Der Mindestlohn und seine Kontrolle. Der Zoll bekommt jetzt Verstärkung. Von den Unternehmen

Er ist aus den großen Schlagzeilen verschwunden, der zum Jahresanfang eingeführte gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde für fast alle. Die Berichterstattungskarawane ist weitergezogen, aber gerade deshalb lohnt immer wieder ein Blick darauf, was sich denn in der Praxis tut. Und wenn wir uns erinnern an die großen Debatten Anfang des Jahres – neben den von vielen Ökonomen vorhergesagten massiven Beschäftigungsverlusten, die bislang auf sich warten lassen, wurde das Bild einer Überdosis an Kontrollen an die Wand geworfen, bei dem Beamte der Zollverwaltung – bewaffnet und in Rudeln auftretend – arme Geschäftsinhaber drangsalieren. Und eine zweite Front wurde eröffnet beim Thema Stundennachweise, also der Arbeitszeitdokumentation, aus der angeblich ein Bürokratiemonster erwachsen sei. Insgesamt ist es hier deutlich ruhiger geworden, aber die Politik hat ja zwischenzeitlich auch erste Lockerungsübungen veranstaltet. Das Mindestlohngesetz verlangt die Dokumentation von Arbeitszeiten aller Mitarbeiter, die unter 2.985 Euro verdienen. Zum 1. August 2015 wird die Grenze abgesenkt auf 2.000 Euro. Auch Familienangehörige werden von der Dokumentationspflicht ausgenommen. Eine Verordnung für diese Lockerungen wird gerade vom Bundesarbeitsministerium auf den Weg gebracht. Aber diese Kontrollen. Wie ist der Stand nach mehr als einem halben Jahr?

Der Zoll kontrolliert und offensichtlich ist das Ergebnis überschaubar. So berichtet die Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung in dem Artikel Bisher wenig Verstöße gegen den Mindestlohn:

»Das Gastgewerbe steht im Fokus des Zolls. So bestätigte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums …, dass in den ersten sechs Monaten des Jahres das Gastgewerbe gleich nach dem Baugewerbe am häufigsten kontrolliert wurde … „Von insgesamt 25.000 Kontrollen fanden rund 15 Prozent davon im Gaststättengewerbe statt“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Im Baugewerbe hätten insgesamt 46 Prozent aller Kontrollen stattgefunden. Am dritthäufigsten sei die Spedition/Transport kontrolliert worden. Im Rahmen der Kontrollen wurden insgesamt 210.000 Personen befragt.«

Und wie sieht es aus mit Verstößen gegen das Mindestlohngesetz? In 146 Fällen – weniger als ein Prozent – sind laut Ministerium Ermittlungen eingeleitet worden. Hört sich nicht gerade dramatisch an. Nun ist das mit den Zahlen immer so eine Sache – sind nun 25.000 Kontrollen viel oder weniger? Was ist die Grundgesamtheit? Offensichtlich erkennbar ist derzeit nur eines: Der Zoll läuft nicht herum und pickt sich wahllos Unternehmen heraus, sondern es gibt schon klare Schwerpunktsetzungen auf Branchen, in den denen man mit plausiblen Gründen Mindestlohnverstöße vermutet.

Aber die Kontrolldichte des Zolls wird kritisiert. Ein Beispiel, hier aus dem Artikel Wird der Mindestlohn eingehalten?:

»… Unmut herrscht … auf der Gewerkschaftsseite. Die Industriegewerkschaft Bauen – Agrar – Umwelt (IG BAU) fordert nun mehr Mindestlohn-Kontrollen, auch in Wilhelmshaven. „Wir stellen eklatante Verstöße gegen das Mindestlohngesetz in fast allen Bereichen fest“, erklärt der stellvertretende Regionalleiter der IG BAU im Bezirksverband Nordwest-Niedersachsen, Gero Lüers, und bezieht sich dabei auf Angaben von Arbeitnehmern.
Festzumachen sei das auch an den Umgehungsstrategien. So würden Arbeitnehmer zu Selbstständigen gemacht und Manipulationen bei der Arbeitszeiterfassung vorgenommen. Viele Arbeitnehmer würden das aus Angst, ihren Job zu verlieren, auch mittragen. Die Gewerkschaft glaubt, dass mehr Kontrollen gegen die Verstöße helfen könnten.«

