Ein Verstaatlichungsversuch von Spenden an Wohlfahrtsorganisationen, die für den Staat einen Teil der Suppe ausgelöffelt haben. Der Blick geht nach Österreich

Immer wieder und gerne wird in Sonntagsreden von der „Zivilgesellschaft“ gesprochen, ohne die vieles an Aufgaben in unserer Gesellschaft gar nicht geleistet werden könnte. Was mit diesem irgendwie inhaltsleer daherkommenden Begriff der „Zivilgesellschaft“ dabei gerne verbunden und lobgepreist wird, ist das ehrenamtliche Engagement und die Spendenbereitschaft der Menschen. Es muss in diesen Zeiten nun wirklich nicht ausführlich beschrieben und begründet werden, dass ohne das schnelle und entschiedene Eingreifen der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer, zuweilen neben und vielerorts mit den professionellen Helfern aus den Reihen der Wohlfahrtspflege zusammen, im Herbst vergangenen Jahres die vielen Flüchtlinge auch nicht annähernd so hätten versorgt werden können, wie man es beobachten konnte. Und bis heute leisten die vielen ehrenamtlichen wie auch die professionellen Flüchtlingshelfer eine Arbeit, ohne die der Staat alleine auf sich gestellt völlig überfordert wäre.

Das alles werden viele unterschreiben können – bleibt es doch auf einer allgemeinen Ebene der positiven Beschreibung gesellschaftlichen Engagements. Wie immer trübt das Bild ein, wenn man von der Vogelperspektive in die konkreten Gefilden wechselt. Da werden dann Spannungen erkennbar und auch öffentlich gemacht zwischen den ehrenamtlichen und den professionellen Flüchtlingshelfern und neben der unmittelbar erfahrbaren Kraft des Anpackens und Helfens zeigt sich nach einer gewissen Zeit zwangsläufig die Fragilität der ehrenamtlichen Aktivitäten, die sich selbst überfordern und nicht selten ausbrennen. Gerade angesichts dieser Fragilität ist es so wichtig, dass die ehrenamtlichen Hilfe nach dem nicht vermeidbaren Chaos der Anfangszeit stabilisiert und entlastet wird durch die professionellen Hilfesysteme. Aber in diesem Beitrag geht es nicht um das angesprochene Spannungs- und Ergänzungsverhältnis zwischen Ehrenamtlichen und Profis, sondern um die Profis, die – für manche unerwartet – nicht für Gottes Lohn, also ohne Geld arbeiten, sondern deren Kosten im Regelfall mehr oder weniger ausreichend erstattet werden vom Staat, der ja auch durch sie eine enorme Entlastung erfährt. Und es wundert sicher niemanden, dass es immer Streit gibt, ob die Arbeit der Wohlfahrtsorganisationen ausreichend oder nicht refinanziert wird. Was aber bislang keiner auf dem Schirm hatte war der Versuch, eine andere Finanzierungsquelle der Wohlfahrtsorganisationen, die Spenden an sie, seitens des Staates zur Teilfinanzierung seiner Kosten zu instrumentalisieren. Da muss man auch erst einmal hin kommen, gedanklich und operativ. Besichtigen können wir diese interessante Entwicklung nun auch in der Realität, konkret in Österreich. Und wie das da ausgeht, sollte auch in Deutschland viele interessieren.

Schauen wir uns zuerst einmal den Sachverhalt an. Dieser Artikel bringt es schon in der Überschrift auf den Punkt: Flüchtlingshilfe: Bund will Spenden abkassieren, so Renate Graber. Nach ihrem Bericht stellt sich die Situation so dar:

»Österreichs Hilfsorganisationen, die dem Bund in der Flüchtlingshilfe und -unterbringung zur Seite gesprungen sind, warten nicht nur auf ihnen zustehendes Geld von der Republik.« Offen sind die Zahlungen für Januar und Februar. »Laut dem Chef des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, bringt dieser Umstand manche der Organisationen „an den Rand der Zahlungsunfähigkeit“.«

Mit anderen Worten: Die Wohlfahrtsorganisationen sind also in Vorleistung getreten und haben die Kostenerstattung bislang noch nicht erhalten – und viele von ihnen sitzen nicht auf einem Geldbunker, mit dessen Hilfe sie in größerem Umfang und über längere Zeit etwas vorfinanzieren können. Und sie haben professionelle Beschäftigte, deren Lohn und Sozialabgaben gezahlt werden müssen. Aber der eigentliche Hammer kommt erst noch:

»Für noch viel mehr Aufregung sorgt allerdings ein Schreiben des Innenministeriums vom 10. Februar mit dem Betreff: „Förderungen Transitflüchtlinge; Berücksichtigung des Spendenaufkommens“. Aus diesem Brief erschließt sich, dass der Bund den NGOs die Spenden, die sie für ihre Arbeit für die Flüchtlinge bekommen, von den ersetzten („geförderten“) Kosten abzieht. Das 21-seitige Schreiben erging an zwölf Organisationen (etwa Rotes Kreuz, Johanniter NÖ-Wien, Volkshilfe Wien, Train of Hope, Islamische Föderation, türkisch-islamischer Kulturverein Teesdorf).«

Das erscheint wie ein Stück aus dem Tollhaus, aber wie so oft muss man genauer hinschauen. Denn bei aller Verwunderung bis Empörung kann man nicht behaupten, dass das seitens der österreichischen Regierung gleichsam als Überraschungsangriff durchgeführt wurde, es ist ein Paukenschlag mit Ansage, denn im vergangenen Jahr – als dieHilfsorganisationen bei der Versorgung der Flüchtlinge für den Staat in die Bresche gesprungen sind – hat dieser die spätere Kostenübernahme in einer Sonderrichtlinie konkretisiert, die genau das schon beinhaltet, was jetzt für eine Empörungswelle sorgt:

»Die „Sonderrichtlinie“ trat am 23. Oktober 2015 in Kraft und läuft Ende März aus. Fixiert ist darin unter anderem das Procedere für die Förderungen der Kosten, die den NGOs ab dem 4. September 2015 rund um die „Hilfsmaßnahmen für Transitflüchtlinge“ entstehen. Unter Punkt VI.1 wird auf grundsätzliche Förderrichtlinien des Bundes verwiesen, wonach „grundsätzlich nur jene Kosten förderbar sind, die … nicht durch Zuwendungen Dritter (insbesondere Spenden) abgedeckt sind“.«

Nun ist die Empörung in Österreich unter den Betroffenen groß und das Ansinnen des Staates wird auf eine grundsätzliche Ebene gehoben:

»Der Geschäftsführer des Fundraising Verband Austria (FVA), Günther Lutschinger, macht aus seiner Empörung kein Hehl. Das Ansinnen des Innenministeriums sei „eine absolute Frechheit und bedeutet einen Anschlag auf das Spendenwesen in Österreich“. Natürlich hätten die NGOs die Sonderrichtlinie und den darin fixierten Spendenabzug gekannt – aber der sei im Fall der Flüchtlingshilfe völlig unangebracht. Schließlich seien Flüchtlingshilfe und deren Finanzierung Staatsaufgabe – „aber der hat da versagt und die NGOs gebeten zu helfen. Und die sind dann für den Staat in Vorlage getreten.“ Kurzum: Der Staat habe seine Aufgaben nur ausgelagert. Während er in anderen Fällen, etwa bei der Leitung des Lagers Traiskirchen, Verträge gemacht habe, greife er in diesem Fall zu Förderverträgen.«

