Der Integrations-Flaschenhals Sprachkurse, die Lehrkräfte und deren schlechte Vergütung. Doch jetzt soll alles besser werden

Es müsste ja eigentlich allen klar sein: Eine auf alle Fälle unverzichtbare, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für eine gelingende Integration der Menschen, die als Flüchtlinge oder aus ganz anderen Gründen zu uns gekommen sind, ist das Erlernen und die Anwendbarkeit der deutschen Sprache. Dafür gibt es die Integrationskurse, die aus einem Sprachkurs und einem Orientierungskurs bestehen. Die sind von wirklich existenzieller Bedeutung für die Integrationsaufgabe. Und eigentlich müsste man die immer knappen Ressourcen nach allem, was wir wissen, gerade im Bereich der Sprachkurse fokussieren und dort Bedingungen ermöglichen, die dem Anliegen förderlich sind. Was auch bedeutet, dass die Menschen, die in diesen Kursen als Lehrkräfte unterrichten, entsprechend der Bedeutung dieser Kurse gute Arbeitsbedingungen bekommen, damit sie ihrer wichtigen Aufgabe nachgehen können.

Dem ist allerdings in vielerlei Hinsicht nicht so. Darüber wurde hier auch schon öfter berichtet, vgl. beispielsweise den Beitrag 1.200 Euro im Monat = „Top-Verdienerin“? Lehrkräfte in Integrationskursen verständlicherweise auf der Flucht oder im resignativen Überlebenskampf vom 2. September 2015, Auf der Flucht im doppelten Sinne. Ein Update zu den Sprachlehrkräften sowie den Chancen und Risiken dahinter vom 14. September 2015, Sonntagsreden und die wirkliche Wirklichkeit oder Lehrer und andere Lehrer vom 17. Februar 2016 oder auch Die Annäherung an die Wahrheit liegt zwischen (rhetorischer) schwarzer Pädagogik und (naiver) „Wird schon werden“-Philosophie. Die Forderung nach einer Sprachlernpflicht für Flüchtlinge und die Wirklichkeit der „Schweizer Käse“-Angebote vom 28. März 2016. Kurzum: Ein bewegtes Thema und viele Probleme in den Niederungen der Praxis. Wobei wir die nicht nur in Deutschland haben (was man immer auch vor dem Hintergrund der großen Zahl an Flüchtlingen sehen muss, die zu uns gekommen sind), sondern auch aus anderen Ländern werden ähnliche Probleme gemeldet, beispielsweise aus Österreich (vgl. dazu den Beitrag Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Deutschkurse am Fließband und skandalöse Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in Sprach- und Integrationskursen, die doch von so großer Bedeutung sind vom 30. April 2016).

Aber nun soll alles besser werden für die Sprachlehrkräfte, die vor allem – in der Regel als „Selbständige“ beschäftigt – über eine teilweise skandalös niedrige Vergütung klagen.

Offensichtlich hat man auch ganz oben die Problematik erkannt und ist zu Veränderungen bereit. Denn nun erreichen uns solche Botschaften: Regierung plant mehr Lohn für Deutschlehrer, hat Martin Greive seinen Artikel überschrieben. Die Ausgangslage stellt sich so dar:

»Die Klassen in den Volkshochschulen sind derzeit so voll wie selten zuvor. Bis zu 550.000 Flüchtlinge könnten in diesem Jahr laut Bundesinnenministerium einen Integrationskurs belegen. Entsprechend hoch ist der Bedarf an Deutschlehrern. Tausende durchlaufen derzeit Fortbildungen und erhalten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Zulassung, Deutsch zu unterrichten. Doch am Ende stehen davon nur wenige tatsächlich in der Klasse. Der Grund dafür: die miese Bezahlung.«

Natürlich geht es wieder einmal vor allem um das liebe Geld. Das Bundesinnenministerium, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstellt ist, schlägt vor, Deutschlehrer künftig deutlich besser zu bezahlen – und verlangt dafür mehr Mittel von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Offensichtlich haben wir es mit einem veritablen Angebots-Nachfrage-Problem zu tun, dass sich die Beamten im Bundesinnenministerium genötigt sind, eine finanzielle Aufstockung anzumahnen – die noch nicht beschlossen ist, wir befinden uns derzeit immer noch in der Phase der Vorschläge bzw. der Forderungen mit Haushaltswirksamkeit:

»Insgesamt hat das BAMF im vergangenen Jahr 5600 Lehrern eine Zulassung erteilt, Flüchtlingen Deutsch beizubringen. Allerdings seien nach Schätzungen „nur circa zehn Prozent der im Jahr 2015 zugelassenen Lehrkräfte bislang als unterrichtende Lehrkraft dem Bundesamt gemeldet worden“, heißt es in dem Bericht. Es sei durchaus möglich, dass Lehrkräfte die Fortbildung nutzten, um dann „in besser bezahlte Bildungsbereiche abzuwandern“.«

Wo genau das Problem liegt? In dem, was gemeinhin als „Rahmenbedingungen“ der Arbeit bezeichnet wird. Und die sind wirklich desaströs, wie man der folgenden allgemeinen Beschreibung entnehmen kann: Die meisten Sprachlehrer müssen auf selbständiger Basis arbeiten und tragen die gesamte soziale Absicherung entsprechend auf ihren eigenen Schultern.

»Gerade im Vergleich zu Lehrern an Schulen werden sie auch noch schlecht bezahlt. Im vergangenen Jahr betrug ihr durchschnittliches Mindesthonorar gerade mal 20,35 Euro pro Unterricht. In der Zwischenzeit ist diese Vergütungsuntergrenze zwar auf 23 Euro angehoben worden. Damit kommt ein Sprachlehrer mit 30 Unterrichtseinheiten auf einen Verdienst von 2800 Euro brutto im Monat.«

Wohlgemerkt – 2.800 Euro brutto für einen Selbständigen, nicht für einen fest angestellten Arbeitnehmer. Und wie will man diese Situation nun ändern?

„Um auf dem Arbeitsmarkt weiterhin ein attraktives und konkurrenzfähiges Angebot zu machen, könnte eine nennenswerte Anhebung der Vergütungsuntergrenze für Honorarlehrkräfte auf 35 Euro vorgenommen sowie eine Verpflichtung zur Einhaltung der gewählten Honoraruntergrenze für zugelassene Integrationsträger begründet werden“, schreibt das Bundesinnenministerium, so Martin Greive in seinem Artikel.

