Die Jobcenter und ihre Kosten. Von Umschichtungen und der eigentlichen Frage: Was machen und erreichen die (nicht) mit fast 4,5 Mrd. Euro?

Das ist mal wieder eine Schlagzeile: „Verwaltungskosten der Jobcenter steigen dramatisch„, so kann man es auf Spiegel Online lesen. Und weiter erfahren wir: »Es ist aufwendig, Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu bringen – und es wird immer teurer: Der Anteil der Verwaltungskosten hat sich im vergangenen Jahr verdreifacht. Bezahlt wird der Bedarf auch mit Geldern, die eigentlich für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt gedacht waren.« Nicht immer ist ganz schnell berichtet auch gut berichtet. Denn der eilige Leser muss bei so einer Formulierung den Eindruck bekommen, dass der Anteil der Verwaltungskosten gleichsam explodiert ist, hat sich doch ihr Anteil „verdreifacht“. Diese Wahrnehmung wird auch durch das „dramatisch“ in der Überschrift verstärkt. Wenn man allerdings weiter liest, dann stellt sich das „etwas“ anders dar:

»Stolze 11,4 Prozent der für Fördermaßnahmen vorgesehenen Summe wurden 2013 also genutzt, um die laufenden Kosten für Personal und Verwaltung zu decken. Zwar werden Gelder zwischen den beiden Haushaltspositionen seit Jahren umgeschichtet – aber im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Verwaltungsanteil mehr als verdreifacht: 2010 wurden erst 0,2 Prozent umgewidmet, 2012 waren es 3,6 Prozent und 2013 eben 11,4 Prozent.« Also muss man genauer hinschauen – und gleichzeitig liegt das eigentliche Problem auf einer ganz anderen Ebene.

Die Mittel für die Jobcenter – jenseits der eigentlichen Grundsicherungsleistungen – werden auf zwei große Töpfe aufgeteilt: Zum einen Gelder, mit denen die Jobcenter Eingliederungsmaßnahmen für Menschen im Grundsicherungsbezug (SGB II) finanzieren können, also beispielsweise Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Jobs“) oder Qualifizierungsmaßnahmen oder Bewerbungstrainings. Zum anderen gibt es ein Budget für Verwaltungskosten.

Die Abbildung verdeutlicht sowohl das Volumen und die Entwicklung der Ausgaben für Eingliederungsleistungen in den Jahren 2006 bis 2013 wie auch Umfang und Dynamik der Verwaltungskosten. Wichtig ist der Unterschied zwischen Soll und Ist. So wurden den Jobcenter im vergangenen Jahr 3,9 Mrd. Euro für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit zur Verfügung gestellt, von denen aber nur 3,5 Mrd. Euro dafür auch ausgegeben worden sind. Man erkennt an der Entwicklung über die Jahre hinweg auch, dass es ab 2010 massive Kürzungen im „Eingliederungstitel“ gegeben hat: Im Jahr 2011 brachen die Ausgaben für Eingliederungsleistungen um mehr als 26% ein, im Folgejahr 2012 waren es weitere 15,6% Rückgang. Das waren die größten Kürzungen, die man in der bisherigen Arbeitsmarktpolitik gesehen hat.

Die Ist-Ausgaben für die Verwaltung haben sich in den Jahren 2006 bis 2013 im Prinzip kontinuierlich erhöht von 3,6 Mrd. auf nunmehr 4,5 Mrd. Euro im vergangenen Jahr – nur in den Jahren 2011 und 2012 gab es kleinere Rückgänge.

Was in der aktuellen Berichterstattung vor allem moniert wird, ist die Tatsache, dass die dem Eingliederungstitel und den Verwaltungshaushalt zur Verfügung gestellten Mittel gegenseitig deckungsfähig sind, also umgeschichtet werden können – was bislang vor allem bzw. ausschließlich in eine Richtung passiert ist: von den Eingliederungsmitteln hin zu den Verwaltungskosten. Die Größenordnung der Umschichtigen hin zu den Verwaltungskosten kann man der Abbildung entnehmen. Im vergangenen Jahr wurden immerhin 445 Mio. Euro aus dem Topf für Eingliederungsleistungen genommen – das sind 11,4% der Fördermittel insgesamt – und für Personal- und sonstige Verwaltungsausgaben verwendet.

