Ein Verstaatlichungsversuch von Spenden an Wohlfahrtsorganisationen, die für den Staat einen Teil der Suppe ausgelöffelt haben. Der Blick geht nach Österreich

Immer wieder und gerne wird in Sonntagsreden von der „Zivilgesellschaft“ gesprochen, ohne die vieles an Aufgaben in unserer Gesellschaft gar nicht geleistet werden könnte. Was mit diesem irgendwie inhaltsleer daherkommenden Begriff der „Zivilgesellschaft“ dabei gerne verbunden und lobgepreist wird, ist das ehrenamtliche Engagement und die Spendenbereitschaft der Menschen. Es muss in diesen Zeiten nun wirklich nicht ausführlich beschrieben und begründet werden, dass ohne das schnelle und entschiedene Eingreifen der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer, zuweilen neben und vielerorts mit den professionellen Helfern aus den Reihen der Wohlfahrtspflege zusammen, im Herbst vergangenen Jahres die vielen Flüchtlinge auch nicht annähernd so hätten versorgt werden können, wie man es beobachten konnte. Und bis heute leisten die vielen ehrenamtlichen wie auch die professionellen Flüchtlingshelfer eine Arbeit, ohne die der Staat alleine auf sich gestellt völlig überfordert wäre.

Das alles werden viele unterschreiben können – bleibt es doch auf einer allgemeinen Ebene der positiven Beschreibung gesellschaftlichen Engagements. Wie immer trübt das Bild ein, wenn man von der Vogelperspektive in die konkreten Gefilden wechselt. Da werden dann Spannungen erkennbar und auch öffentlich gemacht zwischen den ehrenamtlichen und den professionellen Flüchtlingshelfern und neben der unmittelbar erfahrbaren Kraft des Anpackens und Helfens zeigt sich nach einer gewissen Zeit zwangsläufig die Fragilität der ehrenamtlichen Aktivitäten, die sich selbst überfordern und nicht selten ausbrennen. Gerade angesichts dieser Fragilität ist es so wichtig, dass die ehrenamtlichen Hilfe nach dem nicht vermeidbaren Chaos der Anfangszeit stabilisiert und entlastet wird durch die professionellen Hilfesysteme. Aber in diesem Beitrag geht es nicht um das angesprochene Spannungs- und Ergänzungsverhältnis zwischen Ehrenamtlichen und Profis, sondern um die Profis, die – für manche unerwartet – nicht für Gottes Lohn, also ohne Geld arbeiten, sondern deren Kosten im Regelfall mehr oder weniger ausreichend erstattet werden vom Staat, der ja auch durch sie eine enorme Entlastung erfährt. Und es wundert sicher niemanden, dass es immer Streit gibt, ob die Arbeit der Wohlfahrtsorganisationen ausreichend oder nicht refinanziert wird. Was aber bislang keiner auf dem Schirm hatte war der Versuch, eine andere Finanzierungsquelle der Wohlfahrtsorganisationen, die Spenden an sie, seitens des Staates zur Teilfinanzierung seiner Kosten zu instrumentalisieren. Da muss man auch erst einmal hin kommen, gedanklich und operativ. Besichtigen können wir diese interessante Entwicklung nun auch in der Realität, konkret in Österreich. Und wie das da ausgeht, sollte auch in Deutschland viele interessieren.

Schauen wir uns zuerst einmal den Sachverhalt an. Dieser Artikel bringt es schon in der Überschrift auf den Punkt: Flüchtlingshilfe: Bund will Spenden abkassieren, so Renate Graber. Nach ihrem Bericht stellt sich die Situation so dar:

»Österreichs Hilfsorganisationen, die dem Bund in der Flüchtlingshilfe und -unterbringung zur Seite gesprungen sind, warten nicht nur auf ihnen zustehendes Geld von der Republik.« Offen sind die Zahlungen für Januar und Februar. »Laut dem Chef des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, bringt dieser Umstand manche der Organisationen „an den Rand der Zahlungsunfähigkeit“.«

Mit anderen Worten: Die Wohlfahrtsorganisationen sind also in Vorleistung getreten und haben die Kostenerstattung bislang noch nicht erhalten – und viele von ihnen sitzen nicht auf einem Geldbunker, mit dessen Hilfe sie in größerem Umfang und über längere Zeit etwas vorfinanzieren können. Und sie haben professionelle Beschäftigte, deren Lohn und Sozialabgaben gezahlt werden müssen. Aber der eigentliche Hammer kommt erst noch:

»Für noch viel mehr Aufregung sorgt allerdings ein Schreiben des Innenministeriums vom 10. Februar mit dem Betreff: „Förderungen Transitflüchtlinge; Berücksichtigung des Spendenaufkommens“. Aus diesem Brief erschließt sich, dass der Bund den NGOs die Spenden, die sie für ihre Arbeit für die Flüchtlinge bekommen, von den ersetzten („geförderten“) Kosten abzieht. Das 21-seitige Schreiben erging an zwölf Organisationen (etwa Rotes Kreuz, Johanniter NÖ-Wien, Volkshilfe Wien, Train of Hope, Islamische Föderation, türkisch-islamischer Kulturverein Teesdorf).«

