Jenseits der Schaumschlägereien: Die Entlohnung in „der“ Pflege. Die ist gerade nicht ein Thema für die letzten Wahlkampfmeter

Es gibt ja viele, die den bisherigen Wahlkampf dahingehend kritisiert haben, dass gesellschaftspolitisch wichtige Themen kaum oder nur in Spurenelementen behandelt worden sind. Beispielsweise die Pflege. So auch meine Kritik an der thematischen Verirrung beim sogenannten „TV-Duell“ zwischen Merkel und Schulz, die ich unter die Überschrift Realitätsverweigerung gestellt habe. Darin findet sich mit Blick auf die Pflege dieser Passus: »Und wir müssen uns nicht nur um die größer werdende Zahl an Senioren kümmern, auch die Pflegebedürftigen werden mehr. Und hier wird besonders erkennbar, dass unser System auf Selbst-und Fremdausbeutung basiert und ohne diese zusammenbrechen würde. Wir haben mittlerweile über 3 Million Pflegebedürftige. Mehr als 70 Prozent werden zu Hause betreut, nicht in Heimen, viele ausschließlich von Angehörigen, häufig Frauen, die dann selbst einen hohen Preis zahlen müssen. Und in vielen dieser Haushalte arbeiten geschätzt 200.000 Osteuropäerinnen, vom Wohlstandsgefälle in unser Land gezogen, niemals zu legalen Bedingungen. Und die derzeit schon 800.000 in Pflegeheimen untergebrachten Menschen sind mit oftmals menschenunwürdigen Bedingungen konfrontiert. Derzeit wird überall eklatanter Personalmangel in den Heimen beklagt. Nicht nur in Bremen gibt es Belegungssperren, weil dort weniger als 50 Prozent des Personals Fachkräfte sind.«

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Kaufleute mit Skalpell? Gesundheitskarte mit Lesegeräte-Monopol? Aus dem monetischen Schattenreich der Gesundheitswirtschaft

Das sei dem folgenden Beitrag vorangestellt – wir haben ein in vielerlei Hinsicht hervorragendes Gesundheitssystem in unserem Land. Neulich wurde man mit der Veröffentlichung einer dieser obskuren internationalen „Vergleichsstudien“ konfrontiert, nach der das deutsche Gesundheitssystem hinter dem griechischen liegen soll. Das ist – nicht nur, aber auch aufgrund der Verwüstungen, die Jahre der Krise im griechischen Gesundheitswesen hinterlassen haben – gelinde gesagt Bullshit. Vgl. zu der Studie den Artikel Deutschlands Gesundheitssystem landet auf Platz 20, unter anderem hinter Griechenland und Slowenien. Man vergleiche beispielsweise die Zugänglichkeit des Gesundheitswesens auch für arme Menschen, die Abdeckung von Krankheitskosten über ein ausgebautes Krankenversicherungssystem auch für diejenigen, die nur geringe Beiträge zahlen können. Und von monatelangen Wartelisten auf wichtige OPs wie in benachbarten Ländern muss man sich hier auch nicht fürchten. Bei aller Kritik also – man sollte sich dessen bewusst sein.

Apropos OPs – viele Bewohner Großbritannien würden angesichts der dort vorherrschenden Warteschlangenmedizin sowie der Verweigerung bestimmter Leistungen, nur weil man ein bestimmtes Lebensalter erreicht hat, die Zustände bei uns sicher als traumhaft bezeichnen. Aber bekanntlich hat jede Medaille zwei Seiten und damit kommen wir zur Schattenseite in Deutschland.

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Sind fünf von sechs Krankenhäusern Spielplätze für unterausgelastete Ärzte und Pflegekräfte? Und eine Gefahr für die Patienten? Eine radikale Rechnung im Kontext einer weiteren Ökonomisierung

Da muss man erst einmal schlucken: Auf fünf von sechs Krankenhäusern in Deutschland könne man verzichten, behaupten Wissenschaftler in einer radikalen Rechnung, die in einem Thesenpapier enthalten ist, das von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina veröffentlicht wurde: »Für eine effektive Versorgung reichten 330 Krankenhäuser aus. Derzeit leistet Deutschland sich 1980 Kliniken«, so der Artikel Kliniksektor aufgebläht, der über das Papier berichtet. Wenn man den Weg einer radikalen Beschneidung der Zahl der Kliniken gehen würde, dann versprechen uns die Autoren auch gleich die Lösung eines seit langem und immer wieder vorgetragenen Problems: »Eine Anpassung der Kapazitäten würde den Personalmangel beheben. Es gebe ausreichend medizinische und pflegerische Fachkräfte. Sie seien aber auf zu viele Häuser verteilt.« Wissenschaftler halten 1300 Kliniken für überflüssig: Aber mit welcher Begründung? Kleine Häuser ohne „moderne“ medizinische Ausstattung gehören geschlossen. Und das wird nach außen vor allem begründet, dass die Patienten von dieser radikalen Konzentration der stationären Versorgung profitieren würden im Sinne einer besseren Diagnostik und Behandlung. Aber zugleich fügt sich der Artikel ein in eine Debatte, die schon seit vielen Jahren vor allem unter dem Stichwort „Bettenabbau“ geführt wurde und wird.