Helfen könnte natürlich auch, wenn mögliche oder tatsächliche Verletzungen des Mindestlohngesetzes überhaupt verfolgt werden. Und an dieser Stelle betreten jetzt ganz neue Player das Parkett. Pizzalieferanten gehen gegen Niedriglohn-Konkurrenz vor, kann man dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel entnehmen.
Der Artikel beginnt mit einem konkreten Sachverhalt aus der Welt der  Gastronomie: den Pizzadiensten:

»Dass er sich keine Hoffnungen auf den Mindestlohn machen dürfe, wurde Manuel P. (Name geändert) schon im Bewerbungsgespräch in der Pizzeria deutlich gemacht. Für die Auslieferung werde er einen Stundenlohn von sechs Euro erhalten, die Touren müsse er mit seinem privaten Pkw fahren, teilte ihm sein künftiger Arbeitgeber mit. Das Geld werde er ihm am Ende jeder Schicht bar ausgezahlt.
Am Ende des ersten Arbeitstages ging Manuel P. nach vier Touren und drei Stunden Arbeit mit insgesamt 22 Euro nach Hause, also mit einem Stundenlohn von 7,33 Euro.«

Mit Hilfe einer eidesstattlichen Erklärung des Manuel P. konnte die Anwältin Nicole Thomas vor dem Landgericht Berlin einen Erfolg erzielen.

»In einer einstweiligen Verfügung untersagte das Gericht daraufhin der Berliner Pizzeria unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250 000 Euro oder einer Ordnungshaft, Arbeitnehmer unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns zu bezahlen.«

Das Besondere  im vorliegenden Fall: Nicole Thomas ist nicht etwa eine Anwältin einer Gewerkschaft, sondern Hauptgeschäftsführerin des Vereins zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, der im September 2014  in der Gastronomie gegründet worden ist. Pizzalieferanten wie Joey’s Pizza, Call a Pizza oder Smiley’s gehören dem Verein an.

»„In der Gastronomie gibt es viele schwarze Schafe, die Schwarzarbeiter beschäftigen und keine Mindestlöhne zahlen“, sagt Hauptgeschäftsführerin Nicole Thomas. Wenn ein Unternehmen den Mindestlohn nicht zahle, könne es auch bei den Kunden niedrigere Preise verlangen. „Das führt zu massiven Wettbewerbsverzerrungen“, kritisiert die Anwältin. Seit Anfang des Jahres geht ihr Verband gegen solche Verstöße vor.«

Um Mindestlohnverstöße aufzudecken, arbeitet der Verband auch mit einer Detektei zusammen. Bislang haben sich in zwei weiteren Fällen in Bayern und Schleswig-Holstein Unternehmen in einer Unterlassungserklärung verpflichtet, ihren Mitarbeitern künftig den Mindestlohn zu zahlen. Vor dem Landgericht Berlin ist außerdem eine weitere Klage gegen einen Pizzalieferanten anhängig, berichtet Cordula Eubel in ihrem Artikel.

Interessant ist die Reaktion der Gewerkschaft:

»Bei der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten beobachtet man die Tätigkeiten des Vereins mit Skepsis. Die Vereinsmitglieder hätten sich in der Vergangenheit dadurch ausgezeichnet, nicht tarifgebunden zu sein und Niedriglöhne zu zahlen, sagte Sprecherin Karin Vladimirow. Der Verein verfolge lediglich den Zweck, Konkurrenz zu denunzieren. Unstrittig sein, dass Mindestlohnverstöße wettbewerbsverzerrend seien, sagt Vladimirow.«

Das klingt doch jetzt ein wenig nach beleidigter Leberwurst.

