Aus den Tiefen und Untiefen der Bedürftigkeit: Ein Jobcenter verliert einen Prozess gegen eine wohnungs- und mittellose Frau. Und immer wieder wird Hartz IV verengt auf (registrierte) Arbeitslose

Permanent geistert das Schlossgespenst einer „zu locker“ gewährten und „zu großzügig“ dotierten Sozialhilfe durch die Medien und manche Politiker greifen die damit verbundenen Bilder und Vorurteile gerne auf, um große Teile der Bevölkerung in Stellung zu bringen gegen den (angeblichen oder tatsächlichen) „Missbrauch“, der da mit den von der Allgemeinheit finanzierten Sozialleistungen betrieben wird. Der große Resonanzboden erklärt sich auch durch die Vorgabe, dass Sozialhilfe bzw. Grundsicherung (Hartz IV) nur diejenigen bekommen (sollen), die „bedürftig“ sind und dann auch nur, wenn sie zugleich alles tun, um diesen Zustand zu beenden.

Und eine offensichtlich besonders erschreckende Vorstellung scheint für einige zu sein, wenn sich das Schlossgespenst zu einer sogar „bedingungslos“ gewährten Leistung auswächst (zugleich projizieren andere regelrechte Heilserwartungen in ein immer wieder in den Raum gestelltes „bedingungsloses Grundeinkommen“). Aber davon sind wir – das kann man begrüßen oder beklagen – weit weg. Denn gerade die Sozialhilfeleistung des SGB II, umgangssprachlich als Hartz IV bezeichnet, ist eine „bedürftigkeitsabhängige“ Sozialleistung und damit weit entfernt von einer Bedingungslosigkeit der Leistungsgewährung.

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Nach dem Urteil des BVerfG ist Hartz IV eine „bedingungslose Grundsicherung“ geworden? Was für ein Unsinn

Das nunmehr vergangene Jahr war im Bereich der Grundsicherung vor allem durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. November 2019 geprägt ( BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16), bei dem es um einen Teil der Sanktionen innerhalb des Hartz IV-Regimes ging. Dazu ausführlicher der Beitrag Ein Sowohl-als-auch-Urteil. Das Bundesverfassungsgericht, die Begrenzung der bislang möglichen Sanktionierung und eine 70prozentige minimale Existenz im Hartz IV-System vom 6. November 2019. Darin wurde nicht nur auf die argumentativen Widersprüchlichkeiten in der Entscheidung hingewiesen, sondern vor allem auf den Tatbestand, dass die Sanktionen gerade nicht generell verboten, sondern „lediglich“ eine Begrenzung der besonders harten Formen der Sanktionierung vorgenommen wurde.

Die fundamentale Bedeutung dieses Urteils, auf das man jahrelang warten musste, nachdem Sozialrichter aus Gotha durch einen Vorlagenbeschluss das Verfahren ausgelöst hatten, steht im Kontext mit der Tatsache, dass es hier um nichts weniger als um das Existenzminimum ging – und um eine Antwort auf die Frage, ob das unantastbar ist oder nicht.

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Die „Aufstocker“ im Hartz IV-System: 10 Milliarden Euro im Jahr 2018 für die „Subventionierung von Lohndumping“? Eine Spurensuche in den offiziellen Daten

Immer wieder schaffen sie es für einen dieser kurzen Momente in den Strudel der Berichterstattung: die „Aufstocker“ im Hartz IV-System. Also Menschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und trotz Arbeit so wenig Geld zur Verfügung haben, dass sie zusätzlich Geld aus dem Grundsicherungssystem bekommen (müssen).

»Löhne von arbeitenden Hartz-IV-Empfängern sind im vergangenen Jahr um fast 10 Milliarden Euro aufgestockt worden. Das geht aus neuen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor, die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegen und von der Linken-Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann ausgewertet wurden. Zwischen 2007 und 2018 sind damit mehr als 117 Milliarden Euro für das Aufstocken niedriger Löhne ausgegeben worden.« So kann man es in diesem Artikel lesen: Hartz IV: Staat stockte 2018 Löhne um fast 10 Milliarden Euro auf. Die Bundestagsabgeordnete wird mit den Worten zitiert, »Milliardenbeträge aus Steuermitteln würden aufgewendet, um nicht existenzsichernde Arbeit aufzustocken. „Die Gesellschaft subventioniert so seit vielen Jahren Arbeitgeber, die Niedriglöhne zahlen oder ihren Beschäftigten nur Arbeitsverhältnisse in Teilzeit oder Minijobs anbieten, obwohl viele gerne länger arbeiten würden. Das ist eine verdeckte Subventionierung von Lohndumping, mit der die Bundesregierung prekäre Beschäftigung vorantreibt und zementiert“.«

