Was ist (k)eine „vorübergehende Überlassung“ von arbeitenden Menschen? Der Europäische Gerichtshof fällt ein „erfreuliches“ bzw. „enttäuschendes“ Urteil zur Leiharbeit

Die Zahl der Leiharbeiter in Deutschland ist in den vergangenen Jahren bis kurz vor Beginn der Corona-Pandemie gestiegen. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gab es 2013 rund 865.000 Menschen in Leiharbeit, im Jahresschnitt 2018 waren es schon mehr als eine Million. 2020 – im ersten Jahr der Pandemie – sank die Zahl zwischenzeitlich auf gut 740.000, lag aber Mitte 2021 wieder bei mehr als 830.000. Aktuellere Zahlen der Bundesagentur liegen derzeit nicht vor, aus der Branche werden aber weiter steigende Zahlen seit dem Sommer des vergangenen Jahres berichtet.

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Großbritannien: Der Markt regelt das (nicht). Personalvermittler für Pflegekräfte treiben ihre Preise für den Verleih von Pflegekräften nach oben

Der eine oder andere wird sich daran erinnern – noch vor dem Ausbruch der Corona-Krise gab es hier bei uns in Deutschland eine Debatte über die sich ausbreitende Leiharbeit in der Pflege. Kliniken und Pflegeheime berichteten, dass sie zunehmend darauf angewiesen seien, Personallücken über Zeit- bzw. Leiharbeit zu füllen. Und zugleich gab es zahlreiche Berichte, dass Pflegekräfte bewusst in die Leiharbeit abgewandert sind, weil sie dort – entgegen dem üblichen Image der Branche – bessere Arbeitsbedingungen für sich selbst finden, also was sowohl die Bezahlung, wie auch die Dienstzeiten angeht. Zugleich standen und stehen die Betreiber von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen vor dem Problem, dass die Kosten für die Leiharbeitskräfte ganz erheblich sind, denn die Verleiher lassen sich das einschließlich ihrer Gewinne entsprechend bezahlen. Die Debatte im Herbst 2019 und Anfang 2020 mündete dann in Forderungen an den und aus dem politischen Raum, Leiharbeit in der Pflege zu verbieten.

➔ Wer die damalige Diskussion nachvollziehen möchte, dem seien die Beiträge „Gute Leiharbeit“? Zur medialen und tatsächlichen Bedeutung der Leiharbeit in der Kranken- und Altenpflege vom 23.09.2021, Ein Teil der Pflegekräfte „flieht“ in die Leiharbeit, Betreiber von Kliniken und Pflegeheimen sind sauer und die Berliner Gesundheitssenatorin will Leiharbeit in der Pflege verbieten? Ein Lehrstück vom 01.11.2019 sowie Aus der mal nicht eindeutigen Welt der Leiharbeit. In der Pflege. Oder: Wenn ausnahmsweise Arbeitgeber vor Leiharbeitern geschützt werden sollen vom 23.01.2020 empfohlen.

Aus einem Verbot der Leiharbeit in der Pflege ist – wie bereits damals vorausgesagt – nichts geworden. Und man kann sich gut vorstellen, dass die Belastungen und Verwerfungen durch die Corona-Pandemie den Trend in die Leiharbeit sogar noch vorangetrieben haben.

Aber nicht nur bei uns ist das und die damit verbundenen Probleme ein Thema. Auch auf der Insel, in Großbritannien, wird darüber intensiv diskutiert.

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Sozialdumping durch den Import von Leiharbeitern aus anderen EU-Ländern: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bremst darauf spezialisierte Geschäftsmodelle aus

Wieder einmal erreicht uns eine sozialpolitisch bedeutsame Entscheidung aus dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Diesmal geht es um Leiharbeiter, die in ein anderes Mitgliedsland der EU entsandt werden und die dort weiter den Sozialrechtsvorschriften ihres Herkunftslandes unterliegen, was gerade bei osteuropäischen Staaten bedeutet, dass man in erheblichen Umfang Sozialabgaben sparen kann, wenn die Arbeitnehmer beispielsweise in Deutschland eingesetzt werden. Dann sind solche entsandte Leiharbeiter deutlich günstiger zu haben als die einheimischen Kräfte.

