren. Eingetrübt hat sich das Integrationsklima in den Jahren 2016 und 2017 dort, wo der Integrationsalltag nicht persönlich erlebt wird. Die Haltungen zu Flüchtlingen sind differenziert: Die meisten Befragten mit wie ohne Migrationshintergrund sind im Grundsatz weiterhin dafür, Flüchtlinge aufzunehmen. Gleichzeitig meint die Mehrheit, dass der Zuzug von Flüchtlingen begrenzt werden muss. Ob es Muslimas in Schulen und Behörden erlaubt sein soll, ein Kopftuch zu tragen, ist weiterhin umstritten. Muslimische Zuwanderer und Zuwanderinnen sind überwiegend dafür. Die Mehrheitsbevölkerung dagegen sieht das besonders an Schulen kritisch.« Die Langfassung des Integrationsbarometers ist so überschrieben: Stabiles Klima in der Integrationsrepublik Deutschland. Dass die Diskussion über Flüchtlinge den gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig gefährdet habe, sei aus den Ergebnissen nicht herauszulesen, so die positive Botschaft der Wissenschaftler.

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Zahlenhubereien mit plakativen Wirkungen: Wenn BILD mal wieder zu rechnen versucht. Am Beispiel „der“ Flüchtlingen in „den“ Sprachkursen

»Immer mehr Flüchtlinge erreichen trotz Förderung in besonderen Kursen nicht das sprachliche Mindestniveau für einen Helfer-Job oder eine Ausbildung in Deutschland. Teilnehmer aus zwei Ländern schnitten besonders schlecht ab«, so konnte man es auf der Online-Seite der FAZ lesen.Die Überschrift der Meldung war eindeutig: Vier von fünf Flüchtlingen schaffen Deutsch-Test nicht. Auch die Quelle für diesen deprimierenden Befund nennt die FAZ: »Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erreichen mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge in Sprachkursen nicht das Sprachniveau B1, das Jobcenter und Arbeitsagenturen als Mindestanforderung für einen Helfer-Job oder eine Ausbildung bezeichnen. Das berichtet die Zeitung „Bild am Sonntag“ und beruft sich dabei auf Informationen des BAMF. Besonders schlecht schnitten demnach Teilnehmer aus Eritrea und dem Irak ab.« Auch viele andere Medien haben die BILD-Meldung mit einer vergleichbaren Überschrift übernommen unter unter die Leute gebracht. Dass sofort zahlreiche Stimmen die deprimierenden Zahlen politisch auszuschlachten versucht haben, muss hier nicht extra hervorgehoben werden.

Aber noch gibt es kritische Beobachter der Zahlenhubereien, vor allem, wenn sie von der BILD-Zeitung kommen. Dazu gehört BILDblog. Und dort hat man auch im vorliegenden Fall genauer hingeschaut und herausgekommen ist dieser Artikel von Moritz Tschermak: „Bild“-Medien lassen Flüchtlinge durch Deutsch-Tests fallen. Ausgehend von der Überschrift in der BamS könnte man ja meinen, dass „4 von 5 Flüchtlingen“ bei ihren Deutsch-Tests durchfallen. So ist es aber nicht. Es sind nicht 80 Prozent, sondern deutlich weniger, behauptet nun Tschermak.

Wie das? Denn „Bild am Sonntag“ und bild.de beziehen sich doch auf die „Integrationskursgeschäftsstatistik“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), also eine ganz offizielle Behördenstatistik. Wie immer im statistischen Leben muss man bei solchen Statistiken genauer hinschauen.

Auf der Online-Seite der BILD ist der Artikel hinter der Paywall platziert, es gab nur die knackige Überschrift (die dann meistens auch hängen bleibt und bleiben soll) und einen „Appetitanreger“: »Lesen Sie mit BILDplus, was die Deutschkurse den Steuerzahler kosten und warum nach 1300 Unterrichtsstunden die Sprachkenntnisse noch nicht mal für Helfer-Jobs im Arbeitsmarkt reichen.«
Tschermak hat nun in den eigentlichen Artikel geschaut und das hier gefunden:

»Laut aktueller Bamf-Zahlen besuchten allein im ersten Halbjahr 2017 rund 43 000 Menschen einen speziellen Integrationskurs für Analphabeten (…).
Brisant: Trotz extra kleiner Lerngruppen und bis zu 1300 Unterrichtsstunden sprechen vier von fünf Flüchtlingen danach immer noch so schlecht Deutsch, dass sie nicht einmal einen Helfer-Job bekommen oder eine Ausbildung machen können. Das Sprachniveau B1 (…) erreichen in den Analphabeten-Kursen gerade mal 17 Prozent der Teilnehmer, wie das Bamf auf Anfrage bestätigt. (…)
Nicht besser sieht es bei den normalen Integrationskursen aus, also ohne Analphabeten. Insgesamt schafft bloß jeder zweite Teilnehmer den B1-Test.«

Erst hier erfährt der geneigte Leser, wenn er denn die Zahlen sortiert, »dass gar nicht „4 von 5 Flüchtlingen“ bei ihrem Deutsch-Test durchfallen, sondern dass vier von fünf Flüchtlingen, die Analphabeten sind, nicht das Sprachniveau B1 erreichen.« Ein doppelter Unterschied, so Tschermak: »Es geht weder um alle Flüchtlinge noch um die Frage „bestehen oder nicht bestehen?“, sondern darum, ein gewisses Niveau beim Bestehen zu erreichen.«

Und was findet man in dem Bericht zur Integrationskursgeschäftsstatistik für das erste Halbjahr 2017 des BAMF wirklich?

»Tatsächlich haben … im ersten Halbjahr 2017 126.868 von insgesamt 165.997 erstmaligen Integrationskurs-Teilnehmern den „Deutsch-Test für Zuwanderer“ bestanden, allerdings mit unterschiedlichen Sprachniveaus (53,9 Prozent mit B1-Niveau, 37,6 Prozent mit A2-Niveau, 8,5 Prozent unter A2-Niveau — zu den verschiedenen Sprachniveaus gleich mehr). Rund 76 Prozent der Teilnehmer haben also einen Abschluss hinbekommen und nicht — wie in der „BamS“-Schlagzeile behauptet — nur 20 Prozent.«

Bei bild.de wurde die Überschrift inzwischen in „Flüchtlinge haben Probleme bei Deutsch-Test“ geändert. Die erste Version war laut „Bild“-Oberchef Julian Reichelt einfach nur „schlecht formuliert“. Tschermak berichtet in seinem Artikel, dass der „Bild plus“-Artikel, über dem die „nur schlecht formulierte“ Überschrift stand, am 7. Januar „meistgeklickt“ war.

Nun wird sich der eine oder andere treue Leser dieses Blogs daran erinnert fühlen, dass vor gar nicht so langer Zeit hier schon mal eine Auseinandersetzung mit einer der wirkkräftigen BILD-Schlagzeilen geführt wurde. Daraus stammt diese Bewertung:

»Man kann bilanzieren, dass die Überschrift auf der Titelseite der BILD-Zeitung schlichtweg falsch ist, aber seine Funktion sicher erfüllt hat: Es soll hängen bleiben, dass „die“ meisten Flüchtlinge nicht mal einen Schulabschluss haben. Auch wenn das ein genauerer Blick auf die Daten und deren Hintergründen wie hier gezeigt gar nicht hergibt.«

Die Beweisführung findet man in meinem Beitrag Verloren in einer (mindestens) halbierten Realität. Statistiken über fehlende Schulabschlüsse bei Flüchtlingen und Inhalte jenseits der Überschriften vom 25. August 2017. Nur zur Vollständigkeit: Dort wurde aber auch die entgegengesetzte Position, konkret Verlautbarungen des IAB über den (angeblichen) Bildungsabschlussstand der Flüchtlinge, in Zweifel gezogen, denn wenn auch die damaligen BILD-Zahlen falsch waren: »Auf der anderen Seite könnte man der gleichsam entgegengesetzten Überschrift des IAB, dass zwei Drittel der Geflüchteten einen Schulabschluss haben, ebenfalls kritisch begegnen und darauf hinweisen, dass die sich auf eine Befragung ausgewählter Flüchtlinge in der zweiten Jahreshälfte handelt, die – bei aller Anerkenntnis der Forschungsleistung – immer und bei diesem Personenkreis sicher ziemlich stark mit Unsicherheit behaftet ist was die behauptete Repräsentativität angeht.«

Foto: Screenshot der BILDblog-Seite vom 08.01.2018 mit dem Artikel „Bild“-Medien lassen Flüchtlinge durch Deutsch-Tests fallen