Die zweite Abbildung veranschaulicht die Veränderung der Ist-Ausgaben für Eingliederung und Verwaltung gegenüber dem jeweiligen Vorjahr in Prozent. Diese Darstellung unterstreicht bei aller kritischen Wahrnehmung aber auch, dass von einer „Explosion“ der Verwaltungsausgaben nicht die Rede sein kann. Die Daten entstammen übrigens der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage, die von der Bundestagsabgeordneten Brigitte Pothmer von den Grünen gestellt worden ist. In dem Artikel von Nicolai Kwasniewski findet man zu ihrer Bewertung den folgenden Passus: »An vielen Arbeitslosen gehe der Job-Boom vorbei, kritisiert die Arbeitsmarktexpertin, das bekämen vor allem Hartz-IV-Empfänger zu spüren. Die Mittel für Qualifizierung und Förderung von Arbeitsuchenden wurden Pothmer zufolge in den vergangenen drei Jahren um 40 Prozent gekürzt, das Verwaltungskostenbudget dagegen nur um acht Prozent.« Auf ihrer Website findet man eine Stellungnahme zu den Ergebnissen ihrer Anfrage: „Jeder 9. Euro für Arbeitsförderung ist in Verwaltung der Jobcenter gegangen – Aktive Arbeitsmarktpolitik wird immer weiter ausgehöhlt„. Darin enthalten ist die folgende differenzierte Erläuterung:

»An vielen Arbeitslosen geht der Beschäftigungsaufbau bisher vorbei, das bekommen vor allem arbeitslose Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu spüren. Damit sie neue Chancen am Arbeitsmarkt bekommen, muss in ihre Fähigkeiten investiert werden. Angesichts der immer komplexeren Problemlagen bei den Arbeitslosen sind dafür oft aufwändige und kostenintensive Maßnahmen wie Qualifizierungen nötig. Gleichzeitig ist häufig  auch eine intensivere Betreuung und Begleitung dieser Arbeitslosen durch die Jobcenter erforderlich. Das geht nur mit einem besseren Personalschlüssel, wie alle einschlägigen Studien zeigen.«

Folgt man dieser richtigen Einordnung von Pothmer, dann geht es bei der Frage, wie man Arbeitslose Hartz IV-Empfänger wieder in Arbeit bringt, eben nicht nur um die Frage, wie viele Mittel für Eingliederungsleistungen zur Verfügung stehen, sondern selbstverständlich geht es auch um die Frage, welche Betreuung bzw. Betreuungsintensität seitens des Personals in den Jobcentern zur Verfügung steht. Anders ausgedrückt: es könnte durchaus der Fall auftreten, dass sowohl Personalausgaben durchaus im Interesse der Wiedereingliederung von Arbeitslosen sein können, wenn es sich um Ausgaben für qualifiziertes Fachpersonal handelt, das den Arbeitslosen hilft, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Dazu müsste man allerdings genau wissen, wofür die Verwaltungsaufgaben verwendet worden sind.

