Immer wieder reklamieren die Wohlfahrtsverbände für sich eine „Anwaltsfunktion“ für die Menschen, die aus welchen Gründen auch immer Schwierigkeiten haben, sich Gehör zu verschaffen. Darüber, ob das angesichts der Tatsache, dass sie zugleich „Unternehmensverbände“ sind, in denen sich die Träger sozialer Einrichtungen zusammengeschlossen haben, die sich vor allem aus Steuer- und Beitragsmittel finanzieren müssen, gelingen kann, wird seit vielen Jahren immer wieder kritisch diskutiert. Diese Grundsatzfrage kann und soll hier nicht zur Debatte gestellt werden, sondern es geht im folgenden Beitrag um die aktuellen Kampagnen, die von den beiden kirchlichen Wohlfahrtsverbänden, also Diakonie und Caritas, für das noch junge Jahr aufgelegt worden sind.
Überaus ambitioniert kommt das Ansinnen der evangelischen Diakonie Deutschland daher: »Den Unerhörten in dieser Gesellschaft eine Stimme und ein Gesicht geben – das will die neue Kampagne. Ab Januar schafft die Diakonie Deutschland damit eine Plattform für eine öffentliche Debatte gegen Ausgrenzung und für mehr soziale Teilhabe.« Die findet man hier: www.diakonie.de/unerhoert. Und die katholische Caritas hat sich einer der ganz großen Baustellen in unserem Land angenommen: der Wohungsfrage. Jeder Mensch braucht ein Zuhause, so ist die Jahreskampagne der Caritas überschrieben. In Deutschland fehlen eine Million Wohnungen. Mit der Caritas-Kampagne will man zeigen, wie man bezahlbaren Wohnraum schaffen kann. Den Wohnraum wird als Grundrecht verstanden.
Schauen wir zuerst auf die Diakonie, die sich ambitioniert aufgestellt hat: Diakonie startet Kampagne gegen soziale Ausgrenzung. „Mit unserer neuen Kampagne geben wir Menschen eine Stimme, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen: den Obdachlosen, Flüchtlingen, Homosexuellen, Hartz-IV-Empfängern, Alten und vielen anderen Gruppen. Wir treten damit ein für eine offene, lebendige und vielfältige Gesellschaft“, wird Diakonie-Präsident Ulrich Lilie zitiert.
Die auf drei Jahre angelegte Kampagne „Unerhört!“ ist eine integrierte Kommunikationskampagne, die nicht nur über Außenwerbung verbreitet wird, sondern auch über Dialogveranstaltungen, Aktionen, Social Media und im Internet. Im Rahmen der Kampagne, die mit den Plakaten „Unerhört! Diese Obdachlosen!“ und „Unerhört! Diese Flüchtlinge!“ startet, erzählen Unerhörte ihre Geschichte.
Ulrich Lilie hat dazu einen Blog-Beitrag verfasst: Unerhört! Diese Obdachlosen!, so ist der überschrieben: »Im Deutschland des Jahres 2017/2018 verschwimmen auch die Grenzen zwischen freier Meinungsäußerung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Dem empörten Satz „Das wird man doch wohl sagen dürfen“ folgen in der Regel rassistische Verunglimpfungen gegen Flüchtlinge, Wohnungslose, Homosexuelle, Feministinnen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger oder Männer und Frauen in politischer Verantwortung – mit und ohne Migrationshintergrund. Wer eine andere Meinung hat, wird niedergebrüllt oder auch symbolisch an einen Galgen gehängt.
Bewusst in diese Atmosphäre hinein zielt unsere „Unerhört“-Kampagne. In einer Zeit vielfältiger Ausgrenzung fordert die Diakonie zum gegenseitigen Zuhören auf – in der ganzen Gesellschaft. Und das bedeutet natürlich auch, das zuhörende Streiten, die strittige Auseinandersetzung nicht zu scheuen.«
Wir werden sehen, was aus diesem Anspruch, gegen die tatsächlich zu beklagende Sprachlosigkeit anzugehen, gemacht wird.
