Die Flüchtlinge und ihre (nicht nur) volkswirtschaftlichen Wirkungen. Die „könnten“ positiv sein. Unter Umständen

Im Gefolge der viele Flüchtlinge, die im Herbst des Jahres 2015 bis Anfang 2016 nach Deutschland gekommen sind, gab es auch eine Diskussion über die volkswirtschaftlichen Aspekte – angesichts der für viele Bürger erkennbar hohen Kosten war und ist eine Auseinandersetzung mit den ebenfalls vorhandenen „Erträgen“ auch von gesellschaftspolitischer Bedeutung (vgl. bereits frühzeitig den Beitrag Die Flüchtlinge in der Bruttowelt der Kostenrechner und das – wie so oft vergessene – Netto vom 1. Februar 2016). Nun ist neues Material zu den hier aufgerufenen Fragen veröffentlicht worden. »Die Flüchtlinge haben einen positiven Effekt auf die deutsche Konjunktur. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Demnach erhöht die jüngste Zuwanderung das Bruttoinlandsprodukt bis 2020 um insgesamt rund 90 Milliarden Euro. Der Effekt auf das Pro-Kopf-Einkommen ist vorerst negativ«, berichtet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) unter der Überschrift: Integration schafft Wachstum. Und aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird mit Hinweis auf eine gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erstellte Studie unter der Überschrift Investitionen in die Integration von Geflüchteten lohnen sich gemeldet: »Mehr staatliche Unterstützung beim Deutschlernen und weitere Investitionen in die Bildung von Geflüchteten verbessern nicht nur deren Integration in den deutschen Arbeitsmarkt, sondern lohnen sich langfristig auch für die öffentlichen Haushalte.« Das hört sich doch alles ganz positiv an, was besonders motiviert, einen genaueren Blick auf die Studien und ihre Argumentation zu werfen.

Das IW bilanziert die erwarteten Auswirkungen in einer Studie so:

»In den Jahren 2015 und 2016 sind etwa 1,2 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Die kurz- bis mittelfristigen Effekte der Flüchtlingsaufnahme auf die wirtschaftliche Entwicklung werden anhand eines makroökonometrischen Modells geschätzt. Auf der einen Seite sind die Effekte auf das Pro-Kopf-Einkommen und die fiskalische Bilanz leicht negativ. Auch die Erwerbslosigkeit wird durch die Flüchtlingsmigration ansteigen. Auf der anderen Seite steigern die höheren Staatsausgaben verbunden mit einer zunehmenden Anzahl erwerbstätiger Flüchtlinge das Wirtschaftswachstum. Die kumulierte Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts in Deutschland kann sich im Zeitraum 2016 bis 2020 auf bis zu 95 Milliarden Euro belaufen. Der Effekt hängt dabei entscheidend von der Arbeitsmarktintegration und der Bildungspolitik ab.« (Tobias Hentze und Galina Kolev (2016): Gesamtwirtschaftliche Effekte der Flüchtlingsmigration in Deutschland, in: IW-Trends, Heft 4/2016, S. 59)

Ein sicher ganz entscheidender Satz ist dieser: „Wie stark die simulierten Effekte tatsächlich ausfallen, wird maßgeblich davon abhängen, wie gut die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt“, wird Tobias Hentze vom IW zitiert.

Es ist mehr als naheliegend, dass man gesichert davon ausgehen muss, dass die Frage, ob und wann und natürlich auch in welche konkreten Jobs ein Teil der Flüchtlinge integriert werden kann, von entscheidender Bedeutung ist für die Abschätzung sowohl der Kosten wie auch der Nutzen, die mit den flüchtlingsinduzierten Aufwendungen verbunden sind. Wobei man sich davor hüten muss, alles auf die Arbeitsmarkt-Frage zu reduzieren bzw. zu fokussieren, denn ein nicht geringer Teil der Flüchtlinge wird altersbedingt (noch) nicht arbeiten können und auch viele Mütter werden dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen können bzw. das nicht wollen oder auch nicht dürfen, weil ihnen aus welchen Gründen auch immer der Zugang zur Erwerbsarbeit innerhalb des Familienverbunds nicht ermöglicht wird. Daraus wird dann aber auch – zusätzlich zu einer möglicherweise lange dauernden Integration von erwerbsfähigen Flüchtlingen aufgrund von Aufnahmehemmnissen des deutschen Arbeitsmarktes – eine sehr lange Hilfebedürftigkeit und damit verbunden Angewiesenheit auf Transferleistungen aus dem Grundsicherungssystem resultieren. Damit das nicht falsch verstanden wird an dieser Stelle – auch diese Aufwendungen dürfen nicht nur als Kosten verstanden werden, sondern sie müssen in einer ordentlichen Rückflussrechnung sowie fiskalisch wie auch darüber hinaus volkswirtschaftlich einer Nettobetrachtung unterworfen werden.

Aus der Vielzahl der möglichen und im jeweiligen Modell zu operationalisierenden Annahmen ergibt sich eine erhebliche Unsicherheit, die einen davor zurückschrecken lassen sollte, genau daherkommende Werte in den Raum zu stellen, die sich rechnerisch ergeben, aber eben nur unter Berücksichtigung aller getroffenen Annahmen.

Dazu nur ein Beispiel aus der IW-Studie:

»Im Jahr 2016 stehen annahmegemäß im Jahresdurchschnitt knapp 290.000 Personen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, hiervon findet jeder Fünfte eine Beschäftigung … Aufgrund des gesetzlichen Mindestlohns wird vereinfachend davon ausgegangen, dass jeder erwerbstätige Flüchtling von staatlichen Transferzahlungen unabhängig ist. Bei den Familien wird dabei implizit unterstellt, dass der erwerbstätige Vater zwar keine Transfers erhält, für die Frau und Kinder dagegen staatliche Ausgaben im Rahmen der Flüchtlingshilfe anfallen, beispielsweise für die Weiterbildung und den Schulbesuch. Zwar werden Kinder von erwerbstätigen Migranten nicht primär vom Staat versorgt, allerdings kommen im Bildungssystem Ausgaben auf den Staat zu.« (Hentze/Kolev 2016: 65 f.)

