Auf nach Österreich? Mit einem vergleichenden Blick auf die Rente hier und dort wäre das naheliegend. Für die Rentner in Deutschland

Das war ja zu erwarten. Das Gesamtkonzept zur Alterssicherung, das die Bundessozialministerin Andrea Nahles gestern der Öffentlichkeit präsentiert hat, wird von vielen kritisch kommentiert. Das kann bei so einem Thema auch nicht wirklich überraschen. Vor allem ihr Vorschlag, eine „Haltelinie“ beim absinkenden Rentenniveau einzuziehen und das bei 46 Prozent bis 2045 zu stabilisieren, sorgt für strittige Diskussionen. So hat sich der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm zu Wort gemeldet, er hält das von Nahles vorgeschlagene Mindest-Rentenniveau von mindestens 46 Prozent für nicht ausreichend: „Die Rente muss höher sein als die Grundsicherung, sonst verliert das System seine Legitimität. Ein Niveau von 46 Prozent wird dafür nicht reichen“, so wird er in dem Artikel Blüm und Riester kritisieren Rentenkonzept zitiert. Aber viele Kommentatoren argumentieren so wie Thomas Öchsner von der Süddeutschen Zeitung, der unter der bezeichnenden Überschrift Wer soll das bezahlen? schreibt:

»Nahles hat auch recht, wenn sie eine neue langfristige Haltelinie beim Rentenniveau und bei den Beitragssätzen fordert. Wer das Rentenniveau ins Bodenlose fallen lässt, untergräbt die Legitimation der Rentenversicherung … Jedoch ist die Ministerin übers Ziel hinausgeschossen. Man kann darüber reden, die gesetzliche Haltelinie von mindestens 43 Prozent des Durchschnittslohns über 2030 hinaus zu stabilisieren. Die 46 Prozent, die Nahles anpeilt, werden allerdings viel zu teuer.« 

Es geht hier gar nicht um die Frage, warum das eigentlich so sein soll (vgl. dazu mein Hinweis auf die eigentliche Finanzierungsfrage als zentrale Baustelle der rentenpolitischen Diskussion, die aber weiterhin gemieden wird, in dem Beitrag Die Rente soll gesamtkonzeptionell verbessert werden. Aber welche Rente? Und der großen Koalition geht die Puste aus beim Anblick der wirklich großen Baustellen im Alterssicherungssystem vom 25.11.2016).
Auffällig ist hingegen, dass kaum bis gar nicht die eigentlich naheliegende Frage aufgerufen wird, wie hoch eigentlich viele Renten heute sind und wie hoch sie in Zukunft sein sollten.

Da kann es dann auch mal schnell zur Irritationen – um das nett auszudrücken – kommen, wenn man den vergleichenden Blick auf andere Länder richtet und feststellen muss, dass es den Menschen im Ruhestand deutlich besser geht als bei uns, was die Höhe der Rente angeht.
Und wenn so was dann auch noch in einer der vielen Talk-Shows passiert, dann zeigt sich sehr schnell, wer Experte ist und wer nur so tut.

Und im Ergebnis kann es dann zu solchen Schlagzeilen kommen: Staunen bei „Illner“: Warum gibt es in Österreich 40 Prozent mehr Rente?, so ist der Artikel von Tatjana Grassl überschrieben.

In »der Show von Maybrit Allner (ging es) um das Thema Rente – bis ein Praxis-Beispiel plötzlich sämtliche Teilnehmer verstummen ließ: In einem Einspieler wurden die Renten eines Österreichers und eines Deutschen miteinander verglichen. Das Ergebnis: Der österreichische Facharbeiter bekommt im Alter 40 Prozent mehr Rente als der deutsche. Dabei verdienen beide das gleiche Bruttogehalt.«

»Wie kann das sein? Auch Illners Gäste konnten sich das nicht erklären: Weder der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt noch der Uni-Professor Antonio Brettschneider waren in der Lage, die Diskrepanz zu erklären.«

Die Bewertung Antonio Brettschneider betreffend ist so nicht zutreffend, in anderem anderen Artikel (vgl. Nicht einmal Wirtschaftsweise blicken bei der Rente durch) wird darauf hingewiesen, dass er folgendes ausgeführt hat: Zum einen zahlen Selbständige in die Rentenversicherung ein, zum andern habe Österreich das politisch so entschieden. „Es geht auch anders als in Deutschland.“ Das ist zumindest schon mal eine Annäherung an die rentenpolitische Wirklichkeit.

Dass aber der Wirtschaftsweise Schmidt die erhebliche Diskrepanz nicht erklären kann, liegt nahe, er ist eben kein Experte für Rentenpolitik und sonstige sozialpolitische Fragen – wie seine vier anderen Mitstreiter im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung übrigens auch nicht. Dennoch nehmen sie jedes Jahr ganz selbstverständlich in Anspruch, die gesamte Sozialpolitik zu kommentieren und zumeist völlig einseitige Ratschläge zu erteilen (vgl. dazu am Beispiel des erst vor kurzem veröffentlichten Jahresgutachtens 2016/17 der „fünf Wirtschaftsweisen“ meine Kritik in dem Beitrag Unbeirrt die Fahne hoch im eigenen sozialpolitischen Schützengraben. Die „fünf Wirtschaftsweisen“ machen auch in Sozialpolitik und das wie gewohnt. Also extrem einseitig vom 2. November 2016).

Folgendes Bespiel wurde in der Illner-Sendung präsentiert:

Zwei Fachharbeiter  verdienen je rund 50.000 Euro im Jahr. Einer arbeitet als Schweißer bei Lufthansa Technik in Hamburg arbeitet in Deutschland, der andere als Elektriker bei einem Autohersteller in  Österreich. Wenn der Deutsche (Jahresbrutto 52.000 Euro) in Rente geht, kann er aus der gesetzlichen Rentenkasse mit einer monatlichen Zahlung von 2.211 Euro rechnen.

Der Österreicher (Jahresbrutto 49.000 Euro) kann dagegen laut seinem Rentenbescheid mit 2.956 Euro Rente rechnen – und das sogar 14 mal im Jahr, weil Rentner in der Alpenrepublik auch Weihnachts- und Urlaubsgeld bekommen. Auf den Monat gerechnet sind das rund 3.500 Euro brutto.

Damit kommt der Österreicher auf eine Jahresrente von 41.384 Euro, der Deutsche aber nur auf 26.539 Euro. Ein Unterschied von fast 40 Prozent.

Tatjana Grassl ist in ihrem Artikel nun selbst auf Suche nach der Antwort auf die Frage, wie es denn zu so einem erheblichen Unterschied kommen kann, gegangen und hat das hier bezogen auf das offensichtlich anders funktionierende Rentensystem der Österreicher herausgefunden:

»In Österreich sichert die gesetzliche Rentenversicherung den Lebensstandard der Pensionäre komplett ab, weitere Säulen der Altersvorsorge (Riester, betriebliche Rente) werden nicht staatlich gefördert.
Die Sozialabgaben zur Rentenversicherung betragen dort 22,8 Prozent des Bruttogehalts, liegen also höher als in Deutschland. Davon trägt der Arbeitnehmer 10,25 Prozentpunkte, also weniger als die Hälfte. 12,55 Prozentpunkte zahlt der Arbeitgeber.
In Österreich zahlen außerdem alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung ein, auch Selbstständige. Ausgenommen sind lediglich Beamte, deren Pensionen aus einem anderen Topf bestritten werden.
Alle Personen ab dem Jahrgang 1955 besitzen ein sogenanntes Pensionskonto. Für jedes Jahr, in dem sie erwerbstätig waren, wird ihnen dort vom Staat 1,78 Prozent ihres jährlichen Bruttoverdienstes gutgeschrieben. Der Höchstbetrag liegt bei 4980 Euro brutto im Monat. Erreicht ein Arbeitnehmer das Renteneintrittsalter, wird die angesammelte Summe auf dem Pensionskonto durch 14 geteilt. Daraus ergibt sich die monatliche Bruttorente.
In Österreich sind für Erwerbstätige 14 Monatsgehälter üblich, es gibt also volles Urlaubs- und Weihnachtsgeld. In diesen Genuss kommen auch die Rentner.«

Dass es diese Diskrepanz zugunsten der österreichischen Rente geben muss, ist jedem klar, der sich etwas mit den System-Unterschieden befasst hat. Dazu reicht es, die entsprechenden Fachdiskussion und die dort vorgebrachten Veröffentlichungen zu verfolgen.