Arbeitswelten: In der Fleischindustrie ist alles besser geworden! Wirklich? Und beim Daimler sprudeln die Gewinne – und die Fremdvergabe boomt

Viele werden sich erinnern an die Reportagen, Dokumentationen und Artikel, in denen die Verhältnisse im „Billigschlachthaus“ Deutschland angeprangert wurden, vor allem die Ausbeutung osteuropäischer Werkvertragsarbeiter, nicht nur hinsichtlich einer extrem niedrigen Bezahlung, sondern auch angesichts teilweise nur noch als kriminell zu bezeichnender Unterbringungsverhältnisse. Und keiner möge behaupten, dass mediale Berichterstattung nichts verändern kann – sie kann Druck aufbauen, Politiker zum Jagen tragen, Verbesserungen auslösen. Das war gerade in dieser Schmuddel-Branche der Fall (vgl. dazu auch den Beitrag Billig, billiger, Deutschland. Wie sich die Umsätze in der deutschen Fleischindustrie verdoppeln konnten und warum der Mindestlohn ein fragiler Fortschritt ist vom 15.11.2014). Zugleich lehrt die Erfahrung, dass man immer wieder die Dinge auf Wiedervorlage legen muss, um nachzuschauen, ob die Veränderungen nur angekündigt oder temporärer Natur waren und sich zwischenzeitlich eventuell die alten Verhältnisse wieder eingestellt haben. »Etwa ein Jahr ist es her, dass die Fleischbranche feierlich Besserung gelobte: Die Ausbeutung osteuropäischer Billiglöhner, von Subunternehmen in die Schlachthöfe geschickt, sollte ein Ende haben, ebenso die Unterbringung der Menschen in Schrottimmobilien zu Wuchermieten.« So beginnt ein Artikel von Karl Doeleke, mit der allerdings die Hoffnungen relativierenden Überschrift Zweifel an Reformen in der Fleischindustrie. Damals wurde ein Verhaltenskodex der Fleischwirtschaft ins Leben gerufen, der auch Mindestlohn und soziale Standards für Wohnungen regelt. Überwacht werden soll der von unabhängigen Wirtschaftsprüfern. Hört sich gut an. Nun aber hat die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ das gemacht, was bereits angedeutet wurde – den Sachverhalt nicht nur auf Wiedervorlage legen, sondern ihn auch mit Leben füllen, in dem einige scheinbar einfache Fragen gestellt werden: Werden die Regeln im Kodex alle umgesetzt? Welche Schlachtkonzerne verpflichten ihre Subunternehmer dazu? Wie wird die Einhaltung überwacht? Die Antworten darauf fielen sparsam aus.

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Billig, billiger, Deutschland. Wie sich die Umsätze in der deutschen Fleischindustrie verdoppeln konnten und warum der Mindestlohn ein fragiler Fortschritt ist

Bis in das Jahr 2000 spielte die deutsche Fleischindustrie im Prinzip keine Rolle auf dem europäischen Markt. Seit dem Jahr 2000 ist die Branche dann umsatzmäßig explodiert. Es geht um eine  Verdoppelung des Umsatzes von knapp 20 auf 40 Milliarden Euro innerhalb der letzten 10 bis 15 Jahre. Wie konnte das passieren? Was hatte sich verändert? Ganz einfach: man verwandelte die Branche in eine – betriebswirtschaftlich und im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gesprochen – „Effizienzmaschine“, vor allem dadurch, dass man Arbeitskräfte aus Osteuropa nach Deutschland geholt hat, die dann im Rahmen von Werkverträgen zu billigsten Löhnen ausgebeutet werden konnten. Mittlerweile wird bis zu 90% der Arbeit in den Schlachtbetrieben nach Angaben der Gewerkschaft NGG über Werkverträge organisiert. In der Vergangenheit wurde von Dumpinglöhnen zwischen drei bis sieben Euro berichtet, aber seit dem August dieses Jahres gibt es einen branchenweiten Mindestlohn von 7,75 Euro, der auch grundsätzlich für die Werkvertragsarbeitnehmer gilt. Also wird jetzt am Ende alles gut?

