Bayern erodiert. Bei der Tarifbindung. Und neue Zahlen zur „Rufarbeit“

Bayern wird ja gerne von der CSU, die sich in dem Freistaat als Staatspartei mit Dauerabo versteht, als leuchtendes Vorbild für den Rest der Bundesrepublik Deutschland dargestellt, weil dort alles besser sei. Und es gibt ohne Zweifel auch zahlreiche Bereiche, wo man den Bayern Respekt zollen muss. Aber für Arbeitnehmer stellt sich die Sache weitaus differenzierter dar als man glauben möchte. Eigentlich müssten dort goldene Zeiten für die Beschäftigten angebrochen sein, angesichts der wirtschaftlichen Situation, der niedrigen offiziellen Arbeitslosigkeit, des in vielen Teilen des Landes beklagten massiven Mangels sogar an irgendwelchen Arbeitskräften.

Und dann das: »In Bayern werden nur noch 53 Prozent aller Beschäftigten durch einen Tarifvertrag geschützt. Damit ist der Freistaat das Schlusslicht unter den westdeutschen Bundesländern, die im Durchschnitt nach wie vor eine Tarifbindung von 59 Prozent aufweisen. Lediglich in Ostdeutschland liegt die Tarifbindung zumeist noch niedriger.« Das kann man einem Bericht über eine neue Studie aus dem gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung entnehmen.

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Wenn die Polizei osteuropäische Lkw-Fahrer mit Flugblättern von der Gewerkschaft versorgt, dann muss es schlimm bestellt sein. Aber es geht noch schlimmer bei der Beschaffung von Arbeitskräftematerial

Über die teilweise nur noch als skandalös und menschenunwürdig zu bezeichnenden Zustände, unter denen viele Lkw-Fahrer vor allem aus Osteuropa auf den Straßen ihr Dasein fristen müssen, wird immer wieder in den Medien berichtet. Auch in diesem Blog, so beispielsweise am 30. Juli 2017 unter der Überschrift Von wegen Trucker-Mythos. Die Lkw-Fahrer als letztes Glied einer hoch problematischen Verwertungskette. Und es sind nicht nur die großen Brummis – viele Bürger bekommen tagtäglich unmittelbar Kontakt mit den angeheuerten Hilfstruppen aus osteuropäischen Ländern, mit denen die Paketdienste versuchen, die stetig wachsenden auszuliefernden Mengen zu bewältigen.
Das passiert natürlich deshalb, weil die billigen Arbeitskräfte ein wesentlicher Kostenfaktor in den Geschäftsmodellen der Speditionen und Paketdienste darstellen. Aber halt, wird der eine oder andere an dieser Stelle einwenden: Es gibt doch seit 2015 den gesetzlichen Mindestlohn und der sollte doch nun wirklich die schlimmsten Lohndumping-Exzesse verhindern. Und wurde nicht erst vor kurzem die frühe Botschaft vermittelt, dass die EU mit einer neuen Entsenderichtlinie der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft Einhalt gebieten will? Dazu der Beitrag Umrisse eines Europas, das schützt und den Arbeitnehmern nicht die kalte Schulter zeigt? Ein Blick auf die sozialpolitischen Ambitionen der EU-Kommission für die europäische Ebene vom 16. März 2018. Aber der eine oder andere wird sich auch daran erinnern: Die bewusst Vergessenen: Die Lkw-Fahrer bleiben bei der Reform des EU-Entsenderechts auf der Strecke vom 26. Oktober 2017.

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Erntehelfer auf der Flucht? Wieder einmal die Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, die Angst vor dem Tod des deutschen Spargels und die Hoffnung auf eine neue „Osterweiterung“

»Der Spargel hat Hochsaison, bei dem Wetter schießt das Gemüse und die Preise sind auf dem Tiefstand. Dabei ist die Ernte knüppelharte Handarbeit, Stange um Stange muss gestochen werden. Diese Arbeit erledigen in den deutschen Anbaugebieten vor allem Erntehelfer aus Polen und Rumänien. Traditionell kommen sie zur Saison und ernten Spargel und Erdbeeren im Frühsommer und Weintrauben und Äpfel im Herbst.« So beginnt der Artikel Helfer machen sich vom Acker: Landwirte suchen Saisonkräfte von Alexandra Duong.

