3,40 Euro Stundenlohn sind sittenwidrig. Und wer so was macht als Arbeitgeber, handelt „subjektiv verwerflich“. Genau so ist das

Der heutige Tag eignet sich doch hervorragend für eine „frohe“ Botschaft:
3,40 Euro Stundenlohn ist sittenwidrig, melden viele Zeitungen mit Bezug auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf. Das ist doch mal eine Ansage.

Das Landesarbeitsgericht hat dazu eine Pressemitteilung herausgegeben – Sittenwidrige Vergütung für Schulbusbegleiterin -, der wir den Sachverhalt entnehmen können, um den es hier geht.

»Die Klägerin war bei der Beklagten vom 10.02.2012 bis zum 31.10.2012 als Busbegleitung beschäftigt. Ihre Aufgabe bestand darin, während einer morgendlichen Tour gemeinsam mit einer Busfahrerin geistig und körperlich behinderte Schüler an verschiedenen Zustiegspunkten abzuholen und zur Schule zu bringen. Nachmittags waren die Schüler nach Beendigung des Unterrichts wieder abzuholen und nach Hause zu fahren. Die Klägerin erhielt hierfür zwei Tourpauschalen pro Arbeitstag in Höhe von jeweils 7,50 Euro. Das Arbeitsentgelt erhielt die Klägerin nur bei erbrachter Arbeitsleistung. Entgeltfortzahlung für Feiertage und Arbeitsunfähigkeit erhielt sie nicht. Bezahlter Erholungsurlaub wurde nicht gewährt.«

Das fand die Klägerin nicht nur nicht in Ordnung, sondern ein sittenwidriges Verhalten des Arbeitgebers: »Die Klägerin verlangt eine Vergütung gemäß dem Tarifstundenlohn für das private Omnibusgewerbe in Nordrhein-Westfalen von 9,76 Euro brutto, weil die ihr gezahlte Vergütung sittenwidrig sei.«

Das Gericht hat sich beraten und ist zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen:

»Der tatsächliche Stundenverdienst der Klägerin an Einsatztagen von 3,40 Euro war sittenwidrig niedrig. Der objektive Wert der Arbeitsleistung betrug 9,76 Euro brutto pro Stunde. Das allgemeine Lohnniveau wird durch den Tarifstundenlohn des privaten Omnibusgewerbes in Nordrhein-Westfalen bestimmt, weil mehr als 50 % der Arbeitgeber kraft Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband organisiert sind. Die subjektive Verwerflichkeit ist gegeben.«

Über die „subjektive Verwerflichkeit“ sollte sich der eine oder andere Anbieter solcher Dienstleistungen Gedanken machen – gerade auch wohlfahrtsverbandliche Anbieter, denn von denen werden hier und da ähnlich niedrige Vergütungen gerade im Bereich der Behindertentransporte berichtet. Also geht in euch und beseitigt die „subjektive Verwerflichkeit“, ansonsten müssen das andere machen.
Für die Klägerin hat das Urteil ganz handfeste Konsequenzen:

»Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat der Klägerin weitere 3.982,12 Euro brutto an Vergütung und 369,00 Euro brutto Urlaubsabgeltung zugesprochen. Der der Klägerin gezahlte Lohn von 15,00 Euro pro Arbeitstag (zwei Tourpauschalen), war sittenwidrig niedrig, weil die Klägerin täglich eine Arbeitsleistung von 4 Stunden und 25 Minuten erbrachte.«

Allerdings ist das erst einmal ein Weihnachtsgeschenk unter Vorbehalt, denn der letzte Satz der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts lautet:
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen. Dann wollen wir mal hoffen, dass es die Diagnose einer „subjektiven Verwerflichkeit“ auch nach oben schafft, wenn denn das betroffene Unternehmen diesen Weg beschreiten sollte.

Die Arbeitslosenversicherung als Ausnahme statt Normalität. Und eine mehr als krude Argumentation hinsichtlich der Arbeitslosen auf Teilzeitsuche und Vollzeit suchender Teilzeitarbeitsloser. Für die Arbeitslosenversicherung biegt man das so hin, dass es weniger kostet

Immer wieder, genauer: monatlich, werden wir konfrontiert mit „den“ Arbeitslosenzahlen. Auch hier muss man genauer sein: Wir erfahren die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen. Im November 2014 waren das 2,717 Mio. Menschen. Eigentlich waren es natürlich mehr. In der Abbildung sind die Zahlenverhältnisse dargestellt. Bei den 2,7 Mio. Arbeitslosen, die durch die Medien transportiert werden, fehlen schon mal die 921.556 Menschen in der „Unterbeschäftigung“, die zwar auch faktisch arbeitslos sind, aber nicht mitgezählt werden. Also hatten wir eigentlich 3,6 Mio. Arbeitslose, was ja nun schon eine andere Zahl ist als die 2,7 Mio., auf die sich die Berichterstattung immer bezieht. Darüber hinaus verdeutlicht das Schaubild auch, dass es noch ganz andere Größen gibt, die man berücksichtigen sollte. So gab es 5,036 Mio. Empfänger von Arbeitslosengeld I und II, darunter mit 4,324 Mio. die große Mehrheit im Alg II-Bezug, also im „Hartz IV“-System. Zu dieser ans sich schon großen Zahl kommen dann noch mal weitere 1,703 Mio. nicht erwerbsfähige Hilfeempfänger, also Kinder unter 15 Jahren, hinzu, die statt Alt II Sozialgeld bekommen. Auf diese von der einen immer wieder gerne zitierten Zahl von (aktuell) 2,7 Mio. „Arbeitslose“ doch erheblich abweichenden Größenordnung wird in der kritischen Berichterstattung auch immer wieder hingewiesen. Hier aber interessiert eine ganz bestimmte Relation: 70% der registrierten Arbeitslosen befinden sich im Grundsicherungssystem (SGB II), nur noch 30% im Arbeitslosenversicherungssystem (SGB III). Die Anteilswerte der im Hartz IV-System befindlichen registrierten Arbeitslosen reichen von 51,6 Prozent in Bayern bis zu 81,7 Prozent in Bremen. Und die Tatsache, dass nicht einmal mehr jeder dritte Arbeitslose unter dem Dach der Arbeitslosenversicherung abgesichert ist, muss als ein sozialstaatlicher Skandal thematisiert werden.

