Noch nicht einmal jede dritte Pflegeeinrichtung mit irgendeiner „Tarifbindung“. Erste Zahlen aus einer weitgehend tariflosen Zone – und harte Euro-Beträge einer „Lohnbindung durch die Hintertür“ ab dem Herbst 2022

Mit der bundesweiten Veröffentlichung von Daten zur tariflichen Bezahlung in der Langzeitpflege liefern die Landesverbände der Pflegekassen erstmals einen detaillierten Überblick über das Ausmaß der Tarifbindung von Pflegeeinrichtungen in Deutschland. Das berichtet der AOK-Bundesverband und verweist auf die Veröffentlichung der Tarifübersicht durch die Landesverbände der Pflegekassen. Hintergrund: Die Pflegekassen sind verpflichtet, jährlich eine Übersicht mit den Namen der Tarifverträge und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zu veröffentlichen, deren Entlohnung das regional übliche Entgeltniveau um nicht mehr als zehn Prozent überschreitet.

„Die Ergebnisse zeigen, dass aktuell deutlich weniger als ein Drittel aller Pflegeeinrichtungen in Deutschland der Tarifbindung unterliegen. Hier gibt es also noch viel Luft nach oben.“ Mit diesen Worten wird Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, zitiert. 70 Prozent der Einrichtungen, die aktuell bereits tariflich zahlen, unterliegen kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, die restlichen 30 Prozent sind an Haus- oder Flächentarifverträge gebunden.

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Ein Teil der unmöglichen „24-Stunden-Betreuung“ ist nun auch in der Schweiz höchstrichterlich gegen die Wand gefahren

Blicken wir kurz zurück in den Sommer des nunmehr vergangenen Jahres 2021. Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat damals für einen dieser so typischen kurzen Momente der öffentlichen Aufmerksamkeit hohe Wellen geschlagen. Unter der trockenen Überschrift Gesetzlicher Mindestlohn für entsandte ausländische Betreuungskräfte in Privathaushalten wurde uns vom Bundesarbeitsgericht (BAG) am 24.06.2021 mitgeteilt: »Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.« Das BAG hat nicht nur die grundsätzliche Mindestlohnfrage geklärt, sondern auch noch die offene Wunde der mindestlohnrelevanten Arbeitszeit-Frage aufgeworfen. In diesem Punkt formuliert das höchste Arbeitsgericht die Anforderung, den tatsächlichen Umfang der geleisteten Arbeitszeit jenseits der in einem Vertrag festgehaltenen angeblichen Arbeitszeit zu erheben. Zu dem Urteil aus dem vergangenen Jahr vgl. ausführliche die Besprechung in dem Beitrag Aus der Schattenwelt des deutschen Pflegesystems: Die un-mögliche „24-Stunden-Betreuung“ als Geschäftsmodell ist beim Bundesarbeitsgericht aufgelaufen vom 24. Juni 2021.

Unmittelbar nach dem Urteil rauschte es durch das mediale Universum – die Reaktionen auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu den Betreuungskräften aus Osteuropa bewegten sich zwischen Panik bis hin zu einer Fortsetzung der bisher dominanten Form der Nicht-Auseinandersetzung nach dem Modell der drei Affen (nichts sehen, nichts hören und vor allem nichts sagen). Da war mit Blick auf die Panikattacken von „Schock für viele, die Angehörige zu Hause pflegen“ bis hin zu einem sozialverbandsoffiziellen „Armageddon der häuslichen Pflege“ die Rede. Dabei musste und muss man immer wieder darauf hinweisen, dass die große Mehrzahl der hier adressierten Betreuungskräfte gar nicht unter das Urteil fallen, da sie sowieso im illegalen Bereich arbeiten.

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„Pflegereform“ light: Zum Versuch, einen kleinen Deckel auf den Kochtopf zu setzen. Änderungen für die Pflegebedürftigen durch das GVWG zum 1. Januar 2022

Bei vielen Menschen gibt es eine absolut verständliche Sehnsucht nach guten Nachrichten, nicht nur in diesen sowieso belastenden coronalen Zeiten, in denen man nach gut zwei Jahren nicht nur kein Licht am Ende des Tunnels erkennen kann, sondern den Tunnel selbst aus den Augen verloren hat.