Das wäre »eine Anhebung um 52 Prozent. Bei 30 Unterrichtseinheiten würde das Gehalt der Lehrer so spürbar steigen, auf 4200 Euro brutto im Monat.«

Bezahlt werden die Sprachlehrkräfte von den Trägern der Integrationskurse, beispielsweise den Volkshochschulen (von denen etwa 40 Prozent der Integrationskurse abgedeckt werden), die da eine wichtige Rolle spielen. Nur die müssen natürlich eventuell höhere Gehälter gegenfinanzierten können. Auch daran hat das Bundesinnenministerium gedacht und schlägt deshalb vor: »Der Kostenerstattungssatz solle von aktuell 3,10 auf vier Euro je Kursteilnehmer steigen.«
Nichts ist umsonst im Leben und so auch hier: Eine entsprechende Anhebung würde zu diesen Mehrausgaben führen:

»Für 100.000 Integrationsteilnehmer würden sich zusätzliche Ausgaben in Höhe von 52 Millionen Euro ergeben. Rechnet man diesen Betrag auf die bis zu 550.000 Flüchtlinge hoch, die in diesem Jahr laut Ministerium an Sprachkursen teilnehmen könnten, käme man im Extremfall auf einen zusätzlichen Bedarf in Höhe von 286 Millionen Euro allein in diesem Jahr.«

Das hört sich nach einem ordentlichen Sprung an, wenn denn die – wohlgemerkt zum jetzigen Zeitpunkt nur als Forderungen einzustufenden – Zahlen realisiert werden würden.

Und was sagen die Betroffenen dazu? Zumindest die, die sich als Interessenvertreter der Betroffenen verstehen und zu Wort melden?

In dem Kontext dieser Frage sicher sehr interessant ist die Tatsache, dass am 12. April 2016 ein Offener Brief der in Integrationskursen tätigen DaF-/DaZ-zertifizierten Lehrkräfte sowie von Angehörigen des Bonner Offenen Kreises (BOK), eines Zusammenschlusses von Deutschlehrkräften, der schon seit Jahren gegen die inakzeptablen Arbeitsbedingungen von Kursleitenden in Integrationskursen und deren skandalöse Mangelfinanzierung durch den Bund ankämpfen, veröffentlicht wurde.

Die Briefeschreiber stellen fest: »Ohne eine umfassende sprachliche Vorbildung, die im Übrigen unserer Ansicht nach eine Ausweitung der Sprachkurs-Förderung über das für den Arbeitsmarkt unzureichende B1-Niveau hinaus auf mindestens B2 beinhalten sollte, wird eine Integration in Arbeit und Gesellschaft nicht gelingen.«

Und was fordern die nun?

Sie »fordern eine Festanstellung auf LehrerInnen-Niveau oder bei Freiberuflichkeit die Anerkennung der Arbeitnehmerähnlichkeit – dementsprechend 60 Euro pro Unterrichtseinheit plus
Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung.«

Das ist nun eine ordentliche Hausnummer weit weg von den aktuell seitens des Bundesinnenministeriums geforderten 35 Euro pro Stunde.

Wr dürfen gespannt sein, wie das ausgeht.

Die Flüchtlinge und ihre gesundheitliche Versorgung zwischen Behandlungsschein und Karte

Die Diskussion über die Flüchtlinge hat sich merklich verschoben: In den letzten Monaten ist die Zahl der Neuankömmlinge in Deutschland deutlich zurückgegangen, die Schließung der Balkan-Route und das Aufstauen der Flüchtlinge in Griechenland werden auch bei uns sichtbar. Nur noch wenige schaffen es bis auf den deutschen Boden. Auch die Medienberichterstattung reagiert auf die veränderte Lage – einerseits. So muss man derzeit immer öfter solche Berichte zur Kenntnis nehmen: Diese Unterkunft hat alles – außer genug Flüchtlinge: »Auf dem alten Flughafen in Calden steht eine der modernsten Flüchtlingseinrichtungen Hessens. Das Problem mit dem Millionenprojekt: Es wäre Platz für 1500 Zuwanderer da – doch kaum jemand kommt.« Und immer öfter auch solche Recherchenergebnisse: Flüchtlinge als Geschäftsmodell: »Viele Heimbetreiber kassieren absurd hohe Preise für die Unterbringung von Geflüchteten. Ahnungslose Städte und Landkreise sind ideale Geschäftspartner für die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften. Manche Kommunen zahlen dreimal so viel für die Unterbringung wie andere – und viele Städte wissen gar nicht, wie hoch ihre Kosten sind. Was läuft falsch?« 

Es ist auf der einen Seite immer wichtig, (mögliche) Verfehlungen oder gar Bereicherungen anzuprangern, auf der anderen Seite sollte einem unbefangenen Beobachter beispielsweise beim Blick auf die Abbildung klar werden, dass eine Planung von Unterbringungskapazitäten angesichts der erkennbaren Entwicklung äußerst schwierig ist. Die Kommunen haben es gleichsam mit einem überaus beweglichen Ziel zu tun. Noch am Ende des vergangenen Jahres mussten die Kommunen von deutlich höheren Zuweisungszahlen ausgehen, für die man entsprechende Unterbringungen planen und organisieren musste – und nun oftmals für mehr Menschen, als dann tatsächlich in den Wochen seit dem Jahresbeginn gekommen sind. Aber kann man wirklich jetzt, im Mai 2016, annehmen, dass der Rückgang der Zahlen anhält? Oder könnt es auch wieder aufwärts gehen, wenn das Wetter besser wird und alternative Routen zur geschlossenen Balkan-Route gefunden und benutzt werden? Wer kann das heute wirklich abschätzen?

Auf der anderen Seite verschafft das eigentlich die dringend notwendige Luft, die Verhältnisse hier im Land zu ordnen und  in den Griff zu bekommen. Aber auch mit Blick auf die bereits vorhandenen Flüchtlinge stellt sich die aktuelle Lage mehr als unübersichtlich dar.