Denn eigentlich sollte die Arbeitslosenversicherung als das der Grundsicherung vorgelagerte System das Risiko der Arbeitslosigkeit, besser: Erwerbsarbeitslosigkeit, auffangen und absichern. Auf die Leistungen der Arbeitslosenversicherung hat man einen Rechtsanspruch und es findet keine Bedürftigkeitsprüfung statt. Anfang der 1990er-Jahre erhielten über 80 Prozent aller Erwerbslosen Leistungen vom Arbeitsamt, die weitgehend Versicherungscharakter hatten und deren Höhe vom früheren Verdienst abhing. Heute gilt das nur noch für 30 Prozent der offiziell erfassten Arbeitslosen. Das ist ein gewaltiger Systemwechsel. In dem Beitrag Rückzug der Arbeitslosenversicherung wurde bereits 2011 darauf hingewiesen:

»Vor den Arbeitsmarktreformen der vergangenen Dekade bekam der größte Teil der Erwerbslosen Arbeitslosengeld, ein kleinerer Teil Arbeitslosenhilfe. Deren Bezug war zwar an die Bedingung geknüpft, dass der betreffende Arbeitslose nicht über nennenswerte Zusatzeinkünfte oder Vermögen verfügte … Dennoch sei die Arbeitslosenhilfe eher eine Versicherungs- als eine Fürsorgeleistung gewesen – das werde besonders deutlich im Vergleich zum heutigen Arbeitslosengeld II. Beim ALG II ist eine strenge Bedürftigkeitsprüfung vorgeschaltet, wie es sie zuvor nur bei der Sozialhilfe gab.«

Die Zunahme des Fürsorgeanteils zulasten des Versicherungsanteils bei der Arbeitslosenunterstützung ist nicht nur auf die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe im Zuge der Einführung des SGB II 2005 zu sehen, sondern steht auch in einem Zusammenhang mit der Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes seit 1998, den verschärften Zugangsvoraussetzungen beim Arbeitslosengeld sowie einer zunehmenden Langzeitarbeitslosigkeit. Der „Deckungsgrad“ der eigentlich zuständigen Arbeitslosenversicherung ist massiv geschrumpft worden und bietet heute keine wirklich adäquate Absicherung mehr. Die Verengung der Zugangsvoraussetzungen für einen Bezug von Versicherungsleistungen im Zusammenspiel mit der Instabilität vieler Arbeitsverhältnisse führen dazu, dass eine steigende Zahl von Beschäftigten nach einem Job-Verlust durch die Maschen des Versicherungssystem fällt und direkt auf staatliche Fürsorge angewiesen ist. Der Bedeutungsverlust der Arbeitslosenversicherung wird auch in der gleichnamigen Studie von Peer Rosenthal aus dem Jahr 2012 behandelt, der eine Analyse von Zugängen in Arbeitslosigkeit aus einer Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt nach Rechtskreisen im Land Bremen vorgelegt hat. 
Bereits 2012 hat der DGB ein Positionspapier veröffentlicht, um diese Entwicklung wenigstens punktuell wieder umzukehren: Die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung ausbauen. Getan hat sich hier wenig bis gar nichts. Dabei ist der Handlungsbedarf nicht nur vor dem Hintergrund des offensichtlichen Sicherungsversagens der Arbeitslosenversicherung evident. Auch die Veränderungen auf den Arbeitsmärkten schreien förmlich nach einer grundlegenden Reform der Arbeitslosenversicherung. Am – immer noch – weitestgehenden ist hier der von Günther Schmid angestoßene Vorschlag nach einer Transformation der Arbeitslosen- hin zu einer Beschäftigtenversicherung (vgl. dazu weiterführend Günther Schmid: Von der Arbeitslosen- zur Beschäftigungsversicherung. Wege zu einer neuen Balance individueller Verantwortung und Solidarität durch eine lebenslauforientierte Arbeitsmarktpolitik. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, 2008). 
Zugleich sehen wir mit Blick auf die Arbeitsmarktentwicklung eine erhebliche Zunahme der Teilzeitbeschäftigung, die ihren gehörigen Anteil am so genannten deutschen „Jobwunder“ gehabt hat und immer noch hat (vgl. dazu meinen Blog-Beitrag: „Irre Beschäftigungseffekte“, „wirklich tolles Land“: Wenn Ökonomen sich überschlagen, lohnt ein Blick auf die Zahlen vom 19.12.2014). Und an dieser Stelle werden wir nun mit einer höchst kruden Argumentation der Bundesregierung konfrontiert, ausgelöst durch eine Anfrage der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Brigitte Pothmer. Über die Antwort aus dem Bundesarbeitsministerium berichtet Stefan Sauer in seinem Artikel Arbeitslose auf Teilzeitsuche werden massiv benachteiligt. Und das hat schon was, wenn man sich das Argumentationsgebäude der Bundesregierung anschaut.
Sauer erinnert an grundlegende Konstituitionsprinzipien der deutschen Sozialversicherung:

»In der Sozialversicherung gilt ein einfacher Grundsatz: Wer viel einzahlt, bekommt im Versicherungsfall auch viel heraus. Dieses  Gleichwertigkeits- oder Äquivalenzprinzip führt  in der gesetzlichen Rentenversicherung dazu, dass hohe Beiträge während des Arbeitslebens mit überdurchschnittlichen Renten im Ruhestand vergolten werden. Der Mechanismus wirkt auch in der Arbeitslosenversicherung: Das Arbeitseinkommen und damit die Höhe der eingezahlten Versicherungsbeiträge sind maßgeblich für die Leistungen bei Jobverlust.«