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Krankenhäuser jenseits der Fallpauschalen und der Investitionsstau-Malaise? Die Baustelle Krankenhausfinanzierung und ihre Inaugenscheinnahme im Parlament

Die Krankenhäuser sind immer wieder auch Thema hinsichtlich der Art und Weise ihrer Finanzierung. Aber hat nicht erst im vergangenen Jahr die derzeitige Bundesregierung  ein Krankenhausstrukturgesetz verabschiedet, um die Geldsorgen der Krankenhäuser zu lösen und – natürlich – die Qualität der stationären Versorgung zu verbessern? Um in die mit der gegebenen Finanzierung  verbundenen Herausforderungen eindringen zu können, muss man sich in einem ersten Schritt klar machen, dass wir in Deutschland mit einer ganz spezifischen Konfiguration der (dualen) Krankenhausfinanzierung konfrontiert sind, also neben den – viel zu gering dimensionierten – Mitteln der Bundesländer für die sächliche Seite vor allem die Finanzierung der Betriebskosten über Fallpauschalen auf DRG-Basis. Mit beiden Säulen des Krankenhausfinanzierungssystems sind teilweise erhebliche Probleme verbunden: Hinsichtlich der sächlichen Investitionsseite kann man beispielsweise dem Krankenhaus Rating Report 2015 entnehmen: »Nach wie vor ist die Kapitalausstattung der Krankenhäuser … unzureichend. Ihr jährlicher Investitionsbedarf (ohne Universitätskliniken) beträgt rund 5,3 Milliarden Euro. Die Länder steuern derzeit nur die Hälfte davon bei. Der kumulierte Investitionsstau beträgt mindestens 12 Milliarden Euro.«

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Krankenhäuser, ihre Patienten, deren Wohl und die Ethik. Und dann die real existierende Monetik mit ihren ethischen Verwerfungen

Salus aegroti suprema lex, also: Das Heil des Kranken sei höchstes Gesetz! Man sollte meinen, dass dieser Grundsatz selbstverständlich in den Krankenhäusern gilt. Oder sollte man eher hoffen? Zweifler könnten sich bestätigt fühlen, wenn sie solche Überschriften serviert bekommen: Gespart wird am Patientenwohl. »Krankenhäuser müssen ans Geld denken. Das Nachsehen haben dem Deutschen Ethikrat zufolge oft die Patienten.« Und weiter erfahren wir: »Zu wenig Zeit zum Reden, hoher Kostendruck: Eine zu starke Ausrichtung am Umsatz statt am Patienten führt zu zahlreichen Missständen in deutschen Krankenhäusern. Das ist der Tenor einer … Stellungnahme des Deutschen Ethikrats, der die Politik in ethischen Fragen berät. Mit Blick auf das Patientenwohl gebe es Anlass zur Sorge.« Die Kliniken tendieren dem Ethikrat zufolge dazu, gewinnbringende Behandlungen im Übermaß anzubieten. Lücken entstünden dagegen bei der Versorgung weniger lukrativer Patienten.

Eine Kritiklinie, die vielen bekannt ist, die sich seit langem mit den Schattenseiten dessen beschäftigen, was man mit dem großen Wort von der Ökonomisierung der Krankenhäuser einzufangen versucht. Dieser Terminus hat sehr wohl seine positiven Seiten, wenn man mit knappen Ressourcen wirtschaftlich umgeht, keine Verschwendung betreibt, die Prozesse besser macht. Aber viele verstehen unter Ökonomisierung eher die andere Seite der gleichen Medaille – Zeitmangel, Fehlanreize, Kostendruck. In dieser Gemengelage hat sich nun also der Deutsche Ethikrat zu Wort gemeldet mit einer Stellungnahme unter der Überschrift Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus. Eine Selbstverständlichkeit. Oder? Zahlreiche Entwicklungen deuteten allerdings darauf hin, „dass das stationäre Versorgungssystem in Deutschland zunehmend hinter diesem Anspruch zurückbleibt“, so der Ethikrat.