Das ist wohl wahr – so auch Reinhard Hundsmüller vom Arbeiter-Samariter-Bund, der den Fördervertrag für erbrachte Leistungen für den „falschesten Weg“ hält. Natürlich könnte man an dieser Stelle fragen, wieso man denn im vergangenen Jahr das Spiel offensichtlich mitgespielt hat. Wahrscheinlich weil man gehofft hat, dass das nur Rhetorik bleibt und nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde.
Interessant in diesem Zusammenhang auch die Antwort von Hundsmüller vom ASB auf genau diese Frage:

»Die Republik weiß es sehr gut auszunützen, dass mehrere NGOs auf dem Sektor tätig sind. Springt nicht der Größte ab, sagt sie, dann macht das eben der Rest.«

Da wird ein Strukturproblem der Wohlfahrtsorganisationen angesprochen, das wir auch in Deutschland zur Genüge kennen. Es gibt darüber hinaus auch in der gegenwärtigen Debatte in Österreich Stimmen, die versuchen, eine gewisse Distanz zum Protest der Hilfsorganisationen aufzubauen – und dabei auch eine grundsätzliche Ebene bemühen: »Nichtregierungsorganisationen kontra Regierung: Die NGOs wären gut beraten, ihren Mehrwert verstärkt in die öffentliche Auslage zu stellen – und sich weniger einer aggressiven und ermahnenden Rhetorik zu befleißigen.« So Bernhard Lori in seinem Kommentar Ein Spendendisput ohne Bürger und Zahler?.

Ansonsten formiert sich Widerspruch und Protest gegen den geplanten Verrechnungsschritt. Mehr Staat – weniger privat, so kommentiert Michael Möseneder. Für ihn stellt sich die Sache so dar:

»Für die Betreuung von Flüchtlingen ist in diesem Land das Innenministerium zuständig. Das war nur leider im Sommer 2015, als immer mehr Flüchtlinge kamen, völlig überfordert. Am Grenzübergang Nickelsdorf waren es die Hilfsorganisationen, die Essen und Kleidung verteilten. Selbst die Stadt Wien organisierte mehr als das in Schockstarre verfallene Ressort von Ministerin Johanna Mikl-Leitner. Dafür, dass die Vereine – und auch viele Privatpersonen – dem überforderten Bundesstaat geholfen haben, seine Aufgaben zu erfüllen, werden sie und die Gönner jetzt bestraft – indem die Spenden eingesackelt werden … eine logische Reaktion wäre, künftig Hilfsersuchen staatlicher Stellen höflich, aber bestimmt abzulehnen.«

Aktuell ist die Sache wohl noch in der Schwebe: In dem Artikel Streit um Spenden: Ostermayer gegen Pläne des Finanzministeriums wird darauf hingewiesen: »Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) hat sich gegen die von Innen- und Finanzministerium geplante volle Anrechnung der Spenden auf die Förderungen für die Flüchtlings-Hilfsorganisationen ausgesprochen. Er sei für eine gemeinsame Lösung mit den Hilfsorganisationen. Diese solle „nicht eine 1:1-Gegenrechnung“ umfassen.«

Man darf gespannt sein, wie das in Österreich ausgeht. Sicher werden das in Deutschland manche mit großem Interesse verfolgen.

Die Flüchtlinge und der Arbeitsmarkt: Ein steiniger Weg mit einer ganz großen Hürde neben vielen anderen. Und wieder auch mehr oder weniger abseitige Gedankenspiele

In den vergangenen Wochen musste man zuweilen den Eindruck bekommen, die deutsche Wirtschaft steht bereits Schlange, um die Flüchtlinge, die zu uns kommen, in Lohn und Brot zu bringen. „Die meisten Flüchtlinge sind jung, gut ausgebildet und hoch motiviert. Genau solche Leute suchen wir“. Mit diesen Worten wird beispielsweise Dieter Zetsche zitiert in dem Artikel Daimler-Boss lässt in Flüchtlingszentren nach Arbeitskräften suchen. Obgleich die Headline etwas vorgriffig ist, denn er lässt das nicht tun, sondern er könnte es sich vorstellen, das zu tun: „Ich könnte mir vorstellen, dass wir in den Aufnahmezentren die Flüchtlinge über Möglichkeiten und Voraussetzungen informieren, in Deutschland oder bei Daimler Arbeit zu finden“. Und bereits vorher war der Premiumkarossenhersteller mit ganz konkreten Forderungen an die Politik aufgefallen: »Kürzlich hatte bereits Daimler-Vorstandsmitglied Christine Hohmann-Dennhardt in einem Zeitungsinterview angeregt, die Regeln zur Arbeitsaufnahme allgemein zu lockern und Asylbewerbern nach einem Monat zu gestatten, eine Arbeit aufzunehmen.« Der Hintergrund sind reale Restriktionen: Asylsuchende und Geduldete dürfen in den ersten drei Monaten überhaupt nicht arbeiten und auch danach haben sie nur schlechte Chancen auf einen Job, wenn es „bevorrechtigte Arbeitnehmer“ gibt, was die Arbeitsagenturen über eine „Vorrangprüfung“ feststellen müssen, die für viel Arbeit sorgt. Dies sind Deutsche, aber auch EU-Ausländer oder anerkannte Flüchtlinge. Erst nach 15 Monaten fallen diese Hürden weg. Vorstöße wie der aus der Konzernzentrale von Daimler könnten den Eindruck erwecken, dass man viele Flüchtlinge gleichsam direkt nach ihrer Einreise beschäftigen könnte. Dem ist aber offensichtlich nicht annähernd so.

»Andrea Nahles dämpft die Euphorie: Die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen koste Zeit und Geld, sagt die Arbeitsmarktministerin. Dabei reicht ihr Zeithorizont nicht über Monate, sondern über Jahre«, berichtet das Handelsblatt in dem Artikel Integration dauert viel länger als gedacht. Die Ministerin hat vor zu viel Euphorie bei der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen gewarnt. Erste Auswertungen des Projekts Early Intervention der Bundesagentur für Arbeit (BA) hätten gezeigt, dass nicht einmal jeder zehnte Flüchtling direkt in Arbeit oder Ausbildung vermittelt werden konnte.

Zu diesem Projekt vgl. auch den IAB-Forschungsbericht von Daumann, V. et al.: Early Intervention – Modellprojekt zur frühzeitigen Arbeitsmarktintegration von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern Ergebnisse der qualitativen Begleitforschung, Nürnberg 2015.

Deshalb sei auch klar, dass der Flüchtlingsandrang zu einem Anstieg der Arbeitslosenzahl führen werde, so die Ministerin, um der kommenden Entwicklung schon mal vorzubeugen. Zugleich macht sie konkrete Veränderungsankündigungen, denn sie hoffe auf eine Verständigung mit den Bundesländern, »die Vorrangprüfung für eine Weile auszusetzen, ohne dabei die einheimischen Arbeitslosen aus dem Blick zu verlieren.«

Steffen Fründt, Philipp Vetter und Virginia Kirst beschäftigen sich in ihrem Artikel Die große Hürde für Flüchtlinge bei der Jobsuche mit dem Nadelöhr für viele Flüchtlinge – den notwendigen Sprachkenntnissen und warum es kaum möglich ist, ihnen schnell Deutsch beizubringen.