Denn zu den Aufgaben der Jobcenter gehört eben nicht nur die Unterstützung der Arbeitslosen bei der Arbeitssuche, sondern auch die Abwicklung sämtlicher Leistungen, die mit dem SGB II verbunden sind, also beispielsweise die Berechnung und Auszahlung der Regelleistungen usw. Insofern könnte es sein, dass steigende Personalausgaben dadurch verursacht worden sind, dass diese Teile des Grundsicherungssystems einen immer größeren Aufwand verursachen und man dafür schlichtweg mehr Personal benötigt. Dafür gibt es durchaus zahlreiche Hinweise, man denke an dieser Stelle nur an die zahlreichen sozialgerichtlichen Verfahren, bei denen es zumeist um Streitfälle aus dem Leistungsrecht geht und weniger oder gar nicht um Fragen der Eingliederungsleistungen. Schaut man sich die Entwicklung des 2005 per Knopfdruck in Kraft gesetzten SGB II an, dann kann man relativ schnell zwei zentrale Schwachstellen des Grundsicherungssystems mit Blick auf die Folgen für den administrativen Apparat identifizieren: Zum einen ist das Gesetz an sich gespickt mit zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen, die dann wiederum das Einfallstor für zahlreiche Widersprüche und sozialgerichtliche Verfahren darstellen, zum anderen müssen aufwändige Einzelfallberechnungen durchgeführt werden – und das bei einer Fluktuation im Personalkörper vieler Jobcenter von 20-30 % pro Jahr in der Vergangenheit, was jedes andere Unternehmen ebenfalls an den Rand der operativen Handlungsfähigkeit gebracht hätte oder darüber hinaus. Gleichzeitig hatten wir in den zurückliegenden Jahren eine ganz erhebliche der Dequalifizierung des Personals dergestalt, dass zahlreiche un- und angelernte Arbeitskräfte in diesem hochkomplexen Feld eingesetzt worden sind bzw. werden.

Fazit: Wir müssen einerseits genauer hinschauen, was und wofür und für wen die 4,5 Mrd. Euro Verwaltungsausgaben verwendet worden sind.  Darüber hinaus ist es ein systematisches Problem, dass wir seit 2010 einerseits konfrontiert sind mit der größten Kürzung in der Geschichte der deutschen Arbeitsmarktpolitik, was die zur Verfügung stehenden Mittel für arbeitsmarktpolitische Leistung im SGB II-Bereich angeht, während gleichzeitig mittlerweile durch zahlreiche empirische Studien gut belegt der Problemdruck innerhalb des Systems mit Blick auf eine (mögliche) Eingliederung in den Arbeitsmarkt massiv angestiegen ist aufgrund der beobachteten Verhärtung der Langzeitarbeitslosigkeit, so dass wir davon ausgehen müssen, dass mehrere hunderttausend Menschen seit Jahren und absehbar auf Dauer von einer Integration auf den ersten Arbeitsmarkt abgeschnitten sind bzw. bleiben werden, wenn man nicht endlich mehr für sie tut – und das „mehr“ meint an dieser Stelle eben nicht nur mehr Geld, sondern vor allem andere Maßnahmen, die man aber zugleich durch förderrechtliche Verengungen im SGB II verunmöglicht (hat).

Insofern kann man nur hoffen, dass die Berichterstattung sich endlich dem eigentlichen Problemkern zuwendet und das sind eben die Fragen, wie es uns gelingen könnte, die Menschen im Grundsicherungssystem, die wollen, durch eine auf sie und auf die Realität in der Arbeitswelt zugeschnittene individuelle Betreuung wieder oder zuweilen erstmals in Erwerbsarbeit zu bringen. Dafür braucht man mit Sicherheit ausreichend Finanzmittel – vor allem aber braucht man dafür in vielen Jobcentern eine andere Haltung und beim Gesetzgeber endlich den Mut, den Akteuren vor Ort die Freiheitsgrade zu ermöglichen, die sie für diese immer anspruchsvoller werdende Arbeit benötigen. Leider muss man zur Kenntnis nehmen, dass ein Großteil der derzeitigen Diskussion über die nächsten geplanten gesetzlichen Änderungen des SGB II – u.a. vorangetrieben durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe – eher dem Lager einer Verschärfung der Bestimmungen zuungunsten der Hartz IV-Empfänger zuzuordnen ist, worüber auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ in einem Beitrag am 22.02.2014 berichtet worden ist. So gut wie keine Bewegung gibt es beispielsweise bei der Frage, wie man endlich Beschäftigungsmöglichkeiten für diejenigen schaffen kann, die teilweise jahrelang schon exkludiert waren und sind aus dem Erwerbsleben. Teilweise haben diese Menschen aufgrund der Kürzungen noch nicht einmal mehr die „Chance“ auf eine von vielen immer wieder und gerne kritisierte Arbeitsgelegenheit, weil es schlichtweg keine Mittel dafür gibt.