Das Bamf bleibt im Stress, berichtet Anna Reimann: »Deutlich weniger Flüchtlinge kommen nach Deutschland, aber die Schlüsselbehörde Bamf steht weiter unter Druck. Der Berg der Asylanträge wächst.«
Dazu passen dann leider solche Meldungen: Arbeitskreis Asyl kritisiert Bearbeitungsdauer. Gemeint ist das Beispiel Rheinland-Pfalz:

»Der Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz hält die Bearbeitungszeiten für Asylanträge weiterhin für unzumutbar. Die Fristen zwischen Antragstellung und Entscheid seien in den vergangenen Monaten in vielen rheinland-pfälzischen Regionen gestiegen. Der Arbeitskreis stützt seine Kritik nach eigenen Angaben auf Zahlen der Bundesregierung. Demnach vergingen zum Beispiel in der Trierer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aktuell im Schnitt zwei Jahre, bis somalische und pakistanische Flüchtlinge einen Bescheid bekämen, bei Iranern summiere sich die Wartezeit auf zweieinhalb Jahre.«

Und zu den großen Baustellen gehört natürlich auch die gesundheitliche Versorgung der Flüchtlinge. Das ist nicht nur mit Blick auf jeden einzelnen Betroffenen ein originär sozialpolitisches Thema, sondern auch angesichts des „Vergiftungspotenzials“ für die gesellschaftliche Debatte. Immer wieder wird man konfrontiert mit Aussagen, die in die Richtung gehen, dass die Flüchtlinge, kaum sind sie hier, sich ein Rundumversorgungspaket abholen können und medizinische und andere gesundheitsbezogene Leistungen bekommen, auf die auch der „Normalbürger“ einen Anspruch hat. Ebenfalls immer wieder kritisiert werden die Auswirkungen auf den Krankenkassenbeitrag, denn darüber müssen die Leistungen für die Flüchtlinge finanziert werden, so ein immer wieder kolportierter Vorwurf.
Nun könnte und muss man an dieser Stelle einwerfen, so einfach ist es dann doch nicht. In den ersten 15 Monaten stehen den Flüchtlingen/Asylbewerbern eben nicht die gleichen Leistungen des Gesundheitssystems wie den normal Versicherten zu.
Wie sieht es wirklich aus mit den Leistungen? Dazu die Hinweise auf der Website www.gesundheit-gefluechtete.info:

»Der Leistungsumfang der gesundheitlichen Versorgung Geflüchteter ist in den §§ 4, 6 AsylbLG geregelt. Eine medizinische Versorgung ist im Krankheitsfall (bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen) mit ärztlicher und zahnärztlicher Versorgung zu gewährleisten, einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln, sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen. Zudem sind die amtlich empfohlenen Schutzimpfungen inbegriffen, ebenso wie alle Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt (Vgl. § 4 AsylbLG). Darüber hinaus können laut der Öffnungsklausel § 6 AsylbLG „sonstige Leistungen […] insbesondere […] wenn sie im Einzelfall zur Sicherung […] der Gesundheit unerläßlich“ sind, abgerechnet werden.«

Mit Blick auf den letzten Passus in dem Zitat hat Irene Berres in ihrem Artikel So werden Flüchtlinge medizinisch versorgt ausgeführt: »Alles kann, kaum etwas muss.« Und wer entscheidet das? Die Kommunen finanzieren und organisieren die gesundheitliche Versorgung in den ersten Monaten des Aufenthalts. Wie diese geregelt ist, kann deshalb von Ort zu Ort unterschiedlich sein und ist es auch.
Daraus resultiert wieder einmal eine unübersichtliche Situation, die bereits in dem Beitrag Der föderale Flickenteppich und die Flüchtlinge: Die einen kriegen eine Chipkarte, die anderen müssen zum Amt. Am Gelde hängt’s vom 10. März 2016 angesprochen wurde. Der Normalfall sieht so aus, dass die Flüchtlinge in den Sozial- bzw. teilweise damit betrauten Gesundheitsämtern eine Behandlungsschein beantragen müssen. »In der Regel urteilen in den Ämtern keine Ärzte, sondern nicht fachkundige Sachbearbeiter darüber, wie sehr eine Behandlung drängt. „Die Gefahr, dass gesundheitliche Risiken falsch eingeschätzt werden, ist hoch, gerade auch bei kranken Kindern“, kritisierte die Ethikkommission der Bundesärztekammer bereits 2013. Fehlende notwendige Behandlungen könnten Krankheiten chronifizieren, zu Folgeschäden führen und teurere Therapien nach sich ziehen«, berichtet Irene Berres in ihrem Artikel
»Viele Flüchtlinge brauchen für einen Arztbesuch einen Behandlungsschein vom Amt. Die Gesundheitskarte sollte das Verfahren vereinfachen, doch viele Kommunen sind dagegen«, so der Artikel Warten auf die Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Die Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete kommt nur sehr schleppend voran.

»Zu uneinig sind sich die zuständigen Bundesländer und Kommunen. Flächendeckend eingeführt ist die Krankenversichertenkarte für Asylbewerber bisher nur in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin sowie in Schleswig-Holstein. Einige andere Länder haben zwar die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen, ihre Kommunen setzen sie aber nicht um … .«

Hauptgrund dafür bei vielen Kommunen ist die Befürchtung höherer Kosten. 


»Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen  …  haben mit den Krankenkassen zwar entsprechende Rahmenvereinbarungen geschlossen, umgesetzt werden müssen die aber von den Kommunen – und in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zieht bislang keine einzige Kommune mit. In Nordrhein-Westfalen sind es von 396 Kommunen bislang nur 20, die meisten davon größere Städte.«

Das hört sich nicht wirklich nach einem Erfolgsmodell an. Natürlich geht es vor allem ums Geld: »Die Kommunalverbände ärgern sich über hohe Zusatzkosten durch die Verwaltungspauschale von acht Prozent für die Krankenkassen.«
Das wird auch aus Rheinland-Pfalz vorgetragen, so Anfang Mai 2016 in diesem Artikel: Kommunen beklagen hohe Kosten:

»Am 2. Februar hatten das Sozial- und Gesundheitsministerium sowie zehn Krankenkassen eine Rahmenvereinbarung zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge unterzeichnet. Danach erstatten die Landkreise und Städte den Kassen die Leistungen für die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Für die entstehenden Verwaltungskosten zahlen die Kommunen zusätzlich einen Satz von acht Prozent der Kosten für die medizinische Leistung. „Das ist viel zu teuer“, kritisiert der Geschäftsführende Direktor des Landkreistags, Burkhard Müller. Zudem gebe es technische Probleme, um über die Karte sicherzustellen, dass Asylbewerber nur Anspruch haben, akute Erkrankungen und Schmerzen behandeln zu lassen – während die elektronische Gesundheitskarte der sonstigen Kassenpatienten einen größeren Leistungsumfang ermöglicht. Damit seien „Manipulationen Tür und Tor geöffnet“, befürchtet Müller.«

Aus Pirmasens wird berichtet, dass es vier bis fünf Mal teurer wäre, wenn man die Gesundheitskarte einführen würde. Das bisherige Verfahren sei bei den Verwaltungskosten einfach günstiger.
Auch aus Nordrhein-Westfalen erreichen uns vergleichbare Meldungen: Gesundheitskarte bisher nur in wenigen Kommunen:

»Die kleine Karte macht den Unterschied – für das Sozialamt und für etwa 500 Flüchtlinge im rheinischen Alsdorf. „Die Entlastung für die Behörde ist spürbar“, sagt ein Mitarbeiter des Sozialamts in einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa. Die 50.000-Einwohner-Kommune bei Aachen hat zu Jahresbeginn die Krankenversichertenkarte für Flüchtlinge eingeführt. Sie sind nun direkt bei einer Krankenkasse versichert und müssen nicht erst auf dem Amt einen Behandlungsschein für den Gang zum Arzt holen.
Das Ziel: eine bessere Gesundheitsversorgung der Neuankömmlinge und eine Entlastung der Behörden. Vor allem große Städte setzen darauf: Köln, Düsseldorf, Bochum, Münster, Bonn und Oberhausen machen mit. Düsseldorf hat inzwischen etwa 5.000 Karten ausgegeben.«

Aber warum dann nur in einer Minderheit der Kommunen, denn nur 20 von 396 NRW-Kommunen haben sich bislang entschlossen, ihren Flüchtlingen eine Gesundheitskarte zu geben?
»Die kommunalen NRW-Spitzenverbände halten die Vereinbarung für zu teuer. Durch die Verwaltungspauschale von acht Prozent entstünden „extrem hohe Zusatzkosten“, bemängelt der Städte- und Gemeindebund NRW, der für 359 Kommunen spricht … Hinzu komme das Haftungsrisiko bei Missbrauch oder Verlust der Gesundheitskarte.«
Aber die anderen, die den Schritt gewagt haben, hören sich gar nicht so pessimistisch an, wie das Beispiel Monheim verdeutlicht (»Als erste hatte Monheim am Rhein, ein wohlhabende kleine Stadt im Süden von Düsseldorf, die Einführung der Gesundheitskarte für die derzeit 676 Flüchtlinge beschlossen. Die Bilanz sei rundum positiv, erklärt Dietmar Marx, Abteilungsleiter Soziales im Rathaus: eine Arbeitserleichterung für die Mitarbeiter, Ärzte haben weniger Rückfragen, die Kooperation mit der Krankenkasse läuft«):

»Viele Kommunen in NRW zahlen pro Flüchtling zunächst einen Abschlag von 200 Euro pro Monat auf zu erwartenden Gesundheitskosten. Abgerechnet wird hinterher. Die Verantwortlichen in Monheim haben spitz gerechnet und mit der Krankenkasse eine Pauschale von 130 Euro pro Flüchtling und Monat vereinbart. Weniger als andere. Nach dem ersten Quartal gab es Geld zurück. Und sollte der Abschlag doch nicht ausreichen, wird er wieder erhöht.«

Nach 15 Monaten ist das vorbei. Dann haben die betroffenen Menschen einen Anspruch auf eine „normale“ Krankenversicherung – und die ist dann bekanntlich mit der Karte. 
Und auch bei der Finanzierung kann (teilweise) Entwarnung gegeben werden. Entweder der Flüchtling arbeitet und führt auf seinen Lohn den Sozialversicherungsbeitrag ab. Oder aber er oder sie befinden sich unter dem Dach der Jobcenter (nach der Anerkennung als Asylberechtigter) und die zahlen dann eine Pauschale in Höhe von 90 Euro pro Monat an die Krankenversicherung. Ob das nun wiederum ausreicht, um die Kosten zu decken, wäre eine eigene Diskussion. Auf alle Fälle ist das dann kein originäres Flüchtlingsproblem, denn wenn es eine Unterdeckung durch die staatlich vorgegebenen Pauschalen gibt, dann ist das ein Problem, dass letztendlich alle Hartz IV-Empfänger treffen würde – und auch wieder nicht, denn es handelt sich ja immer um Durchschnittsbeträge über alle Angehörige einer bestimmten Personengruppe.

Ausbildung light für junge Flüchtlinge: Treibstoff für den Integrationsschub oder am Ende doch keine Chance auf dem Arbeitsmarkt?

Es ist ja eine einfache Überlegung: Natürlich wird bei der Integration der Menschen, die zu uns gekommen sind als Flüchtlinge, ein gerüttelt Maß an deren Eingliederung in Erwerbsarbeit hängen. Je eher und je umfangreicher die Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt gelingt, umso besser sind die Integrationschancen. Nur auf diesen Weg können dann auch andere Baustellen bearbeitet werden, beispielsweise der ansonsten fällige Transferleistungsbezug. Und dass man in Deutschland ein bestimmtes Ausbildungsniveau benötigt, um überhaupt in die Nähe oder gar über ein Lohn zu kommen, der eine eigene Existenzsicherung und eine darüber hinausgehende Lebensführung ermöglicht, bedarf wohl kaum einer genaueren Ausleuchtung. Man kann natürlich versuchen, das in Zahlen zu kleiden und Studien zu verfassen, die trotz aller Rechnerei beispielsweise zu solchen tierschürfenden Erkenntnissen beitragen:

»Die Aufnahme von Flüchtlingen könnte die Staatskassen bei einem Scheitern der Integration in den Arbeitsmarkt langfristig mit insgesamt bis zu knapp 400 Milliarden Euro belasten. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Wenn die Integration gelingt, profitiert die Allgemeinheit allerdings von zusätzlichen Staatseinnahmen in Höhe von 20 Milliarden Euro.«

Wahnsinn. Und ein wirklich überschaubarer Korridor, von + 20 bis – 400 Mrd. Euro. Interessanterweise hat der Verfasser des Artikels, Mark Schieritz, diese Überschrift gewählt: Flüchtlinge kosten bis zu 400 Milliarden Euro. Da bekanntlich viele bei der Überschrift hängen bleiben, muss man sich schon fragen, was das angesichts des Inhalts der Studie (Holger Bonin: Gewinne der Integration. Berufliche Integration und Integrationstempo entscheiden über die langfristigen fiskalischen Kosten der Aufnahme Geflüchteter, Berlin 2016) soll, die ja nun ein ganz anderes Spektrum aufmacht.

Es ist müßig, sich in diesen Zahlenspielereien zu vertiefen. Auf dem Tisch liegt die Aufgabe, möglichst viele gerade der jungen Flüchtlinge mit einer Ausbildung auszustatten, die den Anforderungen in den meisten Branchen auf unseren Arbeitsmärkten entsprechen kann, will man wirklich nachhaltig eine Integration in der Erwerbsleben anstreben. Und dazu hat der Aktionsrat Bildung, in dem 13 Wissenschaftler um den Präsidenten der Hamburger Universität, Dieter Lenzen, und finanziert von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), Vorschläge vorgelegt, die zugleich eine alte Wunde in der deutschen Berufsausbildungspolitik aufreißt.

