Ein Teil der unmöglichen „24-Stunden-Betreuung“ ist nun auch in der Schweiz höchstrichterlich gegen die Wand gefahren

Blicken wir kurz zurück in den Sommer des nunmehr vergangenen Jahres 2021. Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat damals für einen dieser so typischen kurzen Momente der öffentlichen Aufmerksamkeit hohe Wellen geschlagen. Unter der trockenen Überschrift Gesetzlicher Mindestlohn für entsandte ausländische Betreuungskräfte in Privathaushalten wurde uns vom Bundesarbeitsgericht (BAG) am 24.06.2021 mitgeteilt: »Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.« Das BAG hat nicht nur die grundsätzliche Mindestlohnfrage geklärt, sondern auch noch die offene Wunde der mindestlohnrelevanten Arbeitszeit-Frage aufgeworfen. In diesem Punkt formuliert das höchste Arbeitsgericht die Anforderung, den tatsächlichen Umfang der geleisteten Arbeitszeit jenseits der in einem Vertrag festgehaltenen angeblichen Arbeitszeit zu erheben. Zu dem Urteil aus dem vergangenen Jahr vgl. ausführliche die Besprechung in dem Beitrag Aus der Schattenwelt des deutschen Pflegesystems: Die un-mögliche „24-Stunden-Betreuung“ als Geschäftsmodell ist beim Bundesarbeitsgericht aufgelaufen vom 24. Juni 2021.

Unmittelbar nach dem Urteil rauschte es durch das mediale Universum – die Reaktionen auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu den Betreuungskräften aus Osteuropa bewegten sich zwischen Panik bis hin zu einer Fortsetzung der bisher dominanten Form der Nicht-Auseinandersetzung nach dem Modell der drei Affen (nichts sehen, nichts hören und vor allem nichts sagen). Da war mit Blick auf die Panikattacken von „Schock für viele, die Angehörige zu Hause pflegen“ bis hin zu einem sozialverbandsoffiziellen „Armageddon der häuslichen Pflege“ die Rede. Dabei musste und muss man immer wieder darauf hinweisen, dass die große Mehrzahl der hier adressierten Betreuungskräfte gar nicht unter das Urteil fallen, da sie sowieso im illegalen Bereich arbeiten.

mehr

Viele Pflegekräfte haben die Nase voll von den Arbeitsbedingungen und chronischem Personalmangel. Auch in der Schweiz. Dort wird das Volk über eine „Pflegeinitiative“ abstimmen können

Es sieht nach einem Kantersieg aus: Wenn die Schweizerinnen und Schweizer am 28. November 2021 an die Urnen gehen, werden sie bei der Pflege-Initiative ein dickes Kreuz beim Ja machen. Nach Umfragen kann das Volksbegehren auf große Zustimmung hoffen. »Ganze 78 Prozent sagen derzeit Ja zum Volksbegehren, davon sind ebenfalls 48 Prozent „bestimmt dafür“. Mager ist hingegen der Nein-Anteil: Nur 15 Prozent sind gegen die Initiative, sieben Prozent können sich nicht entscheiden.«

»Die Pflegenden haben die Nase voll von miesen Arbeitsbedingungen und chronischem Personalmangel«, so beginnt der Artikel Patient Pflege von Gianna Blum und Sermîn Faki. Sie werfen die Frage auf, wie es eigentlich um die Pflege in der Schweiz bestellt ist.

mehr

Die Schweiz hat sie auch: Wohnungsnot. Und demnächst eine Volksabstimmung über die „Initiative für mehr bezahlbare Wohnungen“

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, die in Teilen des Landes, vor allem in den (Groß)Städten, immer schwieriger werdende Versorgung mit Wohnraum als eines der ganz großen sozialpolitischen Themen in den vor uns liegenden Jahren zu identifizieren. Das spüren nicht nur die Hartz IV-Empfänger und die Menschen mit sehr kleinen Einkommen, sondern Wohnungsmangel diffundiert als Problem immer stärker in die Reihen der „Normalverdiener“.

So liest sich der Anfang des Beitrags Wohnst Du schon oder suchst Du noch? Die Wohnungsfrage als neue alte soziale und „Markt“-Frage, zunehmend auch für die „Mitte“, der hier am 10. September 2014, also vor mehreren Jahren, veröffentlicht wurde. Seither hat das angesprochene Problem in den Groß- und anderen Städten weiter und erheblich an gesellschaftlicher Sprengkraft zugelegt. Das schlägt sich in zahlreichen Berichten in den Medien nieder. Stück für Stück erobert die Wohnungsfrage als neue (alte) soziale Frage (vgl. dazu aus dem Jahr 2015 den Beitrag Eine expandierende Großbaustelle mit offensichtlichen Baumängeln: Die Wohnungsfrage als eines der zentralen sozialen Probleme der vor uns liegenden Jahre) Städte und Regionen, die sich bislang noch sicher gefühlt haben. Dazu nur als Beispiel das Thema einer Hintergrund-Sendung des Deutschlandfunks am 3. Januar 2020: »In Leipzig und anderen ostdeutschen Großstädten schnellen die Preise auf dem Wohnungsmarkt rasant in die Höhe. Die Löhne dagegen steigen langsamer als die Mieten. Die Folge: Die Zahl der Menschen mit Mietschulden wächst und alteingesessene Bewohner werden zunehmend aus ihren Vierteln verdrängt.«

mehr