Es waren durchaus beeindruckende Bekundungen der Anerkennung und des Danks für diejenigen, die in vorderster Reihe beim Kampf gegen die Folgen der Corona-Pandemie ihre Frau bzw. ihren Mann stehen, die in den Kliniken, den Pflegeheimen und den ambulanten Pflegediensten durchhalten und die Versorgung hilfsbedürftiger Menschen sicherstellen. Da wurde nach italienischem Vorbild auf den Balkonen geklatscht und über weitere in vielen Fällen sicher auch zutiefst ehrlich gemeinte Bekundungen des Danke-Sagens wurde berichtet. Nun ist das, wie man überall feststellen kann und muss, mittlerweile abgeklungen, die Diskussionen drehen sich um die eingeleiteten Öffnungen des kommerziellen und gesellschaftlichen Lebens und viele Menschen haben den Eindruck, dass doch eigentlich alles schon vorbei ist. Die tatsächlichen Dramen laufen im Hintergrund ab und oftmals in den Einrichtungen, die man auch noch abgeschottet hat gegenüber der Außenwelt. Also in den Pflegeheimen, die zu den Hotspots der im wahrsten Sinne des Wortes tödlichen Seite der Corona-Krise geworden sind. Und das, was dort abläuft, schlägt sich dann nieder in solchen Meldungen: »In Deutschland sind bislang etwa 4.600 Menschen infolge des Corona-Virus gestorben – etwa ein Drittel davon in Pflegeheimen und anderen Betreuungseinrichtungen. Das besagen die Zahlen des Robert Koch-Instituts«, so Christoph Heinzle in seinem Artikel Ein Drittel aller Corona-Toten in Heimen. Es ist ein stilles Sterben in den abgeschlossenen Heimen und auch zahlreiche Mitarbeiter dort haben sich infiziert.
Aber da ist dann ja noch wenigstens das Versprechen einer nicht nur emotionalen oder verbalen Anerkennung (die erst einmal nicht viel kostet), sondern dass die Pflegekräfte in der Altenpflege eine handfeste materielle Würdigung in Form einer Prämie bekommen sollen. So entstand vor einigen Wochen die Idee, die besonderen Leistungen der Altenpflege mit einer „Corona-Sonderprämie“ von 1.500 Euro für die mehr als eine halbe Million Beschäftigten zu honorieren.
Wieso eigentlich eine Sonderprämie in dieser Höhe, also 1.500 Euro? Der Betrag resultiert schlichtweg aus einer zuvor von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) erlassene Regelung, die beinhaltet, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten in diesem Jahr Corona-Sonderprämien bis zu 1.500 Euro gewähren können, ohne dass darauf Steuern und Sozialbeiträge erhoben werden. Was natürlich voraussetzt, dass die Arbeitgeber die Prämie auch zahlen können. Mit welchen Kosten müsste man rechnen? Wie so oft heißt es hier: Kommt darauf an. Aus dem Lager der Krankenkassen kommt die Schätzung, dass für die Altenpflege mit 900 Millionen Euro zu Lasten der Pflegekassen zu rechnen wäre. Und das von den Arbeitgebern finanzierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kommt auf einen Finanzierungsbedarf von insgesamt 1,14 Milliarden Euro für eine Prämie, die an Altenpflegekräfte, nicht aber an Verwaltungsmitarbeiter in der Pflege ausgeschüttet würde.
Und nun erreichen uns solche Meldungen: Keiner will die Pflege-Prämie zahlen: Die groß angekündigte Corona-Prämie von 1.500 Euro steht auf der Kippe, berichten Dietrich Creutzburg und Christian Geinitz in ihrem in der FAZ veröffentlichten Artikel. »Dabei schien alles schon geklärt, selbst für den sozialpolitisch stark engagierten Paritätischen Wohlfahrtsverband: Man sei „sehr froh, dass Politik und GKV-Spitzenverband ihre Bereitschaft erklärt haben, den Pflegekräften eine Zulage in Höhe von 1.500 Euro zu zahlen“, teilte er am 7. April mit. Der GKV-Spitzenverband ist das Dach der gesetzlichen Krankenkassen, die auch die Pflegeversicherung organisieren.« Da war möglicherweise der Wunsch Vater des Gedankens, dass es bereits ein Zusage geben würde – denn tatsächlich war und ist eben keine Klarheit darüber hergestellt worden, wer denn die Rechnung bezahlt. Und hinter den Kulissen wird hitzig um Zuständigkeiten und Kosten gerangelt. Dabei geht es u.a. um die Frage, aus welchem Topf denn die Mittel kommen sollen:
»In der Tat hatte ein Sprecher des GKV-Spitzenverbands Anfang April gesagt, die Prämie werde „am Ende aus den Portemonnaies der Beitragszahler finanziert“. Doch dies war intern offenbar nicht fest vereinbart. „Es gab keine Abstimmung zur Finanzierung aus Beitragsmitteln“, stellt Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Ersatzkassen-Verbands VDEK, klar – und fügt hinzu, dass es um „gesamtgesellschaftliche Anerkennung“ gehe. „Es kann nicht sein, dass allein die Beitragszahler hierfür aufkommen müssen.“
Der Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, betont, dass die Kassen dafür gar keinen Spielraum hätten, denn ihre Pflege-Rücklagen hätten schon vor der Krise höchstens bis Ende 2021 gereicht. „Die symbolische Anerkennung für systemrelevante Berufsgruppen, die jetzt in der Corona-Krise verstärkt gefordert sind, muss deshalb vom Bund oder von den Ländern kommen, etwa über zweckgebundene Zuschüsse für die soziale Pflegeversicherung“, sagt Litsch.«
Der Spitzenverband der Kranken- und Pflegekassen sieht andere in der Pflicht, die Schatulle zu öffnen. Die Begründung dafür geht so: »Altenpfleger leisteten „einen herausragenden Dienst“ für die Allgemeinheit – und deshalb sollten bei der Finanzierung „Bund und Länder Verantwortung übernehmen“.«
Und befeuert wird das Abschieben der Zuständigkeit an andere auch durch die Arbeitgeber: Einen Anteil an der Kehrtwende hat auch ein interner Brandbrief, mit dem die Arbeitgeberseite im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands gegen die Idee einer Prämie auf Kosten der Beitragszahler protestierte. Deren Vertreter, Volker Hansen, wird mit diesen Worten zitiert: Die vorhandenen Rücklagen der Pflegeversicherung dürfen nicht für teure Pflegeboni aufgezehrt werden.“
Und dann – aufgepasst – stellen die Arbeitgeber die „Gerechtigkeitsfrage“ und da müssen sich die Pflegekräfte aber richtig festhalten bzw. man muss diese Formulierung erst einmal sacken lassen:
»Außerdem, so hebt der Brandbrief hervor, stelle sich auch eine … Gerechtigkeitsfrage: Es sei zwar richtig, der Leistung der Pflegekräfte Respekt zu zollen. Man müsse aber auch sehen, „dass sie in der derzeitigen Krise einen sicheren Arbeitsplatz haben und ihr volles Gehalt beziehen, während viele Beschäftigte in anderen Branchen in Kurzarbeit gehen müssen oder sogar ihren Arbeitsplatz verlieren.“ Diese Beschäftigten als Beitragszahler mit der Pflegeprämie zu belasten sei nicht in Ordnung.«
Aber nun wirklich – die Pflegekräfte sollen doch nicht eine überschaubare Prämie erwarten oder gar fordern. Nein, sie sollen dankbar sein, dass sie tagein tagaus ihre wertvollen Arbeit verrichten dürfen, während andere im Homeoffice vom eigenen Nachwuchs genervt wird oder nur noch eingeschränkt öde gar nicht mehr arbeiten darf und das dann auch so richtig zu spüren bekommen in der Lohntüte. Das ist schon richtig perfide, so eine Argumentation.
Und der Spahn? Die Politik sowie konkret Bund und Länder werden adressiert mit der Forderung, die Kosten für die Prämie aus Steuermitteln zu finanzieren. Wenn man sich anschaut, in welchem Ausmaß derzeit für die meisten Menschen unvorstellbare Milliarden-Beträge aufgerufen werden, da wären doch solche Gelder an sich mehr als überschau- und leistbar, vor allem angesichts der besonderen Bedeutung und der Belastungssituation der Altenpflegekräfte.
Aber der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und andere in der Politik bremsen hier und versuchen sich aus der Affäre zu stehlen, denn – so Creutzburg und Geinitz in ihrem Artikel – die Politik steht vor zwei Problemen: »Die ohnehin angespannte Lage der Pflegeversicherung würde sich mit neuen Milliardenausgaben verschärfen. Zudem erzeugte eine politisch zu beschließende Prämienreglung neue Erklärungsnot: Wieso sollen nur Altenpfleger eine aus öffentlichen Kassen finanzierte Prämie erhalten – wo doch auch Krankenpfleger, Rettungssanitäter oder Beschäftigte in der Behindertenhilfe wichtige Arbeit leisten?«
Man ahnt schon, wo das angesichts dieser Gemengelage enden wird. Im Nirwana der folgenlosen Versprechungen. Außer, der politische Druck treibt die Bundesregierung dann sich noch dazu, die Rechnung zu übernehmen. Auf einen Strich mehr oder weniger auf dem Deckel kommt es nun doch wirklich nicht mehr an.