Anfang 2016 wurde beispielsweise diese Studie vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung publiziert:

Florian Blank, Camille Logeay, Erik Türk, Josef Wöss, Rudolf Zweiter (2016): Alterssicherung in Deutschland und Österreich: Vom Nachbarn lernen? WSI-Report Nr. 27, Düsseldorf, Januar 2016

Eine Zusammenfassung der Studie wurde unter diese Überschrift gestellt: Rente: Deutsche oft schlechter abgesichert als Österreicher: In Österreich konzentriert sich die Altersversorgung nach wie vor weitgehend auf die umlagefinanzierte Gesetzliche Rentenversicherung (GRV), in die auch die Selbständigen einbezogen wurden und deren Bestimmungen schrittweise für Beamte zur Anwendung kommen. Eine der Bedingungen für die besseren Leistungen in Österreich ist ein spürbar höherer Beitrag zur Rentenversicherung. Die gesamte Beitragsbelastung für Beschäftigte ist im Vergleich zu Deutschland allerdings nur höher, wenn man die 4 Prozent Beitragssatz zur zusätzlichen Riester-Vorsorge nicht mit einrechnet, die in Deutschland die Beschäftigten selbst aufbringen müssten, um eine gewisse Kompensation der Kürzungen der umlagefinanzierten Rente ausgleichen zu können, was sie tun können, aber nicht müssen.

In Österreich ist das Rentenniveau deutlich höher als in Deutschland, wo es sich zudem auf dem kontinuierlichen Sinkflug befindet.

Angesichts der selbst von der OECD kritisierten besonders schlechten Absicherung der Geringverdiener im deutschen Alterssicherungssystem ist das hier interessant: Geringverdiener sind im österreichischen System merklich besser abgesichert. Neben dem höheren Rentenniveau sichern die von der Rentenversicherung ausbezahlten, steuerfinanzierten „Ausgleichszulagen“ mit rund 12.000 Euro jährlich (für Alleinstehende) Rentnern ein merklich höheres Mindesteinkommen.
Kritiker werden sofort einwenden, dass dafür aber auch die Beitragssätze deutlich höher seien. Auch hier lohnt der genauere Blick:

»Die deutlich höheren GRV-Leistungen in Österreich sind mit einem deutlich höheren Beitragssatz verbunden. Er beträgt seit 1988 unverändert 22,8 Prozent, in Deutschland sind es im Jahr 2015 18,7 Prozent. Rechnet man in Deutschland 4 Prozent Beitragssatz zur Riester-Vorsorge hinzu, dann sind die Beitragssätze in beiden Ländern fast gleich hoch. Dabei tragen die österreichischen Arbeitgeber einen höheren Anteil am Rentenbeitrag als die Beschäftigten (12,55 Prozent vs. 10,25 Prozent), während es in Deutschland umgekehrt ist, wenn man die Beiträge zur Riester-Rente mit einrechnet.«

Die österreichische Rentenversicherung ist zudem als Erwerbstätigenversicherung ausgestaltet, auch die Selbständigen sind einbezogen. Zudem werden seit rund einem Jahrzehnt die vordem deutlich großzügigeren Regelungen zur Beamtenversorgung an das Leistungsniveau der GRV angeglichen.

In der Bewertung der vergleichenden Analyse wurde dann eine Schlussfolgerung vorgetragen, die gerade in diesem Tagen vor dem Hintergrund der aktuellen rentenpolitischen Beschlüsse der großen Koalition wie auch des „Gesamtkonzepts zur Alterssicherung“ der Ministerin Nahles an dieser Stelle ganz besonders hervorgehoben werden sollte, geht doch die Politik bei uns leider in die andere Richtung, also eine weitere Stärkung und ein Ausbau der Kapitaldeckung:

»Die Erfahrungen aus dem Nachbarstaat zeigten, dass eine starke öffentliche Alterssicherung bessere Ergebnisse bringt. So habe es sich als sinnvoller erwiesen, öffentliche Mittel in eine Stärkung der GRV unter anderem zur Aufstockung niedriger Renten zu investieren als damit kapitalgedeckte Zusatzvorsorge zu subventionieren, von der Besserverdienende am ehesten profitieren.«

Und wenn man denn schon meint, die betriebliche Altersvorsorge ausbauen zu müssen, dann sollte man sich durchaus eine österreichische Lerneinheit gönnen:

»Dort sind Arbeitgeber an der Finanzierung der – insgesamt wenig verbreiteten Betriebsrenten – verpflichtend mindestens zur Hälfte beteiligt. In Deutschland ist es dagegen möglich, dass der Arbeitgeber bei der „Entgeltumwandlung“ keine Beiträge leistet, so unter dem Strich sogar Lohnnebenkosten einspart und damit durch die Nutzung einer „betrieblichen Altersvorsorge“ sogar Zusatzgewinne erzielen kann.«

Der – zumindest von vielen Rentner sicher als erfolgreich wahrgenommene – Weg der Österreicher in der Rentenpolitik hat zwei Folgen bzw. Voraussetzungen: Zum einen handelt sich um eine politische Entscheidung, das Rentensystem so und nicht beispielsweise wie in Deutschland auszugestalten und das ganze führt natürlich auch zu höheren anteiligen Ausgaben, wenn man denn diese misst am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Dieser Anteil lag in Deutschland bei 10,6 Prozent, während für Österreich 13,2 Prozent ausgewiesen werden. Das deutlich höhere Niveau der Renten hat seinen Preis.

Aber es gibt natürlich auch deutliche Kritik am österreichischen Weg in der Rentenpolitik. Eine in weiten Teilen sehr negative Besprechung dessen, was in unserem Nachbarland passiert (ist), findet man beispielsweise in dem Beitrag Die Pensionisten-Republik von Stephan Ozsváth. Schon der Beginn verdeutlicht, wohin die Reise geht: »Vorruhestand ist in Österreich beliebt, und viele der Frührentner beziehen auch noch Mehrfachpensionen. Das kostet den Steuerzahler viel Geld. Geld, das bei Zukunftsinvestitionen fehlt. Verlierer sind auch hier die Jungen.« In dem einseitigen Beitrag wird als einziger Experte der österreichische Sozialwissenschaftler Bernd Marin zitiert, der seit Jahren aggressiv gegen die offizielle Rentenpolitik im Alpenstaat argumentiert und diese dem sichereren Untergang geweiht sieht. Marin war bis 2015 Executive Director des European Centre for Social Welfare Policy and Research in Wien. Man sollte und darf diese massive Kritik am österreichischen System nicht unterschlagen, sollte sich mit ihr auseinandersetzen.

