Aus der Schattenwelt des deutschen Pflegesystems: Die un-mögliche „24-Stunden-Betreuung“ als Geschäftsmodell ist beim Bundesarbeitsgericht aufgelaufen

»Es gibt zahlreiche Urteile, die Tag für Tag von deutschen Gerichten gefällt werden. Die meisten interessieren nur die unmittelbar Betroffenen. Aber einige Entscheidungen haben über den konkreten Einzelfall hinaus eine solche Bedeutung, dass sie ein Erdbeben verursachen und viele andere, nur scheinbar Unbeteiligte, mehr als unruhig werden. Mit einer solchen hat man es zu tun, wenn man sich das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. August 2020, Az. 21 Sa 1900/19, anschaut: Mindestlohn für Einsatz in der umfassenden häuslichen Betreuung, so ist die Pressemitteilung des Gerichts dazu überschrieben.« So begann der Beitrag Ein un-mögliches Geschäftsmodell: Die sogenannte „24-Stunden-Betreuung“ als eigene Säule des deutschen Pflegesystems wird von der Rechtsprechung ins Visier genommen, der hier am 17. August 2020 veröffentlicht wurde. Am Ende des Beitrags findet man diesen Hinweis: »Die hier besprochene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg wird möglicherweise in diesem hunderttausende Familien betreffenden Bereich Geschichte schreiben – man muss nun aber (weiter) warten, ob sich auch das Bundesarbeitsgericht der Sache annehmen wird bzw. das muss.«

Das nun ist passiert und heute hat das Bundesarbeitsgericht eine Entscheidung getroffen, die sich einfügt in die damals hier vorgenommene Charakterisierung des Urteils des Landesarbeitsgerichts aus dem August 2020: Eine »Entscheidung …, die nun für ein Erdbeben in der Branche sorgen wird, denn – auch das erklärt die Aufregung – das Verfahren bezog sich ja auf zurückliegende Zeiten und könnte/wird Nachahmerinnen finden.«

Unter der trockenen Überschrift Gesetzlicher Mindestlohn für entsandte ausländische Betreuungskräfte in Privathaushalten erfahren wir vom Bundesarbeitsgericht am 24.06.2021:

»Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.«

Um was bzw. wen genau geht es in dem der heutigen Entscheidung zugrundeliegenden Fall? Dazu aus der Schilderung des Bundesarbeitsgerichts (BAG):

»Die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Bulgarien. Sie war seit April 2015 bei der Beklagten, einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien, als Sozialassistentin beschäftigt. In dem in bulgarischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag ist eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich vereinbart, wobei Samstag und Sonntag arbeitsfrei sein sollten. Die Klägerin wurde nach Berlin entsandt und arbeitete gegen eine Nettovergütung von 950,00 Euro monatlich im Haushalt der über 90-jährigen zu betreuenden Person, bei der sie auch ein Zimmer bewohnte. Ihre Aufgaben umfassten neben Haushaltstätigkeiten (wie Einkaufen, Kochen, Putzen etc.) eine „Grundversorgung“ (wie Hilfe bei der Hygiene, beim Ankleiden etc.) und soziale Aufgaben (zB Gesellschaft leisten, Ansprache, gemeinsame Interessenverfolgung). Der Einsatz der Klägerin erfolgte auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags, in dem sich die Beklagte gegenüber der zu betreuenden Person verpflichtete, die aufgeführten Betreuungsleistungen durch ihre Mitarbeiter in deren Haushalt zu erbringen.«

Die Betroffene hatte gegen die Vergütung für ihre un-mögliche Arbeit geklagt:

»Mit ihrer im August 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin unter Berufung auf das Mindestlohngesetz (MiLoG) weitere Vergütung verlangt. Sie hat geltend gemacht, bei der Betreuung nicht nur 30 Wochenstunden, sondern rund um die Uhr gearbeitet zu haben oder in Bereitschaft gewesen zu sein. Selbst nachts habe die Tür zu ihrem Zimmer offenbleiben müssen, damit sie auf Rufen der zu betreuenden Person dieser – etwa zum Gang auf die Toilette – Hilfe habe leisten können. Für den Zeitraum Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015 hat die Klägerin zuletzt die Zahlung von 42.636,00 Euro brutto abzüglich erhaltener 6.680,00 Euro netto nebst Prozesszinsen begehrt. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, sie schulde den gesetzlichen Mindestlohn nur für die arbeitsvertraglich vereinbarten 30 Wochenstunden. In dieser Zeit hätten die der Klägerin obliegenden Aufgaben ohne Weiteres erledigt werden können. Bereitschaftsdienst sei nicht vereinbart gewesen. Sollte die Klägerin tatsächlich mehr gearbeitet haben, sei dies nicht auf Veranlassung der Beklagten erfolgt.«