Wer sich intensiver und sehr fundiert mit den Fragen der Finanzierung und damit auch der Verteilung der Ausgaben innerhalb des SGB II beschäftigen möchte, dem sei an dieser Stelle die Website des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) empfohlen. Dort liefert Paul M. Schröder regelmäßig bis in die Verästelungen des Systems eindringende Analysen, aktuell zum Thema beispielsweise „SGB II-Eingliederungstitel: Ausgaben 2013 (Bund, Länder; ohne zkT)“ oder „Jobcenter zkT: Verteilung der Mittel für „Eingliederungsleistungen“ und „Verwaltungskosten“ 2014„, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Nachtrag am 04.03.2014 (19:30 Uhr):

Hier noch eine interessante Ergänzung zum Themenkreis „Verwaltungskosten“ der Jobcenter. Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe hat am Beispiel der 12 Berliner Jobcenter die „Gesamtverwaltungskosten“ berechnet, zu denen auch die kommunalen Anteile gehören. Ein Ergebnis sind die Gesamtverwaltungskosten je erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in den Berliner Jobcentern. Ich habe sein Ergebnis einmal grafisch umgesetzt (siehe Abbildung): Die „Gesamtverwaltungskosten“ pro erwerbsfähigem Leistungsberechtigten (Alg II) und Jahr betrugen 2013 in Berlin durchschnittlich 1.091 Euro, 58 % mehr als 2008.

Hartz IV: Von „einladungsresistenten Leistungsberechtigten“ über die Konstruktion von „guten“ und „schlechten“ Alleinerziehenden bis hin zum Sterben ordentlicher Träger von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die nicht mehr können und nicht mehr wollen

Anscheinend sind manche Strategen zu der Überzeugung gekommen, dass es jetzt an der Zeit ist, bei den Hartz IV-Empfängern die Daumenschrauben anzuziehen bzw. die Möglichkeit, das noch mehr zu machen als bislang schon, noch rechtzeitig in den Strom der Koalitionsverhandlungen einzuspeisen: „Arbeitsagentur fordert schärfere Hartz-IV-Regeln„, so ist ein Beitrag dazu überschrieben. Und wirft man einen Blick in die dort erwähnten Vorschläge, dann muss man schon feststellen, dass sich hier ganz offensichtlich wieder einmal die hartnäckig verankerte deutsche Bestrafungs- und Verfolgungsmentalität Bahn zu brechen versucht, gepaart mit der Kombination des Auslebens von Vor-Urteilen beispielsweise gegen Alleinerziehende, die trotz vieler gegenläufiger Forschungsbefunde in den Köpfen gewisser männlicher Führungskräfte implementiert sind. Aber schauen wir uns die Vorschläge genauer an.

Hintergrund der Berichterstattung ist ein Forderungskatalog der BA für eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die derzeit über Reformen beim Arbeitslosengeld II berät. Darin plädiert die Behörde für schärfere Sanktionen und Kontrollen sowie Leistungskürzungen. Und hier ein Auszug aus den Vorschlägen der „Sozialbehörde“ BA:

»Wer dreimal einen Termin im Jobcenter versäumt, „dessen Leistungen werden vorläufig eingestellt“, lautet ein Vorschlag. „Einladungsresistente Leistungsberechtigte“ könnten so zur „Vorsprache im Jobcenter“ bewegt werden, argumentiert die Bundesagentur. Derzeit wird die Unterstützung lediglich um zehn Prozent gekürzt, wenn ein Arbeitsloser ohne Grund nicht zum Termin erscheint.«