»“Der beste Weg der Integration ist die berufliche. Doch die scheitert sehr häufig schon allein an den Sprachkenntnissen“, sagt Sönke Fock, Geschäftsführer der Hamburger Agentur für Arbeit. Er dämpft die Erwartungen derer, die in der Flüchtlingswelle eine schnelle Lösung für den Fachkräftemangel im Land sehen. Mit Ausnahme von ein paar IT-Firmen sei gutes Deutsch die Grundvoraussetzung, um auf dem deutschen Arbeitsmarkt überhaupt vermittelbar zu sein.«

Auch hier wird auf die Erfolgsquote von Early Interventions, einem Programm, mit dem die Agentur für Arbeit in mehreren deutschen Städten Menschen mit Migrationshintergrund durch Coaching und Sprachschulung in Beruf und Arbeit zu vermitteln versucht, hingewiesen:

»Seit eineinhalb Jahren läuft das Programm in Hamburg, über 2000 Kandidaten meldeten sich bislang zu der freiwilligen Maßnahme an. Davon erfolgreich in eine Arbeitsstelle vermittelt wurde bis heute keiner.«

Das schlägt sich auch schon in der offiziellen Arbeitsmarktstatistik nieder:

»Während die Zahl der deutschen Arbeitssuchenden deutlich um knapp sechs Prozent auf 3,8 Millionen Arbeitssuchende schrumpfte, wuchs sie im gleichen Zeitraum unter den Arbeitssuchenden mit ausländischer Staatsangehörigkeit um neun Prozent. Ihre Anzahl beträgt nun rund eine Million Menschen. Damit sind überproportional viele Ausländer auf der Suche nach Arbeit. Ihr Anteil an der Bevölkerung liegt bei rund neun Prozent, sie stellen aber 21 Prozent der Arbeitssuchenden.«

Die vielen Flüchtlinge, die vor kurzem Deutschland erreicht haben, sind da noch gar nicht eingerechnet.

Die größte und vor allem zeitaufwendigste Barriere ist und bleibt die Sprache. » Schon ein Basiskurs Deutsch dauert 300 Stunden. Dabei werden allerdings nur Grundlagen vermittelt. Je nach Status und Herkunftsland kann es dann sehr lange dauern, bis ein Aufbaukurs mit 600 Stunden oder „Deutsch für das Berufsleben“ folgt, Wochen oder Monate, in denen das Erlernte oft gleich wieder vergessen wird. Untergebracht in isolierten Einrichtungen und umgeben von Landsleuten fehlt schlichtweg die Praxis.« Und an unsere eigenen Erfahrungen anknüpfend bringt das folgende Zitat das Grundproblem, mit dem wir konfrontiert sind, auf den Punkt:

»Wenn schon unbelastete und aufnahmefähige Jugendliche Jahre brauchen, um eine einfache Fremdsprache wie Englisch zu erlernen, wird schnell deutlich, dass die nun von Politikern propagierte schnelle Integration in den Arbeitsmarkt in vielen Fällen tatsächlich ein eher zäher und langwieriger Prozess werden wird.«

Hinzu kommt: Um 800.000 Flüchtlingen Deutsch beizubringen, fehlen schlichtweg die Lehrkräfte. Deutschlehrer sind schon jetzt auf dem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr zu finden. Und die, die bislang in diesem Feld gearbeitet haben, sind mit nur noch als skandalös zu bezeichnenden Arbeitsbedingungen konfrontiert (vgl. dazu den Blog-Beitrag 1.200 Euro im Monat = „Top-Verdienerin“? Lehrkräfte in Integrationskursen verständlicherweise auf der Flucht oder im resignativen Überlebenskampf vom 2. September 2015). „Das Fehlen qualifizierter Deutschlehrer droht zum Flaschenhals der Integration zu werden“, befürchtet Hamburgs Arbeitsagenturchef Fock. Wohl wahr.

In diesem Kontext hat sich auch der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (BBB) zu Wort gemeldet unter der Überschrift Flüchtlinge haben absoluten Vorrang: »Die Bildungsträger unterstützen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Neue Lehrerstellen für Integrationskurse und bessere Planungssicherheit haben aber ihren Preis.« Der Vorstandsvorsitzende des BBB, Thiemo Fojkar, wird mit diesen Worten zitiert:

»„Es müssen tausende von Lehrerstellen neu besetzt werden, allein um die Integrationsklassen aufrecht zu erhalten und ausbauen zu können. Eine enorme Verantwortung, die da auf uns alle zukommt.“
Wenn die Bedingungen für Träger und deren Personal nicht verbessert werden – derzeit bekommt ein Lehrer in einem Integrationskurs zwischen 800 bis 1200 Euro Honorar – dann ist zu befürchten, dass Lehrkräfte, die dringend gebraucht werden, zunehmend in attraktivere Arbeitsfelder abwandern und zusätzliche Stellen nicht besetzt werden können.«

Das sind die Realitäten und eine Andeutung der Hindernisse, die man in der Lebenswirklichkeit vorfindet. Das hindert natürlich Theoretiker nicht daran, munter weiter mehr oder weniger gehaltvollen Gedankenspielereien in die Öffentlichkeit zu werfen. Hierzu ein Beispiel: »Derzeit dauert es zu lang, bis Flüchtlinge eine Arbeitserlaubnis bekommen. Die Gemeinden müssen deshalb hohe Kosten tragen. Doch schon eine einfache Maßnahme könnte zu einer Win-Win-Situation führen.« Da horcht man auf, vor allem, wenn der Artikel auch noch überschrieben wird mit Diese Idee löst ein großes Problem der Flüchtlinge. Und die kommt von Thomas Straubhaar ist Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Hamburg und Fellow der Transatlantic Academy in Washington.

»Dürften Flüchtlinge arbeiten, könnten sie selber einen Teil ihrer alltäglichen Aufenthaltskosten tragen. Bestenfalls leisten sie dann sogar über ihre Einkommenssteuern einen Beitrag in die öffentlichen Kassen. Erneut eine weitere Win-Win-Situation«, so Straubhaar. Der allerdings das Dilemma zu erkennen meint, dass dadurch Anreize gesetzt werden, dass noch mehr Flüchtlinge zu uns kommen werden. Was also ist seine Idee?

»Arbeit ja, aber volles Einkommen nein. Asylsuchende sollten rasch und unbürokratisch die Arbeitserlaubnis erhalten. Sie sollten auch genauso bezahlt werden müssen, wie es orts- und branchenüblich ist. Also keine Diskriminierung aufgrund ihres Flüchtlingsstatus. Das Gehalt sollte jedoch nicht vollständig an die Beschäftigten ausbezahlt werden. Ein nicht unwesentlicher Teil sollte an die jeweiligen Gemeinden fließen, als eigener Kostenbeitrag der Flüchtlinge an die allgemeinen kommunalen Aufwendungen für die Betreuung der Asylsuchenden.«

Der gute Mann plädiert also für eine Sondersteuer für arbeitende Flüchtlinge. Das »Recht auf Arbeit bei beschränktem Einkommen (sei) ein gangbarer Kompromiss. Er würde den Asylsuchenden die Langeweile des Wartens ersparen und eine sinnvolle Tätigkeit ermöglichen. Er bietet die Chance, dass Flüchtlinge einen Teil der durch das Asylverfahren entstehenden Kosten selber tragen könnten.« Unabhängig von der Fragwürdigkeit des ganzen Ansatzes insgesamt – der Vorschlag geht offensichtlich davon aus, dass die Aufnahmebereitschaft des Arbeitsmarktes sehr groß sein muss. Aber was, wenn nicht? Jedenfalls nicht zu halbwegs akzeptablen Bedingungen?

