Die osteuropäischen Erntehelfer im Spannungsdreieck von aktueller Corona-Aufmerksamkeit, Zahnlosigkeit der EU und immer wieder das massive Kontrolldefizit des Staates

Die Corona-Krise hat so einige Tatbestände aus dem Schattenreich ans Tageslicht gefördert und einen Blick auf das eröffnet, was ansonsten im Unsichtbaren bleibt. Das gilt – gerade in der Anfangszeit der Pandemie – für die unzähligen Arbeitskräfte aus dem Osten Europas, die in Deutschland arbeiten und Wert schöpfen. So wurde in diesem Blog bereits am 6. April 2020, lange vor den vielen Corona-Infektionen in den Schlachthöfen des Landes, diese Zeilen veröffentlicht: »Zuweilen schafften es sogar die (wie wir jetzt lernen) „Systemrelevanten“ aus dem Dunkelfeld für einen Moment in die Randzonen der öffentlichen Aufmerksamkeit, man denke hier beispielsweise an die vielen osteuropäischen Leiharbeiter und Werkvertragsarbeitnehmer, mit denen man die deutschen Billig-Schlachthöfe bestückt und am Laufen hält. Dazu nur dieses Zitat: „Wenn unsere Osteuropäer auf Heimatbesuch fahren, dort aber zwei Wochen in Zwangsquarantäne müssen oder nicht mehr nach Deutschland einreisen dürften, dann stehen bei uns bald die Räder still“. Diese Worte stammen von Clemens Tönnies vom gleichnamigen Schlacht- und Fleischkonzern aus Ostwestfalen.«

In dem Beitrag Erntehelfer: Die Unverzichtbaren unter den bislang „unsichtbaren“ Systemrelevanten. Erst nicht mehr rein, jetzt doch (einige) rein. Und eine bemerkenswerte Doppelmoral ging es aber um andere Saisonarbeitern, die vor dem Hintergrund des enormen Wohlstandsgefälles innerhalb der heterogenen EU regelmäßig zu uns kommen: die Erntehelfer. Damals rückte diese Gruppe für einen Moment lang in das Schweinwerferlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit, weil die Bundesregierung Ende März einen Einreisestopp verhängt hatte, der aber schnell wieder korrigiert werden musste, als die landwirtschaftlichen Betriebe Land unter gemeldet hatten. Und das kurz vor der Spargel & Co.-Ernte.

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Werkverträge soll es in der Fleischindustrie nicht mehr geben. Ab dem kommenden Jahr. Vorhang wieder runter vor der Schlachthausszenerie. Aber Fragezeichen bleiben

Am Ende war es dann doch zu viel. Trotz eines enormen Drucks ganz unterschiedlicher Lobbyisten konnte die Entscheidung, die Werkverträge in der Fleischindustrie zu verbieten und weitere Auflagen zu verhängen, nicht mehr aufgehalten bzw. deutlich verwässert werden. Auf den ersten Blick ist das vor dem Hintergrund der nun wirklich desaströsen Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen des Landes ein Erfolg, der gar nicht so wahrscheinlich war. Gerade deshalb ist das wirklich ein Erfolg, den es in weiteren Schritten zu sichern gilt.

Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wird von seinem Ministerium mit diesen Worten zitiert: »Besserer Arbeitsschutz in der Fleischwirtschaft ist dringend nötig. Das haben die letzten Tage nochmals gezeigt. In mehreren Fleischfabriken gibt es zahlreiche COVID-19-Fälle. Diese Infektionen gefährden die erkrankten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und sie gefährden die lokalen Lockerungen, die wir gemeinsam erreicht haben – und damit das Leben in den betroffenen Regionen. Diese Missstände sind unwürdig und gefährlich. Wir wollen sie schnell und gründlich beheben. Besonders wichtig ist mir, dass wir die organisierte Verantwortungslosigkeit in Sub-Unternehmerkonstruktionen beenden. Werkverträge beim Schlachten und Verarbeiten von Fleisch werden verboten.«

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Jetzt aber: „Wir werden aufräumen mit diesen Verhältnissen“, sagt der Bundesarbeitsminister. Und meint die Zustände in der Fleischindustrie. Man darf gespannt sein

Es gibt Zufälle, die so konstruiert erscheinen, dass man den Kopf schütteln muss. Der 14. Mai ist ein Beispiel dafür. Es ist der Gedenktag der heiligen Corona. Ja, die gibt es wirklich. Und die ist nicht irgendeine Heilige, die man aus dem Frühchristentum in die Gegenwart zu retten versucht: Im katholischen Universum handelt es sich um die Patronin des Geldes, der Fleischer und Schatzgräber. Und eines muss man der katholischen Kirche ja lassen – sie sichert ihre Gläubigen gerne mehrfach ab und deshalb legt sie bei der heiligen Corona noch einen drauf: Die ist nämlich auch eine der zahlreichen Patrone gegen Pest und andere Seuchen. Wie passend. Manche andere hingegen würden in diesen Tagen von einem zynisch daherkommenden Humor sprechen.

Der Schutzheiligen des Geldes und der Fleischer werden in normalen Zeiten Wallfahrten dargebracht, vor allem in Österreich (möglicherweise auch in Ischgl). In diesem Jahr bewegt Corona, allerdings in viraler Form, den Globus und speziell am Gedenktag der Heiligen in Deutschland auch die Fleischindustrie und aufgrund der vielen Corona-Infektionsfälle in den Schlachthöfen der Republik auch Medien und Politik. Sogar bis in den Bundestag haben es die Vorgänge und damit (wieder einmal) der Blick auf die Zustände im Billigschlachthaus Deutschland geschafft. Und da geht es nicht nur um Fleischer, sondern eigentlich um viele Geld und um Unternehmen, die für sich einen Schaft gehoben haben – eine Schatzkiste voll mit billiger und gut ausbeutbarer Arbeit aus dem Osten.

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