Damit wir die Zeiträume nicht aus den Augen verlieren: Mit gewerkschaftlicher Unterstützung hatte Dobrina D. im August 2018 vor dem Berliner Arbeitsgericht geklagt und auf Basis des seit 2015 geltenden gesetzlichen Mindestlohnes Lohnnachzahlungen in Höhe von rund 40.000 Euro geltend gemacht. Im August 2019 bekam sie in erster Instanz Recht. Dagegen legte die bulgarische Firma Berufung ein, die dann vor dem Landesarbeitsgericht verhandelt wurde. Im August 2020 kam dann die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, die für ein Beben in der Szene gesorgt hat: Das LAG Berlin-Brandenburg erläutert die damalige Entscheidung so:

»Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin den geforderten Mindestlohn ausgehend von einer täglichen Arbeitszeit von 21 Stunden zugesprochen. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, die Berufung des Arbeitgebers auf die vereinbarte Begrenzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden sei treuwidrig, wenn eine umfassende Betreuung zugesagt sei und die Verantwortung sowohl für die Betreuung als auch die Einhaltung der Arbeitszeit der Klägerin übertragen werde. Es sei Aufgabe des Arbeitgebers, die Einhaltung von Arbeitszeiten zu organisieren, was hier nicht geschehen sei. Die angesetzte Zeit von 30 Stunden wöchentlich sei für das zugesagte Leistungsspektrum im vorliegenden Fall unrealistisch. Die zuerkannte vergütungspflichtige Zeit ergebe sich daraus, dass neben der geleisteten Arbeitszeit für die Nacht von vergütungspflichtigem Bereitschaftsdienst auszugehen sei. Da es der Klägerin jedoch zumutbar gewesen sei, sich in einem begrenzten Umfang von geschätzt drei Stunden täglich den Anforderungen zu entziehen, sei eine vergütungspflichtige Arbeitszeit von täglich 21 Stunden anzunehmen.«

Gegen diese Entscheidung des LAG richten sich die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin beim Bundesarbeitsgericht. „Mit Erfolg“, schreibt das BAG. Also beide mit Erfolg? Wie soll das gehen?

Die Mindestlohn-Frage: Das BAG hat zur Anwendung der Mindestlohnregelungen seitens des LAG auf den vorliegenden Fall entschieden und klar gestellt: »Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 20 iVm. § 1 MiLoG auch ausländische Arbeitgeber trifft, wenn sie Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden.« Damit hat das BAG klar gestellt: Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst.

Die mindestlohnrelevante Arbeitszeit-Frage: Die Revision der beklagten Firma hinsichtlich der vom LAG unterstellten Arbeitszeit, für die dann ein Mindestlohn-Vergütungsanspruch besteht, wurde vom BAG anerkannt:

»Die Revision der Beklagten rügt jedoch mit Erfolg, das Berufungsgericht habe ihren Vortrag zum Umfang der geleisteten Arbeit nicht ausreichend gewürdigt und deshalb unzutreffend angenommen, die tägliche Arbeitszeit der Klägerin habe unter Einschluss von Zeiten des Bereitschaftsdienstes 21 Stunden betragen. Das Landesarbeitsgericht hat zwar zu Recht in den Blick genommen, dass aufgrund des zwischen der Beklagten und der zu betreuenden Person geschlossenen Dienstleistungsvertrags eine 24-Stunden-Betreuung durch die Klägerin vorgesehen war. Es hat jedoch rechtsfehlerhaft bei der nach § 286 ZPO gebotenen Würdigung des gesamten Parteivortrags den Hinweis der Beklagten auf die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 30 Stunden/Woche nicht berücksichtigt, sondern hierin ein rechtsmissbräuchliches widersprüchliches Verhalten gesehen. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils.«

Die Aufhebung des LAG-Urteils seitens des BAG bezieht sich nicht auf eine – vom Gericht gar nicht leistbare – Feststellung, dass es nur 30 Stunden Arbeit pro Woche gewesen sind, wie die beklagte Firma behauptet, sondern dass das Landesarbeitsgericht diesen Einwand des Unternehmens gar nicht ausreichend geprüft habe. Das BAG selbst positioniert sich zu diesem Punkt nur in einer merkwürdig anmutenden Distanz zu den Verhältnissen in der wirklichen Wirklichkeit: »Dass die Klägerin mehr als die im Arbeitsvertrag angegebenen 30 Stunden/Woche zu arbeiten hatte, dürfte – nach Aktenlage – nicht fernliegend sein.«

Während die beklagte Firma natürlich möglichst wenig zu vergütende Arbeitszeit anerkannt bekommen möchte, denn auf der Differenz zwischen der auf Papier stehenden und der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit basiert ja das ganze Ausbeutungskonstrukt, wird von Dobrina D. die Schätzung des LAG, sie hätte drei Stunden Freizeit gehabt, angegriffen.

