Es ist ja eine einfache Überlegung: Natürlich wird bei der Integration der Menschen, die zu uns gekommen sind als Flüchtlinge, ein gerüttelt Maß an deren Eingliederung in Erwerbsarbeit hängen. Je eher und je umfangreicher die Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt gelingt, umso besser sind die Integrationschancen. Nur auf diesen Weg können dann auch andere Baustellen bearbeitet werden, beispielsweise der ansonsten fällige Transferleistungsbezug. Und dass man in Deutschland ein bestimmtes Ausbildungsniveau benötigt, um überhaupt in die Nähe oder gar über ein Lohn zu kommen, der eine eigene Existenzsicherung und eine darüber hinausgehende Lebensführung ermöglicht, bedarf wohl kaum einer genaueren Ausleuchtung. Man kann natürlich versuchen, das in Zahlen zu kleiden und Studien zu verfassen, die trotz aller Rechnerei beispielsweise zu solchen tierschürfenden Erkenntnissen beitragen:
»Die Aufnahme von Flüchtlingen könnte die Staatskassen bei einem Scheitern der Integration in den Arbeitsmarkt langfristig mit insgesamt bis zu knapp 400 Milliarden Euro belasten. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Wenn die Integration gelingt, profitiert die Allgemeinheit allerdings von zusätzlichen Staatseinnahmen in Höhe von 20 Milliarden Euro.«
Wahnsinn. Und ein wirklich überschaubarer Korridor, von + 20 bis – 400 Mrd. Euro. Interessanterweise hat der Verfasser des Artikels, Mark Schieritz, diese Überschrift gewählt: Flüchtlinge kosten bis zu 400 Milliarden Euro. Da bekanntlich viele bei der Überschrift hängen bleiben, muss man sich schon fragen, was das angesichts des Inhalts der Studie (Holger Bonin: Gewinne der Integration. Berufliche Integration und Integrationstempo entscheiden über die langfristigen fiskalischen Kosten der Aufnahme Geflüchteter, Berlin 2016) soll, die ja nun ein ganz anderes Spektrum aufmacht.
Es ist müßig, sich in diesen Zahlenspielereien zu vertiefen. Auf dem Tisch liegt die Aufgabe, möglichst viele gerade der jungen Flüchtlinge mit einer Ausbildung auszustatten, die den Anforderungen in den meisten Branchen auf unseren Arbeitsmärkten entsprechen kann, will man wirklich nachhaltig eine Integration in der Erwerbsleben anstreben. Und dazu hat der Aktionsrat Bildung, in dem 13 Wissenschaftler um den Präsidenten der Hamburger Universität, Dieter Lenzen, und finanziert von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), Vorschläge vorgelegt, die zugleich eine alte Wunde in der deutschen Berufsausbildungspolitik aufreißt.
Das Gutachten des Aktionsrats Bildung steht unter dem nüchtern daherkommenden Titel Integration durch Bildung. Migranten und Flüchtlinge in Deutschland. In dem Gutachten wird die gesamte Bildungskette, von der Kita angefangen, betrachtet und mit Empfehlungen versorgt.
Hier soll es vor allem um den Bereich der beruflichen Ausbildung gehen. Bildungsforscher fordern Ausbildung light für Flüchtlinge, so lautet beispielsweise einer der Artikel, in dem über die Vorschläge berichtet wird. Besser verkürzt als gar nicht: Bildungsforscher fordern, für Flüchtlinge die Standards der Berufsausbildung zu senken, um sie schneller in Arbeit zu bringen. Aber zugleich ahnt man, dass sich das einfacher anhört, als es dann ist: »Niedrigere Standards, einfachere Sprache in den Schulen – einige der Vorschläge, die der Aktionsrat Bildung zur Integration von Flüchtlingen gemacht hat, werden für Streit sorgen.«
Auch der Aktionsrat Bildung hat erkannt, was seit langem gepredigt wird: Die Sprache ist oft das größte Problem bei der Integration. „Wir brauchen einen massiven Ausbau der Sprachförderung, sowohl allgemeinsprachlich als auch berufsbezogen“, wird Bertram Bossardt von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft zitiert. Nun soll an dieser Stelle gar nicht dahingehend herumkritisiert werden, dass genau das ein zentrales Problem darstellt, nicht weil die Flüchtlinge nicht wollen, sondern weil es immer noch schlichtweg zu wenig Angebote gibt und auch die Situation der hier Lehrenden überwiegend als weiterhin katastrophal zu bezeichnen ist.
Der Aktionsrat Bildung hat sich darüber hinaus eine nicht neue Forderung zu eigen gemacht: Die Wissenschaftler plädieren für „theorieentlastete zweijährige Ausbildungsberufe“ und den Ausbau von Teilqualifizierungen, um jungen Flüchtlingen den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Ergänzend soll die Berufsschulpflicht vom 16. bis zum 21. Lebensjahr ausgedehnt werden. Das sei wichtig, weil über die Hälfte der 2015 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge unter 25 Jahre alt sei.
Bleiben wir bei einem der Kernvorschläge des Gutachtens, also das Plädoyer für verkürzte und zugleich „theorieentlastete“ Ausbildungen: »Gewerkschaften und Arbeitgeber sind skeptisch: Sie fürchten, dass kaum jemand die Absolventen braucht«, kann man in dem Artikel „Sie hätten auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance“ von Florian Diekmann lesen.