Das ist zwar alles sehr sympathisch, aber allein die beiden zentralen Annahmen in diesem Absatz können mit einem großen Fragezeichen versehen werden: Wird es wirklich gelingen, dass jeder fünfte dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Flüchtling eine Beschäftigung finden wird? Aber selbst, wenn wir das mal akzeptieren – die Annahme, dass die Erwerbseinkommen, die von den meisten Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt erzielt werden können, ausreichen werden, um die Familien aus dem (aufstockenden) Hartz IV-Bezug zu holen, erscheint doch vorsichtig formuliert mehr als optimistisch.

Man muss fairerweise anfügen, dass das IW das durchaus sieht, an anderer Stelle findet man dann diesen Passus: Bei Gültigkeit der Annahmen »muss der Staat im Jahr 2016 rund 18 Milliarden Euro im Zusammenhang mit der Flüchtlingsmigration aufwenden. Dieser Betrag steigt unter Berücksichtigung des in der Simulation ab 2017 einsetzenden Familiennachzugs bis zum Jahr 2020 auf rund 29 Milliarden Euro … Im Wesentlichen liegt dies an den steigenden Sozialausgaben für die nicht erwerbstätigen Flüchtlinge. Zum einen nimmt die durchschnittliche Anzahl der nicht erwerbstätigen Flüchtlinge Jahr für Jahr zu. Zum anderen muss der voraussichtlich ansteigende Familiennachzug, der zu weiteren Ausgaben des Staates führt, hinzugerechnet werden.« (Hentze/Kolev 2016: 67).

Parallel zu dem, was das IW publiziert hat, gibt es eine weitere neue Studie zum Thema – und auch hier werden wir mit einer positiven Grundbotschaft versorgt: Investitionen in die Integration von Geflüchteten lohnen sich, so hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit eine Mitteilung über eine neue Studie, die gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erstellt worden ist, überschrieben:

»Mehr staatliche Unterstützung beim Deutschlernen und weitere Investitionen in die Bildung von Geflüchteten verbessern nicht nur deren Integration in den deutschen Arbeitsmarkt, sondern lohnen sich langfristig auch für die öffentlichen Haushalte … Zusätzliche Investitionen von 3,3 Milliarden Euro in Sprachkenntnisse und Bildung der 2015 zugewanderten Flüchtlinge können die fiskalischen Kosten bis zum Jahr 2030 um elf Milliarden Euro reduzieren.«

Ganz offensichtlich ist man hier davon ausgegangen, was passieren könnte, wenn man mehr tun würde: »Bei ihren Berechnungen sind die Forscher davon ausgegangen, dass durch verstärkte öffentliche Investitionen in Integrations- und Sprachkurse der Anteil der Geflüchteten mit guten oder sehr guten deutschen Sprachkenntnissen zehn Jahre nach dem Zuzug um 20 Prozentpunkte von 46 auf 66 Prozent erhöht werden kann. Ein solches Niveau werde von anderen Migrantengruppen auch erreicht. Zudem nehmen die Forscher an, dass durch zusätzliche Investitionen in die Allgemein- und Berufsbildung Geflüchteter der Anteil der Personen, die in Deutschland einen beruflichen Abschluss erwerben, um ebenfalls 20 Prozentpunkte von 13 auf 33 Prozent erhöht werden kann.«

Es handelt sich um diese Studie:

Stefan Bach et al. (2017): Fiskalische und gesamtwirtschaftliche Effekte: Investitionen in die Integration der Flüchtlinge lohnen sich. IAB-Kurzbericht 02/2017, Nürnberg 2017

Auf dort findet man eine fundierte Beschreibung der notwendigerweise zu treffenden Annahmen für die Berechnungen der volkswirtschaftlichen Effekte – und zugleich einen Eindruck, wie unsicher viele der zu beziffernden Bereiche sind.

Sozial- und wirtschaftspolitisch besonders relevant aber sind diese Erkenntnisse, die von den Studienautoren besonders hervorgehoben werden: „In der Vergangenheit haben der Erwerb eines deutschen Bildungsabschlusses und das Erreichen von guten oder sehr guten Deutschkenntnissen die Beschäftigungswahrscheinlichkeit von Flüchtlingen jeweils um rund 20 Prozentpunkte und die Verdienste jeweils um rund 20 Prozent erhöht“.

»Daher sei es sinnvoll, die Investitionen in den Spracherwerb und den Erwerb zusätzlicher Bildungsabschlüsse zu beschleunigen und den Kreis der Anspruchsberechtigten zu erweitern, so die Arbeitsmarktforscher. Mit der Öffnung der Integrationskurse für Asylbewerber, die aus Herkunftsländern mit guter Bleibeperspektive stammen, wurde zwar bereits ein wichtiger Schritt für die Investitionen in die Sprachkenntnisse von Geflüchteten gemacht. „Allerdings bleiben große Gruppen weiterhin bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens ausgeschlossen, obwohl auch von ihnen ein erheblicher Teil länger in Deutschland bleiben wird“, schreiben die Forscher. Vor dem Hintergrund der hohen Erträge sollte daher beispielsweise überdacht werden, ob die Integrationskurse nicht von vornherein für alle Asylbewerber, und nicht nur für Asylbewerber aus Ländern mit einer hohen Anerkennungswahrscheinlichkeit, geöffnet werden.«

Damit sind wir bei einem letztendlich höchst politischen Punkt angekommen, der aber enorme volkswirtschaftliche Folgewirkungen hat. Immer noch wird die überaus heterogene Gruppe der Flüchtlinge selektiert und kategorisiert entlang der alten ausländerrechtlichen Scheidelinie „Hierbleiben dürfen – Weggehen müssen“. Nur dass sie in der Realität – man denke hier an die vielen Geduldeten – schon immer eine eher theoretische war und ist. Und volkswirtschaftlich wie auch gesellschaftspolitisch ist sie kontraproduktiv hoch x.

