Vom RISG zum GKV-IPReG: Außerklinische Intensivpflege und die Angst vor einer fremdbestimmten Abschiebung aus dem eigenen Haushalt

Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat es doch wirklich nur gut gemeint: Im August des vergangenen Jahres wurde aus seinem Ministerium berichtet: »Beatmungspatientinnen und -patienten sollen nach dem Krankenhausaufenthalt besser betreut werden … Danach sollen die Qualitätsstandards für die Versorgung von Menschen, die z. B. nach einem Unfall oder aufgrund einer Erkrankung künstlich beatmet werden müssen, erhöht werden.« Um das zu erreichen, habe man den Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung von Rehabilitation und intensiv- pflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz – RISG)“ vorgelegt. Das hört sich doch alles ganz ordentlich an. Dieser erste Aufschlag wurde hier am 24. August 2019 unter der Überschrift RISGantes Vorhaben: Beatmungspatienten zukünftig (fast) immer ins Heim oder in eine Intensivpflege-WG? Von vermeintlich guten Absichten, monetären Hintergedanken und einem selbstbestimmten Leben detailliert beschrieben – und der Knackpunkt, der verständlicherweise zahlreiche Proteste der Betroffenen und ihrer Organisationen ausgelöst hat, wurde in dem damaligen Beitrag hervorgehoben:

In einem neuen § 37c SGB V (Außerklinische Intensivpflege) sollte dieser Absatz* stehen:

»Der Anspruch auf außerklinische Intensivpflege besteht in vollstationären Pflegeeinrichtungen, die Leistungen nach § 43 des Elften Buches erbringen, oder in einer Wohneinheit … Wenn die Pflege in einer Einrichtung nach Satz 1 nicht möglich oder nicht zumutbar ist, kann die außerklinische Intensivpflege auch im Haushalt oder in der Familie des Versicherten oder sonst an einem geeigneten Ort erbracht werden. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen; bei Versicherten bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ist die Pflege außerhalb des eigenen Haushalts oder der Familie in der Regel nicht zumutbar.«**

*) § 37c Absatz 2 SGB V nach dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Rehabilitation und intensiv-pflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz – RISG), August 2019
**) Hervorhebungen nicht im Originaltext

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Nur nicht sich selbst bewegen und mit dem Finger auf andere zeigen: Die Sonderprämie für Beschäftigte in der Altenpflege und die Reise nach Jerusalem bei der Frage: Wer zahlt (nicht)?

Ach, die „Corona-Prämie“. Am Anfang stand die gute Absicht: Die Pflegekräfte in der Altenpflege sollten eine handfeste materielle Würdigung in Form einer Prämie bekommen. So entstand vor einigen Wochen die Idee, die besonderen Leistungen der Altenpflege mit einer „Corona-Sonderprämie“ von 1.500 Euro für die mehr als eine halbe Million Beschäftigten zu honorieren, wobei sich die Höhe des einmaligen Geldbetrags daran bemisst, dass der Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) eine Regelung erlassen hat, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten in diesem Jahr Corona-Sonderprämien bis zu 1.500 Euro gewähren können, ohne dass darauf Steuern und Sozialbeiträge erhoben werden.

Zwischenzeitlich wurde die Frage aufgeworfen, wann denn nun der Rubel rollt. Da ist er dann erreicht, der Punkt, an dem man die Hosen runter lassen muss hinsichtlich der Finanzierung der Prämie, denn das Geld fällt – auch wenn manche in diesen Tagen einen anderen Eindruck haben – bekanntlich nicht vom Himmel, sondern man braucht einen oder mehrere Geldgeber für die Anerkennungsprämie. Und die Berufsskeptiker mussten sich bestätigt fühlen durch solche Beiträge wie den hier vom 21. April 2020: Es hat sich ausgeklatscht und die versprochene Prämie für Pflegekräfte in der Altenpflege will keiner zahlen. Dort musste berichtet werden, dass alle relevante Akteuere auf Tauchstation gegangen sind, als es um die Frage nach der konkreten Schatulle ging, aus der man die Prämie entnehmen könne.

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Es hat sich ausgeklatscht und die versprochene Prämie für Pflegekräfte in der Altenpflege will keiner zahlen

Es waren durchaus beeindruckende Bekundungen der Anerkennung und des Danks für diejenigen, die in vorderster Reihe beim Kampf gegen die Folgen der Corona-Pandemie ihre Frau bzw. ihren Mann stehen, die in den Kliniken, den Pflegeheimen und den ambulanten Pflegediensten durchhalten und die Versorgung hilfsbedürftiger Menschen sicherstellen. Da wurde nach italienischem Vorbild auf den Balkonen geklatscht und über weitere in vielen Fällen sicher auch zutiefst ehrlich gemeinte Bekundungen des Danke-Sagens wurde berichtet. Nun ist das, wie man überall feststellen kann und muss, mittlerweile abgeklungen, die Diskussionen drehen sich um die eingeleiteten Öffnungen des kommerziellen und gesellschaftlichen Lebens und viele Menschen haben den Eindruck, dass doch eigentlich alles schon vorbei ist. Die tatsächlichen Dramen laufen im Hintergrund ab und oftmals in den Einrichtungen, die man auch noch abgeschottet hat gegenüber der Außenwelt. Also in den Pflegeheimen, die zu den Hotspots der im wahrsten Sinne des Wortes tödlichen Seite der Corona-Krise geworden sind. Und das, was dort abläuft, schlägt sich dann nieder in solchen Meldungen: »In Deutschland sind bislang etwa 4.600 Menschen infolge des Corona-Virus gestorben – etwa ein Drittel davon in Pflegeheimen und anderen Betreuungseinrichtungen. Das besagen die Zahlen des Robert Koch-Instituts«, so Christoph Heinzle in seinem Artikel Ein Drittel aller Corona-Toten in Heimen. Es ist ein stilles Sterben in den abgeschlossenen Heimen und auch zahlreiche Mitarbeiter dort haben sich infiziert.