Im Vergleich dazu weitaus näher an der Lebensrealität ist da schon eher diese Debatte: Arbeitslose als Flüchtlingshelfer? Lob und Kritik an Kraft: Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat vorgeschlagen, Langzeitarbeitslose künftig als Flüchtlingshelfer einzusetzen. Der Bund sollte Programme für öffentlich geförderte Beschäftigte massiv ausbauen, so Kraft. Nun ist eine kontroverse Debatte losgegangen:

»Der Hauptgeschäftsführer des NRW-Städte- und Gemeindebundes, Bernd Jürgen Schneider, sprach von einer „Schnapsidee, weil Langzeitarbeitslose als Flüchtlingshelfer mehr Probleme schaffen als lösen“. Rückendeckung erfuhr Kraft dagegen von der Landesagentur für Arbeit. „Wir finden die Idee gut“, sagte Sprecher Werner Marquis dieser Zeitung. „Es gibt sehr wohl Arbeitslose mit hoher Qualifikation, die aufgrund des Alters oder wegen gesundheitlicher Probleme als Kümmerer fungieren können.“ So könnten Langzeitarbeitslose ehrenamtliche Helfer in der Flüchtlingsbetreuung unterstützen. Die Arbeitsagentur nennt Beispiele: Behördengänge, Einkauf, Bedienen von Geräten, Formulare, Hilfe bei der Kinderbetreuung oder die Unterstützung von Lehrern im Deutschunterricht – „ganz alltägliche Dinge eben“, sagt Marquis. Die Arbeitsagentur schätzt, dass zu Beginn landesweit „Luft“ für bis zu 300 Stellen im Haushalt ist. Dazu müssten Wohlfahrtsverbände aber als Träger einspringen. „75 Prozent der Kosten des Arbeitsentgelts der Langzeitarbeitslosen können übernommen werden“, rechnete Marquis vor.«

Kritisch dazu Matthias Knuth vom IAQ der Universität Duisburg-Essen. Er bemängelt: »Es fehle an Strukturen und Personal, um diese Leute einzuarbeiten und zu schulen. „Wie soll zum Beispiel ein Langzeitarbeitsloser einem alleinreisenden jungen Flüchtling helfen, wenn er dabei nicht angeleitet werden kann?“ Es bringe wenig, „die Probleme der Flüchtlingsbetreuung und die der Langzeitarbeitslosigkeit in einen Topf zu werfen und zu meinen, damit habe man eine Lösung“, sagte Knuth. Das werde nicht funktionieren.«

Einen Schritt vor und einen zur Seite. Eine römisch-katholische Tanzbewegung? Nein, das kirchliche Arbeitsrecht wird (etwas) bewegt

»Kirchliche Kitas, Schulen und Krankenhäuser werden größtenteils aus öffentlichen Mitteln finanziert. Die Kirchen bestimmen aber über die Moralvorstellungen ihrer Angestellten und verlangen deren Kirchenmitgliedschaft. Sind diese Sonderrechte noch zeitgemäß?« So lautet die Fragestellung eines längeren Beitrags von Gaby Mayr unter der Überschrift Die Sonderrechte der Amtskirchen, der vom Deutschlandradio Kultur ausgestrahlt worden ist. Ein immer wieder vorgetragenes Thema von grundsätzlicher Bedeutung, das besonders dann ins Bewusstsein gerufen wird, wenn die Amtskirche mal wieder sanktionierend tätig geworden ist (vgl. dazu aus der jüngsten Vergangenheit nur den Artikel Erzieherinnen wegen ihres Privatlebens gekündigt. Darin werden zwei unterschiedliche Fälle behandelt: Eine lesbische Erzieherin verliert ihren Job in einem Kinderhort, weil sie ihre Freundin heiratet, was auf großes Unverständnis und Kritik stößt. Einer anderen Erzieherin, die in einer Einrichtung der Diakonie arbeitet, wird gekündigt, weil sie in ihrer Freizeit Pornos dreht. In diesem Fall sei die Kündigung rechtmäßig, so das Landesarbeitsgericht in München).

Gaby Mayr beleuchtet in ihrer Reportage die gesamt Bandbreite dessen, was als „Kirchenprivilegien“ kontrovers diskutiert wird, beispielsweise dass der Staat mit seinen Finanzbehörden für die Kirchen den Kassenwart gibt (Stichwort Kirchensteuereinzug). Übrigens: Der staatliche Steuereinzug wurde in einem Konkordat von 1933 zwischen der Hitlerregierung und dem Heiligen Stuhl geregelt. Es ist der einzige internationale Vertrag der Nazi-Regierung, der nicht aufgehoben wurde.
Der Schwerpunkt des Beitrags liegt aber auf dem Sonderrecht der Kirchen hinsichtlich des Arbeitsrechts – dazu gehört auch und in diesen Tagen besonders prominent das Streikverbot der Mitarbeiter konfessionell gebundener Einrichtungen, was wir in den kommenden Tagen erleben werden, wenn die Erzieher/innen der kommunalen Kindertageseinrichtungen in einen unbefristeten Arbeitskampf ziehen werden. Ihre Kolleginnen aus den katholischen und evangelischen Einrichtungen können da nur als Zaungäste die Daumen drücken.

Hinsichtlich des eigenen Sonderarbeitsrechts der Kirchen ist viel überkommene Tradition im Spiel, die man zu Recht kritisieren kann und muss – aber auch, das macht die Sache noch schlimmer – auch viel Willkür. Hierzu ein Beispiel aus dem Beitrag von Gaby Mayr:

»Bei den beiden großen christlichen Kirchen folgen Gesetzgeber und Gerichte häufig dem, was die Kirchen selber für ihr gutes Recht halten. So gab im Oktober 2014 das Verfassungsgericht einem katholischen Krankenhaus Recht, das einen Chefarzt wegen seiner Wiederverheiratung nach der Scheidung entlassen hatte. Das falle unter das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, urteilte Karlsruhe.«

Das ist die eine Seite der Medaille. Nun könnte man an dieser Stelle argumentieren, schlimm genug, dass man für eine Angelegenheit aus dem Privatleben dermaßen und möglicherweise existenzbedrohend sanktioniert werden kann. Aber wenn dann wenigstens die Praxis des Umgangs mit dem Thema einheitlich und verlässlich wäre – also wenn die Lage so wäre, dass jeder, der sich auf eine Tätigkeit in einem konfessionell gebundenen Unternehmen einlässt, weiß, das es diese Konsequenzen haben wird. Aber dem ist in praxi gerade nicht so. Ich kenne zahlreiche Chefärzte katholischer Krankenhäuser, die in – aus katholischer Sicht – völlig „unverantwortlichen“ privaten Verhältnissen leben. Und kein Hahn kräht danach. Weil auch die katholischen Träger von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen wissen genau, was das Wort Fachkräftemangel bedeutet. Und wenn sie die Positionen nicht anders besetzt bekommen, dann drücken sie auch gerne mal zwei Augen ganz dicke zu.

