Eine Finanzspritze für die Krankenkassen aus der gut gefüllten Schatulle des Gesundheitsfonds (im Wahljahr 2017), die Frage nach dem Geschmäckle und die wirklichen Systemprobleme

Die Finanzierung der Krankenkassen aus der Welt der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist ein immerwährendes Thema der Gesundheitspolitik. In der früheren Welt galt die Regel der paritätischen, also hälftigen Finanzierung durch Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber – wobei darauf hinzuweisen wäre, dass letztendlich die Arbeitnehmer die Sozialversicherungsbeiträge ökonomisch gesehen immer alleine zu stemmen haben, denn für die Arbeitgeber relevant sind immer die Gesamtpersonalkosten, zu denen eben auch die „Arbeitgeber“-Beiträge zählen. Nun hat es gerade hinsichtlich der Aufteilung der Finanzierungslasten eine ganz erhebliche Veränderung dergestalt gegeben, als dass der Arbeitgeberanteil eingefroren wurde und die zukünftigen Kosten- und daraus resultierend Beitragsanstiege allein von den Versicherten über die „Zusatzbeiträge“ aufzubringen sind, die zudem noch zwischen den Krankenkassen der GKV-Welt unterschiedlich sind je nach finanzieller Verfasstheit der einzelnen Kassen (vgl. dazu den Blog-Beitrag Die Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen es alleine stemmen. Die Lastenverschiebung in der Sozialversicherung hin zu den Arbeitnehmern bekommt ein Update vom 16. Oktober 2015).
Diese Verschiebung und die damit verbundene Unwucht zuungunsten der Versicherten in der GKV wurde bereits in der Vergangenheit ausführlich kritisiert (vgl. dazu bereits am 14. Juni 2014 den Beitrag Und durch ist sie … Zum Umbau der Krankenkassenfinanzierung und den damit verbundenen Weichenstellungen). Nun aber erleben wir – möglicherweise – eine Flucht vor der Konsequenz dieses Umbaus des Finanzierungssystems angesichts der im kommenden Jahr anstehenden Bundestagswahlen.

Da gibt es den allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent, den sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch teilen, zumindest formal. Die eitragseinnahmen der Kassen sowie Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt fließen in den Gesundheitsfonds. Nach einem bestimmten Schlüssel erhält jede Krankenkasse daraus eine monatliche Zahlung. Wenn die sich daraus ergebenden Finanzmittel nicht ausreichen, dann muss die Kasse von ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag nunmehr im Sinne eines prozentualen Aufschlags auf den allgemeinen Beitragssatz erheben. Im Schnitt liegen diese in diesem Jahr bei 1,1 Prozent.

Allerdings wird ein Anstieg zum Jahreswechsel 2017 vorhergesagt und bis 2018 könnte der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz bei 1,8 Prozent liegen.

Nun haben wir im Herbst des kommenden Jahres Bundestagswahlen – und da würden Beitragserhöhungen in der GKV, die zudem über den Mechanismus des Zusatzbeitrags ausschließlich von den Mitgliedern der Krankenkassen zu tragen sind, nicht so gut passen. Wie also kann man diese Situation a) vermeiden und b) das dann auch noch mit dem Flüchtlingsthema verknüpfen?

Was aber hat die Frage einer Beitragsanhebung mit dem Flüchtlingsthema zu tun? Diese Verknüpfung muss im Zusammenhang gesehen werden mit der Art und Weise der Finanzierung der Ausgaben für die gesundheitliche Versorgung der Menschen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Das wurde bereits grundsätzlich behandelt  in dem Beitrag Teure Flüchtlinge und/oder nicht-kostendeckende Hartz IV-Empfänger? Untiefen der Krankenkassen-Finanzierung und die Frage nach der (Nicht-mehr-)Parität vom 21. Februar 2016.

Wir haben eine Zweiteilung im Sinne einer 15-Monats-Frist: Flüchtlinge werden in Bezug auf die Sozialsysteme nach einer Wartezeit von 15 Monaten normalen Arbeitnehmern gleich gestellt (zudem haben sie als Asylbewerber keinen Anspruch auf das volle Leistungsprogramm der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern nur auf eine abgespeckte Variante). Wenn sie keinen Job haben – was zunächst für die meisten Flüchtlinge gelten wird, haben sie Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz-IV). Sie erhalten zudem die vollen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die Beiträge an die jeweilige Kasse zahlt der Bund.

Bereits seit längerem geistern nun Vorhersagen durch den öffentlichen Raum, was das für die GKV bedeuten könnte: Krankenkassen droht Milliardendefizit, so beispielsweise die Überschrift eines Artikels von Timot Szent-Ivanyi. Hintergrund dieser Einschätzung: »Die Höhe der vom Bund übernommenen Beiträge ist aber nicht ansatzweise kostendeckend. Derzeit zahlt der Bund für jeden Hartz-IV-Empfänger rund 90 Euro im Monat. Zwar fehlen noch verlässliche Zahlen, wie hoch die von Flüchtlingen verursachten Gesundheitskosten tatsächlich sind. Es gibt allerdings erste Erfahrungswerte aus Hamburg, die von Kosten in Höhe von 180 bis 200 Euro im Monat ausgehen. Auch in Nordrhein-Westfalen wird dieser Wert für realistisch gehalten. Dabei wird davon ausgegangen, dass viele Flüchtlinge traumatisiert sind und eine umfangreiche medizinische Behandlung benötigen.«

Nun wachsen immer mehr Flüchtlinge in den normalen Schutzumfang durch die GKV hinein und man erwartet ab dem Spätsommer dieses Jahres eine deutliche Zunahme der Hartz IV-Empfänger, wenn das SGB II für die ehemaligen Flüchtlinge zuständig wird – und damit auch die Pauschale greift. Die Bundesregierung steht nun vor dem Szenario, dass sie im Wahljahr 2017 mit der Botschaft konfrontiert wird, dass die Krankenkassen die Zusatzbeiträge anheben müssen, um die nicht-gedeckten Kosten zu finanzieren (die, so der Vorwurf, durch eine zu gering dimensionierte Pauschale für Hartz IV-Empfänger verursacht werden, was allerdings nicht eindeutig belegt ist). Man kann sich in diesem Szenario vorstellen, wie das – ob zutreffend oder nicht – ausgeschlachtet werden kann von den politischen Kräften, die Stimmung machen gegen die Zuwanderung.