Zumindest die heutigen Rentner würden sicher eine klare Entscheidung treffen können, wenn sie wählen müssten. Was nicht heißt, dass das System in Österreich so bleibt, wie es ist. Aber derzeit ist es attraktiv – und eine Alternative zu dem, was in Deutschland zuweilen nur noch als „alternativlos“ dargestellt wird: immer weiter runter mit dem Rentenniveau und bloß nicht (noch) mehr ausgeben für die Alterssicherungspolitik.

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Saisonniers in der Schweiz sowie die Knechte und Mägde des 21. Jahrhunderts in Österreich

Bekanntlich hat sich die Schweiz hinsichtlich der Zuwanderung in eine Situation manövriert, die man als eine mehrfache Bredouille beschreiben muss. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hatte im Juli 2011 im Vorfeld der damaligen Schweizer Parlamentswahlen die eidgenössische Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ lanciert und ihren Wahlkampf unter das Thema „Masseneinwanderung stoppen!“ gestellt. Am 9. Februar 2014 haben Volk und Stände die Initiative angenommen. Und seitdem haben die Regierungsverantwortlichen in den Schweizer Bergen eine Menge Stress, denn: Die Initiative beauftragt den Gesetzgeber, die Zuwanderung von Ausländern in die Schweiz durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente, die sich nach den gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz richten, zu begrenzen. Sie verlangt auch die Änderung dem widersprechender Staatsverträge, also namentlich der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU, welche die Personenfreizügigkeit vorsehen. Nur gibt es seitens der EU, was die vereinbarte Personenfreizügigkeit angeht, derzeit kein erkennbares Entgegenkommen, was angesichts der zwischenzeitlich erfolgten Breit-Abstimmung in Großbritannien und den anstehenden Ausstieg aus der EU auch nicht zu erwarten ist.

Neben den nun im Raum stehenden Problemen hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung der Beziehungen zur EU kommen natürlich ganz handfeste Probleme zum Vorschein, die vereinfacht gesagt darin bestehen, dass man – auch wenn viele sie eigentlich nicht mögen – auf Ausländer als Arbeitskräfte angewiesen ist, vor allem in den personalintensiven Branchen, wo zudem noch schlechte Arbeitsbedingungen, dazu gehören auch niedrige Löhne, vorherrschen, so dass man im Inland nicht genug Arbeitskräfte findet, die bereit sind, die Jobs zu erledigen.

Und der Personalbedarf in Branchen wie dem Bau, dem Tourismus und vor allem der Landwirtschaft ist hoch. Wie kommt man nun aber aus dem Dilemma, auf der einen Seite auf Druck auch einer erfolgreichen Volksabstimmung den Zuzug in die Schweiz begrenzen zu müssen, andererseits aber auch an die erforderlichen Arbeitskräfte zu kommen?

Diese Aufgabenstellung klingt wie die Quadratur des Kreises. Aber die Schweizer sind ja durchaus bekannt für ihre Erfindungen und zuweilen geht es vielleicht auch mit der Reanimation schon mal da gewesener Regelungen, die von der Mechanik her durchaus eine praktische Umsetzung des Mottos „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ versprechen:
Das sogenannte Saisonnierstatut war über Jahrzehnte eine international beachtete Schweizer Spezialität – freilich eine hoch umstrittene, berichtet Fabian Renz in seinem Artikel Das Revival der Saisonniers.

»Sein Zweck bestand darin, dem Bau, der Landwirtschaft und dem Tourismus genügend Arbeitskräfte zuzuhalten und gleichzeitig die Zahl der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung tief zu halten: Nach spätestens neun Monaten mussten die Saisonniers die Schweiz verlassen; mindestens drei Monate pro Jahr hatten sie ausser Landes zu verbringen.«

In einem Bericht zur Ausländerpolitik aus dem Jahr 1991 wurde seitens des Bundesrats darauf hingewiesen, dass diesem Modell „Unmenschlichkeit“ vorgeworfen wurde. Aufgegeben wurde es Anfang der 2000er Jahr im Zuge der bilateralen Verhandlungen mit der EU.
Nun könnte es eine Wiederauferstehung erfahren, pikanterweise vorangetrieben von der im ländlichen Raum verankerten SVP, die doch die Masseneinanderungsinitiative auf den Weg und in ihr Ziel im Sinne einer Begrenzung der Zuwanderung gebracht hatte. Die SVP würde gerne das Saisonnierstatut in die von ihr erwünschte Kontingentsregelung einbauen und hat dafür auch Verbündete außerhalb der eigenen Partei.

Mittlerweile diskutiert man über „Kurzaufenthaltsbewilligungen mit einer Gültigkeitsdauer bis zu neun Monaten“, die dann auch von Begrenzungen der Zuwanderung ausgenommen werden sollen.
Gleichsam als Preis, die alte Saisonarbeiterregelung wieder zu bekommen, könnten Zugeständnisse gemacht werden. »So war es den Saisonniers beispielsweise untersagt, ihre Frauen und Kinder in die Schweiz zu holen. Das Verbot des Familiennachzugs war in der Tat der menschenrechtlich wohl heikelste Aspekt des Modells.« Hier könnten weniger restriktive Regelungen eingeführt werden.

Daran soll es doch nicht scheitern, (wieder bzw. in Zukunft) an billige Arbeitskräfte zu kommen. Man muss nur flexibel genug sein.

Für die Gewerkschaften ist auch ein „Saisonnierstatut light“ indiskutabel. Daniel Lampart, Sekretariatsleiter des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB/USS), kritisiert: Ausländer mit befristetem Arbeitsvertrag und ebensolchem Aufenthaltsrecht könnten sich kaum gegen ihre Chefs wehren, und sie verdienten schlechter als Niedergelassene. Das führe auch zu Druck auf die Einheimischen.

Fazit von Fabian Renz: »Fest steht: Mit der Priorisierung von 9-Monate-Werktätigen kehrte die Schweiz zu ihren ausländerpolitischen Wurzeln zurück. Bevorzugt wären wieder Niedrigqualifizierte.«

Auch in Österreich gibt es zahlreiche kritische Stimmen und Widerstände gegen eine weitere Zuwanderung in das Land (vgl. dazu beispielsweise die Hintergrundsendung Hofburg, Alpen, Populismus des Deutschlandfunks vom 2. Oktober 2016) – obgleich man dort natürlich vor den gleichen bzw. ähnlichen Herausforderungen steht wie die Schweizer, was die Deckung des Arbeitskräftebedarfs angeht. Was das bedeutet, beschreibt Vanessa Gaigg in ihrem Artikel Die Knechte und Mägde des 21. Jahrhunderts, in dem es vor allem um die Erntehelfer geht.

»Österreicher findet man laut der Gewerkschaft bei Erntehelfern selten. Schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen sind ihr Alltag.« Obwohl wir über körperliche Schwerstarbeit reden, ist die Entlohnung mehr als mager. Da ist z.B. Ilona, die seit 16 Jahren immer wieder im Burgenland arbeitet.

»Laut Kollektivvertrag für das Burgenland, wo Ilona arbeitet, müsste sie 6,23 Euro in der Stunde bekommen. Das Problem: In der Praxis bleibt es meist bei der Theorie, was die Bezahlung angeht. So gut wie nie hat Ilona das verdient, was ihr gesetzlich zusteht.«

2013 legten 70 rumänische Erntehelfer in Tirol erstmals in großem Stil die Arbeit nieder. Es folgten öffentlich geführte Auseinandersetzungen über Löhne und Arbeitsbedingungen, auch Gerichtsprozesse. Seitdem schauen auch die Gewerkschaften genauer hin und versuchen, Kontakt zu den ausländischen Saisonarbeitern aufzubauen.

