3,7 Millionen – wohlgemerkt – sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte verdienen weniger als 2.000 Euro brutto pro Monat. Das hat Folgen, nicht nur heute schon

In den vergangenen Wochen wurde mal wieder intensiv über Hartz IV und dabei auch über die Höhe der Regelleistungen in der Grundsicherung diskutiert und gestritten. Und immer wieder wurde dabei auch darauf hingewiesen, dass es viele Menschen gibt, die arbeiten gehen und knapp oberhalb der Bedarfsgrenzen des Hartz IV-Systems liegen. Und um die sich kaum einer kümmern würde, die aber mit dem kargen Entgelt für ihre Arbeit alleine über die Runden kommen müssen. Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Zahlen, so nüchtern sie daherkommen, eine notwendige Offenbarung, dass wir hier nicht über eine kleine Minderheit sprechen, die mit niedrigen Löhnen abgespeist wird. Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Sabine Zimmermann, hat sich in der Fragestunde des Bundestags danach erkundigt, wie viele Menschen denn weniger als 2.000 Euro brutto pro Monat bekommen für ihre Arbeit – und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat geantwortet. Die Daten aus dieser Antwort sind in der Abbildung visualisiert.

»Nach den jüngsten Zahlen von Ende 2016, neuere Daten liegen nicht vor, waren dies 17,7 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten in Deutschland. Im Westen betrug der Anteil 14,7 Prozent, im Osten sogar 31,2 Prozent«, kann man diesem Artikel entnehmen. Das hat natürlich zahlreiche Folgen, die nicht nur heute ihre Wirkung entfalten, sondern die viele in der Zukunft bitter zu spüren bekommen werden. 

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Alte Muster: Damit die „Hartz IV-Debatte“ nicht aus dem Ruder läuft, muss man „die“ einen gegen „die“ anderen in Stellung bringen. Und dann kann man im Windschatten etwas ganz anderes ansteuern

Am 8. April 2018 habe ich den Beitrag Die abgehobene und letztendlich verlogene Hartz IV-Debatte so begonnen: »Jetzt wird das Thema durch die Talkshows getrieben – oftmals ein guter Indikator, dass der Höhepunkt einer den Gesetzen der Erregungs- und Aufmerksamkeitsökonomie folgenden öffentlichen Debatte überschritten wurde und dass das Thema demnächst im medialen Mülleimer landet, weil bereits die nächste Sau darauf wartet, durch das Dorf hecheln zu müssen.«

Vorher aber wartet offensichtlich und wieder einmal ein anderer, inhaltlich und menschlich höchst relevanter Mülleimer. Es geht um den Versuch, die „Hartz IV“-Debatte, bei der man mit Abschaffungsvisionen gestartet ist und bei dem die „Ernsthaften“-Fraktion in der Diskussion zumindest versuchen, substanzielle Verbesserungsvorschläge in den öffentlichen Raum zu stellen (vgl. für derartige Bemühungen stellvertretend die Beiträge Was an Hartz IV wirklich abgeschafft gehört von Florian Diekmann und Ken Loach statt Alex Dobrindt von Sebastian Puschner), einerseits wieder runterzuholen, was die Aufgabe der „Rückzieher- und Abkühler“-Fraktion ist, für die stellvertretend der neu zuständige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) steht, der sich jetzt semantisch (und damit auf Zeit spielend) in die Prüfwolke zurückgezogen hat, um die anfänglich wohl reichlich visionären Äußerungen aus seiner Partei, Hartz IV könne abgeschafft werden, wieder auf den Boden der GroKo- und eigenen Agenda-Realität zu holen, also soweit zu verdünnen und die Leute hinzuhalten, dass endlich die nächste Sau zu rennen beginnt und man das Thema los werden kann. Das wird dann sekundiert durch emotionslos daherkommende Basta-Versuche des Vizekanzlers Olaf Scholz (SPD) – Scholz will Hartz IV behalten -, was dann nur noch getoppt wird von den aus seiner Sicht völlig verständlichen, aber von der Außenwirkung her verheerenden Statement der „Genervten“, für die der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil steht, der es zu so einer Headline gebracht hat: „Die Agenda-2010-Debatte langweilt mich“ (vgl. dazu die Auseinandersetzung von Tom Strohschneider in seinem Artikel Der gelangweilte Herr Klingbeil, die SPD und die Agenda-Reformen). Hier geht es letztendlich nur noch darum, das Spielfeld möglichst schnell wieder zu verlassen, weil man als SPD angesichts der gegebenen Rahmenbedingungen hier keinen Blumentopf gewinnen kann (selbst wenn man richtige Ideen für Verbesserungen hätte, weil die immer an der Unionsfront in der Regierung abprallen würden) und man so eher erneut die Frustrationen der anderen, die immer noch hoffen, ernten würde. 

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Abstruse Berechnungen, die dann auch noch viele übernehmen. Ein schräger Vergleich zwischen Hartz IV und Arbeitseinkommen

Jens Spahn, der neue Bundesgesundheitsminister, tobt durch die Medien mit Kommentierungen zur angeblichen Lage der Nation, die sämtlichen Lehrbuchempfehlungen der Aufmerksamkeitsökonomie entsprechen und damit auch ihre beabsichtigte Wirkung entfalten. Er ist im Gespräch und über ihn wird gesprochen und gestritten. Das folgt dem Muster einer durchaus erfolgreichen medialen Inszenierung, bei der es, wir kennen das, oftmals überhaupt nicht um die Inhalte, geschweige denn um die betroffenen Menschen geht, sondern darum, das eigene Lager zu bedienen. Das macht er gut.
Aber weniger gut machen andere ihren Job, beispielsweise Medien, die gar von sich behaupten, hinter ihnen würden sich die klugen Köpfe versammeln. Ausgangspunkt war die im Kontext der hitzigen Tafel-Debatte getätigte Aussage von Jens Spahn, Hartz IV sei nicht Armut, sondern „die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut“. Und er erinnerte an die Steuerzahler, die das alles bezahlen müssen. Sofort begann eine Debatte darüber, ob das nun stimmt oder gar eine Verhöhnung der betroffenen Menschen darstellt. Und Spahn hat dann noch einen Scheit ins Feuer gelegt, um das am Brennen zu halten und eine Diskussion aufgemacht, die den älteren Semestern sehr bekannt vorkommt: Die einen da unten gegen die anderen da unten ausspielen und an die Aversionen gegen Umverteilung appellieren: Jens Spahn legt nach: Eine Verkäuferin hat weniger als jemand, der den Hartz-IV-Satz bekommt: »Spahn sagte …, eine Verkäuferin im Einzelhandel habe weniger, um ihre Familie zu versorgen, als jemand, der den Hartz-IV-Satz bekommt.« Ein gezielter Schlag in Richtung der bekannten Empörungsrituale, die der alten Mechanik des Vergleichs von unten mit unten folgen. Das kann ja nun auch wirklich nicht sein, dass jemand, der arbeitet, weniger hat als so ein Hartz IV-Empfänger.

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