Vor diesem Hintergrund ist dann die „Lösung“ verständlich, die solche Überschriften signalisieren: Hermann Gröhe will für Flüchtlinge auf Gesundheitsfonds zugreifen oder auch Milliarden-Finanzspritze für die Krankenkassen: »Fachleute sagen den Krankenkassen für das kommende Jahr steigende Zusatzbeiträge voraus, unter anderem wegen der Flüchtlinge. Im Wahljahr wäre das heikel. Doch jetzt winkt eine riesige Finanzspritze.«

Und woher soll die kommen? Aus Steuermittel? Nein, aus dem Gesundheitsfonds, denn der ist gut gefüllt auch aufgrund der steigenden Beschäftigung und der Lohnerhöhungen in vielen Branchen.

»Die Reserven des Fonds sollten durch eine gesetzliche Regelung um 1,5 Milliarden Euro abgesenkt und das Geld den Kassen zur Verfügung gestellt werden, sagte ein Ministeriums-Sprecher … Der Gesundheitsfonds verfügt derzeit über Reserven von rund zehn Milliarden Euro. Um den Kassen mehr Geld aus der Rücklage zukommen zu lassen, muss die Regierung das Gesetz ändern. Mit der jetzt geplanten Summe von 1,5 Milliarden Euro sollen die Kassen dem Ministerium zufolge konkret bei den Kosten für Flüchtlinge sowie die Aufwendungen zum Aufbau einer Telematik-Infrastruktur unterstützt werden, wozu die Anwendungen rund um die elektronische Gesundheitskarte gehören.«

Und was sagen die Krankenkassen? Zum einen wollen sie mehr: So fordern Vertreter der GKV, die Reserven des Fonds über die vorgesehenen 1,5 Milliarden Euro hinaus abzusenken. 6,5 Mrd. Euro und damit 35 Prozent einer Monatsausgabe seien als Rücklagen ausreichend, so dass man ausgehend von den 10 Mrd. Euro Reserven 3,5 Mrd. Euro ausschütten könnte.
Auf der anderen Seite gibt es dort offensichtlich ein mulmiges Gefühl, was die Verknüpfung mit den (angeblich) „steigenden Kosten durch die Flüchtlinge“ angeht, man ahnt wohl, um was für ein Reizthema es sich hier handelt. So muss man den Einwurf seitens des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung verstehen, über den da unter solchen Überschriften berichtet wurde:

»Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sieht vorerst keine Notwendigkeit, zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen zusätzliche Milliarden aus dem Gesundheitsfonds zu nehmen … Pfeiffer sagte weiter, im Moment könne noch nicht seriös abgeschätzt werden, wie viele Asylsuchende über den Bezug von Arbeitslosengeld II (ALG II) tatsächlich in die gesetzliche Krankenversicherung kommen. „Davon losgelöst kritisieren wir seit geraumer Zeit, dass die Beiträge für ALG-II-Empfänger generell nicht kostendeckend sind. Wenn es für Krankenkassen derzeit eine echte finanzielle Herausforderung gibt, sind es sicherlich in erster Linie die teuren Reformen des Gesetzgebers und nicht die Asylsuchenden”, fügte Pfeiffer hinzu« , so der Artikel Krankenkassen wollen kein Geld für Flüchtlinge.

Ganz offensichtlich möchte man diesen (vergifteten) Teil des Milliardengeschenks wieder an die Politik zurückreichen.

Und Doris Pfeiffer hat das eigentliche Systemproblem offen benannt – es sind nicht „die“Flüchtlinge, sondern es ist der von mehreren Seiten schon seit längerem vorgetragene Kritikpunkt, dass die Pauschale für Empfänger von Arbeitslosengeld II zu niedrig angesetzt ist (zu den Hintergründen vgl. genauer den Beitrag Teure Flüchtlinge und/oder nicht-kostendeckende Hartz IV-Empfänger? Untiefen der Krankenkassen-Finanzierung und die Frage nach der (Nicht-mehr-)Parität vom 21. Februar 2016).

Und weitere relevante Systemprobleme der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen hier benannt werden, dann wird klar, dass die politisch motivierte, gefährliche Verengung des Problems auf „Flüchtlinge“ völlig unterkomplex ist und von den eigentlich zu diskutierenden Punkten ablenkt:

Neben der Unterfinanzierung der Kassenpauschale für die vielen Hartz IV-Empfänger sind die Zusatzbeiträge an sich aufgrund der mit ihnen einhergehenden einseitigen Verlagerung der Lasten zukünftiger Ausgabenanstiege auf die zahlenden Mitglieder zu nennen (bezeichnenderweise bekommt die Politik Muffensausen genau in dem Moment, wo dieser gewollte Mechanismus greifen würde und eine Bundestagswahl vor der Tür steht, was mehr als ein Geschmäckle hat). Hinzu kommt eine weitere einseitige Belastung, in diesem Fall der Patienten unter den Versicherten – die Zuzahlungen. Man muss sich an dieser Stelle klar machen, dass Zuzahlungen nichts anderes bedeuten als das (teilweise) Vorenthalten einer Kostenerstattung durch die Krankenkasse. Und hier geht es nicht um Peanuts: Zuzahlungen von 3,6 Milliarden Euro sind für die Krankenkassen eine gewichtige Entlastung. Und dann ist da noch der Bundeszuschuss aus Steuermitteln zur Abdeckung der „versicherungsfremden Leistungen“ in der GKV, denn zum einen ist die angesetzte Summe nach Ansicht vieler Kritiker viel zu niedrig und dann wurde die auch noch in den vergangenen Jahren als Steinbruch für Haushaltseinsparungen des Bundes zweckentfremdet. Hinzu kommt die nur noch historisch zu verstehende Verengung der Finanzierungsgrundlagezum einen auf sozialversicherungspflichtiges Erwerbsarbeitseinkommen und zum anderen das dann auch noch bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze, deren Überschreiten dazu führt, dass jeder Euro darüber nicht herangezogen wird zur Finanzierung.
Bei einer System-Betrachtung wäre auch die Dualität zwischen GKV und PKV zu nennen, die dazu führt, dass sich nicht selten „gute Risiken“ aus der Solidargemeinschaft der GKV verabschieden können.

Wenn man diese Stichworte betrachtet, dann wird klar, dass die eigentliche Finanzierungsdebatte in der Krankenversicherung ganz anders aufgehängt werden müsste. Und dabei wären „die Flüchtlinge“ nur ein sehr kleiner Teil der Packung.

Die Flüchtlinge und ihre gesundheitliche Versorgung zwischen Behandlungsschein und Karte

Die Diskussion über die Flüchtlinge hat sich merklich verschoben: In den letzten Monaten ist die Zahl der Neuankömmlinge in Deutschland deutlich zurückgegangen, die Schließung der Balkan-Route und das Aufstauen der Flüchtlinge in Griechenland werden auch bei uns sichtbar. Nur noch wenige schaffen es bis auf den deutschen Boden. Auch die Medienberichterstattung reagiert auf die veränderte Lage – einerseits. So muss man derzeit immer öfter solche Berichte zur Kenntnis nehmen: Diese Unterkunft hat alles – außer genug Flüchtlinge: »Auf dem alten Flughafen in Calden steht eine der modernsten Flüchtlingseinrichtungen Hessens. Das Problem mit dem Millionenprojekt: Es wäre Platz für 1500 Zuwanderer da – doch kaum jemand kommt.« Und immer öfter auch solche Recherchenergebnisse: Flüchtlinge als Geschäftsmodell: »Viele Heimbetreiber kassieren absurd hohe Preise für die Unterbringung von Geflüchteten. Ahnungslose Städte und Landkreise sind ideale Geschäftspartner für die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften. Manche Kommunen zahlen dreimal so viel für die Unterbringung wie andere – und viele Städte wissen gar nicht, wie hoch ihre Kosten sind. Was läuft falsch?« 

Es ist auf der einen Seite immer wichtig, (mögliche) Verfehlungen oder gar Bereicherungen anzuprangern, auf der anderen Seite sollte einem unbefangenen Beobachter beispielsweise beim Blick auf die Abbildung klar werden, dass eine Planung von Unterbringungskapazitäten angesichts der erkennbaren Entwicklung äußerst schwierig ist. Die Kommunen haben es gleichsam mit einem überaus beweglichen Ziel zu tun. Noch am Ende des vergangenen Jahres mussten die Kommunen von deutlich höheren Zuweisungszahlen ausgehen, für die man entsprechende Unterbringungen planen und organisieren musste – und nun oftmals für mehr Menschen, als dann tatsächlich in den Wochen seit dem Jahresbeginn gekommen sind. Aber kann man wirklich jetzt, im Mai 2016, annehmen, dass der Rückgang der Zahlen anhält? Oder könnt es auch wieder aufwärts gehen, wenn das Wetter besser wird und alternative Routen zur geschlossenen Balkan-Route gefunden und benutzt werden? Wer kann das heute wirklich abschätzen?

Auf der anderen Seite verschafft das eigentlich die dringend notwendige Luft, die Verhältnisse hier im Land zu ordnen und  in den Griff zu bekommen. Aber auch mit Blick auf die bereits vorhandenen Flüchtlinge stellt sich die aktuelle Lage mehr als unübersichtlich dar.

Das Bamf bleibt im Stress, berichtet Anna Reimann: »Deutlich weniger Flüchtlinge kommen nach Deutschland, aber die Schlüsselbehörde Bamf steht weiter unter Druck. Der Berg der Asylanträge wächst.«
Dazu passen dann leider solche Meldungen: Arbeitskreis Asyl kritisiert Bearbeitungsdauer. Gemeint ist das Beispiel Rheinland-Pfalz:

»Der Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz hält die Bearbeitungszeiten für Asylanträge weiterhin für unzumutbar. Die Fristen zwischen Antragstellung und Entscheid seien in den vergangenen Monaten in vielen rheinland-pfälzischen Regionen gestiegen. Der Arbeitskreis stützt seine Kritik nach eigenen Angaben auf Zahlen der Bundesregierung. Demnach vergingen zum Beispiel in der Trierer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aktuell im Schnitt zwei Jahre, bis somalische und pakistanische Flüchtlinge einen Bescheid bekämen, bei Iranern summiere sich die Wartezeit auf zweieinhalb Jahre.«