Das Gutachten des Aktionsrats Bildung steht unter dem nüchtern daherkommenden Titel Integration durch Bildung. Migranten und Flüchtlinge in Deutschland. In dem Gutachten wird die gesamte Bildungskette, von der Kita angefangen, betrachtet und mit Empfehlungen versorgt.

Hier soll es vor allem um den Bereich der beruflichen Ausbildung gehen. Bildungsforscher fordern Ausbildung light für Flüchtlinge, so lautet beispielsweise einer der Artikel, in dem über die Vorschläge berichtet wird. Besser verkürzt als gar nicht: Bildungsforscher fordern, für Flüchtlinge die Standards der Berufsausbildung zu senken, um sie schneller in Arbeit zu bringen. Aber zugleich ahnt man, dass sich das einfacher anhört, als es dann ist: »Niedrigere Standards, einfachere Sprache in den Schulen – einige der Vorschläge, die der Aktionsrat Bildung zur Integration von Flüchtlingen gemacht hat, werden für Streit sorgen.«

Auch der Aktionsrat Bildung hat erkannt, was seit langem gepredigt wird: Die Sprache ist oft das größte Problem bei der Integration. „Wir brauchen einen massiven Ausbau der Sprachförderung, sowohl allgemeinsprachlich als auch berufsbezogen“, wird Bertram Bossardt von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft zitiert. Nun soll an dieser Stelle gar nicht dahingehend herumkritisiert werden, dass genau das ein zentrales Problem darstellt, nicht weil die Flüchtlinge nicht wollen, sondern weil es immer noch schlichtweg zu wenig Angebote gibt und auch die Situation der hier Lehrenden überwiegend als weiterhin katastrophal zu bezeichnen ist.

Der Aktionsrat Bildung hat sich darüber hinaus eine nicht neue Forderung zu eigen gemacht: Die Wissenschaftler plädieren für „theorieentlastete zweijährige Ausbildungsberufe“ und den Ausbau von Teilqualifizierungen, um jungen Flüchtlingen den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Ergänzend soll die Berufsschulpflicht vom 16. bis zum 21. Lebensjahr ausgedehnt werden. Das sei wichtig, weil über die Hälfte der 2015 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge unter 25 Jahre alt sei.

Bleiben wir bei einem der Kernvorschläge des Gutachtens, also das Plädoyer für verkürzte und zugleich „theorieentlastete“ Ausbildungen: »Gewerkschaften und Arbeitgeber sind skeptisch: Sie fürchten, dass kaum jemand die Absolventen braucht«, kann man in dem Artikel „Sie hätten auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance“ von Florian Diekmann lesen.
Dabei bringt der Beitrag durchaus Argumente, die in Richtung dessen gehen, was der Aktionsrat Bildung vorgetragen hat:

»Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) betont in einem aktuellen Bericht zwar, dass es noch keine repräsentativen Daten zur Qualifikation der Flüchtlinge gebe, geht aber auch bei der schulischen Bildung von einem „Bildungsgefälle“ zwischen jungen Flüchtlingen und ihren in Deutschland aufgewachsenen Altersgenossen aus.
Für den Bildungsökonomen Ludger Wößmann vom Münchner Ifo-Institut steht daher fest: „Wir werden nicht alle jungen Flüchtlinge zu Mechatronikern oder Fachinformatikern ausbilden können.“ Wößmann hält daher verkürzte Ausbildungen für sinnvoll, als Alternative zu den bestehenden anspruchsvollen, dreijährigen Berufsausbildungen.«

Das folgt offensichtlich der Logik, besser irgendeine Ausbildung als keine. Wenn das denn die Alternative wäre.

Genau an diesem Punkt wird sofort reichlich Skepsis aufgetischt. Die Vizevorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DBG), Elke Hannack, warnt vor „Häppchen-Ausbildungen“, die höchstens „auf schlechte Arbeit in prekären Verhältnissen vorbereiten“. Typisch gewerkschaftliche Bedenkenträger, wird der eine oder andere hier einwenden, die haben auch schon früher immer gegen ein Downgrading der bestehenden Ausbildungen gewettert, was vor den Flüchtlingen für die „leistungsschwachen“ Jugendlichen gefordert wurde, weil sie letztendlich befürchten, dass durch abgesenkte Ausbildungsstandards dann in einem weiteren Schritt auch die daraus erzielbaren Vergütungen abgesenkt werden (könnten).

Aber auch die Kammern der Arbeitgeber und der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) äußern sich kritisch zu den Vorschlägen.

Und in einem Punkt treffen sich die Vorbehalte der Gewerkschaften wie auch der Arbeitgeberseite:

»Es gebe für Ausbildungen von einem oder eineinhalb Jahren Dauer schlicht keinen Bedarf. Unterstützung bekommen sie von den Wissenschaftlern des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). „Die jungen Leute hätten mit einer solchen Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance“, sagt Reinhold Weiß, Vizepräsident und Forschungsdirektor des BIBB.«

Aber der Aktionsrat Bildung hat ja neben den ganz abgespeckten Teilqualifizierungen auch für etwas entschlackte zweijährige Ausbildungsgänge votiert. Da fällt die Beurteilung differenzierter aus, was man beispielsweise vom DIHK zu hören bekommt: »Hier gibt es bereits rund 30 Berufe mit abgespeckter Fachtheorie, zumeist in Industrie und Handel, etwa den des Verkäufers. Bei den meisten von ihnen können die Absolventen im Anschluss ohne Zeitverlust noch einen Abschluss in einem dreijährigen Ausbildungsberuf anhängen – bei den Verkäufern wäre das zum Beispiel der Einzelhandelskaufmann. Die Fachleute nennen das „Durchstieg“. Auch der Handwerksverband ZDH will sich der zweijährigen Ausbildung nicht verschließen – sofern am Arbeitsmarkt Bedarf bestehe.«

Genau das zweifeln die Gewerkschaften an. Der DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl wird so zitiert:

„Schon heute konzentrieren sich die zweijährigen Ausbildungen vor allem auf den Beruf der Verkäuferin“, sagt er. „Von den rund 45.000 zweijährigen Ausbildungsplätzen insgesamt entfallen allein 25.000 auf diesen einen Beruf.“ Erst kürzlich hätten Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam zwei zweijährige Ausbildungsberufe wieder abgeschafft, weil sie schlicht nicht benötigt wurden.