Aber jetzt kommt Hoffnung auf, wenn man denn den Überschriften trauen darf: Deutsche Bischöfe ändern kirchliches Arbeitsrecht oder Katholische Kirche geht auf geschiedene Mitarbeiter zu, um nur zwei Berichte zu zitieren. Was ist passiert? Hat man endlich ein Einsehen, dass 99% der Katholiken sowieso anders leben, als es die kirchliche Moral sich so vorstellt? Akzeptiert man, dass die Menschen ein Recht haben, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Privatleben verbringen?
Die Antwort wird nicht überraschen, denn sie fällt typisch katholisch aus: Ein bisschen schon und man weiß um diese an sich verwerflichen Dinge, aber man will es auch nicht übertreiben mit dem Entgegenkommen. Signale der Ermunterung und Hoffnung, dass es vorangeht, aussenden und die Zügel in der Hand zu halten hoffend, so kann man das vielleicht beschrieben.

Schauen wir uns den Sachverhalt an, um den es geht:

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts beschlossen – das hört sich doch erst einmal vielversprechend an. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) klärt uns auf vgl. dazu den Beitrag Deutsche Bischöfe ändern kirchliches Arbeitsrecht): »Reformen gibt es insbesondere im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Angestellten, die in eingetragenen Lebenspartnerschaften leben. Außerdem sollen die Gewerkschaften – als Reaktion auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2012 – mehr Mitsprache bei der Aushandlung der Arbeitsbedingungen erhalten.«

Wie immer im Leben muss man ins Kleingedruckte schauen: Beschlossen wurde eine Änderung der sogenannten „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ (Grundordnung – GrO). Da stehen jetzt die Neuerungen drin. Aber: Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken appellierte an die 27 Oberhirten, ein einheitliches kirchliches Arbeitsrecht in Deutschland zu erhalten. Sicher ist das nicht. Denn vergangene Woche hatten nur «mehr als zwei Drittel» der Diözesanbischöfe für die Reform gestimmt. Sollte der ein oder andere Bischof die neue Grundordnung nicht in Kraft setzen, gilt in seinem Bistum die alte Rechtslage.

Scheidung und erneute standesamtliche Heirat soll in katholischen Krankenhäusern, Kindergärten oder Schulen in Deutschland nur noch in Ausnahmefällen ein Kündigungsgrund sein. So kann man es jetzt lesen. Aber man muss schon genauer hinschauen, beispielsweise in die Mitteilung der Deutschen Bischofskonferenz: »Die erneute standesamtliche Heirat nach einer zivilen Scheidung ist zukünftig grundsätzlich dann als schwerwiegender Loyalitätsverstoß zu werten, wenn dieses Verhalten nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen. Dasselbe gilt für das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.«
Man muss das mal eine Zeit lang auf sich wirken lassen – ein „erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft“. Klarheit sieht anders aus. Nicht Fisch, nicht Fleisch.

Angekündigt werden auch Verbesserungen im kollektiven Arbeitsrecht – und da geht es vor allem um die (Nicht-)Rolle der Gewerkschaften. Hierzu erfahren wir:

Öffnungen gibt es auch mit Blick auf die Beteiligung der Gewerkschaften, die bei der Gestaltung der kirchlichen Arbeitsbedingungen mit am Tisch sitzen wollen. In Zukunft sollen sie – je nach gewerkschaftlichem Organisationsgrad der kirchlichen Angestellten – in den arbeitsrechtlichen Kommissionen von Kirche und Caritas repräsentiert sein. Zugleich heißt es aber in der neuen Grundordnung, dass «kirchliche Dienstgeber keine Tarifverträge mit Gewerkschaften abschließen. Streik und Aussperrung scheiden ebenfalls aus.»

Fortschritt sieht anders aus. Bewegung ja, aber eben eher tänzerische Pirouetten.
Aber man kann es auch gelassen sehen. Spätestens, wenn der „doppelte Fachkräftemangel“ die konfessionell gebundenen Einrichtungen immer stärker erreicht, wird es weitere Bewegungen geben müssen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Am Rande ihrer Kapazitäten und immer mehr Menschen mit Pflegebedarf. Auf der Straße. Und in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe

In unserer durchökonomisierten Welt würde ein Unternehmen, das davon berichten kann, dass ein Betriebsteil eine Kapazitätsauslastung von 200% irgendwie geregelt bekommen hat, sicher einen Effizienzpreis gewinnen. Mit einem hübschen Fotoshooting dazu. Aber hier reden wir nicht über die glamouröse Welt der High-Tech-Industrie oder hipper Start-Up-Unternehmen, sondern über die Kältehilfe als Teil der Wohnungslosenhilfe in Berlin. Denn die muss solche eben nur scheinbaren Erfolgsmeldungen verkünden, die in Wahrheit natürlich offen legen, dass die Hilfseinrichtungen nicht nur am Rande, sondern oftmals weit über der eigentlichen Kapazitätsgrenze arbeiten – müssen. »Trotz bereits erhöhter Platzkapazitäten seien die Einrichtungen fast durchgängig überbelegt gewesen. Pro Nacht standen 532 Schlafplätze bereit, Mitte Februar gab es einen Spitzenwert mit 699 Übernachtungsgästen. Allein die Notübernachtung der Berliner Stadtmission in der Lehrter Straße hatte fast täglich eine 200-prozentige Auslastung«, kann man dem Artikel Kältehilfe am Rande ihrer Kapazitäten von Annette Kögel entnehmen. Die Notübernachtungen der Berliner Kältehilfe berichten trotz des an sich milden Winters von einem beispiellosen Ansturm Wohnungsloser und warnen vor einer systematischen Überforderung des vorhandenen Hilfeangebots. Das liegt am hohen Zustrom von Flüchtlingen und auch mehr Familien würden vor der Tür stehen, für die aber die Angebote der Kältehilfe eigentlich nicht geeignet seien. Der stetig wachsende Anteil an Nichtdeutschen bringe auch massive Verständigungsprobleme mit sich. 31 Prozent der Gäste hatten einen deutschen Pass, 69 Prozent kamen aus dem Ausland. Davon waren 13 Prozent Nicht-EU-Bürger. Es suchen zunehmend Osteuropäer Hilfe in den Einrichtungen.

»Insgesamt hatten in der Kältehilfesaison zwischen 1. November 2014 und 31. März dieses Jahres 15 Notübernachtungen und 14 Nachtcafés von Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbänden geöffnet.« Die Zahl der Übernachtungen stieg im Vergleich zum Vorjahr um knapp 9.000 auf rund 82.000. In Berlin. Natürlich reden die betroffenen Akteure auch über das Geld: So »forderten sie statt 15 Euro nun 36 Euro pro Schlafplatz vom Senat – anders könne man die Kosten nicht decken.«

Künftig müssten gerade für die Familien andere Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden, so eine der Forderungen der Kältehilfe, denn die bestehenden Angebote passen nicht für sie, vor allem nicht für die vielen Kinder, die im Schnitt zehn Jahre als waren. Notwendig sei die Einrichtung einer speziellen Notunterkunft für Familien, auch und gerade um die prinzipielle Gefährdung des Kindeswohls zu vermeiden.

Und die Nothilfe für Obdachlose wird von weiteren Herausforderungen in die Mangel genommen. Beispiel Flüchtlinge: Ein Appell richtet sich an »das für Flüchtlinge zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales, eine Wochenendbereitschaft einzurichten. Bislang stehen Asylbewerber da vor verschlossen Türen. Die Polizei oder andere Behörden würden sie dann an die Kältehilfe verweisen.«

 „Die Kältehilfe darf aber nicht zum Ausfallbürgen für andere Einrichtungen werden“, wird die Berliner Diakonie-Direktorin Barbara Eschen zitiert.