Und auch Dobrina D. hatte vor dem BAG mit ihrer Anschlussrevision Erfolg. »Sie hat geltend gemacht, bei der Betreuung nicht nur 30 Wochenstunden, sondern rund um die Uhr gearbeitet zu haben oder in Bereitschaft gewesen zu sein. Selbst nachts habe die Tür zu ihrem Zimmer offenbleiben müssen.«

Hier nun haben die Bundesarbeitsrichter entschieden:

»Für die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe geschätzt täglich drei Stunden Freizeit gehabt, fehlt es bislang an ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten, so dass auch aus diesem Grund das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben ist.«

Also auch hier eine Rückverweisung an das LAG, weil dieses Gericht aus der Perspektive des BAG nicht ausreichend und belegbar den Einzelfall geprüft und die tatsächlichen Arbeits- und Bereitschaftszeiten, die mindestlohnrelevant sind, festgestellt hat. Das BAG schreibt dazu, man habe das Verfahren an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, »um insoweit den Sachverhalt weiter aufzuklären, den Vortrag der Parteien umfassend zu würdigen und festzustellen, in welchem Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst leisten musste und wie viele Stunden Freizeit sie hatte.«

Das liest sich leichter, als es dann in praxi sein wird. Wie soll man denn genau die Stunden-Aufteilung auf Arbeit- und Bereitschaftszeit auf der einen, Freizeit auf der anderen Seite später nachweisen bzw. belegen? Nur zur Erinnerung: Die Vorgänge, um die es in diesem Verfahren ging, fanden im Jahr 2015 statt.

Es ist hilfreich, an dieser Stelle daran zu erinnern, wie das LAG Berlin-Brandenburg im Urteil aus dem August 2020 argumentiert hatte: »Die Vorsitzende Richterin machte deutlich, dass die ganze Vertragsgestaltung „jede Menge widersprüchlicher Angaben“ enthalte. So war etwa zugleich eine tägliche Arbeitszeit von sechs Stunden und eine Sechs-Tage-Woche vereinbart, was schon rein rechnerisch nicht aufgehe. Der Vertrag enthielt einerseits eine Klausel, mit der die Beschäftigte erklärte, „keine Überstunden zu leisten“. Andererseits verpflichtete sie der Betreuungsvertrag, rund um Uhr für soziale Aufgaben, Hilfestellung beim Essen, Ankleiden, der Körperpflege da zu sein, Gesellschaft zu leisten und sogar „gemeinsame Interessen zu verfolgen“. Obwohl ihr der Vertrag eigentlich – samstags oder sonntags – einen freien Tag in der Woche zusicherte, wurde von der Beschäftigten erwartet, dass sie sieben Tage die Woche zur Verfügung steht.« Und beim Gericht hat man die Unmöglichkeit einer nach den deutschen Standards rechtskonformen Ausgestaltung aufgrund der Besonderheiten des Betreuungssettings erkannt: »Das Gericht halte es „grundsätzlich mindestens für bedenklich“, dass eine Betreuungskraft auf Dauer in derselben Wohnung mit einer Person lebt, „die einen Betreuungsbedarf von letztlich 24 Stunden hat“, betonte die Richterin. „Wie soll sich die Klägerin abgrenzen von der alten Dame und deren Bedürfnisse zurückweisen? Wie soll sie ihre Arbeitszeit auf sechs Stunden täglich beschränken?“ So ergebe sich „schon aus den Indizien, dass ein Vertrag über 30 Stunden nicht ernstgemeint sein kann“.«

Anders ausgedrückt: Das LAG hatte im vergangenen Jahr auf der Basis von (für normale Menschen ja nun wirklich auch nachvollziehbaren) Plausibilitätsüberlegungen eine Entscheidung getroffen, die auf der einen Seite von einer konkreten als Arbeitszeit angenommenen Zahl an Stunden (21) ausgegangen ist (die man benötigt, um einen Nachvergütungsanspruch monetär zu bemessen), auf der anderen Seite wurde das und auch die 3 Stunden Nicht-Arbeitszeit nicht faktisch bestimmt, sondern geschätzt. Genau dagegen richtet sich jetzt ein Teil der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und darin liegt eine Ambulanz des Urteils und der damit verbundenen Rücküberweisung des LAG.