Sollte das allerdings weiter blockiert werden in Verbindung mit dem Ansatz, die Angelegenheit durch Liegenlassen irgendwie verschwinden zu lassen, sollten die Pflegekräfte ihren sowieso schon vollen Forderungszettel noch aufstocken. Den wird man brauchen, wenn es nach der unmittelbaren Krise darum gehen wird, dass die dann fällige Rechnung für das erhebliche Rettungsprogramm einzutreiben. Denn dann wird der Standard-Textbaustein der sein: „Aufgrund der angespannten Haushaltslage in Verbindung mit den erheblichen Schulden können leider keine Verbesserungen oder Reformen finanziert werden, sondern alle müssen Opfer bringen.“ Wobei das „alle“ wenn, dann nur sehr eingeschränkt und eben gerade nicht im Sinne einer Gleichverteilung zu verstehen ist. Und nach allen Erfahrungen aus der Vergangenheit wird die tatsächliche Belastungskurve eine deutliche Schieflage zuungunsten der Menschen in der unteren Hälfte haben. Wenn sich an den Koordinaten des entsprechenden Handelns in der Vergangenheit nichts fundamental ändert nach Corona, dann werden die Pflegekräfte aufpassen müssen, dass man sie nicht erneut zurückverweist in die Sprachlosigkeit, die wir lange Jahre vor Corona in der Pflege, vor allem der Altenpflege, haben sehen und beklagen müssen. Dagegen könnte man sich zu wehren versuchen.
Nachtrag am 22.04.2020:
Eine mögliche differenzierte Ausgestaltung der „Corona-Prämie“ wurde von einem Beratungsgremium aus Mitgliedern der vormaligen 4. Pflegekommission dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie dem Bundesministerium für Gesundheit zur Umsetzung empfohlen – wobei diese Gruppe von den beiden Ministerien gebeten wurden, Vorschläge zur Ausgestaltung einer Prämie im Rahmen der Corona-Pandemie und Anforderungen an mögliche Finanzierungs- und Durchführungswege im Regelungsbereich des SGB XI zu machen.
Vgl. dazu den Beitrag Prämie für die Altenpflege in Vorbereitung: »Als Anerkennung für die erhöhte, besondere Belastung durch die Arbeit mit zur Covid-19-Risikogruppe zählenden Pflegebedürftigen sollen bundesweit die Beschäftigten in der stationären und ambulanten Altenpflege eine Prämie erhalten.«
Die vorgeschlagene Prämie soll nach Berufsgruppen gestaffelt werden:
➞ 1.500 Euro erhalten demnach alle Beschäftigten, die hauptsächlich in der Pflege und Betreuung arbeiten
➞ 1.000 Euro erhalten weitere Berufsgruppen, wenn sie mindestens zu 25 Prozent mit den Pflegebedürftigen arbeiten
➞ 500 Euro erhalten alle weiteren Beschäftigten mit weniger als 25 Prozent direktem Kontakt
➞ Pflege-Azubis erhalten 900 Euro
Und die Mitglieder der vormaligen vierten Pflegekommission sagen auch was zu dem Streitthema Finanzierung. Zu den Anforderungen an mögliche Finanzierungs- und Durchführungswege wird ausgeführt: Eine alleinige Finanzierung aus Mitteln der Pflegeversicherung wird vor dem Hintergrund der Anerkennung für die gesamtgesellschaftliche Aufgabe abgelehnt. Die Kosten der Prämie dürfen weder von den Einrichtungen und Diensten getragen werden noch ist eine Erhöhung der Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen oder ihrer Angehörigen vertretbar. Die Liquidität vieler Einrichtungen und Dienste ist durch die Pandemie beansprucht und lässt ein Vorstrecken der Prämienzahlung nicht zu, zumal viele der Anbieter in vielen Arbeitsfeldern tätig und nun weitergehend beansprucht sind. Daher ist eine entsprechende vorherige Vorauszahlung für die Einrichtungen und Dienste zwingend erforderlich. Und: Zahlungen auf der Grundlage von Landesregelungen sollen angerechnet werden können.
Und wer soll zahlen? »Nach der Empfehlung des Beratungsgremiums ist nun die Frage der Finanzierung politisch zu klären. Die Mitglieder haben jedoch darauf hingewiesen, dass die Prämie nicht aus den Mitteln der Sozialversicherung finanziert werden kann und keinesfalls die Pflegebedürftigen oder deren Angehörige belasten darf.« Anders formuliert: Es wird für eine Finanzierung aus Steuermitteln plädiert.
Das muss dann von der Politik entschieden werden. Bonus für Pflege: Spahn verspricht Lösung für Finanzierung, so ist einer der Meldungen dazu überschrieben: »Sein Ziel sei, „dass wir in den nächsten ein, zwei Wochen da auch zu einem konkreten Ergebnis für die Pflegekräfte kommen“, sagte Spahn am Mittwoch nach einer Sitzung des Gesundheitsausschusses im Bundestag in Berlin.« Und weiter: »Spahn sagte, bei den Bonuszahlungen gehe es um eine faire Verteilung der Kosten. Geklärt werden müsse, welchen Teil die Pflegekassen übernehmen sowie die Länder und Arbeitgeber.« Das hört sich nicht an wie eine vollständige Steuerfinanzierung der Prämie. »Spahn sagte, geklärt werden solle in den kommenden Tagen, wie Teilzeitkräfte berücksichtigt werden und welche Berufsgruppen genau eine Prämie erhalten sollen. “Reinigungskräfte leisten auch wichtige Arbeit”, sagte Spahn. Nach dieser Klärung solle über die Finanzierung gesprochen werden.« Also die Finanzierungsfrage bleibt weiter offen.