Wenn man ganz korrekt sein will, dann müsste man anmerken, dass das nicht für die gesamte Sozialversicherung gilt, denn beispielsweise in der Kranken- und Pflegeversicherung ist dies erheblich durchbrochen. Aber das soll hier nicht weiter vertieft werden.
Aber Grundsätze haben die Angewohnheit, dass sie nicht selten verletzt werden in bestimmten Fällen. Und mit so einem haben wir es bei der Suche nach einer Teilzeitarbeit zu tun:

»Erwerbslose, die zuvor in Vollzeit arbeiteten, nun aber einen Teilzeitstelle suchen, erhalten ein deutlich vermindertes Arbeitslosengeld – so als hätten sie schon immer lediglich in Teilzeit gearbeitet. Das hat beträchtliche Konsequenzen: Wer zum Beispiel, nach jahrlanger  40-Stunden-Tätigkeit, im Anschluss an die Arbeitslosigkeit aus familiären Gründen eine 30-Stunden-Job sucht, erhält um ein 25 Prozent gekürztes Arbeitslosengeld.«

Das muss natürlich irgendwie begründet werden. In der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der grünen Abgeordneten »verweist die Bundesregierung auf den „Grundgedanken“, dass es sich bei Zahlungen aus der Arbeitslosenversicherung um einen Lohnersatzleistung handele. Für die Höhe des Arbeitslosengeldes sei mithin der zu erwartende Lohn maßgeblich, den der Arbeitslose bei Aufnahme einer Teilzeitstelle erhalten wird, nicht aber sein vorheriges Arbeitseinkommen in Vollzeit.«

Wenn auch eine gewagte Herleitung, kann man das so sehen, wird der eine oder andere an dieser Stelle noch einwerfen. Dann gilt das aber auch logischerweise in die andere Richtung. Was für bestimmte Arbeitslose positiv wäre: »Personen, die zuvor halbtags tätig waren, nun aber eine Vollzeitstelle suchen, müssten ein höheres, nämlich am zu erwartenden Vollzeitgehalt orientiertes Arbeitslosengeld erhalten«, so Sauer folgerichtig. Hier nun wird es spannend, denn „hätte, sollte müsste“ verweist auf das, was eigentlich sein hätte sollen müssen, wenn man in der vorgegebenen Argumentationslogik verbleibt. Die Bundesregierung macht das aber nicht, sondern sie bricht aus, denn: »Auch Arbeitslose, die zuvor in Teilzeit beschäftigt waren und nun nach einem 40 Stunden-Job Ausschau halten, bekommen nur ein geringes, am Teilzeiteinkommen orientiertes Arbeitslosengeld.«
Wie das jetzt? Man bekommt das nur hin, wenn man an dieser Stelle einen schwungvollen Wechsel der Argumentation vollzieht:

»Eben noch spielten die eingezahlten Beiträge keine Rolle, sondern das zu erwartende Einkommen, um die Minderung des Arbeitslosengelds zu begründen. Nun sind es die geringeren Beitragszahlungen aus der Teilzeitarbeit, die zu niedrigen Versicherungsleistungen führen, während die zu erwartenden Einkünfte in Vollzeit nicht berücksichtigt werden.«

Voila, das muss man erst einmal hinbekommen, ohne rot zu werden. Dabei muss man das so machen, um das zu erreichen, was man will: In beiden Fällen fällt die Regelung zum Nachteil für die Arbeitslosen aus.

Insofern überrascht vor diesem weiteren Beispiel aus der Serie „Frechheit der Argumentation siegt“ dann auch nicht, dass die Bundesregierung am Ende ihrer Antwort ausführt: »Eine Änderung ist nicht geplant.«

Schwere Sicherheitsmängel (sicher nicht nur) am Flughafen Frankfurt – und warum das auch ein sozialpolitisches Thema ist. Beispielsweise durch Outsourcing, Lohndrückerei und schlechten Umgang mit Menschen

Jeder von uns, der hin und wieder oder sehr häufig fliegt oder ein Flugzeug benutzen muss, der verlässt sich darauf, dass im Gegensatz zum Abstand zwischen den Sitzreihen oder dem mehr oder weniger Service an einem nicht gespart wird – an der Sicherheit. Aus gutem Grund, das bedarf keiner weiteren Begründung. Allerdings werden die Zyniker bzw. Realisten im Publikum darauf verweisen, dass die Machtübernahme der einseitig auf Kostensenkung wo es nur geht fixierten Betriebswirte dazu geführt hat, dass alle Bereiche dahingehend gescannt werden, wo man noch den einen oder anderen Euro einsparen kann. Das trifft natürlich immer gerne und vor allem die Bereiche, wo man nicht auf große Gegenwehr stößt. Also einfach gesprochen: Bevor man sich mit Piloten oder Bordpersonal anlegt, wird man vorher versuchen, in den vor- und nachgelagerten Bereichen die Kosten zu drücken. Vor allem, wenn man zu dem betriebswirtschaftlich „schönen“ Instrument der Verlagerung dieser Dienstleistungen auf andere Unternehmen greifen kann, die man dann hinsichtlich des Preises drücken kann, was die wieder an ihre Beschäftigten, also nach unten weiterreichen.

Vor diesem Hintergrund sind solche aktuellen Meldungen zu lesen: Schwere Sicherheitsmängel am Flughafen Frankfurt oder EU-Prüfbericht: Schwere Sicherheitsmängel am Flughafen Frankfurt. Beide Artikel beziehen sich auf einen Bericht der „Bild am Sonntag“.