➔ Es sei an dieser Stelle mit Blick auf die ganz handfesten Probleme, die nun erneut aufgerufen werden, darauf hingewiesen, dass das LAG Berlin-Brandenburg vor dem Urteil aus dem August 2020 eigentlich ein Vergleichsangebot an die Beklagte und die Klägerin gerichtet hatte, mit dieser Begründung: »Das Gericht sieht bei einer Fortsezung des Verfahrens bis zu einem Urteil auch Risiken. Eine weitere Beweisaufnahme könnte notwendig sein, die sich allerdings schwierig gestalten dürfte, weil sowohl die beklagte Firma als auch die Klägerin in Bulgarien sind. Und auch wenn Bulgarien Mitglied der EU ist, befürchte man, dass es im Fall eines für das Unternehmens teuren Urteils zu Vollstreckungsproblemen kommt und die Klägerin am Ende leer ausgehe. Um eine pragmatische Lösung zu erreichen, will die Kammer nun einen konkreten Vergleichsvorschlag ausarbeiten. Damit dieser wirksam wird, muss er nicht nur von beiden Parteien akzeptiert werden – es muss auch tatsächlich Geld fließen. Nur wenn die noch zu vereinbarende Summe fristgerecht auf dem Konto der Klägerin eingeht, ist der Rechtsstreit vom Tisch, betonte die Vorsitzende.«

Fazit

Insofern haben wir heute eine durchaus ambivalente Entscheidung vom Bundesarbeitsgericht serviert bekommen:

➔ Auf der einen Seite steht nun unmissverständlich klar im Raum: »Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.« Damit steht das un-mögliche Modell einer „24-Stunden-Betreuung“ vor dem Aus – wenn denn nachgewiesen werden kann, dass die zumeist aus Osteuropa kommenden Betreuerinnen auch tatsächlich die Zeiten gearbeitet haben. Wenn.

➔ Das Bundesarbeitsgericht hat hinsichtlich der konkreten, materiell höchst relevanten Feststellung, wie viele Stunden denn nun gearbeitet wurden (einschließlich der Bereitschaftszeiten) den Ball wieder zurückgeschossen in das Spielfeld der unteren Instanz, die nun genau das machen muss, was sie eigentlich vermeiden wollte, weil sie wohl ahnt, dass es ihr nicht wirklich gelingen kann und wird. Vor diesem Hintergrund muss man noch abwarten, ob sich das BAG-Urteil von heute hinsichtlich der Nachzahlung an die Betreuerin nicht möglicherweise als trojanisches Pferd erweisen wird.

Und es müssen noch zwei ergänzende Anmerkungen gemacht werden, wenn es um eine Gesamtwürdigung der BAG-Entscheidung geht:

➔ Zum einen ist interessant, dass ein Beteiligter gar nicht auftaucht – die Agentur in Deutschland. Zur Erinnerung: Dobrina D. wurde über eine Agentur mit Hauptsitz in München vermittelt und war bei einer bulgarischen Leiharbeitsfirma angestellt, die sie nach Deutschland entsandt hatte. Man könnte schon auf die Idee kommen nachzufragen, wie es eigentlich mit der Verantwortung und den Pflichten der Agentur aussieht im vorliegenden Fall.

➔ Zugleich muss man auch darauf hinweisen, dass es unterschiedliche Konfigurationen bei der praktischen Ausgestaltung der „Live-in-Betreuung“ gibt. Im hier besprochenen Fall handelt es sich um ein Modell, bei dem die betreuungsbedürftige Person bzw. ihre Angehörige eine deutsche Agentur eingeschaltet haben, die wiederum auf Agenturen im Heimatland der Betreuungskräfte zurückgreift, die dann ihre Arbeitskräfte als Arbeitnehmer entsenden nach Deutschland. Das ist aber nicht der Mehrheitsfall bei der sogenannten „24-Stunden-Betreuung“. Der Regelfall in diesem Bereich sind angeblich selbstständige Personen, die aber faktisch nach unserem Rechtsgefüge als Scheinselbstständige in den Privathaushalten unterwegs sind. Bei den Solo-Selbstständigen besteht ein großes Risiko der Scheinselbständigkeit, was zu einer nachträglichen Feststellung der Sozialversicherungspflicht führen würde, so dass Beiträge und Steuern nachgezahlt werden müssen. Wenn … ja wenn der Tatbestand der Scheinselbstständigkeit festgestellt und nachgewiesen wird. An dieser Stelle kommt erschwerend hinzu – selbst wenn es Kontrollen geben sollte oder könnte – dass es für die Behörden schwierig wird, da man Privathaushalte nicht wie „normale“ Arbeitsstätten behandeln kann.