Die Caritas hat sich eines der vielen sozialpolitisch relevanten Themen herausgegriffen – die Wohnungsnot und die immer größer werdenden Ängste vieler Menschen selbst aus der Mittelschicht vor dem, was sich hier nicht in allen Regionen, aber gerade in den (groß)städtischen Räumen auf den Wohnungsmärkten abspielt. Vgl. dazu bereits aus den vielen Beiträgen in diesem Blog (Nicht-)Wohnen: Die alte neue soziale Frage. Von einem Sprengsatz in unserer Gesellschaft mit erheblicher Splitterwirkung vom 27. Oktober 2015.
Die Kampagnenseite der Caritas findet man hier: www.zuhause-fuer-jeden.de.
»In Deutschland fehlen eine Million Wohnungen. Nicht nur Randgruppen sind betroffen, das Problem ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wohnungen werden luxussaniert, Mieten steigen stark, Menschen müssen ihr langjähriges Zuhause verlassen und finden keine neue Wohnung, die sie sich leisten können. Sie verlieren ihr soziales Umfeld und ihr Zuhause. Am Ende sitzen sie vielleicht auf der Straße.
Ihr Endpunkt ist der Ausgangspunkt der Caritas-Kampagne 2018: Mit ihr wollen wir zeigen, wo es an Wohnungen fehlt und wie man bezahlbaren Wohnraum schaffen kann. Denn ein Zuhause für jeden darf in einem reichen Land wie Deutschland nicht Privileg sein, sondern Grundrecht.«
Der Deutsche Caritasverband hat für diese Kampagne beim Marktforschungsunternehmen ipsos die Studie Menschenrecht auf Wohnen zur Kampagne „Jeder Mensch braucht ein Zuhause“ in Auftrag gegeben.
In einer Zusammenfassung der Studienergebnisse wird ausgeführt, »dass Pflege, Kinderarmut, Alterssicherung und bezahlbares Wohnen derzeit als dringendste politische Themen in Deutschland gesehen (werden). Drei Viertel der Befragten sehen bezahlbares Wohnen als eines der zentralen Themen, mit dem sich die Politik beschäftigen sollte.
Insbesondere für Personen mit niedrigerem Einkommen hat das Thema „bezahlbares Wohnen“ einen hohen Stellenwert. 83 Prozent der Befragten mit einem Netto-Haushaltseinkommen bis 1.500 Euro im Monat ist dieses Thema äußerst oder sehr wichtig. Auch Gutverdiener(inne)n mit einem Einkommen von mehr als 3000 Euro ist „bezahlbares Wohnen“ als Thema guter Politik wichtig.
„Jeder Mensch braucht ein Zuhause“ – darunter verstehen die in der Caritas-Studie befragten Personen zuerst zwei Grundbedürfnisse: eine bezahlbare und eine warme Wohnung.
Soziale Komponenten, wie ausreichend Wohnraum, die Möglichkeit Gäste zu empfangen und eine gute Nachbarschaft, sind für die Hälfte der Befragten von großer Bedeutung. Eine angemessen große Wohnung ist vor allem Befragten mit einem Haushaltsnettoeinkommen unter 2000 Euro wichtig.
Die Wohnung wird für Menschen im unteren Einkommensbereich (bis 2000 Euro Haushaltsnettoeinkommen) zu über 60 Prozent zum „Zuhause“, weil man dort Gäste empfangen kann – für die Gutverdiener (mehr als 3000 Euro) spielt dieser Aspekt eine deutlich geringere Rolle.
Hohe Wohnkosten stellen für 79 Prozent der Befragten ein erhebliches Armutsrisiko dar.
Drei Viertel der Studienteilnehmer(innen) gehen davon aus, dass die Entwicklung von Kindern beeinträchtigt wird und die Wohnkosten zu einer räumlichen Trennung von armen und reichen Menschen führt. Außerdem geben 74 Prozent der Befragten an, dass zu hohe Wohnkosten die Gefahr von Obdachlosigkeit erhöhen.
Um bezahlbares Wohnen sicherzustellen, sollte die Politik Maßnahmen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus ergreifen: Dies fordern 84 Prozent der Befragten unserer Studie. Außerdem erwarten 80 Prozent der Befragten von der Politik eine Förderung von Wohnungsgenossenschaften und die Bereitstellung preiswerter Wohnungen für benachteiligte Personen.«