Und was bieten die Kritiker aus dem Lager des bestehenden Systems als Alternative? Sie verweisen unisono auf vorhandene Instrumente – dabei vor allem auf zwei: Zum einen die Einstiegsqualifizierung und zum anderen die assistierte Ausbildung. Wobei dann, um das nur anzumerken, deutlich mehr Mittel für die assistierte Ausbildung bereitgestellt werden müssten. Bisher ist das doch eher sehr überschaubar dimensioniert.

Was bleibt ist das ungute Gefühl, dass wir auf der einen Seite durchaus neue Wege der beruflichen Ausbildung gehen müssen, um die betroffenen jungen Flüchtlinge auch mitzunehmen. Man muss ihnen Einstiegspunkte in unser zugegeben nicht einfach strukturiertes Ausbildungswesen ermöglichen und dabei immer auch im Hinterkopf behalten, dass es die Sprache ist, die viele davon abhält, sich entsprechend einbringen zu können. Und wir müssten einfach nur mal gedanklich die Vorstellung entwickeln, wir hätten nach Syrien oder nach Afghanistan fliehen müssen. Auch unter uns wird es sicher zahlreiche Menschen geben, die gar keinen oder nur einen sehr mühsam aufzubauenden Zugang zur jeweiligen Sprache haben).

Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Deutschkurse am Fließband und skandalöse Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in Sprach- und Integrationskursen, die doch von so großer Bedeutung sind

Über die teilweise katastrophalen Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in den Sprach- und Integrationskursen für Flüchtlinge und andere Anspruchsberechtigte in Deutschland wurde hier bereits mehrfach berichtet, beispielsweise in dem Blog-Beitrag 1.200 Euro im Monat = „Top-Verdienerin“? Lehrkräfte in Integrationskursen verständlicherweise auf der Flucht oder im resignativen Überlebenskampf vom 2. September 2015 oder der Artikel  Sinnvolle und mehr als fragwürdige Vorschläge im Windschatten der Flüchtlingsdebatte. Und dann die Sprach- und Integrationskurse mal wieder vom 13. Dezember 2015.  Bereits aus dem Februar 2015 stammt dieser Beitrag: Integration wollen alle. Und Integrationskurse für Migrantinnen werden gekürzt. Das passt nicht. Das gilt auch für die Existenz der pädagogischen Tagelöhner. Vor kurzem wurde angesichts des zunehmend um sich greifenden Bestrebens, eine Nicht-Teilnahme an den Kursen mit Sanktionen zu belegen, darauf hingewiesen, dass das angesichts der vielen fehlenden Angebote doch ein – nun ja – fragwürdiger Schwerpunkt sei: Die Annäherung an die Wahrheit liegt zwischen (rhetorischer) schwarzer Pädagogik und (naiver) „Wird schon werden“-Philosophie. Die Forderung nach einer Sprachlernpflicht für Flüchtlinge und die Wirklichkeit der „Schweizer Käse“-Angebote vom 28. März 2016. Immer wieder wird man konfrontiert mit einer ganz erheblichen Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, zwischen dem Beschwören der besonderen Bedeutung des Erlernens der deutschen Sprache in Sonntagsreden und den praktischen Niederungen, in denen sich die an der (nicht nur) pädagogischen Front bewegen müssen.

Diese Probleme werden auch bei unseren Nachbarn in Österreich thematisiert und problematisiert – und wenn man aufmerksam liest oder zuhört, kann man viele Parallelen entdecken, aus welchen strukturellen Ursachen die Malaise entspringt.

»Zu wenig Personal, schlechte Bezahlung, mangelnde Unterrichtsqualität: Deutschtrainer für Flüchtlinge beklagen Missstände und prekäre Arbeitsbedingungen in privaten Bildungsinstituten.« So beginnt Werner Reisinger seinen Artikel Man spricht Deutsch.
Er beginnt seinen Bericht mit den Erfahrungen einer studierten Germanistin, die einige Monate Deutschkurse für Flüchtlinge und Migranten bei einem privaten Bildungsanbieter gegeben hat:

»Drei Kurse zu je drei Stunden, macht in Summe neun Stunden Unterricht – „danach bist du fix und fertig.“ In den Pausen sei sie mit administrativen Tätigkeiten beschäftigt gewesen. Sie musste dutzende Formulare ausfüllen, eine Datenbank für das AMS betreuen oder Lehrmaterial organisieren. Oft blieb nicht einmal Zeit, die Toilette aufzusuchen. In manchen Klassenräumen fehlte die für den Unterricht notwendige Infrastruktur.«

Schaut man auf die Strukturen, die hier wirken, kommt einem vieles sehr bekannt vor. Teilweise müsste man nur Begriffe austauschen oder berücksichtigen, dass das Kürzel AMS für „Arbeitsmarktservice“ steht, dem österreichischen Pendant zur Bundesagentur für Arbeit (BA) in Deutschland:

»Seit 15 Jahren vergibt das AMS per Ausschreibung Deutschkurse für Migranten und anerkannte Flüchtlinge an private Bildungsinstitute wie Ibis Akam, Mentor, ZIB Training, BIT oder an das Berufsförderungsinstitut (BFI). Zum Zug kommt, wer das inhaltlich beste und vor allem günstigste Konzept einreicht. Vor allem in Wien konkurrieren die Institute deshalb um die Aufträge des AMS. Den so entstehenden finanziellen Druck geben die Firmen an ihre Angestellten, also die Deutschtrainer, weiter – mit negativen Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität. In Zeiten vermehrter Krankenstände oder zur Urlaubszeit wird die Personalknappheit in manchen Instituten offensichtlich.
Diese wird offenbar durch fragwürdige Maßnahmen kompensiert. Fällt ein Trainer kurzfristig aus, kann ein weiterer dessen Kurs mitbetreuen. „Das bedeutet, ich muss den einen Kurs unterbrechen, um in den nächsten zu rennen – mit der Folge, dass ich mich auf keinen der beiden mehr konzentrieren kann“, so ein Trainer … Vergütet werden diese „Mitbetreuungen“ mit Essensgutscheinen – im Wert von 10 Euro pro mutbetreutem Kurs. Wenn möglich werden auch Kurse zusammengelegt, auch wenn es sich dabei um unterschiedliche Kursniveaus handelt. Die Folge: die Trainer haben nicht genügend Zeit, sich den jeweiligen Bedürfnissen der Unterrichtsteilnehmer entsprechend zu widmen. Für einen dreistündigen Deutschkurs steht den Lehrern in manchen Instituten lediglich eine Stunde für Vor- und Nachbereitung zur Verfügung – pro Woche.«