Und zu den großen Baustellen gehört natürlich auch die gesundheitliche Versorgung der Flüchtlinge. Das ist nicht nur mit Blick auf jeden einzelnen Betroffenen ein originär sozialpolitisches Thema, sondern auch angesichts des „Vergiftungspotenzials“ für die gesellschaftliche Debatte. Immer wieder wird man konfrontiert mit Aussagen, die in die Richtung gehen, dass die Flüchtlinge, kaum sind sie hier, sich ein Rundumversorgungspaket abholen können und medizinische und andere gesundheitsbezogene Leistungen bekommen, auf die auch der „Normalbürger“ einen Anspruch hat. Ebenfalls immer wieder kritisiert werden die Auswirkungen auf den Krankenkassenbeitrag, denn darüber müssen die Leistungen für die Flüchtlinge finanziert werden, so ein immer wieder kolportierter Vorwurf.
Nun könnte und muss man an dieser Stelle einwerfen, so einfach ist es dann doch nicht. In den ersten 15 Monaten stehen den Flüchtlingen/Asylbewerbern eben nicht die gleichen Leistungen des Gesundheitssystems wie den normal Versicherten zu.
Wie sieht es wirklich aus mit den Leistungen? Dazu die Hinweise auf der Website www.gesundheit-gefluechtete.info:

»Der Leistungsumfang der gesundheitlichen Versorgung Geflüchteter ist in den §§ 4, 6 AsylbLG geregelt. Eine medizinische Versorgung ist im Krankheitsfall (bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen) mit ärztlicher und zahnärztlicher Versorgung zu gewährleisten, einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln, sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen. Zudem sind die amtlich empfohlenen Schutzimpfungen inbegriffen, ebenso wie alle Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt (Vgl. § 4 AsylbLG). Darüber hinaus können laut der Öffnungsklausel § 6 AsylbLG „sonstige Leistungen […] insbesondere […] wenn sie im Einzelfall zur Sicherung […] der Gesundheit unerläßlich“ sind, abgerechnet werden.«

Mit Blick auf den letzten Passus in dem Zitat hat Irene Berres in ihrem Artikel So werden Flüchtlinge medizinisch versorgt ausgeführt: »Alles kann, kaum etwas muss.« Und wer entscheidet das? Die Kommunen finanzieren und organisieren die gesundheitliche Versorgung in den ersten Monaten des Aufenthalts. Wie diese geregelt ist, kann deshalb von Ort zu Ort unterschiedlich sein und ist es auch.
Daraus resultiert wieder einmal eine unübersichtliche Situation, die bereits in dem Beitrag Der föderale Flickenteppich und die Flüchtlinge: Die einen kriegen eine Chipkarte, die anderen müssen zum Amt. Am Gelde hängt’s vom 10. März 2016 angesprochen wurde. Der Normalfall sieht so aus, dass die Flüchtlinge in den Sozial- bzw. teilweise damit betrauten Gesundheitsämtern eine Behandlungsschein beantragen müssen. »In der Regel urteilen in den Ämtern keine Ärzte, sondern nicht fachkundige Sachbearbeiter darüber, wie sehr eine Behandlung drängt. „Die Gefahr, dass gesundheitliche Risiken falsch eingeschätzt werden, ist hoch, gerade auch bei kranken Kindern“, kritisierte die Ethikkommission der Bundesärztekammer bereits 2013. Fehlende notwendige Behandlungen könnten Krankheiten chronifizieren, zu Folgeschäden führen und teurere Therapien nach sich ziehen«, berichtet Irene Berres in ihrem Artikel
»Viele Flüchtlinge brauchen für einen Arztbesuch einen Behandlungsschein vom Amt. Die Gesundheitskarte sollte das Verfahren vereinfachen, doch viele Kommunen sind dagegen«, so der Artikel Warten auf die Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Die Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete kommt nur sehr schleppend voran.

»Zu uneinig sind sich die zuständigen Bundesländer und Kommunen. Flächendeckend eingeführt ist die Krankenversichertenkarte für Asylbewerber bisher nur in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin sowie in Schleswig-Holstein. Einige andere Länder haben zwar die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen, ihre Kommunen setzen sie aber nicht um … .«

Hauptgrund dafür bei vielen Kommunen ist die Befürchtung höherer Kosten. 


»Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen  …  haben mit den Krankenkassen zwar entsprechende Rahmenvereinbarungen geschlossen, umgesetzt werden müssen die aber von den Kommunen – und in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zieht bislang keine einzige Kommune mit. In Nordrhein-Westfalen sind es von 396 Kommunen bislang nur 20, die meisten davon größere Städte.«

Das hört sich nicht wirklich nach einem Erfolgsmodell an. Natürlich geht es vor allem ums Geld: »Die Kommunalverbände ärgern sich über hohe Zusatzkosten durch die Verwaltungspauschale von acht Prozent für die Krankenkassen.«
Das wird auch aus Rheinland-Pfalz vorgetragen, so Anfang Mai 2016 in diesem Artikel: Kommunen beklagen hohe Kosten:

»Am 2. Februar hatten das Sozial- und Gesundheitsministerium sowie zehn Krankenkassen eine Rahmenvereinbarung zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge unterzeichnet. Danach erstatten die Landkreise und Städte den Kassen die Leistungen für die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Für die entstehenden Verwaltungskosten zahlen die Kommunen zusätzlich einen Satz von acht Prozent der Kosten für die medizinische Leistung. „Das ist viel zu teuer“, kritisiert der Geschäftsführende Direktor des Landkreistags, Burkhard Müller. Zudem gebe es technische Probleme, um über die Karte sicherzustellen, dass Asylbewerber nur Anspruch haben, akute Erkrankungen und Schmerzen behandeln zu lassen – während die elektronische Gesundheitskarte der sonstigen Kassenpatienten einen größeren Leistungsumfang ermöglicht. Damit seien „Manipulationen Tür und Tor geöffnet“, befürchtet Müller.«