Und noch Anfang Januar dieses Jahres wurde von gewerkschaftlicher Seite in einer Erklärung die Befürchtung vorgetragen, dass eine anstehende Entscheidung des EuGH zu einer massiven Schwächung des Sozialschutzes entsandter Arbeitnehmer innerhalb der EU führen könnte. Die Befürchtung der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU): »Leiharbeitsunternehmen könnten sich in dem EU-Mitgliedsstaat mit den niedrigsten Sozialrechtsvorschriften alleine mit dem Ziel niederlassen, Beschäftigte zu entleihen und die geltenden Sozialrechtsvorschriften im Zielland zu umgehen. Dies wäre ein Konjunkturprogramm für Briefkastenfirmen und windige Personalvermittler.«

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Zufall oder gut platziert? Eine Großrazzia gegen die Einschleusung von Arbeitskräften aus Osteuropa für Fleischbetriebe – und die eigentlich spannende Frage nach der „illegalen Leiharbeit“

Das sind Schlagzeilen, die aufrütteln (sollen): »Rund 800 Beamte der Bundespolizei sind bei einer Großrazzia im Einsatz. Es geht um die Einschleusung von Arbeitskräften aus Osteuropa für Fleischbetriebe«, wird am 23.09.2020 unter der Überschrift Großrazzia gegen illegale Leiharbeit in der Fleischindustrie gemeldet. Und an anderer Stelle erfährt man: »Mehr als 60 Wohn- und Geschäftsräume hat die Bundespolizei deutschlandweit durchsucht – wegen des Verdachts der illegalen Einschleusung von Arbeitskräften für die Fleischindustrie … Im Fokus der Ermittler steht ein Konstrukt aus verschiedenen Zeitarbeitsfirmen: Über diese sollen in den vergangenen sechs Monaten mindestens 82 Menschen geschleust worden sein. Laut Bundespolizei gibt es zehn Hauptbeschuldigte im Alter von 41 bis 56 Jahren. Darunter sind acht Männer und zwei Frauen. Es gehe um den Vorwurf der banden- und gewerbsmäßigen Einschleusung und der Urkundenfälschung. Beschuldigt sind zwei Firmen, die unabhängig voneinander, aber nach demselben Muster vorgehen sollen. Sie sollen osteuropäische Staatsbürger mit falschen Dokumenten nach Deutschland geholt haben. Zudem sollen mit gefälschten Immatrikulationsbescheinigungen sogenannte Scheinstudenten als „Student in Ferienarbeit“ gebracht worden sein. Die Beschuldigten sollen Unterkünfte zur Verfügung gestellt, Fahrdienste organisiert und die Arbeiter bei Kontoeröffnungen und Behördengängen unterstützt haben … Bei der Razzia entdeckten die Beamten mehr als 20 Menschen, die mit gefälschten Dokumenten illegal beschäftigt worden seien. Sie sollen nun zunächst befragt und anschließend der Ausländerbehörde übergeben werden.«

Das kann man dieser Meldung entnehmen: Razzien in der Fleischindustrie: Ermittlungen wegen illegaler Leiharbeit: »Die Bundespolizei hat deutschlandweit wegen des Verdachts der illegalen Einschleusung Razzien in Geschäfts- und Wohnräumen der Fleischindustrie durchgeführt.« Und zur Sicherheit wird gleich nachgeschoben: »Politiker forderten erneut ein schnelleres Verbot von Leiharbeit in der Branche.«

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Ein „Doppelpack“ vom Bundesverfassungsgericht zugunsten des Streikrechts der Gewerkschaften

Das mit dem Streikrecht ist in Deutschland so eine Sache. Immer wieder wird auf unsere Verfassung verwiesen, konkret auf Artikel 9 Grundgesetz, der diesen Absatz 3 enthält: »Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.« Das war’s dann auch schon mit dem, was die Verfassung zu einem Streikrecht ausführt. In Deutschland gibt es kein Streikgesetz und auch kein ausdrücklich so genanntes „Recht auf Streik“, doch in langjähriger Rechtsprechungspraxis hat sich das faktische Streikrecht durch die Entscheidungen der Gerichte – vor allem des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts – etabliert und konkretisiert. Wir haben es in diesem Bereich vor allem mit Richterrecht zu tun. Wichtig dabei: Ein Streik muss von einer Gewerkschaft ausgerufen werden und zudem bestimmte Kriterien erfüllen, um nicht rechtswidrig zu sein.

Vor diesem Hintergrund sind zwei aktuelle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu lesen, mit denen ausdrücklich das Streikrecht auf Seiten der Arbeitnehmer gestärkt wird.

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