Zum Sachverhalt: »Bei verdeckten Kontrollen an Deutschlands größtem Flughafen in Frankfurt am Main hat die EU-Kommission nach einem Medienbericht gravierende Sicherheitsrisiken entdeckt: Den Prüfern sei es bei jedem zweiten Versuch gelungen, Waffen oder gefährliche Gegenstände durch die Passagierkontrolle zu schmuggeln.«

Und zu den (möglichen) Ursachen erfahren wir: »Der Hauptgrund: Das Personal der beauftragten Dienstleister sei schlecht geschult, so stehe es in dem als geheim eingestuften Prüfbericht, schreibt die Zeitung. So hätten die Mitarbeiter etwa die Röntgenbilder bei den Handgepäck-Kontrollen nicht richtig deuten können.«

Man könnte jetzt auf die Idee kommen, dass das also ein Qualifikationsproblem der Beschäftigten ist und man das Problem dadurch lösen kann, dass man die schult. Genau so läuft das jetzt:
„Wir nehmen das sehr ernst“, wird Flughafen-Sprecher Christopher Holschier zitiert. „Insgesamt 2500 Mitarbeiter werden derzeit neu geschult, damit verdächtige Gegenstände nicht mehr durch die Kontrollen kommen.“

Aber vielleicht sollte man über diesen Aspekt der Sache hinaus einen grundsätzlichen kritischen Blick auf die Arbeitssituation derjenigen werfen, die im großen Dienstleistungsuniversum auf den Flughäfen versuchen, Lohn und Brot zu verdienen. Und spätestens hier sollte dem einen oder der anderen einfallen, dass gerade die „Bodendienste“ in den vergangenen Jahren Gegenstand des eingangs angesprochenen betriebswirtschaftlich radikalisierten Zugriffs im Sinne einer einseitigen Kostensenkungsstrategie waren und sind. Sparen, sparen, um jeden Preis bekommt hier eine ganz eigene Note.

Zu diesem Erklärungsansatz zwei Beispiele von vielen:

Vor einem Jahr wurde in dem Artikel Knochenjob zum Hungerlohn über die Situation einer Berufsgruppe berichtet, die auch in diesen Tagen wieder vor unseren Augen ihre „Hauptsaison“ haben, die aber auf den ersten Blick nichts mit dem Personal auf den Flughäfen zu tun haben: »Das Hauptzollamt überprüfte über 200 Paketfahrer am Köln/Bonner Flughafen. Dabei wurden die Fahrer auch zu ihren Löhnen befragt – ein sehr erschütterndes Ergebnis. Besonders viele Rentner sind unter den Zustellern.« Der hier besonders relevante Punkt ist die Tatsache, dass die Überprüfung am Flughafen Köln/Bonn stattgefunden hat, denn gleichsam als „Abfallprodukt“ aus der eigentlichen Überprüfung ist man auf einen hier sehr interessanten Punkt gestoßen:

»Ein … Aspekt der Überprüfungen rief die Flugsicherheit des Flughafens in den vergangenen Tagen auf den Plan. Bei den Kontrollen der Ausweise stellte sich heraus: Die Daten der Firmen, für die die Boten unterwegs sind, stimmten oft nicht mit den Angaben auf den Ausweisen überein. Zollsprecher Ahland spricht von „Missständen“.«

Und wer es noch aktueller haben möchte, dem sei an dieser Stelle der Beitrag Auf Kosten der Sicherheit – Billige Arbeitskräfte am Flughafen des Politikmagazins „Frontal 21“ (ZDF) empfohlen:

»Ohne das Bodenpersonal am Check-in geht am Flughafen Berlin-Tegel nichts. Doch jetzt verlieren rund 220 Mitarbeiter ihre Jobs, weil sie angeblich zu teuer sind. Viele von ihnen haben über 20 Jahre am Flughafen gearbeitet. Ihr Arbeitgeber ist die WISAG, eine der größten Dienstleistungsfirmen in Deutschland. Die hat zahlreiche Subunternehmen am Flughafen gegründet, deren Mitarbeiter deutlich weniger verdienen. Von ihnen wird bald die Arbeit am Check-in übernommen. Damit will der Konzern die Kosten drücken – auf Kosten der Mitarbeiter. Und auf Kosten der Sicherheit: Weil Personal auf dem Vorfeld fehlte, waren mehrere Wochen billige Aushilfskräfte im Sicherheitsbereich des Flughafens beschäftigt – ohne die vorgeschriebene Sicherheitsprüfung zu durchlaufen. Die Gewerkschaft der Polizei warnt vor einer Durchlöcherung des Kontrollsystems. Frontal21 zeigt, mit welchen Methoden ein Unternehmen langjährige Mitarbeiter abserviert und durch billigere Arbeitskräfte ersetzt.«

Man kann nur hoffen, dass die nunmehr aufgedeckte skandalöse Sicherheitssituation (sicher nicht nur) am Flughafen Frankfurt nicht nur darauf reduziert wird, dass die Mitarbeiter als solche „versagt“ haben, weil sie anscheinend Qualifikationsmängel haben, die man durch ein paar Stunden Schulung wenigstens für die Papierlage zu korrigieren versuchen wird, sondern dass das System der Arbeitsbedingungen endlich zum Gegenstand einer breiten öffentlichen Debatte wird. Und dass sich hier etwas verbessert, für die Beschäftigten und damit auch für uns.