Aus Pirmasens wird berichtet, dass es vier bis fünf Mal teurer wäre, wenn man die Gesundheitskarte einführen würde. Das bisherige Verfahren sei bei den Verwaltungskosten einfach günstiger.
Auch aus Nordrhein-Westfalen erreichen uns vergleichbare Meldungen: Gesundheitskarte bisher nur in wenigen Kommunen:

»Die kleine Karte macht den Unterschied – für das Sozialamt und für etwa 500 Flüchtlinge im rheinischen Alsdorf. „Die Entlastung für die Behörde ist spürbar“, sagt ein Mitarbeiter des Sozialamts in einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa. Die 50.000-Einwohner-Kommune bei Aachen hat zu Jahresbeginn die Krankenversichertenkarte für Flüchtlinge eingeführt. Sie sind nun direkt bei einer Krankenkasse versichert und müssen nicht erst auf dem Amt einen Behandlungsschein für den Gang zum Arzt holen.
Das Ziel: eine bessere Gesundheitsversorgung der Neuankömmlinge und eine Entlastung der Behörden. Vor allem große Städte setzen darauf: Köln, Düsseldorf, Bochum, Münster, Bonn und Oberhausen machen mit. Düsseldorf hat inzwischen etwa 5.000 Karten ausgegeben.«

Aber warum dann nur in einer Minderheit der Kommunen, denn nur 20 von 396 NRW-Kommunen haben sich bislang entschlossen, ihren Flüchtlingen eine Gesundheitskarte zu geben?
»Die kommunalen NRW-Spitzenverbände halten die Vereinbarung für zu teuer. Durch die Verwaltungspauschale von acht Prozent entstünden „extrem hohe Zusatzkosten“, bemängelt der Städte- und Gemeindebund NRW, der für 359 Kommunen spricht … Hinzu komme das Haftungsrisiko bei Missbrauch oder Verlust der Gesundheitskarte.«
Aber die anderen, die den Schritt gewagt haben, hören sich gar nicht so pessimistisch an, wie das Beispiel Monheim verdeutlicht (»Als erste hatte Monheim am Rhein, ein wohlhabende kleine Stadt im Süden von Düsseldorf, die Einführung der Gesundheitskarte für die derzeit 676 Flüchtlinge beschlossen. Die Bilanz sei rundum positiv, erklärt Dietmar Marx, Abteilungsleiter Soziales im Rathaus: eine Arbeitserleichterung für die Mitarbeiter, Ärzte haben weniger Rückfragen, die Kooperation mit der Krankenkasse läuft«):

»Viele Kommunen in NRW zahlen pro Flüchtling zunächst einen Abschlag von 200 Euro pro Monat auf zu erwartenden Gesundheitskosten. Abgerechnet wird hinterher. Die Verantwortlichen in Monheim haben spitz gerechnet und mit der Krankenkasse eine Pauschale von 130 Euro pro Flüchtling und Monat vereinbart. Weniger als andere. Nach dem ersten Quartal gab es Geld zurück. Und sollte der Abschlag doch nicht ausreichen, wird er wieder erhöht.«

Nach 15 Monaten ist das vorbei. Dann haben die betroffenen Menschen einen Anspruch auf eine „normale“ Krankenversicherung – und die ist dann bekanntlich mit der Karte. 
Und auch bei der Finanzierung kann (teilweise) Entwarnung gegeben werden. Entweder der Flüchtling arbeitet und führt auf seinen Lohn den Sozialversicherungsbeitrag ab. Oder aber er oder sie befinden sich unter dem Dach der Jobcenter (nach der Anerkennung als Asylberechtigter) und die zahlen dann eine Pauschale in Höhe von 90 Euro pro Monat an die Krankenversicherung. Ob das nun wiederum ausreicht, um die Kosten zu decken, wäre eine eigene Diskussion. Auf alle Fälle ist das dann kein originäres Flüchtlingsproblem, denn wenn es eine Unterdeckung durch die staatlich vorgegebenen Pauschalen gibt, dann ist das ein Problem, dass letztendlich alle Hartz IV-Empfänger treffen würde – und auch wieder nicht, denn es handelt sich ja immer um Durchschnittsbeträge über alle Angehörige einer bestimmten Personengruppe.

Krankenhäuser jenseits der Fallpauschalen und der Investitionsstau-Malaise? Die Baustelle Krankenhausfinanzierung und ihre Inaugenscheinnahme im Parlament

Die Krankenhäuser sind immer wieder auch Thema hinsichtlich der Art und Weise ihrer Finanzierung. Aber hat nicht erst im vergangenen Jahr die derzeitige Bundesregierung  ein Krankenhausstrukturgesetz verabschiedet, um die Geldsorgen der Krankenhäuser zu lösen und – natürlich – die Qualität der stationären Versorgung zu verbessern? Um in die mit der gegebenen Finanzierung  verbundenen Herausforderungen eindringen zu können, muss man sich in einem ersten Schritt klar machen, dass wir in Deutschland mit einer ganz spezifischen Konfiguration der (dualen) Krankenhausfinanzierung konfrontiert sind, also neben den – viel zu gering dimensionierten – Mitteln der Bundesländer für die sächliche Seite vor allem die Finanzierung der Betriebskosten über Fallpauschalen auf DRG-Basis. Mit beiden Säulen des Krankenhausfinanzierungssystems sind teilweise erhebliche Probleme verbunden: Hinsichtlich der sächlichen Investitionsseite kann man beispielsweise dem Krankenhaus Rating Report 2015 entnehmen: »Nach wie vor ist die Kapitalausstattung der Krankenhäuser … unzureichend. Ihr jährlicher Investitionsbedarf (ohne Universitätskliniken) beträgt rund 5,3 Milliarden Euro. Die Länder steuern derzeit nur die Hälfte davon bei. Der kumulierte Investitionsstau beträgt mindestens 12 Milliarden Euro.«