Aber da ist dann ja noch wenigstens das Versprechen einer nicht nur emotionalen oder verbalen Anerkennung (die erst einmal nicht viel kostet), sondern dass die Pflegekräfte in der Altenpflege eine handfeste materielle Würdigung in Form einer Prämie bekommen sollen. So entstand vor einigen Wochen die Idee, die besonderen Leistungen der Altenpflege mit einer „Corona-Sonderprämie“ von 1.500 Euro für die mehr als eine halbe Million Beschäftigten zu honorieren.

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Der Tod und die Pflegeheime in Zeiten der Coronavirus-Pandemie

Es sind schlichtweg Zahlen des Grauens: »In immer mehr Pflegeheimen kommt es zu Infektionen durch das Corona-Virus. Deutschlandweit ist es inzwischen in über 300 Heimen aufgetreten, bislang sind dadurch mindestens 226 Covid-19-Infizierte gestorben.« Das kann man der am 7. April 2020 veröffentlichten Meldung Covid-19-Infektionen in mindestens 331 Pflegeheimen entnehmen, wobei man auf das „mindestens“ achten muss: »Die Zahl der Pflegeheime, die Covid-19-Infektionen melden, steigt fast täglich. Nach Recherchen des ARD-Magazins FAKT sind bundesweit mindestens 331 Pflegeheime betroffen. Das hat eine Umfrage des Magazins bei den zuständigen Ministerien aller Bundesländer ergeben. Bayern, das Saarland und Sachsen-Anhalt machten allerdings keine Angaben.« Also drei Bundesländer sind noch gar nicht enthalten.

Solche Zahlen gehören zu der Kategorie dieser überaus vergänglichen Wasserstandsmeldungen, die schon am nächsten Tag überholt sind. Und dass es noch viel mehr Opfer der Coronavirus-Pandemie in unseren Pflegeheimen geben wird, liegt auch an den strukturellen Besonderheiten dieser Einrichtungen. Dazu bereits ausführlicher der Beitrag Aus den Untiefen der Verletzlichsten und zugleich weitgehend Schutzlos-Gelassenen: Pflegeheime und ambulante Pflegedienste inmitten der Coronavirus-Krise vom 29. März 2020. Für alle wird immer deutlicher und schmerzhafter erkennbar, dass gerade die Pflegeheime besonders betroffenen sind und sein werden von der tödlichen Seite der Pandemie.

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Staatsversagen und Staatsverlangen – am Beispiel des geplanten „Epidemiegesetzes“ in Nordrhein-Westfalen

Wir alle hetzen in diesen wirren Zeiten von einer Meldung zur anderen und für die politischen Entscheidungsträger ist es wahrlich keine einfache Aufgabe, im Strudel der schwer bis gar nicht einzuordnenden Zusammenhänge den Überblick zu behalten und auch noch hilfreiche Entscheidungen treffen zu können. Zuweilen aber muss man den Eindruck bekommen, dass auf der einen Seite vor allem ein Mangel an einer klaren Perspektive auf die Hotspots der Corona-Krise und daraus abgeleiteter tatkräftiger und das heißt schneller und umfassender Maßnahmen zu beobachten ist, während sich parallel dazu der große Tanker Gesetzgeber über die grundsätzlich auch mal zu lobenden beherzte Rettungsgesetzgebung auf der Ebene des Bundes und der Länder hinsichtlich der Auffanglösungen für Unternehmen und Arbeitnehmer inklusive der Bereitstellung enormer Finanzmittel zur Überbrückung der krisenbedingten Ein- und Zusammenbrüche mittlerweile in eine ganz eigene Richtung in Bewegung gesetzt hat, die weniger auf die akute Notfallbehandlung zielt, sondern schwerwiegende strukturelle Veränderungen im komplexen Rechtsgefüge unseres Landes ansteuert bzw. schon auf den Weg gebracht hat, bei dem es auch um die Einschränkung bzw. sogar Aufhebung fundamentaler Grundrechte der Menschen geht.

Der Bund ist bereits vorgeprescht mit dem „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (Bundestags-Drucksache 19/18111 vom 24.03.2020), das ein aus Sicht des Bundes offensichtliches Problem zu adressieren versucht: Das „Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen“ (Infektionsschutzgesetz – IfSG) wird im Wesentlichen von den Bundesländern als eigene Angelegenheit ausgeführt. Die Anordnung von Maßnahmen der Verhütung sowie der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten obliegt den nach Landesrecht zuständigen Behörden. Eine ergänzende Zuständigkeit des Bundes für Maßnahmen der Verhütung und insbesondere der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ist bislang auch für den Krisenfall nicht vorgesehen. Genau das wollte und hat man geändert.

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