Tatsächlich – und von vielen Praktikern schon seit Jahren gefordert – hätte man „mit Kanonen auf Spatzen“ schießen sollen, also einen weitreichenden Arbeitsmarktzugang, aber auch eine Einbeziehung in die Sprachförderung, von Anfang an für alle – auch für die, die irgendwann einmal zurück müssen. Denn es macht keinen Sinn, die Betroffenen aufgrund einer Statusentscheidung, die aber oftmals nicht zur Konsequenz der Rückkehr führt, auszuschließen von Erwerbsarbeit oder Sprach- und Integrationskursen, die im wahrsten Sinne des Wortes konfliktverhindernd oder -reduzierend wirken könnten. Und wenn die Leute temporär einen Job finden, dann ist das ökonomisch (und menschlich) im Regelfall immer besser als sie monate- und teilweise jahrelang in einer Blase des Nichtstun und der Exklusion zu halten und sich immer nur dann aufzuregen, wenn sie sich aus dieser Blase entfernen. Und gesellschaftlichen Stress machen.

Und bei allem Respekt für die Fleißarbeiten der Wissenschaftler in den hier skizzierten Studien – wie sieht es denn draußen aus? Viele bemühen sich vor Ort und immer wieder gibt es einzelne Erfolge zu vermelden (und jeder für sich ist eine gute Sache). Aber greifen wir einen Punkt heraus, der durchaus anschlussfähig ist an die Alltagswahrnehmung vieler Menschen, die einen Blick haben auf die Flüchtlinge. Die oftmals monatelang in einer Vakuum der Nicht-Arbeit und des Wartens auf die Möglichkeit, überhaupt einen Asylantrag stellen zu können oder auf dessen Bearbeitung und Entscheidung, eingebunden sind. Die tagsüber umherlaufen, die gespendeten Fahrräder dazu verwenden, von A nach B nach A nach B zu kommen, sich langweilen, frustriert oder aggressiv werden in diesen Blasen, in denen sie sich befinden (müssen).

Natürlich wäre es sinnvoll und hilfreich, wenn man den Betroffenen Beschäftigungen anbieten kann. Idealerweise nicht irgendwelche, sondern wertschöpfende Arbeit. Von der bekanntlich so viel unerledigt auf der Straße liegt. Und irgendwann ist das auch oben angekommen, also in Berlin, man hat dann versucht, damit umzugehen wie immer: Das Anliegen in die vorhandene Instrumentenlandschaft zu pressen und über die – egal ob sie passen – eine Lösung zu offerieren. Grundsätzlich gab und gibt es die Option einer raschen öffentlich organisierten Beschäftigung der Asylbewerber ja schon lange. Arbeitsgelegenheiten nach dem § 5 Asylbewerberleistungsgesetz. Statt da unkonventionell und schnell anzusetzen, den in diesem Fall zuständigen Kommunen schnell die erforderliche finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen und da, wo es Not tut, auch die personelle durch Arbeitsagenturen und Jobcenter, hat Berlin gekreißt und einen neuen Paragrafen geboren – den § 5a AsylbLG. Deutlich länger als der eigentlich relevante § 5 AsylbLG insgesamt. „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“, so hat man das, was man da geschaffen hat, getauft. Das wurde hier bereits mehrfach kritisiert, so beispielsweise in dem Beitrag „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“ zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II. Eine dritte Dimension der „Ein-Euro-Jobs“ und die dann auch noch 20 Cent günstiger? vom 12. Juni 2016 oder – die Kritik leider bestätigend – „80-Cent-Jobs“ für Flüchtlinge – billiger geht’s nun wirklich nicht. Und dennoch: Sie werden kaum genutzt vom 23. Dezember 2016.

Tonnenideologie trifft auf Wirklichkeit. 100.000 Arbeitsgelegenheiten nur für Flüchtlinge im Niemandsland zwischen Ankommen und Asylbescheid sollten geschaffen werden (und damit mehr als für alle Hartz IV-Empfänger in Deutschland an Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung stehen). Und die Bilanz? Im November 2016 waren rund 4.400 der geplanten 100.000 FIM (4,4%) besetzt.

Die praktischen Folgen sind desaströs – weiterhin sind die meisten Flüchtlinge ohne irgendeine Beschäftigung, mit allen Folgen, die damit verbunden sind. Dabei wissen wir genug über die Auswirkungen der Untätigkeit und des Nur-Warten-Müssens. Die Folgekosten werden gewaltig sein. Und dass eine frühzeitige Beschäftigung in Verbindung mit Sprachlernangeboten in und um die Arbeit herum die höchsten Wirksamkeitswerte hat, sei hier nur angemerkt, leuchtet aber sich den meisten auch sofort ein.

Vor diesem Hintergrund ist dann auch eine solche akademisch und fast schon devot formulierte Forderung aus der IAB/DIW-Studie von Bedeutung:

»Vor dem Hintergrund der hohen Erträge und vergleichsweise geringen Kosten sollte überdacht werden, ob die Integrationskurse nicht von vornherein für alle Asylbewerber, und nicht nur für solche mit guter Bleibeperspektive, geöffnet werden.« (Bach et al. 2017: 11)

Das sollte nicht überdacht werden, man hätte es schon längst ändern müssen. Es ist auch keine neue Forderung, sie wurde in der Vergangenheit immer wieder vorgetragen.