»Viele Erntehelfer wohnen bei den Bauern selbst und übernehmen auch Tätigkeiten im Haushalt wie Bügeln, Kinder ins Bett bringen oder putzen. Das Verhältnis erinnert an jene von früheren Knechten und Mägden, nur dass die fremden Landarbeiter für ihr Quartier meist bezahlen müssen. Laut Melo kommen die meisten Erntehelfer aus Rumänien und Serbien. Aber auch Bosnier, Ukrainer, Polen und Ungarn trifft sie viele.«

Österreicher suche man auf den Feldern meist vergeblich. Die meisten Bauern würden die Saisonniers sowieso bevorzugen, Experimente mit Österreichern würden oft darin enden, dass diese nach drei Tagen die anstrengende Arbeit wieder abbrechen.
Das nun wieder ist eine Erfahrung, die auch aus Deutschland berichtet wird.

Auch in Deutschland basiert die Funktionsfähigkeit ganzer Branchen auf der Beschäftigung von Saisonarbeitern, Entsendearbeitnehmern, Scheinselbständigen usw. Man sollte sich hin und wieder daran erinnern, wenn wieder Wellen der Ablehnung und der Geringschätzung Ausländern gegenüber durch das Land (und die anderen Ländern) schwappen. Darüber hinaus sind alle Akteure gefordert, die Saisonniers zu schützen, gerade weil sie oftmals nicht nur die verletzlichsten Glieder am Anfang einer Wertschöpfungskette sind, sondern auch die schwächsten Glieder, so dass sie selbst erheblich eingeschränkt sind hinsichtlich des Widerstands gegen Ausbeutungsstrukturen.

Häusliche Betreuung und Pflege: Eine völlig berechtigte Skandalisierung, wenn hier „Sklavinnen“ unterwegs sind. Aber zugleich die bohrende Frage: Was tun?

Immer wieder tauchen sporadisch solche Artikel in den Medien auf: »Rund um die Uhr, unterbezahlt und unversichert. „Pflegesklavinnen“ nennen manche diese Menschen, oft aus Osteuropa, die teilweise weniger als 800 Euro im Monat verdienen – für einen Job, für den es eigentlich drei Pflegekräfte bräuchte. Die Frauen, selten Männer, arbeiten als 24-Stunden-Kräfte, auch „Live-Ins“ genannt, in Privathaushalten. Von dort aus versorgen sie Menschen Tag und Nacht, gehen einkaufen, kochen, geben Tabletten und sind Gesprächspartner. Und weil sie keine Rechte haben, werden sie oft mit Füßen getreten.« Damit beginnt Daniel Drepper seinen Beitrag, den er unter die aufrüttelnde Überschrift Sklavinnen, die uns pflegen gestellt hat.

Es handelt sich im wahrsten Sinne des Wortes um eine Schattenwelt, was sich dann auch in den Zahlen niederschlagen muss: Experten schätzen, berichtet Drepper weiter, dass es zwischen 100.000 und 300.000 – ganz überwiegend Frauen – sind. Eine Studie für das polnische Arbeitsministerium geht davon aus, dass 94 Prozent dieser Frauen illegal in Deutschland arbeiten. 

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Wenn Österreich von Deutschland lernen sollte. Beispielsweise beim Thema „Ein-Euro-Jobs“ und dann auch noch für Flüchtlinge

Also grundsätzlich ist das ja so eine Sache, wenn einem empfohlen wird, man möge doch bitte von diesem oder jenem Land „lernen“, wie es besser gehen kann oder aber wie etwas nicht funktioniert. Partielle Ländervergleiche sind mit Vorsicht zu genießen, vor allem, wenn es um historisch gewachsene und eigenartige Gebilde wie sozialpolitische Institutionen und Instrumente geht. Die hier nur angedeutete Skepsis geht in die eine wie auch in die andere Richtung. Also egal, ob einem der Vergleich ins Konzept passt oder nicht. Aber zuweilen – und vor allem, wenn die Länder durchaus strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen – kann das Abkupfern von den anderen eine durchaus legitime und effektive Option sein. Nehmen wir beispielsweise die beiden Länder Deutschland und Österreich.
Da gab und gibt es immer wieder den Versuch, auf das eine oder andere Land zurückzugreifen. Da könnte man beispielsweise auf die Renten-Debatte verweisen. Anfang dieses Jahres wurde Österreich als Vorbild in die deutsche Diskussion geworfen: »Deutschland und Österreich sind sich sozial, wirtschaftlich und politisch sehr ähnlich. Trotzdem sind die beiden Länder bei den Reformen ihrer Rentensysteme ganz unterschiedliche Wege gegangen.

In Österreich konzentriert sich die Altersversorgung nach wie vor weitgehend auf die umlagefinanzierte Gesetzliche Rentenversicherung (GRV), in die auch die Selbständigen einbezogen wurden und deren Bestimmungen schrittweise für Beamte zur Anwendung kommen«, konnte man dem Artikel Rente: Deutsche oft deutlich schlechter abgesichert als Österreicher entnehmen. Das österreichische Modell der Alterssicherung wird hier als Vorbild für Deutschland herausgestellt. Weitere Details finden sich in der Studie, über die der Artikel berichtet hat:

Florian Blank et al.: Alterssicherung in Deutschland und Österreich: Vom Nachbarn lernen? WSI-Report Nr. 27, Januar 2016

In anderen Bereichen möchte man den Österreichern zurufen: Schaut euch die Erfahrungen hier bei uns in Deutschland an und vermeidet die Fehler, die wir begangen haben. Das leitet über zu dem in diesem Blog-Beitrag im Mittelpunkt stehenden Thema: Die Forderung nach „Ein-Euro-Jobs“, im konkreten Fall für Flüchtlinge. Denn darüber hat sich eine heftige Debatte im Nachbarland entzündet.

Begonnen hat alles mit einem nicht nur, aber auch populistisch zu verstehenden Vorstoß eines österreichischen Regierungsmitglieds, das auch in Deutschland durch einige Talkshow-Auftritte bekannt und dem einen oder anderen auch angesichts seines jungen Alters in Erinnerung geblieben ist: »Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat … Pläne zur Verschärfung der Ausländer-Gesetzgebung vorgelegt. Er fordert verpflichtende gemeinnützige Ein-Euro-Jobs für arbeitslose Asylberechtigte, eine Reduktion der Mindestsicherung und Maßnahmen gegen die Vollverschleierung von Frauen«, berichtete die Tageszeitung Die Presse in dem Artikel Kurz will verpflichtende Ein-Euro-Jobs für Asylberechtigte. Die Maßnahmen sollen in einem neuen Integrationsgesetz gebündelt werden.