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Der föderale Flickenteppich und die Flüchtlinge: Die einen kriegen eine Chipkarte, die anderen müssen zum Amt. Am Gelde hängt’s

Bei welchem Asylpaket sind wir eigentlich mittlerweile angekommen? Auf alle Fälle gab es das Paket I, dessen asylrechtlichen Änderungen seit dem 23.10.2015 in Kraft sind.  Mit dem Asylpaket I wurde Ende 2015 die Möglichkeit eröffnet, für Asylsuchende eine Gesundheitskarte mit eingeschränktem Leistungsanspruch einzuführen.  Die Verantwortung für die Umsetzung wurde in die Hände der Bundesländer gelegt – man ahnt schon, was jetzt kommen muss. Flickenteppich bei Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden – so hat die Bertelsmann-Stiftung eine Bestandsaufnahme der Umsetzung des Ansatzes überschrieben. Bis Ende Februar 2016 wurde die Gesundheitskarte für Asylsuchende in Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen eingeführt (in NRW allerdings nicht flächendeckend im Land, bislang haben lediglich 20 Kommunen ihre Beteiligung zugesagt). Brandenburg plant die landesweite Implementierung zum 1. April 2016. In den beiden Stadtstaaten Bremen und Hamburg gibt es die Gesundheitskarte schon seit einigen Jahren.

Entstanden ist eine unübersichtliche Landschaft hinsichtlich der Art und Weise, wie die gesundheitliche Versorgung der Asylsuchenden organisiert wird.

Die Erfahrungen in Bremen und Hamburg mit der Gesundheitskarte für Asylbewerber sind nach offiziellen Verlautbarungen positiv. Verwaltungskosten wurden eingespart. Sozial- und Gesundheitsämter seien entlastet worden. Das hat sicher auch die Empfehlung aus Fachkreisen beeinflusst, diesen Ansatz bundesweit einzuführen, so auch die Forderung einer Expertenkommission der Robert Bosch Stiftung (vgl. Themendossier Zugang zu Gesundheitsleistungen und Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge und Asylbewerber). Allerdings handelt es sich bei den beiden Erfolgsmodellen nicht ohne Grund um zwei Stadtstaaten und nicht um Flächenländer, denn in den Stadtstaaten fällt die kommunale und die Landesebene zusammen. Das ist bei den Flächenländern nicht der Fall und hier schlägt jetzt wieder das föderale Finanzierungsdurcheinander zu, das wir auch aus so vielen anderen Bereichen kennen.

Es geht mal wieder um das liebe Geld. Zur Einordnung: Die Kommunen tragen die Kosten für die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen in den ersten 15 Monaten bzw. bis zu deren Anerkennung. Allerdings dürfen wir uns das nicht so vorstellen, dass das mit dem vergleichbar ist, was „normale“Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung bekommen. Asylbewerber sind über die Sozialhilfeverwaltung krankenversichert. Vor einem Arztbesuch müssen sie sich vielerorts beim Sozialamt einen Krankenschein abholen. Die Kosten werden nur bei eindeutigen Notversorgungen geleistet.

»Der Krankenschein wird durch das Sozialamt mit Anmerkungen für die ÄrztInnen versehen, dabei werden mitunter äußerst restriktive Auslegungen von § 4 AsylblG abgedruckt. Viele ÄrztInnen zeigen sich in der Praxis angesichts der Gesetzeslage überfordert und verweigern manchmal selbst die Notversorgung oder entscheiden sich bei Zahnschmerzen zur Ziehung des Zahns statt zu einer kostenintensiveren Wurzelbehandlung«, so eine kritische Darstellung von ProAsyl.

Die Begrenzung auf eine Notversorgung ist gesundheitspolitisch problematisch, denn sie führt unter anderem dazu, dass präventive Impfungen wie gegen Tuberkulose oft erst nach Monaten durchgeführt würden – in Gemeinschaftsunterkünften steige so die Ansteckungsgefahr.

Auch die Gesundheitskarte beinhaltet einen eingeschränktem Leistungsanspruch. Flüchtlinge haben bis zu ihrer Anerkennung nur ein Anrecht auf Versorgung im Notfall. Vorsorgeuntersuchungen können nur Schwangere erhalten.

Ursache für die schleppende Einführung ist vor allem der Streit um die Finanzierung. Für die Kosten der Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern müssen die Kommunen aufkommen. Wie bereits erwähnt, eröffnete das Asylpaket I zwar die Möglichkeit, die Gesundheitskarte einzuführen, die Umsetzung wurde aber den Bundesländern übertragen – und der Bund übernahm auch keine Finanzverantwortung. »Der Bund hat es abgelehnt, die Gesundheitskosten für Flüchtlinge komplett zu übernehmen, und auch die Länder belassen die Kosten in der Regel bei den Kommunen«, kann man dem Artikel Gesundheitskarte für Flüchtlinge kommt kaum voran entnehmen.

»Die meisten Länder arbeiten noch an der Umsetzung. Dazu stehen die Länder in Verhandlungen mit den gesetzlichen Krankenkassen, um die Kostenaufteilung und den Leistungsrahmen der medizinischen Versorgung der Asylsuchenden zu definieren. Die im Gesetz auf Bundesebene vorgesehene Rahmenvereinbarung zwischen dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und den kommunalen Spitzenverbänden wird ebenfalls noch verhandelt«, so die Bertelsmann-Stiftung.