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„Wir brauchen Leute, die Bock haben zu arbeiten“. Also „fantastische Mitarbeiter“. Und was die Schlachthöfe können, kann ein Burger-Brater auch

Der Betreiber von McDonalds-Restaurants in Nordwestdeutschland holt sich aus Rumänien Arbeitskräfte – eine Praxis, die bislang von Schlachthöfen bekannt war. Darüber berichtet Dirk Fisser in seinem Artikel Vorbild Schlachthof? McDonald‘s setzt auf Rumänen – auch in Osnabrück. Und man lernt nicht nur, was es bedeutet, wenn sich ein Arbeitgeber über willige Arbeitskräfte freut.

Während die Streikaktionen der Lokführer und der Lufthansa-Piloten die Medien beherrschen, läuft im Hintergrund eine Tarifauseinandersetzung, von der wesentlich mehr Menschen betroffen sind und bei der richtig geholzt wird: »Die Gewerkschaft NGG und der Bundesverband der Systemgastronomie (BdS), hinter dem Fast-Food-Ketten wie McDonald’s, Burger King oder Starbucks stehen, zoffen sich darum, wie viel die Arbeit der mehr als 100.000 Angestellten wert ist. Ein Streit am unteren Ende der Gehaltsskala«, schreibt Fisser. Dazu auch der Blog-Beitrag Diesseits der großen „Jobwunderland“-Erzählung: Schmutzige Geschäfte auf Kosten der Reinigungskräfte und Rache für den gesetzlichen Mindestlohn seitens der großen Fastfood-Ketten vom 29.09.2014 oder den Beitrag Verdienen Mitarbeiter von Fast Food-Ketten mit Mindestlohn weniger? des Politikmagazins „defacto“ (HR-Fernsehen) vom 12.10.2014.

Es waren die Arbeitgeber, die den Tarifvertrag angesichts des herannahenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro vorzeitig aufgekündigt und neue Eckpunkte vorgelegt haben. Der Grundlohn, bislang im Westen bei 7,71 Euro und im Osten bei 7,06 Euro in der Stunde, wäre demnach zwar über die gesetzliche Untergrenze gestiegen. Dafür wollen die Arbeitgeber der Systemgastronomie aber Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Zuschläge ins Nirwana befördern, so dass am Ende viele Mitarbeiter weniger in der Tasche hätten als heute. Die Gewerkschaft NGG hat dieses „vergiftete Angebot“ verständlicherweise empört zurückgewiesen, aber man muss auch sehen, dass die Arbeitgeber zum einen wissen, wie niedrig der Organisationsgrad der Gewerkschaft in den Betrieben der Systemgastronomie ist – und dass dadurch der NGG schlichtweg das Drohpotenzial eines wirkkräftigen Arbeitskampfes fehlt. Zum anderen muss der Arbeitgeberverband auch deshalb die Muskeln spielen lassen, weil ihm die eigenen Mitglieder abhanden kommen. Zunächst war es der größte Betreiber von Burger-King-Restaurants in Deutschland, der den Bundesverband der Systemgastronomie (BdS) verlassen hat, während Burger King selbst an seiner Mitgliedschaft festhält. Dirk Fisser weist in seinem Artikel auf ein weiteres Beispiel hin: »… etwa der Pizzadienst „Joey’s“. Der Osnabrücker Franchise-Nehmer erklärte kürzlich ebenfalls seinen Austritt aus dem BdS, ist zu erfahren.«

Was aber hat das alles mit Rumänen zu tun? Fisser nimmt als Beispiel Christian Eckstein.