Und zum Thema Alleinerziehende im Hartz IV-Bezug erfahren wir:
Die BA schlägt vor, »die Zuschläge für Alleinerziehende in Hartz IV abzuschaffen. „Der Mehrbedarf wird nur noch gewährt, wenn der Leistungsbezieher eine Erwerbstätigkeit ausübt oder an einer Maßnahme zur beruflichen Qualifizierung bzw. Eingliederung in Beschäftigung teilnimmt“, heißt es in dem Forderungskatalog.«

Das folgende Zitat belegt eine perfide Strategie des Herrn Alt die Alleinerziehenden betreffend, in dem er ganz offen versucht, „gute“ und „schlechte“ Alleinerziehende zu konstruieren:
Bei der Zulage für Alleinerziehende stelle sich zum Beispiel die Frage, so wird Heinrich Alt zitiert, „ob man diese nicht lieber Müttern gibt, die sich aktiv um Arbeit kümmern, sich ausbilden lassen, etwas für ihre Integration in die Gesellschaft tun, und nicht pauschal denjenigen, die passiv staatliche Leistungen beziehen“.«

Der für das SGB II zuständige BA-Vorstand Heinrich Alt verteidigte die Vorschläge. „Wir sollten das Leistungsrecht einfacher machen, um mehr Zeit dafür zu haben, die Menschen in Ausbildung und Beschäftigung zu bringen“, so wird er in dem Artikel zitiert. Darauf zielten die Rechtsvereinfachungsvorschläge von Bund, Ländern und Bundesagentur. Es gehe aber auch darum, „kritisch die Anreizsysteme zu überdenken, die manchmal in die falsche Richtung weisen“. Wohlfeil daherkommende Formulierung, hinter denen sich gerade bei Herrn Alt eine wohlgekannte Vorstellungswelt verbirgt, die er auch hin und wieder rauslässt: Beispielsweise hinsichtlich der Alleinerziehenden hat er schon öfter darauf hingewiesen, dass der Bezug von Hartz IV-Leistungen ein „Anreiz“ darstelle, der letztendlich dazu führt, dass Alleinerziehende „produziert“ werden, weil das ja auch nun eine wirklich tolle Sache ist mit dem Grundsicherungsbezug
Wenn man so eine Vorstellungswelt hat, dann ist die Forderung, den Bezug von Leistungen noch schwieriger auszugestalten, natürlich durchaus „konsequent“ und mit einer inneren Logik versehen.

Dass es aber bei den BA-Vorschlägen in Wirklichkeit darum geht, nach außen den „Rächer der Steuerzahlergemeinschaft“ zu spielen, auch wenn das am Ende mehr Geld kosten wird als vorher, erkennen auch Stefan von Borstel und Miriam Holstein, die den Artikel verfasst haben:
»Teilweise dürfte das komplexe System durch die Vorschläge der Bundesagentur aber noch komplexer gemacht werden« und sie führen dazu aus:
So könnten nicht angegebene Lebensversicherungen und Immobilien mit einem automatischen Datenabgleich bei Versicherungsunternehmen und Grundbuchämtern aufgespürt und so Leistungsmissbrauch aufgedeckt werden. Bislang werden Daten nur vierteljährlich abgeglichen, nach den Vorstellungen der Bundesagentur soll dies künftig monatlich geschehen. Oder noch so eine Idee:
»Im Visier hat die Behörde auch Hartz-IV-Empfänger, die im Internet Geschäfte machen. Die Behörde geht davon aus, dass auch Hartz-IV-Empfänger „Einkünfte im Internet durch Handel und Dienstleistungen erzielen, ohne dies dem Jobcenter mitzuteilen“. Eine stärkere Überprüfung könne hier Missbrauch bekämpfen, argumentiert die BA.«

Ja habt ihr sonst nichts zu tun? Diese Frage drängt sich einem doch nun wirklich auf, wenn man einen Moment nachdenkt, wie viele Ressourcen notwendig sind, um das umzusetzen.