„80-Cent-Jobs“ für Flüchtlinge – billiger geht’s nun wirklich nicht. Und dennoch: Sie werden kaum genutzt

Das war doch mal eine energische Ankündigung von Arbeitsministerin Andrea Nahles gewesen: 100.000 Jobs für Flüchtlinge wolle man schaffen, damit die erst einmal beschäftigt werden können. Wie so vieles im sozialpolitischen Leben hört sich das oftmals besser an als es dann ist. Und hier wurde in mehreren Beiträgen größte Skepsis gegenüber dem Ansatz aus Berlin vorgetragen: Bereits am 12. Juni 2016 unter der Überschrift „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“ zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II. Eine dritte Dimension der „Ein-Euro-Jobs“ und die dann auch noch 20 Cent günstiger?, dann am 14. Juni 2016: „Integrationsarbeit“ statt „80 Cent-Arbeitsgelegenheiten“? Und die Untiefen des Versuchs einer integrationsgesetzlichen Abbildung der Lebenswirklichkeit und – alle guten Dinge sind drei – am 24. Juni 2016: Kopfschütteln über 80-Cent-Jobs für Flüchtlinge. Aber wenn sich die Maschine mal in Bewegung setzt, dann ist sie nicht mehr aufzuhalten. Dann muss man eben nachschauen, was daraus geworden ist.

Genau das hat „O-Ton Arbeitsmarkt“ gemacht. Das Ergebnis ist für den Skeptiker nicht überraschend: Die »Länder und Kommunen nehmen das Angebot kaum in Anspruch. Erst 12.000 Plätze sind beantragt. Zwei Bundesländer haben gar kein Interesse«, bilanziert der Artikel „80-Cent-Jobs“ für Flüchtlinge werden kaum genutzt.

Mit 100.000 „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ (FIM) will Arbeitsministerin Andrea Nahles Flüchtlingen für maximal sechs Monate „erste Einblicke in den deutschen Arbeitsmarkt“ ermöglichen. Die inzwischen als 80-Cent-Jobs bekannten Maßnahmen entsprechen weitgehend den Ein-Euro-Jobs, nur mit geringerer Aufwandsentschädigung.

Nach dem Start im August 2016 sind im November erst rund 4.400 der geplanten Plätze vergeben. Beantragt haben die Länder und Kommunen bisher nur 12.000 Plätze. Mit dem Saarland und Hamburg haben sogar zwei Bundesländer gar kein Interesse. Fast die Hälfte der bundesweit beantragten Stellen entfallen allein auf Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, berichtet O-Ton Arbeitsmarkt.

Und beantragte Plätze sind nicht gleich auch besetzte Plätze:

»Auch wenn die Länder Plätze beantragt haben, geht deren Besetzung nur schleppend voran. Nur Baden-Württemberg und Niedersachsen haben bisher die Hälfte ihrer eingeplanten Stellen vergeben, Thüringen erreicht 43 Prozent, Nordrhein-Westfalen 39 Prozent und Bayern 34. Die übrigen Länder haben bisher erst (teils deutlich) weniger als ein Drittel der beantragten Stellen besetzt, Bremen und Berlin konnten noch keine der beantragten Stellen besetzen. Hintergrund ist hier auch eine nur langsam vorangehende Genehmigung der beantragten Stellen. Bundesweit wurde bisher erst die Hälfte aller beantragten Plätze genehmigt.«

Ursprünglich wollte man 75 Prozent der Maßnahmen außerhalb von Flüchtlingsunterkünften realisieren und nur 25 Prozent in den Unterkünften. »Die tatsächliche Verteilung liegt aber aktuell bei 60 Prozent externen Stellen und 40 Prozent Stellen innerhalb der Unterkünfte.«

Wer soll da eigentlich rein in die Maßnahmen?

»Die Zielgruppe der Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen mit einer maximalen Dauer von sechs Monaten sind Volljährige mit guter Bleibeperspektive, über deren Asylantrag noch nicht entschieden ist. Die FIM sind also „Warte-Ein-Euro-Jobs“ für die Zeit zwischen Antrag und endgültigem Bescheid und damit für einen Zeitraum, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) immer mehr verkürzen soll und will.«

Der Charakter der FIM als „Warte-Ein-Euro-Jobs“ kann ein zentraler Erklärungsansatz für die schleppende Inanspruchnahme sein (neben der generell und schon im Vorfeld beklagten Fragwürdigkeit des ganzen Sonderprogramms): »Unter den Ländern, die bisher keine oder nur wenige FIM besetzt beziehungsweise beantragt haben, sind auch die Länder mit den kürzesten Bearbeitungsdauern wie das Saarland und Sachsen-Anhalt.«

Nun könnte man einwenden, dass die Bearbeitungszeiten auch in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, die besonders viele Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen beantragt und auch besetzt haben, mit 5,3 und 5,9 Monaten vergleichsweise kurz sind. Allerdings sind das auch Länder mit hohen Zahlen und man sollte – so „O-Ton Arbeitsmarkt“ – auch berücksichtigen, dass die Zusammensetzung der Asylsuchenden nicht gleichverteilt ist über die Bundesländer:

»Bundesweit betrug die Bearbeitungsdauer in den ersten elf Monaten des Jahres 2016 durchschnittlich 6,9 Monate. Gegenwärtig steigt sie vorübergehend wieder an, da das BAMF seit Anfang 2016 viele alte und teilweise komplexere Verfahren entscheidet, die bereits lange anhängig waren. Für das besonders zuzugsstarke Herkunftsland Syrien ist die Verfahrensdauer mit 3,6 Monaten jedoch deutlich kürzer. Bei Neufällen (Antrag nach dem 1. Juni) beträgt sie nur zwei Monate. Entsprechend hängt die durchschnittliche Bearbeitungsdauer auch von den verschiedenen Herkunftsländern der Flüchtlinge im Bundesland ab.«

Und auch das erfahren wir aus der Berichterstattung: Inzwischen sind rund 530.000 Menschen aus den zuzugsstärksten Asylherkunftsländern außerhalb Europas (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien) im Hartz-IV-System angekommen. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben rund 119.000 und arbeitslos sind 172.000.