»22 McDonald’s-Restaurants im westlichen Niedersachsen und angrenzenden Nordrhein-Westfalen betreibt er in einem Joint Venture mit dem deutschen Marktführer. Der Blick in den Bundesanzeiger: Der Umsatz der „Systemgastronomie Christian Eckstein GmbH und Co. KG“ lag 2012 bei gut 44 Millionen Euro, der Jahresüberschuss bei 1,4 Millionen Euro. Knapp 1.100 Mitarbeiter hat das Unternehmen mit Sitz in Kirchdorf im Landkreis Diepholz demnach angestellt.«

Nicht nur auf Schlachthöfen würden Rumänen eingesetzt, sie würden auch bei McDonald’s die Hamburger braten. Also auf Fälle in den Filialen des Herrn Eckstein. Und für deren Unterbringung sorgt er auch, im »Erich-Maria-Remarque-Ring 1 in Osnabrück, Ortskundigen besser bekannt als das Iduna-Hochhaus.« Die Unterlagen, die dem Redakteur zugespielt wurden, sind sehr detailliert:

»134 Wohneinheiten befinden sich im Innern, zwischen 33 und 160 Quadratmetern groß. 16 gehören Eckstein. Er vermiete sie unter anderem an seine Mitarbeiter. Im vorliegenden Vertrag fordert er dafür etwa 200 Euro im Monat. „Pro Schlafplatz, bei maximal sechs Schlafplätzen in der Wohnung“, lautet ein Nachsatz. „Dieses Nutzungsentgelt wird vom Arbeitnehmer getragen und vom Arbeitgeber monatlich von dem an den Arbeitnehmer auszuzahlenden Arbeitsentgelt einbehalten“, heißt es weiter. Verbraucht der Mieter Strom, Wasser oder Gas „über dem üblichen Durchschnittsverbrauch“, behält Eckstein diese Mehrkosten ebenfalls ein.«

Der genannte Unternehmer hat natürlich – wie es sich für gute journalistische Arbeit gehört – die Möglichkeit bekommen, seine Sicht der Dinge darzustellen. Und die ist sehr aufschlussreich:

»Der Restaurantbetreiber erzählt, wie er vor fünf Jahren das erste Mal Mitarbeiter in Rumänien „castete“. Mittlerweile seien es etwa 130 Rumänen, die in Eckstein-Restaurants arbeiteten. „Die dritte Generation“, sagt der Chef, der von „fantastischen Mitarbeitern“ spricht, auf die er „superstolz“ sei …   In Deutschland habe er niemanden gefunden. „Wir brauchen Leute, die Bock haben zu arbeiten“, deutet Eckstein Probleme an. Und mit Blick auf sein rumänisches Personal schiebt er hinterher: „Die kommen hierher, um zu arbeiten und nicht um Freizeit zu haben.“ … Einer von denen, die aus Rumänien nach Osnabrück kamen, um hier die Burger zu braten, sagt im Schatten des Iduna-Hochhauses: Die Arbeit sei „hart, aber fair“. Für ihn habe sich die weite Reise gelohnt.«

Es steht zu vermuten, dass wir solche Berichte in der vor uns liegenden Zeit angesichts des erheblichen Wohlstandsgefälles innerhalb der EU öfter zur Kenntnis nehmen müssen.

Diesseits der großen „Jobwunderland“-Erzählung: Schmutzige Geschäfte auf Kosten der Reinigungskräfte und Rache für den gesetzlichen Mindestlohn seitens der großen Fastfood-Ketten

Während immer noch in vielen Medien mit Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt die große „Jobwunder“-Erzählung verbreitet und zuweilen vor sich her getragen wird wie eine Monstranz, kann man zahlreiche Veränderungen im überaus filigranen Arbeitsmarktgefüge auf den unterschiedlichen Etagen beobachten. An dieser Stelle soll erneut berichtet werden aus den unteren, eigentlich besonders schutzbedürftigen Bereichen des Arbeitsmarktes, wo zahlreiche Menschen arbeiten, deren Verhältnisse sich in den vergangenen Jahren teilweise schon deutlich verschlechtert haben.
Starten wir die Reise im Internet. Da blüht ja allerhand, auch die zweifelhaftesten Geschäftsmodelle können sich hier – zumindest wesentlich einfacher als in der „alten“ Geschäftswelt – entfalten. Und das sind dann nicht nur irgendwelche Geldverbrennungsmaschinen für verzweifelt nach Rendite suchende Investoren bzw. Spekulanten. Sondern das, was das Internet möglich macht vor allem auf der Ebene der Zwischenhändler, die dann die höchsten Margen einstreichen können, wenn sie es richtig machen, hat enorme Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen derjenigen, die gleichsam ganz am Ende der „Verwertungskette“ stehen. Die „natürlich“ zugleich die eigentliche Arbeit machen, an denen andere kräftig (mit)verdienen. Die dann diese Arbeit so neu organisieren, dass die gleiche Arbeit in anderen Bereichen dann wegfällt aufgrund der neuen Konkurrenz. Man schaue sich derzeit nur die ganze Story rund um Uber und dem Taxigewerbe an. Hier aber soll es um die Putzkräfte gehen. Denn die sind jetzt auch im Internet. Allerdings mit handfesten Folgen.