Aber wir sind noch nicht am Ende der Kürzungsphantasien angelangt. Da gibt es doch noch diese aufstockenden Selbständigen, die von ihren Einkünften nicht leben können? Auch für die hat man was in der Tasche:
»Bei „unrentabler Selbstständigkeit“ sollte ihr Leistungsanspruch auf 24 Monate begrenzt werden, lautet ein weiterer Vorschlag auf der Liste. BA-Chef Frank-Jürgen Weise hatte zeitliche Begrenzungen für Selbstständige, die Hartz IV beziehen, bereits vor einem Jahr ins Gespräch gebracht.«
Während man über diesen Vorschlag durchaus vor dem Hintergrund der Frage, ob man unrentable Geschäftsmodelle auf Dauer subventionieren soll, diskutieren kann und muss, geht es bei einer anderen Personengruppe ans Eingemachte: die Kinder mal wieder:
»Wenn es nach dem Landkreistag geht, wird auch die Nachhilfe für Hartz-IV-Kinder im Bildungspaket gestrichen. Die Kreise sehen hier die Schulen in der Pflicht: „Auswirkungen eines unzureichenden Lernniveaus bleibt in der Verantwortung der Schule.“« Ja, grundsätzlich schön und gut – aber wenn die das nicht leisten können oder wollen? Pech gehabt, Pechmarie. In einer richtigen Familie wäre dir das nicht passiert.

Aber nicht nur die BA oder der Landkreistag mischen mit, auch die Bundesländer steuern ordentlich was bei – und zuweilen wird das dann sogar von den anderen Beteiligten abgelehnt, so ein besonders „sozialer“ Vorschlag aus dem rot-grünen Rheinland-Pfalz:
»So wollte Rheinland-Pfalz eine Gebühr von 20 Euro für jede Hartz-IV-Klage einführen. Außerdem schlug das Land ein Schiedsverfahren mit Anwesenheitspflicht der Kläger vor. Bund, Länder und Bundesagentur lehnten diesen Vorschlag jedoch ab.«

Über diese Vorschläge wird in den kommenden Tagen und Wochen mit Sicherheit heftig diskutiert und gestritten werden (müssen). Aber ist es nicht auffällig, dass wir nicht annähernd eine vergleichbare Diskussion über die doch angeblich gleichwertige Seite des Förderns in der Arbeitsmarktpolitik haben? Wo sind denn die innovativen Vorschläge, wie man mit dem immer länger im Leistungsbezug eingemauertem Teil der Langzeitarbeitslosen umgehen kann? Hierzu liegen zahlreiche und innovative Vorschläge aus der Fachdebatte vor, aber nirgendwo ist erkennbar, dass die hohe Politik bereit ist, sich diesem Thema anzunehmen. Und natürlich darf und muss man schon aus einer rein ökonomischen Sicht die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller wäre, die gewaltigen personellen Ressourcen, die bei Umsetzung der hier skizzierten Vorschläge notwendig wären, in eine vernünftige, d.h. den Menschen zugewandte Hilfe und Unterstützung zu investieren.