Wenn Österreich von Deutschland lernen sollte. Beispielsweise beim Thema „Ein-Euro-Jobs“ und dann auch noch für Flüchtlinge

Also grundsätzlich ist das ja so eine Sache, wenn einem empfohlen wird, man möge doch bitte von diesem oder jenem Land „lernen“, wie es besser gehen kann oder aber wie etwas nicht funktioniert. Partielle Ländervergleiche sind mit Vorsicht zu genießen, vor allem, wenn es um historisch gewachsene und eigenartige Gebilde wie sozialpolitische Institutionen und Instrumente geht. Die hier nur angedeutete Skepsis geht in die eine wie auch in die andere Richtung. Also egal, ob einem der Vergleich ins Konzept passt oder nicht. Aber zuweilen – und vor allem, wenn die Länder durchaus strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen – kann das Abkupfern von den anderen eine durchaus legitime und effektive Option sein. Nehmen wir beispielsweise die beiden Länder Deutschland und Österreich.
Da gab und gibt es immer wieder den Versuch, auf das eine oder andere Land zurückzugreifen. Da könnte man beispielsweise auf die Renten-Debatte verweisen. Anfang dieses Jahres wurde Österreich als Vorbild in die deutsche Diskussion geworfen: »Deutschland und Österreich sind sich sozial, wirtschaftlich und politisch sehr ähnlich. Trotzdem sind die beiden Länder bei den Reformen ihrer Rentensysteme ganz unterschiedliche Wege gegangen.

In Österreich konzentriert sich die Altersversorgung nach wie vor weitgehend auf die umlagefinanzierte Gesetzliche Rentenversicherung (GRV), in die auch die Selbständigen einbezogen wurden und deren Bestimmungen schrittweise für Beamte zur Anwendung kommen«, konnte man dem Artikel Rente: Deutsche oft deutlich schlechter abgesichert als Österreicher entnehmen. Das österreichische Modell der Alterssicherung wird hier als Vorbild für Deutschland herausgestellt. Weitere Details finden sich in der Studie, über die der Artikel berichtet hat:

Florian Blank et al.: Alterssicherung in Deutschland und Österreich: Vom Nachbarn lernen? WSI-Report Nr. 27, Januar 2016

In anderen Bereichen möchte man den Österreichern zurufen: Schaut euch die Erfahrungen hier bei uns in Deutschland an und vermeidet die Fehler, die wir begangen haben. Das leitet über zu dem in diesem Blog-Beitrag im Mittelpunkt stehenden Thema: Die Forderung nach „Ein-Euro-Jobs“, im konkreten Fall für Flüchtlinge. Denn darüber hat sich eine heftige Debatte im Nachbarland entzündet.

Begonnen hat alles mit einem nicht nur, aber auch populistisch zu verstehenden Vorstoß eines österreichischen Regierungsmitglieds, das auch in Deutschland durch einige Talkshow-Auftritte bekannt und dem einen oder anderen auch angesichts seines jungen Alters in Erinnerung geblieben ist: »Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat … Pläne zur Verschärfung der Ausländer-Gesetzgebung vorgelegt. Er fordert verpflichtende gemeinnützige Ein-Euro-Jobs für arbeitslose Asylberechtigte, eine Reduktion der Mindestsicherung und Maßnahmen gegen die Vollverschleierung von Frauen«, berichtete die Tageszeitung Die Presse in dem Artikel Kurz will verpflichtende Ein-Euro-Jobs für Asylberechtigte. Die Maßnahmen sollen in einem neuen Integrationsgesetz gebündelt werden.

»Als Kernpunkt seines Sammelgesetzes sieht der Minister die verpflichtenden gemeinnützigen Ein-Euro-Jobs. Er zielt damit auf die derzeit rund 25.000 beim AMS gemeldeten arbeitslosen anerkannten Flüchtlinge ab, monatlich kämen 1000 hinzu. Grundsätzlich könne man diese Pflicht zwar nicht auf diese reduzieren, angestammte Österreicher will das Integrationsressort aber durch ein Abstellen auf die Sprachkenntnisse ausnehmen.
Die Tätigkeiten sollen etwa die Instandhaltung öffentlicher Flächen, die Betreuung von Asylwerbern und anderen Gruppen sowie die Mitarbeit in Sozialeinrichtungen umfassen. Die Vermittlung soll über das AMS erfolgen, hier könnte auch die Residenzpflicht greifen. Anbieten sollen die Jobs in einem ersten Schritt nur Gebietskörperschaften, in einem zweiten Schritt eventuell auch Nichtregierungsorganisationen. Wer nicht zur Annahme bereit sei, dem sollen die Sozialleistungen gekürzt werden, so der Minister.«

Der Mann kann austeilen: „Wer den ganzen Tag zu Hause und im Park herumsitzt, der hat auch einmal Tagesfreizeit, um auf blöde Ideen zu kommen“, sog wird Kurz in dem Artikel zitiert. Und auch die „bedarfsorientierte Mindestsicherung“, die 2010 in Österreich eingeführt wurde und die die bis dato in den Ländern unterschiedlich geregelte Sozialhilfe ersetzt hat bzw. dies soll, hat der smarte Minister im Visier: Er plädiert für »eine Reduktion der bedarfsorientierten Mindestsicherung für Neuankömmlinge. Fünf Jahre rechtmäßiger Aufenthalt wäre aus seiner Sicht die Schwelle für den vollen Bezug. „Es muss einen Unterschied geben zwischen jenen, die frisch hier sind und denen, die eingezahlt haben“, argumentierte er.« Wieso eingezahlt? Wie Sozialhilfe funktioniert, sollte er eigentlich wissen.

Eines hat Minister Kurz geschafft – in Österreich ist eine breite Debatte entfacht worden über den Sinn und Unsinn der sogenannten „Ein-Euro-Jobs“. Vorweg sei angemerkt, dass er die aus Deutschland stammende Begrifflichkeit mit Sicherheit nicht zufällig verwendet hat, sondern dass dem eine Signalfunktion innewohnt, die auf das Hartz IV-System als solches verweist, denn seit einiger Zeit wird auch in Österreich immer wieder gefordert, die angeblich so erfolgreichen Hartz-Reformen zu übernehmen, wenigstens Teile davon.