Da der Bund sich einer Finanzierung verweigert, bleibt die Zuständigkeit bei den Kommunen und die Bundesländer haben sicher kein Interesse, durch eine Übernahme der Kosten die Kommunen zu entlasten. Die Kommunen hingegen stehen vor der Situation, dass ihnen einerseits Kostenersparnisse in ihren Verwaltungen in Aussicht gestellt werden, weil die Betroffenen nicht mehr wegen jeder Einzelleistung im Amt vorstellig werden müssen. Aber das kostet natürlich, denn die Krankenkassen lassen sich das natürlich vergüten, wenn sie das für die Kommunen abwickeln. Eine Richtgröße in diesem Kontext sind (mindestens) zehn Euro Verwaltungsgebühr oder deren Ausgestaltung als prozentualer Abzug, z.B. 8 Prozent.

Im Saarland will die Regierung die Karte ermöglichen, „aber sämtliche Landkreise weigern sich, sie einzuführen“, heißt es. Und in Rheinland-Pfalz ist man schon weiter (das Gesundheitsministerium des Landes hatte Mitte Januar mit den gesetzlichen Krankenkassen eine Rahmenvereinbarung zur Einführung einer Gesundheitskarte abgeschlossen), aber auch hier verweigert sich die kommunale Ebene: »Der Plan der rot-grünen Landesregierung für eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge ist offenbar gescheitert. Nach SWR-Recherchen hat bis jetzt keine einzige Kommune die Karte eingeführt. Der Grund sind die hohen Verwaltungskosten«, heißt es in dem Artikel Wohl keine Gesundheitskarte für Flüchtlinge des SWR.

Dabei geht es ja nicht nur um die Gesundheitskarte (und damit verbunden die Abwicklung über die Krankenkassen), sondern es sollte auch darum gehen, was da drin steckt. Die Kommission der Robert Bosch Stiftung hat für eine bundeseinheitliche Grundversorgung der Flüchtlinge plädiert. Das würde dann aber auch ein Bundesfinanzierung konsequenterweise zur Folge haben, was eine erhebliche Entlastung der Kommunen zur Folge hätte.

Darüber hinaus haben Sozialverbände zudem wiederholt gefordert, auch Asylsuchenden das Leistungsspektrum regulär Krankenversicherter zu eröffnen. Das wurde von der Politik bislang mehrheitlich abgelehnt, wobei schnell klar wird, dass es hier nicht nur um die Abwehr höherer Ausgaben geht, die mit einem solchen Vorschlag verbunden wären, sondern wie bei so vielen anderen Fragen hat das eine normative Dimension:

»So erklärten Bayern und Sachsen, keine Gesundheitskarte einzuführen, auch weil sie darin einen Anreiz für die Flucht nach Deutschland sehen.«

Hier geht es also wieder um die abschreckende Wirkung einer möglichst restriktiven Ausgestaltung der Leistungen, ein Gedanke, der für das deutsche Asylrecht seit langem prägend war. Aber ob Menschen über das Mittelmeer kommen, weil es in Deutschland die Gesundheitskarte gibt, nun ja.

Private Krankenversicherung: Auch hier träumt man von Selektivverträgen. Und hundertausende Versicherte erleben derzeit einen Albtraum

In dem Beitrag Vom „Wildwuchs“ und Qualitäts-„Wüsten“ ambulanter Leistungen in Krankenhäusern über eine „Vereinheitlichung“ der fachärztlich-ambulanten Versorgung hin zu den eigentlichen Interessen der Krankenkassen vom 02.03.2016 wurde bereits am Beispiel des neuen Krankenhausreports 2016 und den dort besonders herausgestellten ambulanten Leistungen, die in Kliniken erbracht werden, aufgezeigt, dass die Krankenkassen immer wieder versuchen, den von ihnen angestrebten Ausbruch aus dem kollektivvertraglichen Gehäuse und die Ermöglichung von Selektivverträgen über das heute schon vorhandene Ausmaß voranzutreiben und die gesundheitspolitische Diskussion in diese Richtung zu beeinflussen. Ihr strategisches Interesse daran liegt auf der Hand: Im Gegensatz zum Kollektivvertrag  schließt der einzelne Leistungserbringer beim Selektivvertrag einen Versorgungsvertrag direkt mit einer Krankenkasse ab, die dadurch natürlich ganz andere Freiheitsgrade hinsichtlich einer unterschiedlichen Ausgestaltung der Vergütung und anderer Parameter der Versorgungslandschaft an die Hand bekommt. Der „Zuckerbrot und Peitsche“-Modus lässt sich in so einem System überhaupt erst anwenden, in kollektivvertraglichen Systemen sind die Steuerungsmöglichkeiten der Kassen deutlich begrenzter, teilweise gar nicht vorhanden.

Aber nicht nur die Kassen der Gesetzlichen Krankenversicherung haben Selektivverträge auf dem Wunschzettel, auch die Private Krankenversicherung (PKV) würde gerne wollen dürfen. Und das wäre aus der Sicht der privaten Krankenversicherungsunternehmen noch dringlicher als in der GKV, denn die PKV hat so gut wie überhaupt keine wirksamen Steuerungsinstrumente gegenüber den Leistungserbringern und einige von ihnen benutzen sie als Melkkuh im Versorgungsalltag.

Unter der Überschrift Kooperation für mehr Marktmacht berichtet die „Ärzte Zeitung“ in diesem Kontext passend: »Vier PKV-Unternehmen gründen ein Joint Venture, um sich selektivvertraglich besser aufzustellen.« Dabei handelt es sich um die Unternehmen Barmenia, Gothaer, Hallesche und Signal, die ihre Kräfte im Bereich des Leistungsmanagements und im Einkauf bündeln wollen. Dazu haben sie ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet, Arbeitstitel: „Leistungsmanagement Plus“. Schaut man sich die Positionierung dieser vier privaten Krankenversicherer im Ranking der Marktanteile an, so kann man der Abbildung entnehmen, dass sie alle zusammen auf etwas mehr als 15 Prozent Marktanteil kommen. Dieser Wert ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil er keine marktbeherrschende Stellung zur Folge hat, so dass einer kartellrechtlichen Genehmigung kaum etwas im Wege stehen wird.