Foto: © Stefan Sell

„Irre Beschäftigungseffekte“, „wirklich tolles Land“: Wenn Ökonomen sich überschlagen, lohnt ein Blick auf die Zahlen

Die deutsche Arbeitsmarktentwicklung in den vergangenen Jahren war von oben betrachtet sehr positiv. „Die“ Beschäftigung wächst und wächst. Es gibt offensichtlich immer mehr „Arbeitsplätze“ und zur Beweisführung wird dann darauf verwiesen, dass wir immer mehr „Beschäftigte“ haben. In der Wirtschaftspresse kann man dann solche Jubelmeldungen lesen: »43 Millionen. Diese Zahl jagte Ende November durchs Land – ­exakt 43,006 Millionen Erwerbstätige, 408.000 mehr als im Jahr zuvor. So viele Menschen hatten noch nie einen Job. Auch die Arbeitslosigkeit fiel: auf 2,7 Millionen.« Dieses Zitat wurden dem Artikel Bofinger wundert sich über „irren“ Jobmarkt von Georg Fahrion entnommen. »Kaum Wachstum – trotzdem brummt der Arbeitsmarkt. Das ist selbst für einen Ökonomen wie Peter Bofinger nur schwer erklärbar«, so der Autor des Artikels. Und Peter Bofinger ist doch einer bzw. der einzige eher kritische Ökonom in dem Gremium, das umgangssprachlich als die „fünf Wirtschaftsweisen“ bezeichnet wird. Und um ganz sicher zu gehen, dass die frohe Botschaft vor dem anstehenden Fest auch ankommt, wird noch eine Schippe raufgelegt: Auch Bert Rürup, ehemaliger Kopf der Wirtschaftsweisen, ist voll des Lobes über Deutschland: „Seit einigen Jahren ist Deutschland ein wirklich tolles Land.“ Und dann – wenn denn die Zitate richtig sind – überschlägt sich der ehemalige Superberater der Bundesregierung: „Wenn ich Papst wäre, wüsste ich, warum ich den Boden küsse, wenn ich nach Deutschland komme.“ Das sitzt. Also alles gut im „Jobwunderland“ Deutschland?

Es soll an dieser Stelle gar nicht erst die Frage gestellt werden, was dass denn für „Jobs“ sind, die da vor sich hin wachsen. Aber ein nüchterner Blick auf Begriffe wie „Arbeitsplätze“, „Beschäftigte“ usw. ist schon hilfreich, denn dann offenbart sich zumindest ein differenzierteres Bild.

Man muss wissen, dass „Erwerbstätige“ ein sehr weiter Oberbegriff ist. Darunter werden alle subsumiert – „normale“ Arbeitnehmer mit einem Vollzeitjob, Teilzeitbeschäftigte einschließlich der geringfügig Beschäftigten, aber auch alle Selbständige bis hin zu den mithelfenden Familienangehörigen. Es gibt eine weitere Kategorie in der Arbeitsmarktstatistik: beschäftigte Arbeitnehmer. Zu den Arbeitnehmern zählen alle abhängig Beschäftigten (Beamte, Arbeiter, An­ge­stell­te, ge­ring­fü­gig Tätige und Auszubildende). Schaut man sich deren Entwicklung an, dann spricht auch hier alles für ein quantitatives „Jobwunderland“ Deutschland. Man sieht das Wachstum der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren. 2013 waren es fast 38 Millionen Menschen, die mit diesem Status gezählt wurden und im nunmehr fast abgeschlossenen Jahr 2014 ist die Zahl weiter gestiegen. Allerdings gibt die folgende Abbildung auch einen ersten Hinweis auf die Notwendigkeit eines diffenzierenden Blicks, denn die Zahl der Vollzeitbeschäftigten hat deutlich abgenommen, während spiegelbildlich die Zahl der Teilzeitbeschäftigten erheblich angestiegen ist:

Man kann die hinter diesen Zahlen stehende Dynamik auch mit der üblichen Index-Darstellung sichtbar machen, in dem man also einen Blick darauf wirft, wie sich die einzelnen Komponenten seit 1991 entwickelt haben. Dann wird das Auseinanderlaufen – Vollzeit runter, Teilzeit rauf – klar sichtbar gemacht. Hinzu kommt ein weiterer, wichtiger Aspekt. Normalerweise werden immer Köpfe genannt, also 43 Mio. Erwerbstätige und viele denken dann, 43 Mio. Arbeitsplätze und bei Arbeitsplätzen denken dann viele an ganz bestimmte Arbeitsplätze, oftmals – ob bewusst oder unbewusst – an einen Arbeitsplatz mit Vollzeit und einem halbwegs „normalen“ Lohn. Die Abbildung verdeutlicht aber auch den Tatbestand, dass zwar die Zahl der Arbeitnehmer insgesamt angestiegen ist, zugleich aber das insgesamt von diesen geleistete Arbeitsvolumen gemessen in Arbeitsstunden zurückgegangen ist, was sich natürlich auf dem Teilzeiteffekt erklärt, in dem auch die große Zahl an ausschließlich geringfügig Beschäftigten, auch „Minijobber“ genannt, enthalten ist:

Und abschließend noch eine Abbildung, die hier nicht fehlen soll und auf die Notwendigkeit eines genaueren Blicks auf „die“ Beschäftigung und ihrer Entwicklung verweist: Nicht jeder Job wird von einem anderen Menschen besetzt und ausgeübt, es gibt auch Menschen, die nicht nur einen, sondern zwei oder drei Jobs ausüben bzw. – da wird es dann wirklich interessant hinsichtlich einer erforderliche Tiefenanalyse – ausüben müssen, weil sie sonst nicht über die Runden kommen:

Eigentlich erwartet man einen nüchternen Blick auf die Zahlen und die dahinterliegenden Entwicklungen und Ausformungen von Ökonomen, die sich nicht als Theologen („den Boden küssender Papst“) oder Psychiater („irrer Jobmarkt“) verstehen. Aber vielleicht sind sie ja auch nur falsch zitiert worden.