Aber bleiben wir bei dem Instrumentarium, das bei uns ganz korrekt und marketingtechnisch natürlich katastrophal „Arbeitsgelegenheiten nach der Mehraufwandsentschädigungsvariante“ (geregelt im § 16d SGB II) heißt, was auch bei uns dazu geführt hat, immer von den „Ein-Euro-Jobs“ zu sprechen, was nicht unproblematisch ist.

Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Diskussion. Ein Auszug: Ein-Euro-Jobs allein werden das Problem nicht lösen, so Matthias Auer:

»Auf den ersten Blick wirken die Zahlen nicht dramatisch: Gerade einmal 6,6 Prozent der 380.000 Arbeitslosen im Land sind anerkannte Flüchtlinge. 25.000 Menschen klingt nach wenig, doch der Schein trügt. Denn der Großteil der 100.000 Syrer und Afghanen, die seit 2015 in Österreich Asyl beantragt haben, sind noch nicht auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Sie sitzen noch in Flüchtlingsheimen und warten – zur Untätigkeit verdammt– auf das Ende ihrer Asylverfahren. Etwa jeder Dritte von ihnen dürfte als Flüchtling anerkannt werden – erst dann erhalten sie Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt. Ihr Problem: Bis dahin sind selbst syrische Ärzte nach langer Flucht und oft ebenso langen Asylverfahren nur noch Langzeitarbeitslose ohne ausreichende Deutschkenntnisse. Ihre Chancen, bald einen Job zu finden, sinken gegen null.«

Über die Ein-Euro-Jobs sollen anerkannte Flüchtlinge aktiv bleiben und schrittweise an die Arbeitswelt herangeführt werden, so die Idee. „Das ist vorstellbar und machbar“, wird Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice AMS, zitiert, der noch eine Rolle spielen wird. Auer stellt die Frage: Ist das aber auch sinnvoll?

»Gesellschaftspolitisch könnte es unter dem Motto „Aufrechterhaltung der Solidarität“ durchaus ein probates Mittel sein, jenen ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz eine Perspektive oder zumindest eine Beschäftigung zu geben. Denn es gibt sie, die 45-jährigen Afghanen, die in ihrem Leben noch nie eine Schule von innen gesehen haben und in Österreich wohl lang auf einen Job als Hirte oder Soldat warten werden. Für sie gibt es keinen Plan. Hier könnten Ein-Euro-Jobs (mit entsprechender finanzieller Aufstockung) ein gangbarer Weg sein.
Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht fällt die Bilanz der Ein-Euro-Jobs durchwachsen aus.«

An dieser Stelle wird dann immer – allerdings höchst selektiv – auf die „deutschen Erfahrungen“ Bezug genommen (vgl. auch den Artikel Ein-Euro-Jobs: Deutschlands umstrittene „Arbeitsgelegenheiten“). Dabei gerät so einiges völlig durcheinander, beispielsweise wenn Auer schreibt:

»Der Blick zum nördlichen Nachbarn zeigt, dass die mit den Hartz-IV-Reformen eingeführten Ein-Euro-Jobs tatsächlich die Arbeitslosigkeit im Land senken konnten. Das gehe auf Kosten der Arbeitnehmer, kritisieren die Gegner. Die Zahl jener, die unter ihrer Qualifikation (und damit deutlich schlechter bezahlt) arbeiten, sei gestiegen.«

Das ist so natürlich nicht richtig bzw. die beschriebenen Effekte haben nun wirklich nichts mit den Ein-Euro-Jobs zu tun. Offensichtlich wird der generell in Deutschland im Zuge der Hartz-Reformen stark expandierende Niedriglohnsektor in der „normalen“ Wirtschaft mit den Ein-Euro-Jobs verbunden, aber das ist falsch, denn die Arbeitsgelegenheiten spielen überwiegend in den marktfernen Bereichen gemeinnütziger Anbieter eine Rolle und höchstens an den ganz außen liegenden Rändern des Arbeitsmarktes lassen sich kleinere Einschläge registrieren.

Da geht wirklich einiges durcheinander. Beispielsweise wenn Auer schreibt: »Nach Einführung der Ein-Euro-Jobs brach die offizielle Nachfrage nach Pflegekräften angesichts der Billigkonkurrenz komplett ein. Berlin musste reagieren; so gibt es heute statt 300.000 Ein-Euro-Jobber nur noch 70.000 in der Bundesrepublik.« Also das mit der Pflege ist nun wirklich Humbug und der massive Abbau der öffentlich geförderten Beschäftigung in Deutschland, die wir seit 2011 zur Kenntnis nehmen müssen, ist keineswegs eine Reaktion auf irgendwelchen massiven Verdrängungs- und Verzerrungseffekte durch die Arbeitsgelegenheiten, sondern schlichtweg den Sparprogrammen der Bundesregierung geschuldet. Detailliertere Informationen über die Arbeitsgelegenheiten und ihre kritische Analyse in Deutschland kann man in zahlreichen Beiträgen in diesem Blog nachlesen.

Wifo-Chef: Ein-Euro-Job, aber ohne „Sozialleistung-Keule“, so ist ein anderer Artikel überschrieben: »Karl Aiginger fordert einen „zweiten Arbeitsmarkt“ für Asylberechtigte. Er kann sich auch den Dienstleistungsscheck für Flüchtlinge vorstellen.« Aiginger plädiert für ein ganz anderes Modell, nach dem »Arbeitgeber Flüchtlinge mit dem Dienstleistungsscheck bezahlen können sollten. Arbeitgeber könnten sich dann aussuchen, wie viel sie einem Flüchtling für eine Stunde Arbeit bezahlen, ob also bloß einen Euro oder den vollen Mindestlohn. Das Modell könnte auf Gemeindeebene ebenso zum Einsatz kommen wie in der Privatwirtschaft.« Das klingt doch sehr theoretisch und öffnet möglicherweise dem Missbrauch Tür und Tor. Und widersprüchlich, denn an anderer Stelle wird Aiginger so zitiert: »Als eine der größten Herausforderungen bezeichnet Ökonom Aiginger, dass ein spezieller Arbeitsmarkt für Flüchtlinge nicht dazu führen dürfe, dass in regulären Berufssparten Lohndumping beginnt. Wenn Arbeitgeber einfach ordentliche Arbeitnehmer ersetzen, wäre dies fatal. „Daher braucht es in jedem Fall eine umfassende Kontrolle in der Praxis“, so Aiginger.«