Und seien wir nicht blauäugig: Die Perfidie (lat. perfidus = treulos, unredlich) der Argumentation eines Herrn Alt hinsichtlich der Unterscheidung in „gute“ und „schlechte“ Alleinerziehende, wobei nach außen sein Unterscheidungskriterium beispielsweise darin begründet ist, ob die betroffene Person an einer Qualifizierungsmaßnahmen teilnimmt oder einfach nur „passiv“ Leistungen bezieht, würde doch (wenn man sich einmal darauf einlässt) nur dann Sinn machen, wenn es gleichzeitig ausreichend und dann auch noch geeignete Maßnahmen für diesen Personenkreis überhaupt gibt.
Aber was erleben wir den in den letzten drei Jahren? Die Mittel im so genannten Eingliederungstitel, also die Gelder, die für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Verfügung stehen im SGB II-Bereich, wurden um 50 % eingedampft, wir waren und sind mit dem größten Kürzungsprogramm in der Geschichte der bundesdeutschen Arbeitsmarktpolitik konfrontiert.
Weitgehend im Stillen und Verborgenen beobachten wir derzeit landauf und landab ein Sterben vieler Träger von Arbeitsförderungsaktivitäten, die vor dem Hintergrund dieser massiven Mittelkürzung und gleichzeitig der völlig verfehlter förderrechtlichen Einschränkungen schlichtweg das Handtuch schmeißen müssen. Und seien wir uns dessen bewusst: Hierbei handelt es sich gerade nicht um die schlechten Träger, die dann versuchen, beispielsweise mit Preis- und Lohndumping-Strategien die eigene Existenz zu sichern auf Kosten der ihnen anvertrauten Menschen wie auch der eigenen Mitarbeiter, sondern es sind leider oftmals die „guten“ Träger, die es einfach nicht mehr schaffen, unter diesen immer schlechter werdenden Rahmenbedingungen arbeiten zu können.

Hierzu leider ein aktuelles Beispiel, das aus Bremen berichtet wird: „Quirl ist insolvent„. Es geht um den Beschäftigungsträger „Frauenbetriebe Quirl„, der Insolvenz angemeldet hat und damit auch gegen Verfehlungen in der Arbeitsmarktpolitik protestieren will.

»Mit seinen Frauenbetrieben bietet der Verein 125 langzeit-erwerbslosen Frauen eine Perspektive, die auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance hätten. In sechs Küchenbetrieben und Gasträumen, einem Waschsalon und einem Kolleg werden sie unterstützt und qualifiziert. Quirl existiert seit 27 Jahren und hat mittlerweile 85 MitarbeiterInnen, die meisten in Teilzeit. Etwa die Hälfte arbeite in den drei Kinderhäusern des Vereins, deren Betrieb laut Geschäftsführerin Katja Barloschky nicht gefährdet ist. Die Insolvenz ist dabei eine politische Ansage: Man ziehe damit „Konsequenzen aus den systemischen Verwerfungen arbeitsmarktpolitischer Förderinstrumente“, heißt es in einer Erklärung des Vereins.«

Die Frauen, die zu Quirl kommen, haben oft keinen Schulabschluss, sind alleinerziehend, können nicht so gut deutsch oder sind traumatisiert. Bei Quirl finden sie zusätzlich zu einem Ein-Euro-Job individuelle Unterstützung. Aber die Kombination aus Arbeit und Lernen in den Arbeitsgelegenheiten ist förderrechtlich massiv erschwert worden.

» Zudem darf Quirl Einnahmen, wie etwa durch den Cateringbetrieb, nicht behalten: Etwa 460.000 Euro Umsatz machte der Verein damit 2012. Die 95.000 Euro Verlust des gleichen Jahres wären damit leicht ausgeglichen – doch laut Zuwendungsrecht müssen Gewinne abgeführt werden.«

Und dann kommt ein Absatz, der es in sich hat und deshalb hier auch zitiert werden soll:

»Nun könnte Quirl darauf so kreativ reagieren, wie andere Weiterbildungsträger im Jobcenter-Maßnahmen-Dschungel: Hochbezahltes Abstellgleis für Hartz-IV-Empfänger sein, sie in Massen vor einen Computer mit Stellenanzeigen absetzen. Damit können Weiterbildungsträger Geld verdienen und die Jobcenter sind ihre „Kunden“ los.