»Als Kernpunkt seines Sammelgesetzes sieht der Minister die verpflichtenden gemeinnützigen Ein-Euro-Jobs. Er zielt damit auf die derzeit rund 25.000 beim AMS gemeldeten arbeitslosen anerkannten Flüchtlinge ab, monatlich kämen 1000 hinzu. Grundsätzlich könne man diese Pflicht zwar nicht auf diese reduzieren, angestammte Österreicher will das Integrationsressort aber durch ein Abstellen auf die Sprachkenntnisse ausnehmen.
Die Tätigkeiten sollen etwa die Instandhaltung öffentlicher Flächen, die Betreuung von Asylwerbern und anderen Gruppen sowie die Mitarbeit in Sozialeinrichtungen umfassen. Die Vermittlung soll über das AMS erfolgen, hier könnte auch die Residenzpflicht greifen. Anbieten sollen die Jobs in einem ersten Schritt nur Gebietskörperschaften, in einem zweiten Schritt eventuell auch Nichtregierungsorganisationen. Wer nicht zur Annahme bereit sei, dem sollen die Sozialleistungen gekürzt werden, so der Minister.«

Der Mann kann austeilen: „Wer den ganzen Tag zu Hause und im Park herumsitzt, der hat auch einmal Tagesfreizeit, um auf blöde Ideen zu kommen“, sog wird Kurz in dem Artikel zitiert. Und auch die „bedarfsorientierte Mindestsicherung“, die 2010 in Österreich eingeführt wurde und die die bis dato in den Ländern unterschiedlich geregelte Sozialhilfe ersetzt hat bzw. dies soll, hat der smarte Minister im Visier: Er plädiert für »eine Reduktion der bedarfsorientierten Mindestsicherung für Neuankömmlinge. Fünf Jahre rechtmäßiger Aufenthalt wäre aus seiner Sicht die Schwelle für den vollen Bezug. „Es muss einen Unterschied geben zwischen jenen, die frisch hier sind und denen, die eingezahlt haben“, argumentierte er.« Wieso eingezahlt? Wie Sozialhilfe funktioniert, sollte er eigentlich wissen.

Eines hat Minister Kurz geschafft – in Österreich ist eine breite Debatte entfacht worden über den Sinn und Unsinn der sogenannten „Ein-Euro-Jobs“. Vorweg sei angemerkt, dass er die aus Deutschland stammende Begrifflichkeit mit Sicherheit nicht zufällig verwendet hat, sondern dass dem eine Signalfunktion innewohnt, die auf das Hartz IV-System als solches verweist, denn seit einiger Zeit wird auch in Österreich immer wieder gefordert, die angeblich so erfolgreichen Hartz-Reformen zu übernehmen, wenigstens Teile davon.

Aber bleiben wir bei dem Instrumentarium, das bei uns ganz korrekt und marketingtechnisch natürlich katastrophal „Arbeitsgelegenheiten nach der Mehraufwandsentschädigungsvariante“ (geregelt im § 16d SGB II) heißt, was auch bei uns dazu geführt hat, immer von den „Ein-Euro-Jobs“ zu sprechen, was nicht unproblematisch ist.

Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Diskussion. Ein Auszug: Ein-Euro-Jobs allein werden das Problem nicht lösen, so Matthias Auer:

»Auf den ersten Blick wirken die Zahlen nicht dramatisch: Gerade einmal 6,6 Prozent der 380.000 Arbeitslosen im Land sind anerkannte Flüchtlinge. 25.000 Menschen klingt nach wenig, doch der Schein trügt. Denn der Großteil der 100.000 Syrer und Afghanen, die seit 2015 in Österreich Asyl beantragt haben, sind noch nicht auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Sie sitzen noch in Flüchtlingsheimen und warten – zur Untätigkeit verdammt– auf das Ende ihrer Asylverfahren. Etwa jeder Dritte von ihnen dürfte als Flüchtling anerkannt werden – erst dann erhalten sie Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt. Ihr Problem: Bis dahin sind selbst syrische Ärzte nach langer Flucht und oft ebenso langen Asylverfahren nur noch Langzeitarbeitslose ohne ausreichende Deutschkenntnisse. Ihre Chancen, bald einen Job zu finden, sinken gegen null.«

Über die Ein-Euro-Jobs sollen anerkannte Flüchtlinge aktiv bleiben und schrittweise an die Arbeitswelt herangeführt werden, so die Idee. „Das ist vorstellbar und machbar“, wird Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice AMS, zitiert, der noch eine Rolle spielen wird. Auer stellt die Frage: Ist das aber auch sinnvoll?

»Gesellschaftspolitisch könnte es unter dem Motto „Aufrechterhaltung der Solidarität“ durchaus ein probates Mittel sein, jenen ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz eine Perspektive oder zumindest eine Beschäftigung zu geben. Denn es gibt sie, die 45-jährigen Afghanen, die in ihrem Leben noch nie eine Schule von innen gesehen haben und in Österreich wohl lang auf einen Job als Hirte oder Soldat warten werden. Für sie gibt es keinen Plan. Hier könnten Ein-Euro-Jobs (mit entsprechender finanzieller Aufstockung) ein gangbarer Weg sein.
Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht fällt die Bilanz der Ein-Euro-Jobs durchwachsen aus.«

An dieser Stelle wird dann immer – allerdings höchst selektiv – auf die „deutschen Erfahrungen“ Bezug genommen (vgl. auch den Artikel Ein-Euro-Jobs: Deutschlands umstrittene „Arbeitsgelegenheiten“). Dabei gerät so einiges völlig durcheinander, beispielsweise wenn Auer schreibt:

»Der Blick zum nördlichen Nachbarn zeigt, dass die mit den Hartz-IV-Reformen eingeführten Ein-Euro-Jobs tatsächlich die Arbeitslosigkeit im Land senken konnten. Das gehe auf Kosten der Arbeitnehmer, kritisieren die Gegner. Die Zahl jener, die unter ihrer Qualifikation (und damit deutlich schlechter bezahlt) arbeiten, sei gestiegen.«

Das ist so natürlich nicht richtig bzw. die beschriebenen Effekte haben nun wirklich nichts mit den Ein-Euro-Jobs zu tun. Offensichtlich wird der generell in Deutschland im Zuge der Hartz-Reformen stark expandierende Niedriglohnsektor in der „normalen“ Wirtschaft mit den Ein-Euro-Jobs verbunden, aber das ist falsch, denn die Arbeitsgelegenheiten spielen überwiegend in den marktfernen Bereichen gemeinnütziger Anbieter eine Rolle und höchstens an den ganz außen liegenden Rändern des Arbeitsmarktes lassen sich kleinere Einschläge registrieren.

Da geht wirklich einiges durcheinander. Beispielsweise wenn Auer schreibt: »Nach Einführung der Ein-Euro-Jobs brach die offizielle Nachfrage nach Pflegekräften angesichts der Billigkonkurrenz komplett ein. Berlin musste reagieren; so gibt es heute statt 300.000 Ein-Euro-Jobber nur noch 70.000 in der Bundesrepublik.« Also das mit der Pflege ist nun wirklich Humbug und der massive Abbau der öffentlich geförderten Beschäftigung in Deutschland, die wir seit 2011 zur Kenntnis nehmen müssen, ist keineswegs eine Reaktion auf irgendwelchen massiven Verdrängungs- und Verzerrungseffekte durch die Arbeitsgelegenheiten, sondern schlichtweg den Sparprogrammen der Bundesregierung geschuldet. Detailliertere Informationen über die Arbeitsgelegenheiten und ihre kritische Analyse in Deutschland kann man in zahlreichen Beiträgen in diesem Blog nachlesen.