Auch Wolfgang Mazal, Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Wien, plädiert für einen zweiten Arbeitsmarkt: Ein-Euro-Jobs: System kontra Niveau, so ist sein Beitrag überschrieben. Allerdings sollten die für den zweiten Arbeitsmarkt vorgesehenen Arbeitsplätze von den Gebietskörperschaften geschaffen werden:

»Hier können durch Tätigkeiten im öffentlichen Interesse Beschäftigungspotenziale genutzt werden, die Schutzsuchenden nicht dem Druck des ersten Arbeitsmarktes aussetzen, ihnen aber sukzessive ein „Hineinwachsen“ in die österreichische Lebenswelt und Arbeitskultur ermöglichen. Weil hier kleinteilige und individuelle Lösungen sinnvoll sind, die der jeweiligen persönlichen Situation Rechnung tragen, eignen sich vorrangig der Landes- und der Gemeindebereich dazu. In Zusammenarbeit mit AMS und Sozialpartnern können einerseits jene Beschäftigungsmöglichkeiten identifiziert werden, die über den ersten Arbeitsmarkt nicht bedient werden können, und andererseits die Arbeitssuchende mit individuellen Schulungsmaßnahmen begleitet werden.«

Da sind wir schon an einem wichtigen Punkt angelangt, der auch in diesem Artikel aufgerufen wird: Flüchtlingsjobs: Experten fordern Kombination mit breitem Bildungsangebot.

Durchaus relevant erscheint mir der Hinweis, dass die Debatte in Österreich dahingehend geerdet werden sollte, dass sie sich weitgehend im theoretischen Raum bewegt, denn es müsste die geforderten Stellen ja auch geben. Und hierzu kann man diesem Artikel entnehmen:

Den Vorschlag, Flüchtlinge zu Ein-Euro-Jobs zu verpflichten, sieht Migrationsforscher Heinz Faßmann nicht nur positiv. Der Berater von Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) sagte …: „Ich würde das lieber als Angebot sehen.“ … Zur Idee, Flüchtlingen zu den Tätigkeiten zu verpflichten, sagt Faßmann: „Das muss man noch einmal durchdenken. Es ist fraglich, ob es überhaupt so viele Angebote gibt.“

Das mit dem Angebot ist eine interessante Sache, denn daran kann man zugleich auch erkennen, wie instrumentalisierend und wenig bis gar nicht an Inhalten ausgerichtet die Debatte verläuft. Dazu Simon Rosner in seinem Kommentar Pflicht für Jobs, die es nicht gibt:

»Mittwoch: Helmut Mödlhammer, Chef des Gemeindebundes, klagt, dass ein austriakischer Bürokratie-Irrsinn es den Gemeinden praktisch verunmöglichen würde, Asylwerber für gemeinnützige Tätigkeiten einzusetzen.
Donnerstag: Sebastian Kurz will anerkannte Flüchtlinge zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten, sogenannten Ein-Euro-Jobs.
Das ist schon eine Chuzpe. Vor einem Jahr hatte die Regierung angekündigt, dass Asylwerber solche Tätigkeiten verrichten können sollen. Und zwar ohne Zwang. Das wurde von vielen positiv bewertet, auch Flüchtlinge wollen nicht untätig im Heim sitzen, sondern sich einbringen.
Doch ein Jahr lang hat es die Regierung nicht vermocht, die Rahmenbedingungen so zu organisieren, dass diese Tätigkeiten einfach und unbürokratisch geleistet werden können. Vier Ministerien sind betraut, teilweise fühlen sich diese aber nicht zuständig.«

Der bereits zitierte Johannes Kopf vom Vorstand des AMS hat sich mit diesem Beitrag zu Wort gemeldet: Ein-Euro-Jobs: Grundsätzliche Überlegungen. Darin findet man diese Passage:

»Überlegungen, Diskussionen, auch Pilotversuche zum dauerhaften Aufbau eines solchen sogenannten zweiten Arbeitsmarktes gibt es seit Jahren. Wie viel darf ein solcher Arbeitsplatz kosten? Wäre es denkbar, ihn nur mit den Aufwendungen für Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Mindestsicherung zu finanzieren? Wie verhindere ich, dass dies in Konkurrenz zu regulären Arbeitsplätzen tritt, wie verhindere ich, dass hier Personen „abzweigen oder sich verfestigen“, die mit der richtigen Förderung doch noch produktiv am ersten Arbeitsmarkt teilhaben könnten? … Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht habe ich auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die vor dem Hintergrund der langjährigen deutschen Erfahrungen mit den Ein-Euro-Jobs sichtbar wurden. Es ist, vereinfacht gesagt, zwar möglich, aber gar nicht trivial, solche Jobs zu „erfinden“. Sie müssen drei Kriterien aufweisen: und zwar gemeinnützig, zusätzlich und wettbewerbsneutral sein.«

Die drei von Kopf genannten Kriterien werden seit Jahren in der deutschen arbeitsmarktpolitischen Debatte über eine sinnvolle Ausgestaltung der öffentlich geförderten Beschäftigung als zentrale Problemstellen identifiziert und kritisiert. Es kann keine sinnvolle öffentlich geförderte Beschäftigung geben, wenn man sich an dieses restriktive Voraussetzungsdreieck halten muss – und fürwahr, man muss dann wahre Klimmzüge machen, um irgendwelche und oftmals fragwürdigste Beschäftigungsgelegenheiten zu finden, die nicht zu einer Verletzung der Voraussetzungen führen. Dass das alles keinen Sinn macht, ist ein ganz starker Impuls für eine grundsätzliche Reformdiskussion über eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland (vgl. dazu zuletzt Sell, Stefan: Hilfe zur Arbeit 2.0. Plädoyer für eine Wiederbelebung der §§ 18-20 BSHG (alt) in einem SGB II (neu). Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 19-2016, Remagen 2016).