Doch Quirl will das: Eckpfeiler wie die „hohe fachliche Qualität in der Betreuung der Teilnehmerinnen“, die „strikte Beachtung der gesetzlichen Vorgaben“, sowie „Tariflöhne für die MitarbeiterInnen“ will der Verein „nicht verleugnen“. Katja Barloschky wird noch grundsätzlicher: „Der repressive Charakter der Arbeitsmarkt-Politik, der sich mit der Instrumentenreform noch verschärft hat, hilft niemandem und entmündigt und entwürdigt die Menschen“, sagte sie zur taz.«
Dem ist leider nichts hinzuzufügen, außer der frustrierte Hinweis, dass so ein Träger verschwindet, während die „Schwarze-Schafe-Dichte“ weiter ansteigen wird durch den hier ablaufenden negativen Selektionsprozess.

Wer lieber kalte Zahlen mag, der sei an dieser Stelle auch bedient:
»Für Peer Rosenthal von der Arbeitnehmerkammer müsse man die Instrumentenreform gemeinsam mit den Kürzungs-Beschlüssen der Bundesregierung von 2010 betrachten: In der Folge seien Fördermittel für das Jobcenter Bremen von 70 Millionen Euro in 2010 auf 45,7 Millionen in 2012 gesunken. „Die Kürzung war völlig kontraproduktiv, insbesondere, wenn man arbeitsmarktfernen Gruppen eine Perspektive auf Teilhabe durch Arbeit ermöglichen will“, so Rosenthal.«

Perspektiven auf Teilhabe durch Arbeit? Ja, das wäre doch ein Thema für eine grundlegende Reform des SGB II. Wäre. Müsste. Hätte.

Aus den Untiefen einer kleingeschredderten Sozialpolitik: Das „Bildungs- und Teilhabepaket“ und ein einsames Cello

Insgesamt ist für die zurückliegenden Jahre in vielen Bereichen der Sozialpolitik die fortschreitende Tendenz hin zu einer „Playmobil“-Sozialpolitik zu diagnostizieren – ob wir hierfür den putzigen „Pflege-Bahr“ anführen, also die sensationellen 5 Euro Steuergeld, die man monatlich bekommen kann, um sich zusätzlich privat für den Pflegefall abzusichern, das „Betreuungsgeld“ in Höhe von 100 bzw. demnächst 150 Euro zur Herstellung von „Wahlfreiheit“ für junge Eltern als neueste Kreation dieses Ansatzes einer „modernen“ Sozialpolitik oder auch das hier besonders interessierende „Bildungs- und Teilhabepaket“ im Gefolge der – an sich – wegweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 zur Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen im Grundsicherungssystem (vgl. hierzu „Regelleistungen nach SGB II (‚Hartz IV- Gesetz‘) nicht verfassungsgemäß“ sowie die Entscheidung im Original: BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010). Man darf an dieser Stelle daran erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung festgestellt hat, dass insbesondere Ausgaben für Bildung und Teilhabe als Bestandteile des soziokulturellen Existenzminimums im Regelsatz von Kindern und Jugendlichen nicht adäquat berücksichtigt werden. Der eigentlich konsequente Schritt wäre gewesen, auf der Basis dieser Feststellung die Regelleistungen für die Kinder und Jugendlichen zu erhöhen – bekanntlich aber entwickelte sich mit dem Ziel der Abwehr einer solchen Maßnahme eine skurrile Debatte über den Grad der Alkohol-, Tabak- und Flachbildfernseh-Nutzung der Eltern der betroffenen Kinder und der Kollektivhaftung aller „Hartz IV“-Eltern für eine angebliche missbräuchliche Inanspruchnahme der ihren Kindern zustehenden Gelder. Im Ergebnis der erfolgreichen Abwehr der Erhöhung der Regelleistungen für alle Betroffenen wurde dann das „Bildungs- und Teilhabepaket“ ins Leben gerufen, sicher wohlwissend, dass die Ausgaben bei einer antragsabhängigen, bedürfigkeitsgeprüften Sonderleistung schon mal per se niedriger ausfallen, als wenn man den betroffenen Haushalten die Regelleistungen angehoben hätte.

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