Und über einen weiteren besorgniserregenden Aspekt berichtet Christin Odoj in ihrem Artikel Krank und ohne Hilfe: »Allein die Stadtmission, einer der größten Träger in der Obdachlosenhilfe, verzeichnete einen Zuwachs um die 40 Prozent bei den schwer kranken Obdachlosen im Vergleich zum letzten Jahr. Rollstuhlfahrer bedürften eines besonders hohen Pflegeaufwandes. Auch Menschen, die wegen eines akuten Notfalls nicht im Krankenhaus behandelt werden können, landeten des Öfteren vor den Türen der Notunterkünfte … Sich um einen einzelnen pflegebedürftigen Obdachlosen zu kümmern, Verbände und Windeln zu wechseln, beim Duschen zu helfen, binde sehr viel Zeit, die bei der Unterstützung für die übrigen Hilfesuchenden fehle. Menschen aus dem EU-Ausland seien generell von der medizinischen Unterstützung ausgeschlossen.«

Auch Annette Vögel geht in ihrem Artikel auf diese besondere und offensichtlich zunehmende Problematik ein: »Viele der Obdachlosen seien zunehmend verwahrlost, psychisch und physisch erkrankt oder auf einen Rollstuhl oder eine Gehhilfe angewiesen. „Diese Menschen sind eigentlich Pflegefälle, für die es besondere medizinische oder pflegerische Angebote geben muss.“ Der hohe Betreuungsaufwand sei von den häufig ehrenamtlichen Mitarbeitern kaum zu leisten. „Die Kältehilfe ist damit überfordert.“ Gebraucht werde eine professionell betreute Krankenstation oder eine Art Pflegehospiz.«

In Berlin gibt es bis zu 13.000 Wohnungslose. Davon leben – vermutlich – zwischen 600 bis 1.000 Personen auf der Straße.

Aber wenn man schon über Obdachlosigkeit und Wohnungslosenhilfe berichtet, dann darf der Blick nicht fehlen auf weiterführende Ansätze und mühsame Versuche, einem Teil der Betroffenen über die so wichtige Arbeit der Überlebenshilfe hinaus neue Perspektiven zu eröffnen. Dazu der Artikel „Start-up-Apartments“ für Obdachlose von Oliver Burgwig. »Vier Wohnungen der Diakonie sind seit Januar die neue Heimat für ehemalige Obdachlose – jeweils aber nur für ein halbes Jahr. Das betreute Wohnprojekt soll ihnen die Möglichkeit zur Wohnungs- und Arbeitsssuche geben«, so die Kurzbeschreibung dessen, was hier versucht wird.

„Für Wohnungslose gibt es in der Stadt ein ausdifferenziertes System. Was aber fehlt, ist die Möglichkeit, schnell Wohnraum besorgen zu können“, wird Dirk Redemann, Leiter des „Betreuten Wohnens“ der Diakonie zitiert. Denn Menschen, die keine Wohnung haben, können keine Post erhalten, was Schwierigkeiten mit der Job- und Wohnungssuche und der Beantragung dringend benötigter Sozialleistungen mit sich bringt. Die Miete für die vier Bewohner (jeweils um die 350 Euro) zahlt das Jobcenter, berichtet Burgwig. »Zusätzlich zu den Einraumwohnungen bekommen die Bewohner eine Betreuungsperson zur Seite gestellt, die ihnen bis zu drei Stunden in der Woche bei der Suche nach einer dauerhaften Wohnung hilft. Darüber hinaus ist eine Nachbetreuung möglich, um sie beim Aufbau des neuen Lebens nach der Obdachlosigkeit zu unterstützen.« Aber sie müssen auch selbst aktiv nach einer neuen Wohnung suchen. » Erste Erfolge zeigen sich schon nach drei Monaten: Einer der Bewohner hat ab April ein neues Zuhause gefunden, einem weiteren steht eine Wohnung in Aussicht«, kann man dem Artikel entnehmen.

Foto: © Reinhold Fahlbusch

Die Hoffnung stirbt zuletzt und wenn, dann in der nächsten Legislaturperiode. (Zwei) Wohlfahrtsverbände und die Gewerkschaft GEW fordern ein „Bundesqualitätsgesetz“ für die Kindertagesbetreuung

Nach bzw. neben dem (immer noch bei weitem nicht abgeschlossenen) quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung im Kontext des zum 1. August 2013 scharf gestellten Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr soll es nun um eine qualitative Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung gehen. So weit, so gut und wichtig. Dem Grunde nach, denn man muss wie immer genauer hinschauen.

Am 6. November treffen sich das Bundesfamilienministerium und die Länderministerien zu einer Bund-Länder-Konferenz „Frühe Bildung“ in Berlin – ursprünglich mal als „Kita-Gipfel“ geplant und angekündigt. Noch im Juli dieses Jahres konnte man in dem SPIEGEL-Artikel Der Kita-Betrug von Ann-Katrin Müller lesen: »Für Anfang November hat Schwesig einen Kita-Gipfel angekündigt. Dort wolle sie mit Ländern, Kommunen, Gewerkschaften und Trägern in „einen regelmäßigen Austausch zu Struktur- und Qualitätsfragen“ treten, wie sie sagt. Mit konkreten Maßnahmen sollten die Teilnehmer allerdings nicht rechnen. Die Länder wehren sich vehement gegen verbindliche Standards, sie fürchten die Kosten. Und Schwesig hat dem wenig entgegenzusetzen. Alles, was mehr Personal und bessere Qualifizierung angehe, werde man „mittelfristig“ betrachten, heißt es aus ihrer Ressortspitze, also eher in der nächsten Legislaturperiode.« Nunmehr hat man Gewerkschaften und Träger ausgeklammert und das zu einem föderalen Gesprächskreis runtergebrochen, bei dem die anderen Akteure vor der Tür bleiben müssen.

Das ist insgesamt mehr als enttäuschend, denn in den vergangenen Monaten wurde hinter den Kulissen intensiv seitens vieler Fachleute an den Inhalten eines echten Bundesqualitätsgesetzes gearbeitet. Die natürlich mit zusätzlichen Kosten verbunden wären und die sind dann auch wieder einmal der Knackpunkt, denn die Bundesfamilienministerin Schwesig (SPD) hat das dafür erforderliche Geld vom Bundesfinanzminister schlichtweg nicht bekommen können (vgl. dazu bereits anlässlich der Aufteilung der 6 Mrd. Euro aus dem „Bildungspaket“ den Blog-Beitrag Die selbsternannte „Bildungsrepublik“ kreißte und gebar eine föderalisierte Maus. Das „Bildungspaket“ ist vor allem eine haushälterische Flickschusterei in Zeiten des Patchwork-Regierens vom 27.05.2014 – und auch die dort seitens der Länderfamilien- und -jugendminister geforderten, aber nicht realisierten 2 Mrd. Euro würden nicht ausreichen, um die erhebliche Unterfinanzierung der Kitas auszugleichen, was aber notwendig wäre, um reale Qualitätsverbesserungen in der Fläche erreichen zu können).

Nun wurden eine Woche vor dem geschrumpften Kita-Gipfel in Berlin die Forderung nach einem „Bundesqualitätsgesetz“ für Kindertagesbetreuung der Öffentlichkeit präsentiert – von einem „interessanten“ Bündnis aus Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (AWO), dem Deutschen Caritasverband (DCV) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Diese drei Organisationen haben vor der Bundespressekonferenz die Erklärung „Deutschland braucht ein Bundesqualitätsgesetz für die Kindertagesbetreuung“ vorgestellt.