Fünf Sterne – oder weg bist du? Der „Bewertungskapitalismus“ als Chance und Bedrohung

In einem vor kurzem veröffentlichten Essay hat Christian Stöcker unter der Überschrift Der Fünf-Sterne-Kapitalismus mit einem interessanten, ambitionierten Begriff operiert: „Bewertungskapitalismus“. Was muss man sich darunter vorstellen? Dazu Stöcker: »In dem neuen Wirtschaftszweig, den man im Silicon Valley Share Economy getauft hat, geht es ohne Bewertungen gar nicht mehr. Unternehmen wie Airbnb, 9Flats oder Uber verkaufen keine Dienstleistungen mehr an Kunden, sondern vermitteln lediglich zwischen Anbieter und Abnehmer, so wie Ebay. Hier haben Bewertungen eine ganz neue Wucht … Nach dieser Logik werden alle, die mitmachen beim Bewertungskarussell, zu einer Art kollektiver Gewerbeaufsicht: Wenn wir alle der Meinung sind, dass leere Burgerpackungen im Fußraum eines Taxis nicht akzeptabel sind, dann können wir gemeinsam dafür sorgen, dass sie verschwinden. Wir müssen nur oft genug unseren Unmut kundtun. Die Dienstleistungen, die Uber, Airbnb und Co. vermitteln, müssten mit jeder bewerteten Transaktion immer besser und besser werden, ganz ohne staatliche Einmischung. Gegen uns alle als Kontrolleure sind die paar Beamten von den Aufsichtsbehörden ein Witz.«

Mit diesen Ausführungen deutet sich an, in welche spezielle Richtung die Plattform-Betreiber die Debatte zu lenken versuchen: Man will gewachsene und überhaupt staatliche Regulierung zurückdrängen und meint, diese substituieren zu können über ein auf der Seite der Nachfrager bzw. Konsumenten implementiertes System der Bewertungen, weil die doch viel besser wissen, was gut ist bzw. war und was nicht. Daraus lassen sich mindestens zwei Fragen ableiten: Zum einen die nach der Verlässlichkeit und der Sicherheit der Kontrollfunktion im Zuge der tatsächlich beobachtbaren Machtverschiebung zugunsten der (bewertenden) Kunden. Zum anderen, gleichsam als oftmals immer noch unterschätzte „dunkele Seite“ der neuen Welt des Bewertungskapitalismus, die Frage nach den Auswirkungen nicht nur auf die Anbieter generell, sondern vor allem auf deren Art und Weise, die Arbeit erledigen zu müssen, mithin also auch auf die Beschäftigungsbedingungen. Ein genuin sozialpolitisches Thema.

Der Blick auf die erste Frage kann an dieser Stelle nur sehr skizzenhaft erfolgen. Grundsätzlich, um mit den positiven Aspekten zu beginnen, muss man natürlich konzedieren, dass die heutige Welt der möglichen Kundenbewertungen der Konsumentenseite eine ganz neue Macht im Gefüge zwischen Angebot und Nachfrage eröffnet. Und viele Anbieter haben diese Macht auch schon schmerzhaft zu spüren bekommen. Wenn man sich anschaut, wie stark die Geschäfte bestimmter Anbieter mittlerweile abhängig geworden sind von den vorliegenden Bewertungen ihrer Produkte und Dienstleistungen, dann wird klar, dass es hier um existenzielle Angelegenheiten geht. Allerdings reagiert eine kapitalistische Ökonomie auf diese Machtverschiebung in den Angebots-Nachfrage-Beziehungen systemimmanent mit dem Versuch, diese Verschiebung, wenn sie denn schon nicht mehr zu vermeiden ist, zu „gestalten“. Man kann und muss davon sprechen, dass zwischenzeitlich eine ganze „Bewertungsindustrie“ entstanden ist, deren Geschäftsmodell darin besteht, den immer bewertungsabhängiger werdenden Unternehmen Bewertungen in die gewünschte Richtung zu generieren oder aber auch – als eine besonders maligne Ausformung – Konkurrenten negativ zu treffen. Zur überaus komplexen Thematik der „Bewertungsindustrie“ nur zwei Beispiele:

  • An der Fachhochschule Worms wurde am Beispiel der Hotel-Bewertungen eine empirische Studie über die Bedeutung sogenannter „Customer Review Sites“ durchgeführt. Alles ist käuflich, so zumindest eine der Aussagen der Studie, in dem die Autoren die Marktpreise zusammengestellt hat: » Weblog-Einträge kosten zwischen 5 und 500 Euro je nach Umfang und Qualität, Twitter-Follower sind zwischen 8 und 17 Cent je nach Anbieter und Leistungspaket zu haben, und Bewertungen kosten ca. 5 Euro (oder 5 Dollar) je nach anbietender Person.«
  • Stefan Krombach hat in seinem Artikel Gekaufte Bewertungen: Wie HRS seine iPhone-App promotet darüber berichtet, dass das Hotelbuchungsportal HRS Studenten für positive Rezensionen bezahlt, um im riesigen Angebot des App Stores mit guten Bewertungen herauszustechen. Konkret sollten die Studenten die HRS-iPhone-App testen und eine Rezension im App Store schreiben. Dafür wurden sie mit 3,20 Euro vergütet. HRS forderte, in der Rezension vor allem die positiven Aspekte hervorzuheben und auch eine entsprechende Bewertung abzugeben. Krombach hat in seinem Artikel auf einen der Anbieter dieser Dienstleistungen hingewiesen: “Beauftragen Sie qualifizierte Studenten online”. Mit diesem Satz wirbt das Studentenjob-Portal Mylittlejob.de auf seiner Startseite um Auftraggeber. Ergänzend könnte es wohl heißen: “Studenten bewerten Ihre App mit fünf Sternen!” Doch dieser Satz fehlt. »Bei der zu “testenden” App handelt es sich um die “Hotel Suche” des Buchungsportals HRS. HRS kauft sich also für 3,20 Euro eine Bewertung im App Store, bei der “vor allem die positiven Aspekte hervorgehoben werden” sollen.« Offensichtlich gibt es einen generellen Markt für diese Dienstleistungen: »Es gibt Marketing-Agenturen, die sich rein auf “ASO”, die “App Store Optimization” spezialisiert haben. Die gratizzz GmbH aus Mainz beispielsweise bietet 50 App-Bewertungen zum Preis von 290 Euro an und verspricht “die Pole-Position für Ihre App“«, so Krombach in seinem Beitrag.