Darüber berichtet Charlotte Theile in ihrem Beitrag Schmutzige Geschäfte. Es geht um einen der schwierigsten „Märkte“, also für das Putzen in den Wohnungen und Häusern. Denn zum einen sind wir hier mit einem sehr hohen Anteil an schwarz arbeitenden Menschen konfrontiert oder wenn, dann mit in der Grauzone zwischen Illegalität und „normaler“, also sozialversicherungspflichtig ausgestalteter Beschäftigung, über die „Minijobs“. Und zum anderen gibt es bei vielen Haushalten durchaus einen Bedarf an diesen Putzkräften, dessen Realisierung sich aber überwiegend in einem der untersten Preissegmente bewegt oder aber der auch ungedeckt bleibt, weil ein Nachfrager, der sich an das Gesetz halten will oder muss, schlichtweg keine Putzkräfte zu den dafür erforderlichen Bedingungen findet. Schon seit vielen Jahren gibt es immer wieder Bestrebungen, das arbeitsmarktliche „Potenzial“ in diesem Bereich über legale Modelle zu erschließen. Man hat so einiges ausprobiert in der Vergangenheit, ob das nun „Dienstleistungsagenturen“ waren oder im Zuge der Hartz-Reformen der Ansatz, über eine Deregulierung bei der geringfügigen Beschäftigung die bis dato im illegalen Bereich angesiedelte Tätigkeit legaler zu machen.

Und jetzt kommt also gleichsam als eine Art „Durchlauferhitzer“ das Internet dazu. Theile zitiert als Beispiel die Firma Helpling. Sie gehört Rocket Internet, einem Unternehmen der Samwer-Brüder, das kurz vor dem Börsengang steht.

»Seit einigen Monaten wirbt die Firma mit ihrem Online-Putz-Service. Ihre Slogans springen einem entgegen, bei Facebook, im Fitnessstudio. „Du trainierst. Helpling putzt“, heißt es dort, oder „So einfach geht sauber“. Ab 12,90 Euro werden Küche, Bad und Schlafzimmer gereinigt – und zwar, so verspricht es die Homepage, von „geprüften und versicherten Reinigungsprofis“, die „zuverlässig und bestens ausgebildet“ sind. 10,32 Euro die Stunde kommen beim „Helpling“, wie die Putzkräfte genannt werden, an. Im Moment gibt es 50 Prozent Rabatt.«

So was geht natürlich nicht auf Dauer aufgrund der damit verbundenen Notwendigkeit einer Quersubventionierung – sondern wie so oft auf real existierenden Märkten nur für eine gewisse Zeit, die aber ausreichen kann, um andere Konkurrenten in die Knie zu zwingen. In diese Richtung geht auch die Einschätzung von Akteuren aus der Branche selbst, wie Theile zitiert:

»Patrick Tracht, Inhaber der Münchner Reinigungsfirma Mr. Cleaner, hält die Konkurrenten aus dem Netz für Ausbeuter. Der Preiskampf, den die neuen Firmen losgetreten hätten, sei verheerend. „Wer putzen nur über den Preis bewirbt, macht das Geschäft kaputt“, sagt Tracht. Es gehe, schreibt er in einer aufgebrachten E-Mail, um nichts anderes, als möglichst schnell möglichst viel Marktanteil zu gewinnen – „egal zu welchen Kosten“ – und das Unternehmen dann weiterzuverkaufen.«

