Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Deutschkurse am Fließband und skandalöse Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in Sprach- und Integrationskursen, die doch von so großer Bedeutung sind

Über die teilweise katastrophalen Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in den Sprach- und Integrationskursen für Flüchtlinge und andere Anspruchsberechtigte in Deutschland wurde hier bereits mehrfach berichtet, beispielsweise in dem Blog-Beitrag 1.200 Euro im Monat = „Top-Verdienerin“? Lehrkräfte in Integrationskursen verständlicherweise auf der Flucht oder im resignativen Überlebenskampf vom 2. September 2015 oder der Artikel  Sinnvolle und mehr als fragwürdige Vorschläge im Windschatten der Flüchtlingsdebatte. Und dann die Sprach- und Integrationskurse mal wieder vom 13. Dezember 2015.  Bereits aus dem Februar 2015 stammt dieser Beitrag: Integration wollen alle. Und Integrationskurse für Migrantinnen werden gekürzt. Das passt nicht. Das gilt auch für die Existenz der pädagogischen Tagelöhner. Vor kurzem wurde angesichts des zunehmend um sich greifenden Bestrebens, eine Nicht-Teilnahme an den Kursen mit Sanktionen zu belegen, darauf hingewiesen, dass das angesichts der vielen fehlenden Angebote doch ein – nun ja – fragwürdiger Schwerpunkt sei: Die Annäherung an die Wahrheit liegt zwischen (rhetorischer) schwarzer Pädagogik und (naiver) „Wird schon werden“-Philosophie. Die Forderung nach einer Sprachlernpflicht für Flüchtlinge und die Wirklichkeit der „Schweizer Käse“-Angebote vom 28. März 2016. Immer wieder wird man konfrontiert mit einer ganz erheblichen Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, zwischen dem Beschwören der besonderen Bedeutung des Erlernens der deutschen Sprache in Sonntagsreden und den praktischen Niederungen, in denen sich die an der (nicht nur) pädagogischen Front bewegen müssen.

Diese Probleme werden auch bei unseren Nachbarn in Österreich thematisiert und problematisiert – und wenn man aufmerksam liest oder zuhört, kann man viele Parallelen entdecken, aus welchen strukturellen Ursachen die Malaise entspringt.

»Zu wenig Personal, schlechte Bezahlung, mangelnde Unterrichtsqualität: Deutschtrainer für Flüchtlinge beklagen Missstände und prekäre Arbeitsbedingungen in privaten Bildungsinstituten.« So beginnt Werner Reisinger seinen Artikel Man spricht Deutsch.
Er beginnt seinen Bericht mit den Erfahrungen einer studierten Germanistin, die einige Monate Deutschkurse für Flüchtlinge und Migranten bei einem privaten Bildungsanbieter gegeben hat:

»Drei Kurse zu je drei Stunden, macht in Summe neun Stunden Unterricht – „danach bist du fix und fertig.“ In den Pausen sei sie mit administrativen Tätigkeiten beschäftigt gewesen. Sie musste dutzende Formulare ausfüllen, eine Datenbank für das AMS betreuen oder Lehrmaterial organisieren. Oft blieb nicht einmal Zeit, die Toilette aufzusuchen. In manchen Klassenräumen fehlte die für den Unterricht notwendige Infrastruktur.«

Schaut man auf die Strukturen, die hier wirken, kommt einem vieles sehr bekannt vor. Teilweise müsste man nur Begriffe austauschen oder berücksichtigen, dass das Kürzel AMS für „Arbeitsmarktservice“ steht, dem österreichischen Pendant zur Bundesagentur für Arbeit (BA) in Deutschland:

»Seit 15 Jahren vergibt das AMS per Ausschreibung Deutschkurse für Migranten und anerkannte Flüchtlinge an private Bildungsinstitute wie Ibis Akam, Mentor, ZIB Training, BIT oder an das Berufsförderungsinstitut (BFI). Zum Zug kommt, wer das inhaltlich beste und vor allem günstigste Konzept einreicht. Vor allem in Wien konkurrieren die Institute deshalb um die Aufträge des AMS. Den so entstehenden finanziellen Druck geben die Firmen an ihre Angestellten, also die Deutschtrainer, weiter – mit negativen Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität. In Zeiten vermehrter Krankenstände oder zur Urlaubszeit wird die Personalknappheit in manchen Instituten offensichtlich.
Diese wird offenbar durch fragwürdige Maßnahmen kompensiert. Fällt ein Trainer kurzfristig aus, kann ein weiterer dessen Kurs mitbetreuen. „Das bedeutet, ich muss den einen Kurs unterbrechen, um in den nächsten zu rennen – mit der Folge, dass ich mich auf keinen der beiden mehr konzentrieren kann“, so ein Trainer … Vergütet werden diese „Mitbetreuungen“ mit Essensgutscheinen – im Wert von 10 Euro pro mutbetreutem Kurs. Wenn möglich werden auch Kurse zusammengelegt, auch wenn es sich dabei um unterschiedliche Kursniveaus handelt. Die Folge: die Trainer haben nicht genügend Zeit, sich den jeweiligen Bedürfnissen der Unterrichtsteilnehmer entsprechend zu widmen. Für einen dreistündigen Deutschkurs steht den Lehrern in manchen Instituten lediglich eine Stunde für Vor- und Nachbereitung zur Verfügung – pro Woche.«