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Die mediale Kommentierung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionen im Hartz IV-System. Eine Auswahl

Es ist ein bekanntes Muster in den heutigen Zeiten einer von den Zwängen der Aufmerksamkeitsökonomie formatierten Berichterstattung in den Medien: Es passiert etwas, beispielsweise ein Urteil des höchsten deutschen Gerichts zu einem sozialpolitisch relevanten Sachverhalt wird verkündet und wie eine Flutwelle ergießt sich die Berichterstattung in allen Medien über die Landschaft – um dann kurze Zeit später wie auf einen geheimen Zuruf das Feld zu verlassen und zum nächsten Thema weiterzuziehen. Das führt im Ergebnis dazu, dass natürlich auch die gerade bei komplizierten Sachverhalten notwendige Zeit fehlt, um die mal in gebotener Ruhe und damit verbundener Tiefe zu reflektieren und mögliche Konsequenzen zu durchdenken. Verschärft wird die von nicht wenigen als unbefriedigend wahrgenommene extrem punktuelle Berichterstattung durch den ebenfalls aufmerksamkeitsökonomisch bedingten Anreiz, Aussagen zwangsläufig sehr vereinfachend zuzuspitzen oder zu skandalisieren, in der Hoffnung, damit Klicks und andere reflexhafte Reaktionen bei den Empfängern der Botschaften zu generieren.

Das erleben wir gerade erneut wie in einem Lehrbuch am Beispiel der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionen im Hartz IV-System. Nach einer eruptiven Berichterstattung im Anschluss an die Verkündigung der Entscheidung am 5. November 2019 ist die mediale Karawane bereits erneut auf der Straße unterwegs zum nächsten Thema, das an diesem Wochenende die Redaktion beschäftigen wird: Die mehrfach verschobene Einigung (oder Nicht-Einigung?) der GroKo beim Themen- und Minenfeld der sogenannten „Grundrente“ – der Showdown fokussiert (und wird von den Medien mit fokussiert) auf die Frage: Bedürftigkeitsprüfung ja oder nein?

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Erst mal sacken lassen – im laufenden Betrieb. Die Bundesagentur für Arbeit, die Jobcenter, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der vom hohen Gericht zurückgeschossene Ball der Sanktionen im Hartz IV-System

In ersten Reaktionen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die – teilweise – Verfassungswidrigkeit bestimmter Sanktionen in bestimmten Fälle im Hartz IV-System (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16) habe ich darauf hingewiesen, dass das Urteil nur auf den ersten Blick mehr Rechtssicherheit herstellt: »Die Verfassungsrichter haben sich, bei aller Freude über die vorgenommene Einhegung der Sanktioniserungspraxis, insofern einen schlanken Fuß gemacht, in dem sie zwar einerseits ein wenig mehr Rechtssicherheit schaffen durch die Begrenzung der harten Sanktionierung, zum anderen aber den Ball wieder kraftvoll zurückschießen an die Politik und vor allem in das Feld der Jobcenter. Die „sollen“, „dürfen“, „können“ in Zukunft – hört sich nach mehr Freiheitsgraden vor Ort an, sind aber unbestimmte Rechtsbegriffe für eine wahrhaft existenzielle Angelegenheit. Da tun sich ganz große Baustellen auf – denn in Zukunft wird es noch mehr darauf ankommen, wie das in den Jobcentern konkret umgesetzt wird und ob bzw. welche Möglichkeit die Betroffenen haben, der Machtasymmetrie zu begegnen.« So im Beitrag Ein Sowohl-als-auch-Urteil. Das Bundesverfassungsgericht, die Begrenzung der bislang möglichen Sanktionierung und eine 70prozentige minimale Existenz im Hartz IV-System vom 6. November 2019, in dem zugleich eine differenzierte Analyse dessen versucht wird, was die Verfassungsrichter entschieden haben. Und das ist neben der Begrenzung besonders harter Ausformungen der Sanktionen zugleich die grundsätzliche verfassungsrechtliche Bestätigung der Zulässigkeit einer Sanktionierung an sich.

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