Wifo-Chef: Ein-Euro-Job, aber ohne „Sozialleistung-Keule“, so ist ein anderer Artikel überschrieben: »Karl Aiginger fordert einen „zweiten Arbeitsmarkt“ für Asylberechtigte. Er kann sich auch den Dienstleistungsscheck für Flüchtlinge vorstellen.« Aiginger plädiert für ein ganz anderes Modell, nach dem »Arbeitgeber Flüchtlinge mit dem Dienstleistungsscheck bezahlen können sollten. Arbeitgeber könnten sich dann aussuchen, wie viel sie einem Flüchtling für eine Stunde Arbeit bezahlen, ob also bloß einen Euro oder den vollen Mindestlohn. Das Modell könnte auf Gemeindeebene ebenso zum Einsatz kommen wie in der Privatwirtschaft.« Das klingt doch sehr theoretisch und öffnet möglicherweise dem Missbrauch Tür und Tor. Und widersprüchlich, denn an anderer Stelle wird Aiginger so zitiert: »Als eine der größten Herausforderungen bezeichnet Ökonom Aiginger, dass ein spezieller Arbeitsmarkt für Flüchtlinge nicht dazu führen dürfe, dass in regulären Berufssparten Lohndumping beginnt. Wenn Arbeitgeber einfach ordentliche Arbeitnehmer ersetzen, wäre dies fatal. „Daher braucht es in jedem Fall eine umfassende Kontrolle in der Praxis“, so Aiginger.«

Auch Wolfgang Mazal, Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Wien, plädiert für einen zweiten Arbeitsmarkt: Ein-Euro-Jobs: System kontra Niveau, so ist sein Beitrag überschrieben. Allerdings sollten die für den zweiten Arbeitsmarkt vorgesehenen Arbeitsplätze von den Gebietskörperschaften geschaffen werden:

»Hier können durch Tätigkeiten im öffentlichen Interesse Beschäftigungspotenziale genutzt werden, die Schutzsuchenden nicht dem Druck des ersten Arbeitsmarktes aussetzen, ihnen aber sukzessive ein „Hineinwachsen“ in die österreichische Lebenswelt und Arbeitskultur ermöglichen. Weil hier kleinteilige und individuelle Lösungen sinnvoll sind, die der jeweiligen persönlichen Situation Rechnung tragen, eignen sich vorrangig der Landes- und der Gemeindebereich dazu. In Zusammenarbeit mit AMS und Sozialpartnern können einerseits jene Beschäftigungsmöglichkeiten identifiziert werden, die über den ersten Arbeitsmarkt nicht bedient werden können, und andererseits die Arbeitssuchende mit individuellen Schulungsmaßnahmen begleitet werden.«

Da sind wir schon an einem wichtigen Punkt angelangt, der auch in diesem Artikel aufgerufen wird: Flüchtlingsjobs: Experten fordern Kombination mit breitem Bildungsangebot.

Durchaus relevant erscheint mir der Hinweis, dass die Debatte in Österreich dahingehend geerdet werden sollte, dass sie sich weitgehend im theoretischen Raum bewegt, denn es müsste die geforderten Stellen ja auch geben. Und hierzu kann man diesem Artikel entnehmen:

Den Vorschlag, Flüchtlinge zu Ein-Euro-Jobs zu verpflichten, sieht Migrationsforscher Heinz Faßmann nicht nur positiv. Der Berater von Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) sagte …: „Ich würde das lieber als Angebot sehen.“ … Zur Idee, Flüchtlingen zu den Tätigkeiten zu verpflichten, sagt Faßmann: „Das muss man noch einmal durchdenken. Es ist fraglich, ob es überhaupt so viele Angebote gibt.“

Das mit dem Angebot ist eine interessante Sache, denn daran kann man zugleich auch erkennen, wie instrumentalisierend und wenig bis gar nicht an Inhalten ausgerichtet die Debatte verläuft. Dazu Simon Rosner in seinem Kommentar Pflicht für Jobs, die es nicht gibt:

»Mittwoch: Helmut Mödlhammer, Chef des Gemeindebundes, klagt, dass ein austriakischer Bürokratie-Irrsinn es den Gemeinden praktisch verunmöglichen würde, Asylwerber für gemeinnützige Tätigkeiten einzusetzen.
Donnerstag: Sebastian Kurz will anerkannte Flüchtlinge zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten, sogenannten Ein-Euro-Jobs.
Das ist schon eine Chuzpe. Vor einem Jahr hatte die Regierung angekündigt, dass Asylwerber solche Tätigkeiten verrichten können sollen. Und zwar ohne Zwang. Das wurde von vielen positiv bewertet, auch Flüchtlinge wollen nicht untätig im Heim sitzen, sondern sich einbringen.
Doch ein Jahr lang hat es die Regierung nicht vermocht, die Rahmenbedingungen so zu organisieren, dass diese Tätigkeiten einfach und unbürokratisch geleistet werden können. Vier Ministerien sind betraut, teilweise fühlen sich diese aber nicht zuständig.«

Der bereits zitierte Johannes Kopf vom Vorstand des AMS hat sich mit diesem Beitrag zu Wort gemeldet: Ein-Euro-Jobs: Grundsätzliche Überlegungen. Darin findet man diese Passage:

»Überlegungen, Diskussionen, auch Pilotversuche zum dauerhaften Aufbau eines solchen sogenannten zweiten Arbeitsmarktes gibt es seit Jahren. Wie viel darf ein solcher Arbeitsplatz kosten? Wäre es denkbar, ihn nur mit den Aufwendungen für Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Mindestsicherung zu finanzieren? Wie verhindere ich, dass dies in Konkurrenz zu regulären Arbeitsplätzen tritt, wie verhindere ich, dass hier Personen „abzweigen oder sich verfestigen“, die mit der richtigen Förderung doch noch produktiv am ersten Arbeitsmarkt teilhaben könnten? … Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht habe ich auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die vor dem Hintergrund der langjährigen deutschen Erfahrungen mit den Ein-Euro-Jobs sichtbar wurden. Es ist, vereinfacht gesagt, zwar möglich, aber gar nicht trivial, solche Jobs zu „erfinden“. Sie müssen drei Kriterien aufweisen: und zwar gemeinnützig, zusätzlich und wettbewerbsneutral sein.«

Die drei von Kopf genannten Kriterien werden seit Jahren in der deutschen arbeitsmarktpolitischen Debatte über eine sinnvolle Ausgestaltung der öffentlich geförderten Beschäftigung als zentrale Problemstellen identifiziert und kritisiert. Es kann keine sinnvolle öffentlich geförderte Beschäftigung geben, wenn man sich an dieses restriktive Voraussetzungsdreieck halten muss – und fürwahr, man muss dann wahre Klimmzüge machen, um irgendwelche und oftmals fragwürdigste Beschäftigungsgelegenheiten zu finden, die nicht zu einer Verletzung der Voraussetzungen führen. Dass das alles keinen Sinn macht, ist ein ganz starker Impuls für eine grundsätzliche Reformdiskussion über eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland (vgl. dazu zuletzt Sell, Stefan: Hilfe zur Arbeit 2.0. Plädoyer für eine Wiederbelebung der §§ 18-20 BSHG (alt) in einem SGB II (neu). Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 19-2016, Remagen 2016).

Die empirischen Belege des Scheiterns einer derart restriktiv ausgestalteten öffentlich geförderten Beschäftigung in Deutschland sind eindrucksvoll und man kann den Österreichern nur zurufen, sich erst gar nicht auf diese Schiene setzen zu lassen. Vgl. zur verfahrenen Situation in Deutschland auch meinen Beitrag Die fortschreitende Programmitis in der Arbeitsmarktpolitik und ein sich selbst verkomplizierendes Förderrecht im SGB II vom 28. Juni 2016.