Und gerade, wenn es um die Langzeit- bzw. Altenpflege geht, dominieren nicht erst seit der Corona-Pandemie die negativen Schlagzeilen. Es mangelt hier offensichtlich an vielen und allem und dann wird man auch noch mit ständigen Kostensteigerungen konfrontiert. Besonders die Situation der vielen Menschen, die in Pflegeheimen untergebracht sind, wird dabei immer wieder mit Angst machenden Botschaften beschrieben: Immer größer werden die Beträge, die man als „Eigenanteile“ zuzahlen muss, um dann nicht selten mit einer fragwürdigen, zuweilen katastrophal schlechten Versorgung konfrontiert zu werden. Und die große Mehrheit der Pflegebedürftigen, die zu Hause lebt und versorgt werden muss, kann in vielen Regionen froh sein, wenn es überhaupt irgendeinen ambulanten Pflegedienst gibt, der noch bereit und in der Lage ist, ein- oder zweimal am Tag vorbeizukommen.

Da ist man dankbar, wenn aus den heiligen Hallen des Bundesgesundheitsministeriums hoffnungsvolle Botschaften unter das Volk gebracht werden, so wie diese hier: „Entlastung für Pflegebedürftige bei den Eigenanteilen“ wurde für den Jahresbeginn 2022 versprochen und tatsächlich auch eingehalten. Und auch für diejenigen, die auf ambulante Pflege angewiesen sind, soll und gibt es mehr Geld. Das hört sich doch endlich mal gut an, also schauen wir genauer hin.

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In „der“ Pflege wird jetzt überdurchschnittlich verdient. Ist das so? Ein Blick auf die Lohnentwicklung in der Kranken- und Altenpflege und was die Zahlen (nicht) aussagen

Bei den vielen negativen Schlagzeilen, die uns in dieser Zeit aus den einzelnen Bereichen der pflegerischen Versorgung erreichen, ist man dankbar für positive Nachrichten. Wie wäre es mit so einer? In der Pflege wird überdurchschnittlich verdient. Wir erfahren, dass der bpa, also der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Vergütung von Pflegekräften kommentiert. „In der Altenpflege wird überdurchschnittlich verdient. Diese gute Entwicklung haben Unternehmen und Träger in der Pflege in den vergangenen Jahren ganz ohne Eingriffe der Politik geschafft.“ Mit diesen Worten wird bpa-Präsident Bernd Meurer in dem Artikel zitiert.

Also funktioniert er doch, „der“ vielbeschworene Markt. Wenn flächendeckend über einen Mangel an Pflegekräften geklagt wird und wir gleichzeitig gerade in der Langzeitpflege eine steigende Nachfrage bei einem gleichbleibendem oder sogar abnehmenden Angebot haben, dann muss nach allen ökonomischen Grundregeln der Preis, in diesem Fall also der Lohn, nach oben gehen, wenn denn das Modell stimmt. Offensichtlich werden wir Zeugen, dass das auch funktioniert. Schauen wir aber sicherheitshalber einmal in die Originaldaten, die zu solchen frohen Botschaften geführt haben. Und dann ergibt sich wie so oft ein differenziertes Bild.

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Ambulante Pflegedienste zwischen expandierender Nachfrage, Kapitulation vor Ort und einer Spitzenplatzierung im „Betrugs-Ranking“ der Kassen

Wenn über „die“ Alten- bzw. Langzeitpflege in Deutschland gesprochen wird, dann bewegt man sich wohl oder übel innerhalb des historisch gewachsenen, „versäulten“ Pflegesystems. Hier die häusliche Pflege, teilweise unterstützt von den mehr als 14.700 ambulanten Pflegediensten (und von Hunderttausenden osteuropäischen Betreuungskräften, die im Schatten der regulären Strukturen agieren), dort die stationäre Pflege in den Pflegeheimen. Und wenn man die mediale Berichterstattung und auch den Fokus der öffentlichen Debatte bilanzieren muss, so wird man zu dem Befund kommen, dass in weiten Teilen die Pflegeheime im Zentrum stehen, zugleich mit einem klaren Schwerpunkt auf eine skandalisierende und auch viele tatsächliche Missstände anprangernde Darstellung der Verhältnisse in vielen Heimen. Und auch der berechtigte Hinweis auf Missstände bei der Personalausstattung und der Arbeitsbedingungen, einschließlich der Vergütung der Pflegekräfte, wird oftmals an den Heimen diskutiert. Aber die Zahlen von oben betrachtet und die Realität der Versorgung von unten sprechen eine andere Sprache, denn „nur“ 20 Prozent der mehr als 4,1 Mio. Pflegebedürftigen wird im stationären Setting versorgt, die große Mehrheit von 80 Prozent hingegen im häuslichen Umfeld. Und da spielen die ambulanten Pflegedienste eine ganz zentrale Rolle.

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