Das erscheint wie ein Stück aus dem Tollhaus, aber wie so oft muss man genauer hinschauen. Denn bei aller Verwunderung bis Empörung kann man nicht behaupten, dass das seitens der österreichischen Regierung gleichsam als Überraschungsangriff durchgeführt wurde, es ist ein Paukenschlag mit Ansage, denn im vergangenen Jahr – als dieHilfsorganisationen bei der Versorgung der Flüchtlinge für den Staat in die Bresche gesprungen sind – hat dieser die spätere Kostenübernahme in einer Sonderrichtlinie konkretisiert, die genau das schon beinhaltet, was jetzt für eine Empörungswelle sorgt:

»Die „Sonderrichtlinie“ trat am 23. Oktober 2015 in Kraft und läuft Ende März aus. Fixiert ist darin unter anderem das Procedere für die Förderungen der Kosten, die den NGOs ab dem 4. September 2015 rund um die „Hilfsmaßnahmen für Transitflüchtlinge“ entstehen. Unter Punkt VI.1 wird auf grundsätzliche Förderrichtlinien des Bundes verwiesen, wonach „grundsätzlich nur jene Kosten förderbar sind, die … nicht durch Zuwendungen Dritter (insbesondere Spenden) abgedeckt sind“.«

Nun ist die Empörung in Österreich unter den Betroffenen groß und das Ansinnen des Staates wird auf eine grundsätzliche Ebene gehoben:

»Der Geschäftsführer des Fundraising Verband Austria (FVA), Günther Lutschinger, macht aus seiner Empörung kein Hehl. Das Ansinnen des Innenministeriums sei „eine absolute Frechheit und bedeutet einen Anschlag auf das Spendenwesen in Österreich“. Natürlich hätten die NGOs die Sonderrichtlinie und den darin fixierten Spendenabzug gekannt – aber der sei im Fall der Flüchtlingshilfe völlig unangebracht. Schließlich seien Flüchtlingshilfe und deren Finanzierung Staatsaufgabe – „aber der hat da versagt und die NGOs gebeten zu helfen. Und die sind dann für den Staat in Vorlage getreten.“ Kurzum: Der Staat habe seine Aufgaben nur ausgelagert. Während er in anderen Fällen, etwa bei der Leitung des Lagers Traiskirchen, Verträge gemacht habe, greife er in diesem Fall zu Förderverträgen.«

Das ist wohl wahr – so auch Reinhard Hundsmüller vom Arbeiter-Samariter-Bund, der den Fördervertrag für erbrachte Leistungen für den „falschesten Weg“ hält. Natürlich könnte man an dieser Stelle fragen, wieso man denn im vergangenen Jahr das Spiel offensichtlich mitgespielt hat. Wahrscheinlich weil man gehofft hat, dass das nur Rhetorik bleibt und nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde.
Interessant in diesem Zusammenhang auch die Antwort von Hundsmüller vom ASB auf genau diese Frage:

»Die Republik weiß es sehr gut auszunützen, dass mehrere NGOs auf dem Sektor tätig sind. Springt nicht der Größte ab, sagt sie, dann macht das eben der Rest.«

Da wird ein Strukturproblem der Wohlfahrtsorganisationen angesprochen, das wir auch in Deutschland zur Genüge kennen. Es gibt darüber hinaus auch in der gegenwärtigen Debatte in Österreich Stimmen, die versuchen, eine gewisse Distanz zum Protest der Hilfsorganisationen aufzubauen – und dabei auch eine grundsätzliche Ebene bemühen: »Nichtregierungsorganisationen kontra Regierung: Die NGOs wären gut beraten, ihren Mehrwert verstärkt in die öffentliche Auslage zu stellen – und sich weniger einer aggressiven und ermahnenden Rhetorik zu befleißigen.« So Bernhard Lori in seinem Kommentar Ein Spendendisput ohne Bürger und Zahler?.

Ansonsten formiert sich Widerspruch und Protest gegen den geplanten Verrechnungsschritt. Mehr Staat – weniger privat, so kommentiert Michael Möseneder. Für ihn stellt sich die Sache so dar:

»Für die Betreuung von Flüchtlingen ist in diesem Land das Innenministerium zuständig. Das war nur leider im Sommer 2015, als immer mehr Flüchtlinge kamen, völlig überfordert. Am Grenzübergang Nickelsdorf waren es die Hilfsorganisationen, die Essen und Kleidung verteilten. Selbst die Stadt Wien organisierte mehr als das in Schockstarre verfallene Ressort von Ministerin Johanna Mikl-Leitner. Dafür, dass die Vereine – und auch viele Privatpersonen – dem überforderten Bundesstaat geholfen haben, seine Aufgaben zu erfüllen, werden sie und die Gönner jetzt bestraft – indem die Spenden eingesackelt werden … eine logische Reaktion wäre, künftig Hilfsersuchen staatlicher Stellen höflich, aber bestimmt abzulehnen.«

Aktuell ist die Sache wohl noch in der Schwebe: In dem Artikel Streit um Spenden: Ostermayer gegen Pläne des Finanzministeriums wird darauf hingewiesen: »Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) hat sich gegen die von Innen- und Finanzministerium geplante volle Anrechnung der Spenden auf die Förderungen für die Flüchtlings-Hilfsorganisationen ausgesprochen. Er sei für eine gemeinsame Lösung mit den Hilfsorganisationen. Diese solle „nicht eine 1:1-Gegenrechnung“ umfassen.«

Man darf gespannt sein, wie das in Österreich ausgeht. Sicher werden das in Deutschland manche mit großem Interesse verfolgen.