Die empirischen Belege des Scheiterns einer derart restriktiv ausgestalteten öffentlich geförderten Beschäftigung in Deutschland sind eindrucksvoll und man kann den Österreichern nur zurufen, sich erst gar nicht auf diese Schiene setzen zu lassen. Vgl. zur verfahrenen Situation in Deutschland auch meinen Beitrag Die fortschreitende Programmitis in der Arbeitsmarktpolitik und ein sich selbst verkomplizierendes Förderrecht im SGB II vom 28. Juni 2016.

Dabei kann man in Österreich doch auf eine lange Tradition der öffentlich geförderten Beschäftigung zurückblicken, die teilweise sogar deutlich besser konfiguriert war uns ist als das, was wir vor allem in den letzten Jahren in Deutschland haben sehen müssen. In diese Richtung gehen auch die Ausführungen in diesem Beitrag: Judith Pühringer zur aktuellen Debatte um die „Ein-Euro-Jobs“:

»Dass hier permanent der zweite Arbeitsmarkt erwähnt wird ist aus meiner Sicht eine hochproblematische Vermischung: Am zweiten Arbeitsmarkt gibt es bisher vollversicherungspflichtige, kollektivvertragliche Beschäftigungsangebote mit dem Ziel der längerfristigen Integration in den Arbeitsmarkt. Hier gibt es keine Taschengelder und kein „So-tun-als-ob-wir-arbeiten“, sondern echte Arbeit, die auch so bezahlt wird. Wenn jetzt permanent im Rahmen der Debatte von Ein-Euro-Jobs im zweiten Arbeitsmarkt gesprochen wird, dann werden dreissig Jahre hochprofessionelle und erfolgreiche Integrationsarbeit von Sozialen Unternehmen (in denen diese Beschäftigung stattfindet) mit einem Schlag in Frage gestellt und auch in ihrer Logik (echte Arbeitsplätze, echte Arbeit, echte Bezahlung) ad absurdum geführt.«

Hier liegt wahrscheinlich die größte Gefahr der gegenwärtigen Diskussion und möglichen gesetzgeberischen Aktivitäten – dass das, was ein sinnvoller zweiter Arbeitsmarkt sein kann, wie in Deutschland kleingeschreddert wird auf die Arbeitsgelegenheiten nach Mehraufwandsentschädigung, denn alle anderen Instrumente einer höherwertigen öffentlich geförderten Beschäftigung sind in den vergangenen Jahren aus dem Förderrecht entfernt worden oder sie spielen nur noch eine molekulare Rolle.

Nun könnte man aus Österreich auf den ersten Blick zu Recht einwenden, dass doch gerade Deutschland die Debatte in Österreich befeuert hat mit der Ankündigung der Bundesarbeitsministerin, 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge zu schaffen, sogar noch nicht einmal als „Ein-Euro“-, sondern als „80-Cent-Jobs“. Diese Arbeitsgelegenheiten sollen für Asylbewerber zur Verfügung gestellt werden, also vor der Anerkennung bzw. Duldung bzw. Ablehnung. Unabhängig von der Tatsache, dass seit den Ankündigungen kaum bis gar nichts passiert ist, sei hier nur an die massive Kritik an diesen Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber in den folgenden Beiträgen hingewiesen:

Bleibt natürlich die Frage, wie man es denn besser oder anders machen könnte bzw. sollte. Auch hier ließe sich von Deutschland – und seinen eklatanten Versäumnissen – lernen: Auf die Sprache kommt es an. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der vergangenen Monate. Eine Arbeitsmarktintegration setzt Sprachkenntnisse voraus und die muss man vermitteln. Wenn es ein Nadelöhr gibt, dann ist es die Sprache. Insofern hätte man die Mittel und Anstrengungen auf die Sprachförderung fokussieren müssen, wobei man diese sinnvollerweise verknüpfen sollte mit praktischer Arbeit. Also richtiger Arbeit, in Unternehmen oder bei Beschäftigungsgesellschaften, die nah und am ersten Arbeitsmarkt arbeiten können und dürfen. Das wäre für viele Flüchtlinge der richtige Weg und natürlich werden dann auch unter ihnen welche übrigbleiben, die einen Übergang in Beschäftigung auf dem normalen Arbeitsmarkt schwer oder auf Jahre nicht packen werden. Die können und müssen dann in ein ausdifferenziertet System der öffentlich geförderten Beschäftigung integriert werden, in dem sich aber auch andere befinden, die vergleichbare Probleme haben.

Aber um diese diskussionswürdigen Aspekte, über die man streiten kann, geht es wahrscheinlich bei dem „Spiel“, das wir in den letzten Tagen seitens der Politik gesehen haben, gar nicht. Eine Andeutung der anderen Ebene findet man in dem Beitrag von Johannes Kopf, wenn er schreibt:

»Kurz hat damit primär weniger einen klassisch arbeitsmarktpolitischen Vorschlag gemacht, sondern vielmehr eine allgemein sozialpolitische Frage angesprochen: Muss jemand, der jahrelang von der Allgemeinheit lebt und bei dem trotz Bemühungen keine Veränderung der Situation erzielt werden kann, der Gesellschaft etwas zurückgeben? Es geht also im Kern eigentlich um eine Frage nach der Solidarität und deren Belastbarkeit …  es würde mich nicht wundern, wenn große Teile der Bevölkerung die genannte Frage mit Ja beantworten würden, jedenfalls solange es sie selbst nicht betreffen könnte.«

Genau dieses Aspekte kennen wir aus Deutschland zur Genüge. Und arbeitsmarktpolitisch zumindest, das kann man sagen, hat das nichts gebracht.