Der Hintergrund für diesen Vorstoß ist das Grundproblem der viel zu geringen Größe der meisten privaten Krankenversicherer:

»Verträge mit ihnen würden bei Ärzten und Kliniken nur eine Minderheit der Patienten erfassen. Mit ihrem Gemeinschaftsunternehmen wollen Barmenia, Gothaer, Hallesche und Signal durch die Bündelung der Nachfrage für mehr Schlagkraft sorgen. Gemeinsam können sie bessere Konditionen für ihre Kunden aushandeln. Und: Über Selektivvereinbarungen könnten sie auch Vergütung und Qualität beeinflussen.«

Da sind sie also wieder, die Selektivverträge. Darüber hinaus sprechen klassische betriebswirtschaftliche Argumente für diesen Ansatz: »Die vier PKV-Unternehmen wollen wohl auch im Einkauf kooperieren, um von Skaleneffekten zu profitieren. So kann es sinnvoll sein, für Hilfsmittel wie Rollstühle oder Hörgeräte mit Anbietern Verträge zu schließen.«
Nun ist das erst einmal eine überschaubare Gruppe auf dem Markt der privaten Krankenversicherungen. »Ursprünglich wollten sie möglichst viele Anbieter ins Boot holen. Jetzt machen zunächst einmal die vier Unternehmen den Anfang, die alle als Versicherungsvereine organisiert sind.« Wobei sich das möglicherweise als Kern einer deutlich größeren Nummer herausstellen wird.

Viele Menschen, die in der PKV versichert sind, haben derzeit auch einen Traum – allerdings eher einen Albtraum. Und zwar auf der Beitragsseite, also bei dem Geld, das sie an die Versicherungen zahlen müssen. »Bis zu 130 Euro mehr müssen Privatversicherte ab April in der DKV bezahlen. Pro Monat. Der SPD-Experte Karl Lauterbach sieht das als Fanal für die gesamte Branche«, so Rainer Woratschka in seinem Artikel DKV-Beiträge steigen um bis zu 130 Euro im Monat.

»Beitragsschock für Hunderttausende von privat Versicherten: Bei der DKV, Deutschlands zweitgrößtem privaten Krankenversicherer, steigen die Tarife zum April teilweise um bis zu 130 Euro im Monat. Und ohne den Einsatz von knapp einer halben Milliarde Euro aus Rückstellungen wäre der Beitragsanstieg sogar noch höher ausgefallen. Über alle Tarife erhöhten sich die Beiträge um 7,8 Prozent … Betroffen seien 59,2 Prozent der rund 880 000 Vollversicherten. Man habe die Steigerungen auf 129,90 Euro im Monat begrenzt. Für 65-Jährige sei ein Limit von 79,90 Euro gezogen worden.«

Seitens der DKV wird vor allem auf die Aufgabenseite und dabei auf den Krankenhausbereich verwiesen. Der Anteil der Hochkostenfälle habe sich „vervielfacht“.

Die fundamentalen Faktoren, die hinter dieser Entwicklung wirken, betreffen nicht nur die DKV, sondern die ganze Branche:

  • Ihr Neugeschäft bricht ein, 
  • die Niedrigzinsphase schmälere zunehmend auch die langfristigen Geldanlagen der Versicherer 
  • und die Kostendynamik sei „nach wie vor ungebrochen“. 
  • Hinzu kommt, dass die Privatversicherten länger leben und seltener in die GKV zurückwechseln (was die Politik in den vergangenen Jahren auch bewusst erschwert bis verunmöglicht hat).
  • Hinzu kommt die Senkung des Rechnungszinses, weshalb die Versicherten mehr Geld für die Alterungsrückstellung aufbringen müssten.

Und auch vor diesem Hintergrund sollte man sich nicht in falscher Sicherheit wiegen, wenn man bei einem der anderen Unternehmen versichert ist. Dazu Rainer Woratschka in seinem Artikel:

„Wo’s bisher nicht geknallt hat, knallt es noch“, sagt der Versicherungsberater Christhart Kratzenstein vom Onlineportal Expertennetzwerk24. Bei anderen Anbietern sei die Situation „definitiv nicht besser“, für alle privat Versicherten werde es spürbar teurer.

Für die Privatversicherten wird die PKV jetzt zunehmend zu einem echten Risiko. Für alle? Nein, vor allem bezieht sich diese Aussage auf die privat Vollversicherten. Da gibt es aber noch eine andere Säule des PKV-Geschäfts. Die Beamten.

»Gut bezahlbar sei die private Absicherung nur noch für Beamte … – und das liege auch nur daran, dass ihnen der Steuerzahler über die Beihilfe einen Großteil der Kosten abnehme.«

Es wird doch schon seit Jahren immer deutlicher, dass dieses auch im internationalen Vergleich mehr als begründungsbedürftige Zwei-Klassen-System nicht nur auf den Prüfstand gehört, sondern es müsste endlich eine ordnungspolitische Bereinigung erfolgen, wie sie übrigens schon vor vielen Jahren von Ländern, die mal so ein Spaltung hatten, vorgenommen worden ist. Auch wenn an einer solchen Stelle viele Akteure natürlich Amok laufen: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, der von Jahr zu Jahr an Dramatik zunehmen wird.