Aus der Berichterstattung in den Medien hier einige Hinweise, hier auf drei Radiobeiträge, in denen wichtige Punkte zusammengefasst werden:

DLF: Wohlfahrtsverbände zu Kita-Qualität (29.10.2014)
DLF: Interview Norbert Hocke, Vorstandsmitglied GEW zur Kita-Qualität (29.10.2014)
SWRinfo: Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaft fordern ein Bundesqualitätsgesetz für die Kindertagesbetreuung. Interview mit Stefan Sell (29.10.2014)

Das Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaft weist rückblickend darauf hin, dass die Idee und Forderung nach einem „Bundesqualitätsgesetz“ erstens keine ganz neue Angelegenheit ist und man muss zweitens ergänzen, dass dieser Ansatz auch kein eigener, neuer Punkt der Bundesfamilienministerin Schwesig (SPD) ist: Bereits Ende Mai 2012 legte das Bundesfamilienministerium das von der Vorgängerregierung verabschiedete „10-Punkte-Programm für ein bedarfsgerechtes Angebot“ in der Kindertagesbetreuung vor. Darin steht es schwarz auf weiß geschrieben: Durch ein Qualitätsgesetz sollen Regelungen mit bundesweiter Gültigkeit geschaffen werden, die den Förderungsauftrag der Kindertagesbetreuung beschreiben. Ergänzend dazu darf in diesem Zusammenhang an die folgende Meldung aus dem Jahr 2013 erinnert werden:

»Das Bundesfamilienministerium arbeitet an einem Entwurf für ein Kita-Qualitätsgesetz. Derzeit lässt das Haus von Ministerin Kristina Schröder (CDU) einen Verfassungsrechtler prüfen, in welchem Umfang die Festlegung bundesweiter Standards mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Länder und Kommunen pochen auf ihre Zuständigkeit für das Thema frühkindliche Bildung. Die Länder dürften wohl einheitliche Standards akzeptieren, wenn sich der Bund als Gegenleistung stärker am Betrieb und Ausbau von Kitas beteiligt. Ein entsprechendes Wahlergebnis vorausgesetzt, soll das Gesetz bereits in den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl eine Rolle spielen.« (DER SPIEGEL, Nr. 39/2013, 21.09.2013)

Ganz offensichtlich sind diese und auch die neuen Anläufe gescheitert. Aber schauen wir uns einmal genauer an, was denn seitens der Verbände und der Gewerkschaft hinsichtlich der anzustrebenden Inhalte eines Bundesqualitätsgesetzes gefordert wird:

»Ziel der beiden Verbände und der Gewerkschaft ist es, in einem Bundesqualitätsgesetz strukturelle Standards für die Kindertagesbetreuung festzulegen, die länderübergreifend von öffentlichen und freien Trägern umgesetzt werden, und pädagogische Qualität ermöglichen. Dazu gehören neben Regelungen zur Freistellung von Kita-Leitungen vor allem auch eine Neuberechnung der Fachkraft-Kind Relation. Des Weiteren sollte das Qualifikationsniveau der pädagogischen Fachkräfte sowie die Fort- und Weiterbildung geregelt werden.«

Zwei wichtige Einschränkungen werden hervorgehoben: Zum einen ist bei der Festlegung der einzelnen Qualitätsstandards darauf zu achten, dass wissenschaftliche Expertisen zugrunde gelegt werden, die belegen, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, um eine hochwertige Qualität in der Kindertagesbetreuung sicherzustellen und zum anderen sei es nicht akzeptabel, wenn mit Rücksicht auf einzelne Bundesländer Standards vereinbart würden, die zu einer Absenkung des Qualitätsniveaus führen.

In dem Gesetz sollte die folgenden Bereich geregelt werden:

  • Fachkraft-Kind-Relation
  • Mittelbare pädagogische Arbeitszeit
  • Qualifikation, Fort- und Weiterbildung
  • Leitungsfreistellung für Kindertageseinrichtungen
  • Fachberatung
  • Finanzierung und Recht

Diese Punkte werden dann in der Erklärung genauer erläutert. Hier nur eine Illustration anhand des wichtigen Aspekts der Fachkraft-Kind-Relation:

»Die Fachkraft-Kind-Relation beschreibt, wie viele Fachkräfte für die Kinder zur Verfügung stehen. Dazu ist es erforderlich, die garantierte Anwesenheit von der Fachkraft zu den angemeldeten Kindern pro Einrichtung neu zu berechnen. Um dies erreichen zu können, müssen die bisherigen Personalschlüsselberechnungen neu bewertet werden. In der Berechnung sind 254 Arbeitstage zugrunde zu legen, 30 Tage Urlaub, 15 Tage Krankheit und zehn Tage Fort- und Weiterbildung.«

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die immer wieder in der öffentlichen Diskussion zitierten Personalschlüssel noch besser sein müssen als die „Fachkraft-Kind-Relation“, denn die letztere Relation bezieht sich auf die Zeit, die am und mit den Kindern gearbeitet werden kann. Um diesen Punkt zu erläutern: Neben dem direkten Kontakt mit den Kindern (unmittelbare pädagogische Arbeitszeit) bedarf es beispielsweise Zeit für die Vor- und Nachbereitung, für die Dokumentation von Bildungsprozessen und die Zusammenarbeit mit Eltern (mittelbare pädagogische Arbeitszeit). Wird diese mittelbare Arbeitszeit nicht in den Personalschlüssel eingerechnet, führt dies zwangsläufig zu einer Verminderung der Zeit mit den Kindern. Das Papier der Verbände und der GEW ist hier ganz konkret: »Gefordert wird: 25 Prozent der Arbeitszeit als mittelbare Arbeitszeit personalwirksam in die Fachkraft-Kind-Relation einzurechnen.«
Wie sieht nun die Ist-Situation aus?

»Zum Stichtag 1. März 2013 variiert der Fachkraft-Kind-Schlüssel in Deutschland für unter Dreijährige von 4,3 bis 8,9 und für die Altersgruppe der 3- bis 6-jährigen Kinder von 10,3 bis 19,9.«

Ist das nun in Ordnung, zu viel oder viel zu viel? Dazu das Papier auf der Grundlage der fachwissenschaftlichen Diskussion:

»Notwendig ist eine Fachkraft-Kind-Relation für Kinder von
– 0 bis 1 Jahr = 1:2
– 1 bis 3 Jahr = 1:3
– 3 bis 5 Jahr = 1:8
– und ab 6 Jahre = 1:10.«

Ein Abgleich der Ist- mit den Soll-Werten verdeutlicht natürlich auf einen Blick, wie groß die Diskrepanz ist zwischen dem, was wir haben und dem, was wir haben sollten.