Und auch das kennen wir – eine der typischen Kollateralschäden der Ökonomisierung von pädagogischen Prozessen: Schneller, weniger (und dadurch billiger) – „natürlich“ bei gleichbleibender Qualität:

»2009 dauerte ein Deutschkurs noch vier Monate und hatte einen Umfang von 320 Unterrichtseinheiten. Seit 2015 gibt es zwei unterschiedliche Modelle mit entweder drei oder vier Monaten Laufzeit – jedoch mit nur 180 Unterrichtseinheiten.«

Werner Reisinger hat noch einen weiteren Beitrag zu dem Thema verfasst: Deutschkurse am Fließband, so ist der überschrieben. Darin enthalten eine Botschaft, auf die man auch bei uns immer wieder trifft, wenn sich Leute gegen Missstände engagieren:

»Deutschtrainer für Flüchtlinge klagen nach wie vor über Missstände. Ein Betriebsrat eines privaten Instituts, das für das AMS Deutschkurse anbietet, wurde jetzt vom Dienst freigestellt – weil er die Probleme offen anspricht.«

Sprachlehrkräfte klagen über schlechte Bezahlung, unsichere Dienstverhältnisse, mangelnde Unterrichtsqualität und enormen zeitlichen und psychischen Belastungsdruck. Und leider berichten auch die Österreicher über üble Arbeitsbedingungen, die in Deutschland im Mittelpunkt der Kritik stehen:

»Erfahrung und Ausbildung spiele bei der Einstellung der Trainer keine Rolle, zwischen Akademikern und solchen Lehrern, die nur eine Unterrichtsberechtigung erworben haben, werde nicht unterschieden. Die Verträge der Lehrenden seien an die Auftragszeiträume gebunden. Arbeitslos gewordene Trainer müssten sich erneut bei jenen Instituten bewerben, die gerade bei der Ausschreibung zum Zug gekommen sind. Vordienstzeiten aber würden nicht entsprechend angerechnet. „Wanderhuren“ nennen sich die Deutschlehrer daher scherzhaft untereinander. Im Bereich einer für die Gesellschaft so zentralen Herausforderung herrschen also offensichtlich höchst prekäre Arbeitsbedingungen.«

Um über solche Bedingungen zu berichten, braucht man natürlich O-Töne von den Betroffenen selbst, denn nur die können berichten, was in dem Bereich abgeht. Und offensichtlich will man diese Quelle verschließen, in dem man an einem ein Exempel statuiert:

»Sebastian Reinfeldt ist einer der Betroffenen. Seit Jahren arbeitet er als Deutschlehrer mit wechselnden Anstellungen für die großen Institute. Weil er in der Tageszeitung „Die Presse“ offen über die Belastungen der Trainer und die damit einhergehende schlechte Qualität gesprochen hatte, wurde Reinfeldt, der in einem großen privaten Institut auch als Betriebsrat tätig ist, vom Dienst freigestellt. Die Begründung: „betriebsschädigendes Verhalten“. Brisant dabei: Reinfeldt hatte sich im angesprochenen „Presse“ Artikel nicht konkret auf sein eigenes Institut bezogen, sondern allgemeine Kritik geäußert, wie die bereits zahlreiche Trainer getan haben.«

Die Botschaft lautet wohl: Halt den Mund, sonst bist du deinen Job los“, wird die Präsidentin des Österreichischen Verband für Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache (ÖDAF), Sabine Dengscherz, zitiert. Von diesem Verband gibt es auch eine Stellungnahme zu den Lehr- und Lernbedingungen in AMS-Deutschkursen vom 19.04.2016.

Während die Ausschreibung läuft, will man offensichtlich die laufende Diskussion über die Missstände unterbinden, so die Vermutung der ÖDAF-Präsidentin.

Wie knochenhart und in der Konsequenz als existenzbedrohend wahrgenommen der Druck in dieser Branche sein muss, wird erkennbar, wenn über eine interne E-Mail belegt werden kann, dass selbst Betriebsräte von Bildungsunternehmen – die ja eigentlich gegen schlechte Arbeitsbedingungen vorgehen sollten – gleichsam einen Maulkorb verhängen wollen:

»Einige Betriebsräte wenden sich darin an die Lehrer und ersuchen diese, nicht mit Medien über die Situation in den Deutschkursen zu sprechen. „Der Bericht in der ,Presse‘ vom 21.04.2016 über die Problematik der Deutschkurse schädigt das Vertrauen unseres Hauptauftraggebers, des AMS, und kann zu einem massiven Auftragsverlust führen“, ist darin zu lesen.«

Das sind alles ganz schlechte Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit, die an erster Stelle stehen müsste – die Vermittlung der Sprache des Aufnahmelandes. Stehen müsste.

In Bayern sollen Flüchtlinge jetzt als Ein-Euro-Jobber Schnee schippen und Sekundärtugenden der deutschen Arbeitswelt erlernen. Oder sind es Primärtugenden? Egal, da kann man schon durcheinander kommen

Das ist wieder so eine Meldung, die einen daran erinnert, dass die Lebensweisheit „In der Ruhe liegt die Kraft“ sicher lebenszeitverlängernd wirken kann – wenn man es denn schafft, die Ruhe zu bewahren: Bayern will Asylbewerber mit Ein-Euro-Jobs Arbeitswerte vermitteln. Genau auf so was haben wir gewartet. Aber lassen wir vor jeglicher Bewertung die bayerische Sozialministerin Emilia Müller (CSU) ihren Ansatz vorstellen, wie sich das für eine ordentliche Berichterstattung gehört:
»Bayerns Sozialministerin Müller sieht in Ein-Euro-Jobs eine Möglichkeit, Asylbewerbern die Gepflogenheiten der deutschen Arbeitswelt zu vermitteln. So lernten sie früh wichtige Werte wie Pünktlichkeit, Verantwortlichkeit und Gewissenhaftigkeit kennen, auf die es in der Arbeitswelt dieses Landes ankomme, sagte die CSU-Politikerin in München. Die Flüchtlinge könnten den Hof in der Erstaufnahmeeinrichtung fegen, Schnee räumen oder dem Hausmeister helfen. Die bayerische Sozialministerin fügte hinzu, sollten die Flüchtlinge die Jobs ablehnen, würden ihnen die Leistungen gekürzt. Sanktionen für Unwillige seien wichtig, um die Balance der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz zu erhalten.«

Sicher wird in den kommenden Monaten in Bayern ganz viel Schnee liegen, um all die jungen, kräftigen Flüchtlinge schippend zu beschäftigen.