»Derzeit komme es bei den Klinikmitarbeitern immer wieder zu Konflikten zwischen ihrem Berufsethos und der Realität des Berufsalltags. Mit dem Papier will der Deutsche Ethikrat keinen politischen Vorschlag für ein weiteres Krankenhaus-Reform-Gesetz vorlegen. Man habe es vielmehr für nötig befunden, „Überlegungen zu den leitenden normativen Maßstäben“ anzustellen,« wird das Ratsmitglied Thomas Heinemann in dem Artikel Der Patient sollte der Maßstab sein zitiert. 
Adelheid Müller-Lissner fasst in ihrem Artikel zusammen: »Um dem Wohl der Kranken zu dienen, müssen Kliniken danach drei ethische Kriterien beachten und ausbalancieren: Sie müssen natürlich gute Qualität bieten, und das nicht allein bei der Behandlung, sondern auch bei Diagnostik und Therapieentscheidung. Sie müssen sich mit „selbstbestimmungsermöglichender Sorge“ um die Patienten kümmern, und sie müssen auf Gerechtigkeit beim Zugang zu ihren Leistungen und bei deren Verteilung achten. Der Ethikrat spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von „ressourcen-reflexivem“, also wirtschaftlichem Verhalten.«
Interessant vor dem Hintergrund der seit Anbeginn kritischen Diskussion über die – möglichen – Fehlanreize durch das Krankenhaus-Finanzierungssystem auf Basis von Fallpauschalen: »Das seit mehr als einem Jahrzehnt gültige „DRG“-System, bei dem Krankenhäuser von den Krankenkassen diagnosebezogene Fallpauschalen vergütet bekommen, wird in der neuen Stellungnahme ausdrücklich nicht infrage gestellt.«

Aber: „Als überprüfungsbedürftig kann das bisher im DRG-Fallpauschalen-System vorrangig zugrunde gelegte Vergütungskriterium der erbrachten ärztlichen Leistungen angesehen werden.“ Das biete einen starken Fehlanreiz zu „ethisch problematischem Verhalten“, schreibt der Ethikrat mit Blick auf die Zunahme von lukrativen Eingriffen.

Dass die finanzielle Misere vieler Kliniken auch mit dem mangelnden Engagement der Bundesländer für deren Ausstattung zu tun hat, wird in der Stellungnahme ebenfalls angesprochen.
Und es werden konkrete Veränderungsvorschläge gemacht: »Eine zentrale Malaise im gegenwärtigen Krankenhausbetrieb sei Zeitmangel und die drastische finanzielle Unterbewertung des Gesprächs mit dem Patienten. Um dem zu begegnen, schlägt der Ethikrat vor, die Zahlung der Pauschalen an den Nachweis von Gesprächen und Bedenkzeit vor einer Behandlung zu knüpfen. Außerdem sollte die Zahlung an Qualität und Ausstattung gebunden sein. Zudem solle es prinzipiell möglich sein, auch das Unterlassen einer therapeutischen Maßnahme zu honorieren, etwa durch die Einführung einer Prozedur mit dem schlichten Namen „Beobachtung“.«
Besonders interessant vor dem aktuellen wie auch grundsätzlichen Hintergrund der Debatte über Missstände in der Pflege sind die durchaus konkreten Empfehlungen hinsichtlich der „Verbesserung der Pflegesituation im Krankenhaus“ (vgl. Deutscher Ethikrat 2016: 136):

a) Das Bundesministerium für Gesundheit sollte für eine nachhaltige Verbesserung der Pflegesituation im Krankenhaus sorgen. So sollten Pflegepersonalschlüssel in Abhängigkeit von Stations- und Bereichsgrößen für Krankenhäuser entwickelt und implementiert werden, die sich an der Anzahl der zu versorgenden Patienten und ihren Erkrankungen bzw. ihrem Pflegebedarf orientieren. Dabei ist das spezifische Aufgabenspektrum des Pflegedienstes, des Ärztlichen Dienstes und anderer therapeutischer Dienste in dem jeweiligen Fachgebiet unter Einbeziehung von Zeiten etwa der Übergabe, interprofessioneller Visiten und Fallkonferenzen zwingend zu berücksichtigen.

b) Zudem sollten Mindestquoten für vollexaminierte Pflegekräfte, differenziert nach Fachabteilungen, festgelegt und transparent gemacht und ihre Einhaltung einer regelmäßigen Überprüfung unterzogen werden. Abweichungen von diesen Vorgaben sollten für Patienten und zuweisende Ärzte transparent gemacht werden.

c) In diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung des derzeitigen Mangels an examinierten Pflegekräften auf dem Arbeitsmarkt sollten neue Qualifizierungsmodelle entwickelt und gefördert werden, mit denen zum Beispiel Arzthelferinnen und Arzthelfer zu Pflegekräften berufsbegleitend weitergebildet werden können.

 d) Im Interesse einer Verbesserung der Qualität einer patientenwohlorientierten Pflege sollten Bedingungen gezielt gefördert werden, die eine personale Kontinuität in der Pflege der Patienten so weit wie möglich gewährleisten und Methoden des Stellen-Poolings vermieden werden.
Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den Empfehlungen des Ethikrats. Aber sie passen zu den fundamentalen Herausforderungen und Problembeschreibungen für die Pflege (und auch der anderen Berufsgruppen) in den Krankenhäusern (vgl. dazu die entsprechenden Beiträge in diesem Blog).

Man kann nur hoffen, dass die 150 Seiten umfassende Stellungnahme nicht einfach im Bücherregal verschwindet.