Dabei bringt der Beitrag durchaus Argumente, die in Richtung dessen gehen, was der Aktionsrat Bildung vorgetragen hat:
»Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) betont in einem aktuellen Bericht zwar, dass es noch keine repräsentativen Daten zur Qualifikation der Flüchtlinge gebe, geht aber auch bei der schulischen Bildung von einem „Bildungsgefälle“ zwischen jungen Flüchtlingen und ihren in Deutschland aufgewachsenen Altersgenossen aus.
Für den Bildungsökonomen Ludger Wößmann vom Münchner Ifo-Institut steht daher fest: „Wir werden nicht alle jungen Flüchtlinge zu Mechatronikern oder Fachinformatikern ausbilden können.“ Wößmann hält daher verkürzte Ausbildungen für sinnvoll, als Alternative zu den bestehenden anspruchsvollen, dreijährigen Berufsausbildungen.«
Das folgt offensichtlich der Logik, besser irgendeine Ausbildung als keine. Wenn das denn die Alternative wäre.
Genau an diesem Punkt wird sofort reichlich Skepsis aufgetischt. Die Vizevorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DBG), Elke Hannack, warnt vor „Häppchen-Ausbildungen“, die höchstens „auf schlechte Arbeit in prekären Verhältnissen vorbereiten“. Typisch gewerkschaftliche Bedenkenträger, wird der eine oder andere hier einwenden, die haben auch schon früher immer gegen ein Downgrading der bestehenden Ausbildungen gewettert, was vor den Flüchtlingen für die „leistungsschwachen“ Jugendlichen gefordert wurde, weil sie letztendlich befürchten, dass durch abgesenkte Ausbildungsstandards dann in einem weiteren Schritt auch die daraus erzielbaren Vergütungen abgesenkt werden (könnten).
Aber auch die Kammern der Arbeitgeber und der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) äußern sich kritisch zu den Vorschlägen.
Und in einem Punkt treffen sich die Vorbehalte der Gewerkschaften wie auch der Arbeitgeberseite:
»Es gebe für Ausbildungen von einem oder eineinhalb Jahren Dauer schlicht keinen Bedarf. Unterstützung bekommen sie von den Wissenschaftlern des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). „Die jungen Leute hätten mit einer solchen Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance“, sagt Reinhold Weiß, Vizepräsident und Forschungsdirektor des BIBB.«
Aber der Aktionsrat Bildung hat ja neben den ganz abgespeckten Teilqualifizierungen auch für etwas entschlackte zweijährige Ausbildungsgänge votiert. Da fällt die Beurteilung differenzierter aus, was man beispielsweise vom DIHK zu hören bekommt: »Hier gibt es bereits rund 30 Berufe mit abgespeckter Fachtheorie, zumeist in Industrie und Handel, etwa den des Verkäufers. Bei den meisten von ihnen können die Absolventen im Anschluss ohne Zeitverlust noch einen Abschluss in einem dreijährigen Ausbildungsberuf anhängen – bei den Verkäufern wäre das zum Beispiel der Einzelhandelskaufmann. Die Fachleute nennen das „Durchstieg“. Auch der Handwerksverband ZDH will sich der zweijährigen Ausbildung nicht verschließen – sofern am Arbeitsmarkt Bedarf bestehe.«
Genau das zweifeln die Gewerkschaften an. Der DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl wird so zitiert:
„Schon heute konzentrieren sich die zweijährigen Ausbildungen vor allem auf den Beruf der Verkäuferin“, sagt er. „Von den rund 45.000 zweijährigen Ausbildungsplätzen insgesamt entfallen allein 25.000 auf diesen einen Beruf.“ Erst kürzlich hätten Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam zwei zweijährige Ausbildungsberufe wieder abgeschafft, weil sie schlicht nicht benötigt wurden.
Und was bieten die Kritiker aus dem Lager des bestehenden Systems als Alternative? Sie verweisen unisono auf vorhandene Instrumente – dabei vor allem auf zwei: Zum einen die Einstiegsqualifizierung und zum anderen die assistierte Ausbildung. Wobei dann, um das nur anzumerken, deutlich mehr Mittel für die assistierte Ausbildung bereitgestellt werden müssten. Bisher ist das doch eher sehr überschaubar dimensioniert.
Was bleibt ist das ungute Gefühl, dass wir auf der einen Seite durchaus neue Wege der beruflichen Ausbildung gehen müssen, um die betroffenen jungen Flüchtlinge auch mitzunehmen. Man muss ihnen Einstiegspunkte in unser zugegeben nicht einfach strukturiertes Ausbildungswesen ermöglichen und dabei immer auch im Hinterkopf behalten, dass es die Sprache ist, die viele davon abhält, sich entsprechend einbringen zu können. Und wir müssten einfach nur mal gedanklich die Vorstellung entwickeln, wir hätten nach Syrien oder nach Afghanistan fliehen müssen. Auch unter uns wird es sicher zahlreiche Menschen geben, die gar keinen oder nur einen sehr mühsam aufzubauenden Zugang zur jeweiligen Sprache haben).