Und auch das kennen wir – eine der typischen Kollateralschäden der Ökonomisierung von pädagogischen Prozessen: Schneller, weniger (und dadurch billiger) – „natürlich“ bei gleichbleibender Qualität:

»2009 dauerte ein Deutschkurs noch vier Monate und hatte einen Umfang von 320 Unterrichtseinheiten. Seit 2015 gibt es zwei unterschiedliche Modelle mit entweder drei oder vier Monaten Laufzeit – jedoch mit nur 180 Unterrichtseinheiten.«

Werner Reisinger hat noch einen weiteren Beitrag zu dem Thema verfasst: Deutschkurse am Fließband, so ist der überschrieben. Darin enthalten eine Botschaft, auf die man auch bei uns immer wieder trifft, wenn sich Leute gegen Missstände engagieren:

»Deutschtrainer für Flüchtlinge klagen nach wie vor über Missstände. Ein Betriebsrat eines privaten Instituts, das für das AMS Deutschkurse anbietet, wurde jetzt vom Dienst freigestellt – weil er die Probleme offen anspricht.«

Sprachlehrkräfte klagen über schlechte Bezahlung, unsichere Dienstverhältnisse, mangelnde Unterrichtsqualität und enormen zeitlichen und psychischen Belastungsdruck. Und leider berichten auch die Österreicher über üble Arbeitsbedingungen, die in Deutschland im Mittelpunkt der Kritik stehen:

»Erfahrung und Ausbildung spiele bei der Einstellung der Trainer keine Rolle, zwischen Akademikern und solchen Lehrern, die nur eine Unterrichtsberechtigung erworben haben, werde nicht unterschieden. Die Verträge der Lehrenden seien an die Auftragszeiträume gebunden. Arbeitslos gewordene Trainer müssten sich erneut bei jenen Instituten bewerben, die gerade bei der Ausschreibung zum Zug gekommen sind. Vordienstzeiten aber würden nicht entsprechend angerechnet. „Wanderhuren“ nennen sich die Deutschlehrer daher scherzhaft untereinander. Im Bereich einer für die Gesellschaft so zentralen Herausforderung herrschen also offensichtlich höchst prekäre Arbeitsbedingungen.«

Um über solche Bedingungen zu berichten, braucht man natürlich O-Töne von den Betroffenen selbst, denn nur die können berichten, was in dem Bereich abgeht. Und offensichtlich will man diese Quelle verschließen, in dem man an einem ein Exempel statuiert:

»Sebastian Reinfeldt ist einer der Betroffenen. Seit Jahren arbeitet er als Deutschlehrer mit wechselnden Anstellungen für die großen Institute. Weil er in der Tageszeitung „Die Presse“ offen über die Belastungen der Trainer und die damit einhergehende schlechte Qualität gesprochen hatte, wurde Reinfeldt, der in einem großen privaten Institut auch als Betriebsrat tätig ist, vom Dienst freigestellt. Die Begründung: „betriebsschädigendes Verhalten“. Brisant dabei: Reinfeldt hatte sich im angesprochenen „Presse“ Artikel nicht konkret auf sein eigenes Institut bezogen, sondern allgemeine Kritik geäußert, wie die bereits zahlreiche Trainer getan haben.«

Die Botschaft lautet wohl: Halt den Mund, sonst bist du deinen Job los“, wird die Präsidentin des Österreichischen Verband für Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache (ÖDAF), Sabine Dengscherz, zitiert. Von diesem Verband gibt es auch eine Stellungnahme zu den Lehr- und Lernbedingungen in AMS-Deutschkursen vom 19.04.2016.

Während die Ausschreibung läuft, will man offensichtlich die laufende Diskussion über die Missstände unterbinden, so die Vermutung der ÖDAF-Präsidentin.

Wie knochenhart und in der Konsequenz als existenzbedrohend wahrgenommen der Druck in dieser Branche sein muss, wird erkennbar, wenn über eine interne E-Mail belegt werden kann, dass selbst Betriebsräte von Bildungsunternehmen – die ja eigentlich gegen schlechte Arbeitsbedingungen vorgehen sollten – gleichsam einen Maulkorb verhängen wollen:

»Einige Betriebsräte wenden sich darin an die Lehrer und ersuchen diese, nicht mit Medien über die Situation in den Deutschkursen zu sprechen. „Der Bericht in der ,Presse‘ vom 21.04.2016 über die Problematik der Deutschkurse schädigt das Vertrauen unseres Hauptauftraggebers, des AMS, und kann zu einem massiven Auftragsverlust führen“, ist darin zu lesen.«

Das sind alles ganz schlechte Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit, die an erster Stelle stehen müsste – die Vermittlung der Sprache des Aufnahmelandes. Stehen müsste.