Von grundsätzlicher, aber empirisch überaus schwer zu fassender Bedeutung ist die Frage nach der Korrektheit der Bewertungen – und das nicht nur für die Nutzer, die sich verlassen (wollen) auf die Bewertungen, sondern auch für die Anbieter, die teilweise in existenzielle Nöte gestoßen werden können, wenn beispielsweise zahlreiche falsche Bewertungen andere potenzielle Kunden vom Kauf abhalten. Die Datenlage ist naturgemäß unsicher. Zum Anteil gefälschter Bewertungen gibt es immer nur Schätzwerte. Die rangieren aber alle zwischen 20 und 30 Prozent. Beispielsweise hat das Bewertungsportal Yelp angegeben, dass es 20% bis 25% der abgegebenen Bewertungen als “suspicious,” einstuft. Entfernt werden diese Beiträge dann aber übrigens nicht. Häufig zitiert werden der Informatiker Bing Liu der Universität Illinois und der  Social-Media-Experte Krischan Kuberzig, die ebenfalls von 20 bis 30 Prozent ausgehen. Wie immer bei solchen Entwicklungen gibt es sogleich eine Gegenentwicklung: In den USA entwickeln mehrere Institute Detektoren für Opinion Spam, darunter beispielsweise die Cornell University in New York mit einem Angebot namens Review Skeptic).

Mit der Thematik hat sich auch das Deutschlandradio Kultur-Magazin „Breitband“ in der Sendung am 13.12.2014 aus unterschiedlichen Perspektiven beschäftigt: „Top-Verkäufer, netter Kontakt, gerne wieder“. Wie der Bewertungskapitalismus Handel und Konsum verändert. Die Sendung ist auch als  Audio-Datei verfügbar.

Aus einer sozialpolitischen Sicht besonders relevant und brisant ist die Frage, was dieser um sich greifende „Bewertungskapitalismus“ für die Beschäftigungsbedingungen der Menschen bedeutet. Beginnen wir auch diesen Teil mit einem positiv daherkommenden Aspekt: »Der bewertungsbasierte Kapitalismus sorgt nicht nur für höfliches Personal, saubere Autos und Hotelzimmer, er schafft auch ganz von selbst, crowdbasiert sozusagen, Qualitätsstandards. Was viele Kunden als gut genug bewerten, ist es auch.« So Christian Stöcker in seinem bereits zitierten Artikel Der Fünf-Sterne-Kapitalismus. Ganz unabhängig von der Frage, ob das bei komplexen Produkten oder Dienstleistungen überhaupt stimmt – in dem Zitat verbirgt sich  eine große Problematik für den Art und Weise der zu erledigenden Arbeit unter den Bedingungen des modernen Bewertungskapitalismus. Stöcker macht das am Anfang seines Artikels anhand einer anekdotischen Beschreibung aus der gar nicht so schönen neuen Bewertungswelt deutlich:

»Ein Kollege aus der Redaktion von SPIEGEL ONLINE hatte kürzlich ein für ihn unangenehmes Erlebnis im Taxi. Er hatte den Wagen per App bestellt. Als der Kollege sich angeschnallt hatte, begann der Fahrer, um Lob zu bitten. Ob man denn mit der Fahrt zufrieden sei, fragte der Mann, man werde ihm doch hoffentlich eine gute Beurteilung zuteil werden lassen. Das einzige, was der Kollege am Ende der Fahrt tatsächlich zu bemängeln hatte, war das fortgesetzte Betteln.«

Nicht ohne Grund sind wir wieder einmal bei Uber gelandet. Denn die haben tatsächlich ein einfaches und vielleicht gerade deshalb so wirkkräftiges „Feedback“-System aufgebaut, das einen enormen Druck ausübt auf die Fahrer dieses Unternehmens. Wie problematisch die Arbeitsbedingungen der Uber-Fahrer mittlerweile im Heimatland dieses Konzerns sind, kann man der Reportage Unter dem Mindestlohn – Fahrer protestieren gegen Uber von Wolfgang Stuflesser aus den USA entnehmen – dort wird darauf hingewiesen, dass die Fahrer vor allem das rigide Bewertungssystem der Fahrer durch die Kunden als ungerecht empfinden. Sie weisen darauf hin, dass vielen Kunden möglicherweise gar nicht bewusst ist, dass Fahrer vom Unternehmen aussortiert werden, wenn sie nicht im Schnitt auf fünf Sterne bei der Bewertung kommen. Auch Stöcker erwähnt das Uber-Beispiel hin: »Lob oder Tadel haben einen monetären Wert, sie können unmittelbare Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wohl und Wehe Einzelner haben. Ins Auto eines Fahrers, in dessen Profil zwei Sternchen stehen, wird kaum noch jemand einsteigen. Bei Uber dürfte er gar nicht mehr fahren. Das Magazin „Wired“ warnte vor einiger Zeit schon einmal, man müsse schon gute Gründe haben, einem Uber-Fahrer weniger als fünf Sternchen zu geben, denn dessen wirtschaftliche Existenz hänge von seiner Punktzahl ab.«

Aber es gibt noch ganz andere Bereiche, wo über die personenbezogene Bewertung der Arbeitsleistung nach dem Muster Daumen hoch oder runter gewirkt wird. Nehmen wir als Beispiel der Handwerker-Vermittlungsplattform MyHammer. Dort werden die anbietenden Handwerker ebenfalls bewertet von den Kunden – und das übt einen gewaltigen Druck aus auf diese Anbieter. Dazu beispielsweise aus der Forschung den Beitrag „Soloselbstständige Internet- Dienstleister im Niedriglohnbereich: Prekäres Unternehmertum auf Handwerksportalen im Spannungsfeld zwischen Autonomie und radikaler Marktabhängigkeit“, ein Vortrag von Philipp Lorig von der Universität Trier auf der 2. Tagung der Initiative 3sR „Tertiarisierung der Gesellschaft“. Zum Bewertungssystem von MyHammer führt Lorig aus: Für Soloselbstständige sind die Bewertungen Werbung und Information für potenzielle Neukunden. Aufgrund der Wichtigkeit positiver Bewertungen wird das Auftreten instrumentell darauf ausgerichtet. Die Bewertungen, so Lorig, haben eine disziplinierende Funktion: Der stumme Zwang radikaler Markt- und Kundenabhängigkeit reicht weit über vertragliches Abkommen hinaus in den Alltag der Anbieter hinein. Die Angst vor negativer Bewertung führt zu unentgeltlichem Entgegenkommen, Arbeit auf Materialkostenpreis, ständiger Erreichbarkeit. Lorig zitiert einen der befragten Handwerker:


„Sobald du schlechte Bewertungen hast, hast du schlechte Karten. Die Leute gucken wirklich drauf. Die gucken sich die letzten Bewertungen an, wie die Leute beschrieben sind, ob sie sauber gearbeitet haben, die Qualität stimmt, ob sie zuverlässig und ob sie preiswert waren. Das steht alles drin. Aber du steckst da nicht drin, du weißt nicht, warum die Leute dich plötzlich schlecht bewerten, warum sie so einen Quatsch schreiben. Es ist doch kein Problem, mich anzurufen und zu sagen, was eventuell schief gelaufen ist. Aber einfach so Kritik rauszuhauen, das ist vielleicht kein Rufmord, aber es ist ’ne Wertung, die andere Leute lesen! Ich sag den Kunden immer, wenn etwas sein sollte, wenn sie nach der Abnahme nicht ganz zufrieden sind und wenn noch etwas zu tun ist: lieber anrufen als direkt öffentlich abzuwerten. Wenn irgendwas dreckig sein sollte oder wenn die Farbe nicht gedeckt hat, dann komm ich da gerne nochmal hingefahren, ist doch kein Thema, dann arbeite ich nochmal nach. Aber so ne negative Bewertung, die kann dir das Genick brechen“. (Lorig 2014, Folie 12).

Lorig interpretiert das, was auf MyHammer abläuft, als Beispiel für die Entwicklung eines neuartigen „Internet-Dienstleister-Tagelöhnertums“ (Folie 18). Das trifft sicher nicht für alle Anbieter zu, aber es scheint schon ein Strukturmerkmal bei vielen Angeboten zu sein. Die Verschiebung der Marktmacht hin zu den Verbrauchern hat – wie jede Medaille – eben zwei Seiten.

Und das, was einige Anbieter im Bereich der handwerklichen Dienstleister erleben (müssen), kennen wir schon seit längerem auch in der vielzitierten hochqualifizierten Wissensarbeit. 2012 haben Markus Dettmer und Frank Dohmen in ihrem Artikel Frei schwebend in der Wolke die damaligen konzeptionellen Überlegungen des Software-Konzerns IBM für eine Radikalreform seiner Belegschaft beschrieben: »Die meisten Mitarbeiter der Zukunft sitzen dagegen nicht mehr in den Zentralen und Niederlassungen des IT-Spezialisten. Sie sind von Nigeria über Finnland bis Chile weltweit in einer sogenannten globalen Talent Cloud verstreut und werden in sich verändernden Verbünden für einige Tage, Wochen, Monate oder Jahre für bestimmte Projekte angeheuert. Sie sollen, so das Papier, „die Dienstleistungen für unsere Kunden erbringen“. Anbieten können die Fachkräfte ihre Arbeitskraft auf einer Internetplattform nach dem Vorbild von Ebay. Dort sollen Firmen aus aller Welt über „virtuelle Kioske“ Zugriff auf das Personal erhalten. Damit die Auswahl der Arbeitskräfte funktioniert, will IBM ein „Zertifizierungsmodell“ erarbeiten. Die Menschen, die ihre Arbeit auf der Plattform anbieten, würden etwa mit Farben (Blau, Silber oder Gold) gekennzeichnet – je nach Grad ihrer Qualifizierung und Befähigung.«
Mit Blick auf die hier interessierenden Bewertungssystem erfahren wir:

»Zum entscheidenden Faktor für den Erfolg von Arbeitnehmern wird künftig aus Sicht des Konzerns deren sogenannte digitale Reputation. Gemeint ist damit ein System, mit dem Menschen bewertet und gleichzeitig motiviert werden sollen, eine beängstigende Mischung aus Freiheit und totaler Kontrolle.«

Die Betroffenen müssen ihren beruflichen Werdegang, ihre Stärken, Schwächen und Qualifikationen zur Schau stellen. Kernbestandteil wären »detaillierte Beschreibungen über die Leistung in bestimmten Projekten. Sie reichen von positiven Einträgen wie „Sofortbonus“ für besondere Leistung bis hin zu negativen Bemerkungen wie etwa „Termin für Projekt x nicht gehalten“ oder „letzte Woche keinen Beitrag geleistet“. All dies soll in einer Art elektronischem Arbeitslebenslauf verankert werden. Dieser Lebenslauf samt Bewertungen ist die Grundlage für Bewerbungen und kann von freigegebenen Firmen oder Freunden ähnlich wie bei Facebook eingesehen und bewertet werden.« Die beiden Autoren merken an: »Für Firmen wäre ein solches System paradiesisch.« Aber sicher für viele Betroffene, die mit einigen Klicks aussortiert werden können, sicher nicht.
Und das sind nicht nur konzeptionell-übergriffige Gedankenspielereien. Portale wie Odesk, Elance oder Twago vermitteln „Freelancer“, darunter nicht nur IT-Leute, sondern auch Übersetzer, Journalisten und andere mehr. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Auch hier stellt sich letztendlich eine Aufgabe, die man generell hinsichtlich der Bewertungsportale im Internet für Produkte und Dienstleister an die staatliche Ebene stellen kann und muss: Ein gewisser Schutz der Anbieter-Seite. Aber dazu gibt es derzeit – noch – kaum Konzepte.