Dabei kann man in Österreich doch auf eine lange Tradition der öffentlich geförderten Beschäftigung zurückblicken, die teilweise sogar deutlich besser konfiguriert war uns ist als das, was wir vor allem in den letzten Jahren in Deutschland haben sehen müssen. In diese Richtung gehen auch die Ausführungen in diesem Beitrag: Judith Pühringer zur aktuellen Debatte um die „Ein-Euro-Jobs“:

»Dass hier permanent der zweite Arbeitsmarkt erwähnt wird ist aus meiner Sicht eine hochproblematische Vermischung: Am zweiten Arbeitsmarkt gibt es bisher vollversicherungspflichtige, kollektivvertragliche Beschäftigungsangebote mit dem Ziel der längerfristigen Integration in den Arbeitsmarkt. Hier gibt es keine Taschengelder und kein „So-tun-als-ob-wir-arbeiten“, sondern echte Arbeit, die auch so bezahlt wird. Wenn jetzt permanent im Rahmen der Debatte von Ein-Euro-Jobs im zweiten Arbeitsmarkt gesprochen wird, dann werden dreissig Jahre hochprofessionelle und erfolgreiche Integrationsarbeit von Sozialen Unternehmen (in denen diese Beschäftigung stattfindet) mit einem Schlag in Frage gestellt und auch in ihrer Logik (echte Arbeitsplätze, echte Arbeit, echte Bezahlung) ad absurdum geführt.«

Hier liegt wahrscheinlich die größte Gefahr der gegenwärtigen Diskussion und möglichen gesetzgeberischen Aktivitäten – dass das, was ein sinnvoller zweiter Arbeitsmarkt sein kann, wie in Deutschland kleingeschreddert wird auf die Arbeitsgelegenheiten nach Mehraufwandsentschädigung, denn alle anderen Instrumente einer höherwertigen öffentlich geförderten Beschäftigung sind in den vergangenen Jahren aus dem Förderrecht entfernt worden oder sie spielen nur noch eine molekulare Rolle.

Nun könnte man aus Österreich auf den ersten Blick zu Recht einwenden, dass doch gerade Deutschland die Debatte in Österreich befeuert hat mit der Ankündigung der Bundesarbeitsministerin, 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge zu schaffen, sogar noch nicht einmal als „Ein-Euro“-, sondern als „80-Cent-Jobs“. Diese Arbeitsgelegenheiten sollen für Asylbewerber zur Verfügung gestellt werden, also vor der Anerkennung bzw. Duldung bzw. Ablehnung. Unabhängig von der Tatsache, dass seit den Ankündigungen kaum bis gar nichts passiert ist, sei hier nur an die massive Kritik an diesen Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber in den folgenden Beiträgen hingewiesen:

Bleibt natürlich die Frage, wie man es denn besser oder anders machen könnte bzw. sollte. Auch hier ließe sich von Deutschland – und seinen eklatanten Versäumnissen – lernen: Auf die Sprache kommt es an. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der vergangenen Monate. Eine Arbeitsmarktintegration setzt Sprachkenntnisse voraus und die muss man vermitteln. Wenn es ein Nadelöhr gibt, dann ist es die Sprache. Insofern hätte man die Mittel und Anstrengungen auf die Sprachförderung fokussieren müssen, wobei man diese sinnvollerweise verknüpfen sollte mit praktischer Arbeit. Also richtiger Arbeit, in Unternehmen oder bei Beschäftigungsgesellschaften, die nah und am ersten Arbeitsmarkt arbeiten können und dürfen. Das wäre für viele Flüchtlinge der richtige Weg und natürlich werden dann auch unter ihnen welche übrigbleiben, die einen Übergang in Beschäftigung auf dem normalen Arbeitsmarkt schwer oder auf Jahre nicht packen werden. Die können und müssen dann in ein ausdifferenziertet System der öffentlich geförderten Beschäftigung integriert werden, in dem sich aber auch andere befinden, die vergleichbare Probleme haben.

Aber um diese diskussionswürdigen Aspekte, über die man streiten kann, geht es wahrscheinlich bei dem „Spiel“, das wir in den letzten Tagen seitens der Politik gesehen haben, gar nicht. Eine Andeutung der anderen Ebene findet man in dem Beitrag von Johannes Kopf, wenn er schreibt:

»Kurz hat damit primär weniger einen klassisch arbeitsmarktpolitischen Vorschlag gemacht, sondern vielmehr eine allgemein sozialpolitische Frage angesprochen: Muss jemand, der jahrelang von der Allgemeinheit lebt und bei dem trotz Bemühungen keine Veränderung der Situation erzielt werden kann, der Gesellschaft etwas zurückgeben? Es geht also im Kern eigentlich um eine Frage nach der Solidarität und deren Belastbarkeit …  es würde mich nicht wundern, wenn große Teile der Bevölkerung die genannte Frage mit Ja beantworten würden, jedenfalls solange es sie selbst nicht betreffen könnte.«

Genau dieses Aspekte kennen wir aus Deutschland zur Genüge. Und arbeitsmarktpolitisch zumindest, das kann man sagen, hat das nichts gebracht.

Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Deutschkurse am Fließband und skandalöse Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in Sprach- und Integrationskursen, die doch von so großer Bedeutung sind

Über die teilweise katastrophalen Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in den Sprach- und Integrationskursen für Flüchtlinge und andere Anspruchsberechtigte in Deutschland wurde hier bereits mehrfach berichtet, beispielsweise in dem Blog-Beitrag 1.200 Euro im Monat = „Top-Verdienerin“? Lehrkräfte in Integrationskursen verständlicherweise auf der Flucht oder im resignativen Überlebenskampf vom 2. September 2015 oder der Artikel  Sinnvolle und mehr als fragwürdige Vorschläge im Windschatten der Flüchtlingsdebatte. Und dann die Sprach- und Integrationskurse mal wieder vom 13. Dezember 2015.  Bereits aus dem Februar 2015 stammt dieser Beitrag: Integration wollen alle. Und Integrationskurse für Migrantinnen werden gekürzt. Das passt nicht. Das gilt auch für die Existenz der pädagogischen Tagelöhner. Vor kurzem wurde angesichts des zunehmend um sich greifenden Bestrebens, eine Nicht-Teilnahme an den Kursen mit Sanktionen zu belegen, darauf hingewiesen, dass das angesichts der vielen fehlenden Angebote doch ein – nun ja – fragwürdiger Schwerpunkt sei: Die Annäherung an die Wahrheit liegt zwischen (rhetorischer) schwarzer Pädagogik und (naiver) „Wird schon werden“-Philosophie. Die Forderung nach einer Sprachlernpflicht für Flüchtlinge und die Wirklichkeit der „Schweizer Käse“-Angebote vom 28. März 2016. Immer wieder wird man konfrontiert mit einer ganz erheblichen Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, zwischen dem Beschwören der besonderen Bedeutung des Erlernens der deutschen Sprache in Sonntagsreden und den praktischen Niederungen, in denen sich die an der (nicht nur) pädagogischen Front bewegen müssen.

Diese Probleme werden auch bei unseren Nachbarn in Österreich thematisiert und problematisiert – und wenn man aufmerksam liest oder zuhört, kann man viele Parallelen entdecken, aus welchen strukturellen Ursachen die Malaise entspringt.