Besonders hervorzuheben und aus fachlicher Sicht uneingeschränkt zu befürworten ist der folgende Passus aus dem Forderungspapier, denn er bezieht sich auf die Kindertagespflege, die in der allgemeinen Debatte über Kindertagesbetreuung, der der es ganz überwiegend um die Kitas geht, in der Regel immer „vergessen“ wird:

»Analog dazu sollte die Anzahl der betreuten Kinder in Kindertagespflege geregelt werden, was Wirkungen auf die Erlaubnis zur Kindertagespflege (§ 43 SGB VIII) und die laufende Geldleistung (§ 23 Abs. 2a SGB VIII) nach sich zieht, die in diesem Zusammenhang ebenfalls bundesgesetzlich weiterentwickelt werden müssten.«

Ganz am Ende des Papiers finden wir dann den Punkt, der auch erklärt, warum sich auf der politischen Ebene nichts bewegt. Gemeint ist hier – nicht wirklich überraschend – der Komplex „Finanzierung“:

»Um eine finanzielle Ausstattung gewährleisten zu können, mit der sich eine qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung realisieren lässt, müssten nach OECD-Empfehlungen in Deutschland zu den Ausgaben von derzeit jährlich 17 Milliarden Euro zusätzlich neun Milliarden Euro in das System hinein gegeben werden. Das entspricht einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Derzeit beläuft sich der Anteil der Kommunen an den öffentlichen Netto-Ausgaben der Kindertagesbetreuung auf rund 60 Prozent, während der Anteil der Bundesländer bei knapp 40 Prozent liegt. Der Bund ist bislang an der Finanzierung der Kindertagesbetreuung im Wesentlichen über eine anteilige Finanzierung der Kosten für den Ausbau an Plätzen für die Betreuung von unter dreijährigen Kindern beteiligt. Hier bedarf es einer dauerhaft gesicherten Finanzierung der Betriebskosten, an der sich neben den Kommunen und den Ländern auch der Bund beteiligt.«
Zu diesem Punkt und einem konkreten Vorschlag, wie man die regelgebundene anteilige Bundesfinanzierung umsetzen könnte, wenn man denn wollte, vgl. die Ausführungen in Sell, S.: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland (= Remagener Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe 07-2014), Remagen, 2014.

Fazit: Es ist wichtig und lobenswert, dass das Dreier-Bündnis aus Trägervertreter und Gewerkschaft hier eine Konkretisierung dessen vorgelegt haben, was in einem anzustrebenden Bundesqualitätsgesetz enthalten sein müsste. Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass in den Vorschlägen nicht etwa Minimalstandards oder der Durchschnitt aus den bestehenden Personalschlüsseln, die wir heute haben, als Bezugspunkt genommen werden, sondern hier werden tatsächlich die anzustrebenden Soll-Werte, die  aus der mittlerweile vorliegenden gesicherten empirischen Evidenz der frühpädagogische Forschung abgeleitet worden sind, als Referenz. Für ein Gesetz formuliert. Das ist deshalb besonders wichtig, weil im Vorfeld von einigen „Kritikern“ die Befürchtung gestreut wurde, dass angesichts der erheblichen Heterogenität der Rahmenbedingungen zwischen den Bundesländern ein „Bundesqualitätsgesetz“ dazu führen könnte, dass man sich irgendwo „in der Mitte“ einigt und somit für die, die bereits heute bessere Rahmenbedingungen als andere Bundesländer haben, eine Verschlechterung der Ist-Situation eintreten könnte.

Wenn man sich die gegebene und in einigen Bundesländern – gerade in Ostdeutschland – desaströse Personalausstattung in den Kindertageseinrichtungen anschaut, dann wird klar, dass die in dem Forderungspaket der Verbände und der GEW geforderten Personalverhältnisse nicht von heute auf morgen realisiert werden könnten. Auch wenn man dies wollte, weil es längst überfällig ist, würde eine Realisierung schlichtweg daran scheitern, dass wir bereits heute im System mit großen regionalen Unterschieden teilweise einen erheblichen Fachkräftemangel haben, der sich natürlich noch einmal potenzieren würde, wenn man diese deutlich höheren Werte umzusetzen versucht. Bei einer praktischen Umsetzung eines Bundesqualitätsgesetzes bliebe mithin nur der Weg, über einen Korridormodell eine schrittweise Annäherung der einzelnen Bundesländer an die Soll-Werte mit einer mehrjährigen Übergangszeit, die allerdings – wie der Rechtsanspruch auch – gesetzlich normiert werden müsste, anzustreben.

Auch wenn es unangenehm ist, so muss doch bilanzieren darauf hingewiesen werden, dass die Aussichten für dieses wichtige Projekt gegen Null gehen, was seine Realisierung angeht. Dies aus zwei Gründen: Zum einen haben die Ausführungen zur Finanzierung deutlich gemacht, wie die enorme Unterfinanzierung des bestehenden Systems ist, also wie viele Milliarden zusätzlich in das System hinein gegeben werden müssten, um die Standards auch wirklich umsetzen zu können. Diese finanzseitige Notwendigkeit – die übrigens bei einer „richtigen“ volkswirtschaftlichen Betrachtung dahingehend abgemildert wird, dass die Nettokosten erheblich geringer sind als die hier ausgewiesenen Bruttokosten aufgrund der erheblichen Rückflüsse, die aus der Kindertagesbetreuung induziert werden –, stößt in der derzeitigen politischen Realität auf eine Doppelblockade, deren vordergründige Verursachung man mit dem Begriff „schwarze Null“ sowie der nunmehr sich eintrübenden Konjunktur, wie das im Wirtschaftswissenschaftler-Deutsch genannt wird,  was zu Steuerausfällen im Haushalt führen wird, belegen kann. Aber es ist eben nicht nur eine reflexhafte Abwehrhaltung der Haushaltspolitiker auf der Ebene des Bundes, die eine absolut notwendige und hier auch geforderte Bundesbeteiligung an den laufenden Betriebskosten der Kindertageseinrichtungen (und der Kindertagespflege) blockiert. Auch die Bundesländer spielen hier ein hoch problematisches Spiel, wollen sie doch gerne Geld vom Bund, dieses aber nicht zweckgebunden und vor allem keine konkreten gesetzgeberischen Festlegungen der Rahmenbedingungen. Viele Kommunen saufen derzeit finanziell ab, nicht nur angesichts der Tatsache, dass sie die Hauptlast der laufenden Kosten in der Kindertagesbetreuung zu tragen haben und mit einer immer noch steigende Nachfrage der Eltern nach Betreuungsplätzen konfrontiert sind, die sie vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs auch erfüllen müssen, sondern zugleich werden sie auch in anderen sozialpolitischen relevanten Handlungsfeldern massiv unter Druck gesetzt, man denke hier nur an die Problematik der Unterbringung der Flüchtlinge.

Einen kritischen Hinweis verdient aber auch die konkrete Zusammensetzung des Bündnisses für ein Bundesqualitätsgesetz, was sich nun an die Öffentlichkeit gewandt hat. Es ist absolut lobenswert, dass sowohl die AWO wie auch die Caritas, die beide Träger von Kitas repräsentieren, gemeinsam mit der Gewerkschaft GEW diesen Vorstoß unternommen haben. Dem interessierten Beobachter wird sich allerdings sofort die Frage stellen: Wo sind denn die anderen? Wo ist an dieser Stelle der ansonsten wortgewaltige Herr Schneider vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband? Wo ist die Diakonie? Das DRK? Warum hat es keine von allen Seiten getragene Initiative in diese Richtung gegeben? Das sind nicht nur Fragen von grundsätzlicher politischer Bedeutung, sondern gerade die Mitarbeiter in den Einrichtungen sollten diese Fragen an ihre Trägervertreter stellen, denn eigentlich haben die die Funktion und Aufgabe und Verpflichtung, das zu tun, was mit dem neuen Papier jetzt wenigstens versucht wurde.