„Pünktlichkeit, Verantwortlichkeit und Gewissenhaftigkeit“ – jetzt wissen wir endlich, was in der deutschen Arbeitswelt und auf deutschen Arbeitsplätzen so abgeht. Man könnte anmerken, ein wenig umfassender hätte man sich schon die bayerischen Hinweise auf die deutsche Leitkultur gewünscht. Oder etwas ernsthafter und zugleich frustrierter: Will Frau Müller aus München jetzt die Nahles aus Berlin machen? Denn die hatte sich zu dem Thema Ein-Euro-Jobs, also Arbeitsgelegenheiten, auch schon in einer reichlich verwirrten Art und Weise zu Wort gemeldet, vgl. hierzu die Beiträge Die Bundesarbeitsministerin fordert „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge. Aber welche? Und warum eigentlich sie? Fragen, die man stellen sollte vom 13. Februar 2016 sowie nachfolgend Die Bundesarbeitsministerin macht es schon wieder: „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge ankündigen, die noch nicht im Hartz IV-System sind. Was soll das? vom 23. März 2016.

Und richtig ernsthaft könnte man anmerken, dass die Arbeitsgelegenheiten nach § 5 Asylbewerberleistungsgesetz durchaus Sinn machen, vor allem zur Beschäftigung der Menschen, die zu uns gekommen sind und die teilweise Monate warten müssen, bevor sie überhaupt einen Asylantrag stellen dürfen, der dann noch einige Monate bearbeitet wird. Aber weniger wegen der genannten angeblich deutschen Arbeitstugenden, sondern weil es für die meisten von ihnen schlichtweg notwendig ist, da ihnen die Decke auf den Kopf fällt und weil sie arbeiten wollen und das auch durchaus sollten und weil man die Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auch koppeln kann mit Sprachkursen und Qualifizierung.

Man könnte an dieser Stelle einfach kopfschüttelnd aufhören, wenn da nicht der erneut sich Bahn brechende Impetus der schwarzen Pädagogik wäre, nach der erst einmal vom Schlechten im Menschen auszugehen ist, vor allem, wenn er aus einer anderen „Kultur“ und ihren Kreisen stammt, die einen nicht kleinen Teil der Debatte über „die“ Flüchtlinge zu beherrschen scheint.

Man kann das verdeutlichen an der aktuellen Diskussion über ein „Integrationsgesetz“, das von der Bundesregierung auf den Weg gebracht werden soll – auch hier taucht der Topos des in die Mangel zu nehmenden Flüchtlings auf, dem man zeigen muss, was eine Harke ist. Aber die Realität stellt sich dann doch etwas komplexer dar.

Wer verweigert eigentlich die Integration – die Flüchtlinge oder der Staat? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Der Bundesinnenminister meint aber, bereits eine klare Antwort geben zu können:

»Thomas de Maizière hat ein neues Vorhaben: Wer Integrationskurse verweigert und Arbeitsangebote ausschlägt, soll nicht dauerhaft in Deutschland bleiben können – so will es der Bundesinnenminister. Das Ganze soll in ein Integrationsgesetz einfließen, an dem der CDU-Politiker derzeit arbeitet.« So der Beginn eines Artikel von Cathérine Simon und Christiane Jacke von der Nachrichtenagentur dpa unter der Überschrift Die Suche nach den Integrationsblockern.

Und die beiden schütten gleich eine Menge Wasser in den Wein:

»… wie sollen Menschen einen Kurs verweigern, wenn sie gar keinen Platz bekommen, fragen Kritiker. 269 Millionen Euro stellte der Bund 2015 für Integrationskurse bereit – das reichte für 190.000 Teilnehmer. In diesem Jahr sind es 559 Millionen Euro – genug für etwa 300.000 Teilnehmer. Hinzu kommen noch andere Kurse, zum Beispiel von der Bundesagentur für Arbeit (BA).«

Der Bundesinnenminister setze mit seinem Vorstoß ein Gerücht in die Welt und lenke davon ab, dass Asylverfahren zu lange dauerten und Integrationsangebote fehlten, so die Kritiker. Beispielsweise von ProAsyl: Deren Vertreter rechnen mit einem Bedarf von 600.000 bis 800.000 Plätzen in Integrationskursen in diesem Jahr – weit mehr also als vom Bund eingeplant.
Annelie Buntenbach aus dem Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes weist darauf hin, dass die Nachfrage erheblich größer sei als das Angebot an Kursen: Für die zeitweise von der BA finanzierten Deutschkurse etwa hätten sich statt erwarteter 100.000 mehr als 220.000 Menschen angemeldet.
Und auch aus dem BAMF kommen entsprechende Hinweise von ganz oben:

»Der BA-Chef und Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Frank-Jürgen Weise, räumt ein, es gebe eine Lücke beim Angebot … wenn das BAMF es wirklich schaffe, in diesem Jahr den riesigen Berg von offenen Asylverfahren abzuarbeiten, seien wohl eher 500.000 Plätze nötig. Bliebe eine Lücke von 200.000 Plätzen.«

Das Problem ist nicht (nur) bzw. weniger fehlendes Geld, denn im Moment gebe es eher Probleme beim Schaffen von Plätzen und der Suche nach Lehrkräften. Und deren Arbeitsbedingungen:

»Es fehle an Räumen und Lehrern, sagt Simone Kaucher vom Deutschen Volkshochschulverband – dem größten Träger von Integrationskursen. Allein die Volkshochschulen gehen von einem zusätzlichen Bedarf von 5.000 Lehrkräften in diesem Jahr aus. Das Problem: Die Pädagogen verdienten mit 23 Euro pro Unterrichtseinheit zu wenig. Inklusive Vor- und Nachbereitung sei dies „eine Vollzeitbeschäftigung mit um die 1.000 Euro netto“, sagt Kaucher.«

Das wird übrigens – auch auf diesen Seiten – seit Monaten immer wieder beklagt, hier hätte man … Ach ja.

Abschließend wieder zurück zu den Planungen des Bundesinnenministers.

»Praktiker fragen sich ohnehin, woher die Annahme kommt, es würden viele Menschen Integrationskurse ablehnen. Sie berichten von einer großen Lernbereitschaft und Wissbegierde bei vielen Flüchtlingen. Eine Statistik zur Zahl der „Integrationsverweigerer“ gibt es auch gar nicht – das räumt das Innenressort offen ein. Und Sanktionen gibt es schon heute: Wer zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet ist, aber nicht hingeht, dem drohen Kürzungen der Sozialleistungen, Bußgelder oder eine Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis.«

Man kann es auch so sagen: Erneut sollen die Menschen auf eine Spur gesetzt werden, die von den eigentlichen Problemen wegführt.