»Zu wenig Personal, schlechte Bezahlung, mangelnde Unterrichtsqualität: Deutschtrainer für Flüchtlinge beklagen Missstände und prekäre Arbeitsbedingungen in privaten Bildungsinstituten.« So beginnt Werner Reisinger seinen Artikel Man spricht Deutsch.
Er beginnt seinen Bericht mit den Erfahrungen einer studierten Germanistin, die einige Monate Deutschkurse für Flüchtlinge und Migranten bei einem privaten Bildungsanbieter gegeben hat:

»Drei Kurse zu je drei Stunden, macht in Summe neun Stunden Unterricht – „danach bist du fix und fertig.“ In den Pausen sei sie mit administrativen Tätigkeiten beschäftigt gewesen. Sie musste dutzende Formulare ausfüllen, eine Datenbank für das AMS betreuen oder Lehrmaterial organisieren. Oft blieb nicht einmal Zeit, die Toilette aufzusuchen. In manchen Klassenräumen fehlte die für den Unterricht notwendige Infrastruktur.«

Schaut man auf die Strukturen, die hier wirken, kommt einem vieles sehr bekannt vor. Teilweise müsste man nur Begriffe austauschen oder berücksichtigen, dass das Kürzel AMS für „Arbeitsmarktservice“ steht, dem österreichischen Pendant zur Bundesagentur für Arbeit (BA) in Deutschland:

»Seit 15 Jahren vergibt das AMS per Ausschreibung Deutschkurse für Migranten und anerkannte Flüchtlinge an private Bildungsinstitute wie Ibis Akam, Mentor, ZIB Training, BIT oder an das Berufsförderungsinstitut (BFI). Zum Zug kommt, wer das inhaltlich beste und vor allem günstigste Konzept einreicht. Vor allem in Wien konkurrieren die Institute deshalb um die Aufträge des AMS. Den so entstehenden finanziellen Druck geben die Firmen an ihre Angestellten, also die Deutschtrainer, weiter – mit negativen Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität. In Zeiten vermehrter Krankenstände oder zur Urlaubszeit wird die Personalknappheit in manchen Instituten offensichtlich.
Diese wird offenbar durch fragwürdige Maßnahmen kompensiert. Fällt ein Trainer kurzfristig aus, kann ein weiterer dessen Kurs mitbetreuen. „Das bedeutet, ich muss den einen Kurs unterbrechen, um in den nächsten zu rennen – mit der Folge, dass ich mich auf keinen der beiden mehr konzentrieren kann“, so ein Trainer … Vergütet werden diese „Mitbetreuungen“ mit Essensgutscheinen – im Wert von 10 Euro pro mutbetreutem Kurs. Wenn möglich werden auch Kurse zusammengelegt, auch wenn es sich dabei um unterschiedliche Kursniveaus handelt. Die Folge: die Trainer haben nicht genügend Zeit, sich den jeweiligen Bedürfnissen der Unterrichtsteilnehmer entsprechend zu widmen. Für einen dreistündigen Deutschkurs steht den Lehrern in manchen Instituten lediglich eine Stunde für Vor- und Nachbereitung zur Verfügung – pro Woche.«

Und auch das kennen wir – eine der typischen Kollateralschäden der Ökonomisierung von pädagogischen Prozessen: Schneller, weniger (und dadurch billiger) – „natürlich“ bei gleichbleibender Qualität:

»2009 dauerte ein Deutschkurs noch vier Monate und hatte einen Umfang von 320 Unterrichtseinheiten. Seit 2015 gibt es zwei unterschiedliche Modelle mit entweder drei oder vier Monaten Laufzeit – jedoch mit nur 180 Unterrichtseinheiten.«

Werner Reisinger hat noch einen weiteren Beitrag zu dem Thema verfasst: Deutschkurse am Fließband, so ist der überschrieben. Darin enthalten eine Botschaft, auf die man auch bei uns immer wieder trifft, wenn sich Leute gegen Missstände engagieren:

»Deutschtrainer für Flüchtlinge klagen nach wie vor über Missstände. Ein Betriebsrat eines privaten Instituts, das für das AMS Deutschkurse anbietet, wurde jetzt vom Dienst freigestellt – weil er die Probleme offen anspricht.«

Sprachlehrkräfte klagen über schlechte Bezahlung, unsichere Dienstverhältnisse, mangelnde Unterrichtsqualität und enormen zeitlichen und psychischen Belastungsdruck. Und leider berichten auch die Österreicher über üble Arbeitsbedingungen, die in Deutschland im Mittelpunkt der Kritik stehen:

»Erfahrung und Ausbildung spiele bei der Einstellung der Trainer keine Rolle, zwischen Akademikern und solchen Lehrern, die nur eine Unterrichtsberechtigung erworben haben, werde nicht unterschieden. Die Verträge der Lehrenden seien an die Auftragszeiträume gebunden. Arbeitslos gewordene Trainer müssten sich erneut bei jenen Instituten bewerben, die gerade bei der Ausschreibung zum Zug gekommen sind. Vordienstzeiten aber würden nicht entsprechend angerechnet. „Wanderhuren“ nennen sich die Deutschlehrer daher scherzhaft untereinander. Im Bereich einer für die Gesellschaft so zentralen Herausforderung herrschen also offensichtlich höchst prekäre Arbeitsbedingungen.«

Um über solche Bedingungen zu berichten, braucht man natürlich O-Töne von den Betroffenen selbst, denn nur die können berichten, was in dem Bereich abgeht. Und offensichtlich will man diese Quelle verschließen, in dem man an einem ein Exempel statuiert:

»Sebastian Reinfeldt ist einer der Betroffenen. Seit Jahren arbeitet er als Deutschlehrer mit wechselnden Anstellungen für die großen Institute. Weil er in der Tageszeitung „Die Presse“ offen über die Belastungen der Trainer und die damit einhergehende schlechte Qualität gesprochen hatte, wurde Reinfeldt, der in einem großen privaten Institut auch als Betriebsrat tätig ist, vom Dienst freigestellt. Die Begründung: „betriebsschädigendes Verhalten“. Brisant dabei: Reinfeldt hatte sich im angesprochenen „Presse“ Artikel nicht konkret auf sein eigenes Institut bezogen, sondern allgemeine Kritik geäußert, wie die bereits zahlreiche Trainer getan haben.«

Die Botschaft lautet wohl: Halt den Mund, sonst bist du deinen Job los“, wird die Präsidentin des Österreichischen Verband für Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache (ÖDAF), Sabine Dengscherz, zitiert. Von diesem Verband gibt es auch eine Stellungnahme zu den Lehr- und Lernbedingungen in AMS-Deutschkursen vom 19.04.2016.

Während die Ausschreibung läuft, will man offensichtlich die laufende Diskussion über die Missstände unterbinden, so die Vermutung der ÖDAF-Präsidentin.

Wie knochenhart und in der Konsequenz als existenzbedrohend wahrgenommen der Druck in dieser Branche sein muss, wird erkennbar, wenn über eine interne E-Mail belegt werden kann, dass selbst Betriebsräte von Bildungsunternehmen – die ja eigentlich gegen schlechte Arbeitsbedingungen vorgehen sollten – gleichsam einen Maulkorb verhängen wollen:

»Einige Betriebsräte wenden sich darin an die Lehrer und ersuchen diese, nicht mit Medien über die Situation in den Deutschkursen zu sprechen. „Der Bericht in der ,Presse‘ vom 21.04.2016 über die Problematik der Deutschkurse schädigt das Vertrauen unseres Hauptauftraggebers, des AMS, und kann zu einem massiven Auftragsverlust führen“, ist darin zu lesen.«

Das sind alles ganz schlechte Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit, die an erster Stelle stehen müsste – die Vermittlung der Sprache des Aufnahmelandes. Stehen müsste.