In diesem Artikel geht es um die zunehmenden Klagen über fehlende Erntehelfer. Als Beispiel werden Spargelbauern im Raum Beelitz zitiert:

»„Wir hatten 350 Zusagen, aber nur 265 sind gekommen“, sagt Jürgen Jakobs. Gut 30 Erntehelfer hätten sie im Nachhinein noch anwerben können. Jakobs ist Vorsitzender des Beelitzer Spargelvereins; er selbst baut das Saisongemüse auf 250 Hektar an. Einige Hektar lässt er jetzt liegen, „da wächst der Spargel durch“, sagt er. Zurzeit komme ihm das entgegen, es gebe zu viel Spargel am Markt, aber für die Zukunft macht er sich Sorgen um die Verfügbarkeit von Erntehelfern.«

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Nur die Harten kommen in den Garten der Deutschen Post. Über ein „Entfristungskonzept“ und eine in Teilen verlogene, ansonsten verkürzte Debatte

Blöd gelaufen für die Deutsche Post in Zeiten, in denen es sowieso eine kontroverse Debatte über Sinn und Unsinn befristeter Arbeitsverträge gibt und darunter vor allem der sachgrundlosen Befristungen. Da selektiert man das Personal beim Übergang von einer befristeten in eine entfristete Beschäftigung und die Kriterien werden der Öffentlichkeit in zahlreichen Presseberichten serviert. Und dann kommt so was dabei raus: Post: Entfristung von Arbeitsverträgen abhängig von Krankheitstagen. Darin findet man diese Hinweise:

»Niederlassungsleiter (haben) von der Konzernspitze ein sogenanntes Entfristungskonzept erhalten, an dass sie sich halten sollen. Darin heißt es demnach, dass Mitarbeiter in zwei Jahren nicht häufiger als sechsmal krank gewesen sein dürfen beziehungsweise nicht mehr als 20 Krankheitstage angehäuft haben.
Weiter schreibe die Post vor, dass der Mitarbeiter „höchstens zwei selbstverschuldete Kfz-Unfälle mit einem maximalen Schaden von 5000 Euro“ verursachen darf. Zudem dürfen Postboten in drei Monaten nicht mehr als 30 Stunden länger für ihre Touren gebraucht haben als vorgesehen.«

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Mehr als ein Passungsproblem: Teilzeitarbeit ist defizitär – damit lässt sich im bestehenden System keine Rente machen. Zugleich sollen die Frauen die Rente „retten“

Demnächst wird die von der neuen alten Großen Koalition im Koalitionsvertrag beschlossene „Rentenkommission“ ihre Arbeit aufnehmen. Das Gremium soll bis zum März 2020 ein Gesamtkonzept für die Alterssicherung ab dem Jahr 2025 vorschlagen. Bis dahin kann man dann immer darauf verweisen, dass ja die Kommission an dem Thema arbeitet.

Zwischenzeitlich wird aus allen Ecken in den öffentlichen Raum geschossen, was angeblich unausweichlich passieren muss. „Natürlich“ geht es dabei wieder einmal um das gesetzliche Renteneintrittsalter. Und da soll es bei der „Rente mit 67“ nicht bleiben: Wir brauchen Rente mit 70 – oder 500.000 Zuwanderer im Jahr, so kommt einer der vielen Artikel aus diesem Lager daher, der sicher nicht zufällig in der apodiktischen Art und Weise der Betitelung auf Abwehrreflexe in weiten Teilen der Bevölkerung gegen solche behaupteten Zuwandererzahlen setzt, um dann die andere angeblich alternativlose Alternative durchsetzen und verankern zu können. Der Artikel stützt sich übrigens auf das Frühjahrsgutachten 2018 eines Konsortiums von Wirtschaftsforschungsinstituten. Kristina Antonia Schäfer hat das Thema in ihrem Artikel Rente mit 70: Überfällig oder überflüssig? aufgegriffen: »Unter Wirtschaftsexperten tobt ein Streit, wie der Kollaps der Rentensysteme abgewendet werden kann. Die einen fordern die Rente mit 70, die anderen halten das für überflüssig – und haben eine Alternative.«

Mit dem Hinweis auf eine Alternative meint sie die Studie Den demografischen Wandel bewältigen: Die Schlüsselrolle des Arbeitsmarkts von Erik Türk et al., die vor kurzem veröffentlicht wurde. Ein Kernpunkt in der Argumentation der gewerkschaftsnahen Wissenschaftler: Viele gängige Prognosen zum demografischen Wandel und seinen Wirkungen auf die Alterssicherung verharrten ohne Not bei „Katastrophen-Szenarien“, konstatieren die Forscher. Zentrale Gründe dafür: Sie schreiben vermeintlich stabile demografische Trends über Jahrzehnte fort, obwohl es signifikante Änderungen gibt. Dabei gibt es ein enormes Beschäftigungspotenzial, was die Folgen für die Rente erheblich verändern würde, wenn es denn erschlossen werden würde. 

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