Unternehmen, die wie Mr. Cleaner 30 oder 40 Euro die Stunde nehmen, mit versicherten, fest angestellten Mitarbeitern, sind die Hauptzielgruppe der neuen Anbieter bzw. sagen wir es genauer: der neuen Vermittlungsagenturen, denn selbst putzen die ja nicht. Nicht nur Helpling, sondern auch Homejoy, Book A Tiger und Clean Agents setzen diese Firmen unter Druck. Und sie zielen auf eine reale „Marktlücke“, denn viele Haushalte wünschen sich eine Putzfrau – wollen aber weder Schwarzarbeit fördern, noch 40 Euro die Stunde zahlen. Zugleich gibt es Menschen, fast immer Frauen, für die zehn Euro ein guter Stundenlohn sind. Wenn – ja wenn das wirklich zehn Euro wären pro Stunde. Hier kommt ein weiterer Vorteil der neuen Anbieter zum Vorschein. Theile berichtet von einer Rekrutierungsveranstaltung für potenzielle Hellinge:

»“Ich habe bis jetzt nur meine eigene Wohnung geputzt.“ Kein Problem, sagt Wilhelm, dann schiebt er ein Blatt über den Tisch: „Weiterbildung zum Thema Reinigungsablauf“. Darauf stehen Empfehlungen, wie eine Wohnung zu putzen sei. Keine Arbeitsanweisungen, natürlich nicht, Helplinge sind ja selbständig.«

„Selbständig“ – wie praktisch.

Da haben andere Branchen ganz andere „Probleme“. Denn die sind nun konfrontiert mit dem beschlossenen gesetzlichen Mindestlohn. Und während die einen das hinnehmen, versuchen andere, sofort neue Umgehungsstrategien in die Welt zu setzen. Stefan Sauer berichtet unter der Überschrift Rache für den Mindestlohn, welchen Weg die großen Fastfood-Ketten einschlagen wollen, um den Mindestlohn zu umgehen. Das liest sich schon wie ein starkes Stück. Konkret geht es um Fastfood-Ketten und andere Großgastronomen, die im Bundesverband der Systemgastronomie (BdS) zusammen geschlossen sind. Zum Start der zweiten Runde der Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft NGG präsentierten die ein bemerkenswertes Angebot für die mehr als 100.000 Beschäftigte, wobei man zweimal lesen und wissen muss, es gibt keinen Druckfehler:

»Es soll teils sogar  zweistellige Entgeltsteigerungen bis zum Mindestlohnniveau geben, was unterm Strich aber Lohneinbußen von einigen hundert oder sogar mehreren tausend Euro pro Jahr bedeuten würde.«

„Es kann doch nicht sein, dass infolge der Mindestlohneinführung die Beschäftigten weniger in der Tasche haben als vorher“, mit diesen Worten der Fassungslosigkeit wird ein Gewerkschaftsfunktionär zitiert in dem Artikel. Doch. Valerie Holsboer, die Hauptgeschäftsführerin des BdS, umschreibt ihr systemgastronomisches „yes, we can“ mit freundlichen Worten: Angesichts der Mindestlohneinführung sei „klar, dass wir das Gesamtpaket bestehend aus Entgelt- und Manteltarifvertrag neu schnüren müssen“. Der BdS, in dem u.a. Mc Donald’s, Burger King, Pizza Hut, Kentucky Fried Chicken, Nordsee und Starbucks organisiert sind, geht folgendermaßen vor:
»Der alte Manteltarifvertrag wurde gekündigt und Eckpunkte  eines neuen vorgelegt: Demnach sollen Weihnachts- und Urlaubsgeld  komplett entfallen, ebenso Zuschläge für Überstunden, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsdienste sowie auch die Arbeitgeberanteile zu vermögenswirksamen Leistungen (VL).« Also alles, was Geld kostet.

Das hätte enorme Auswirkungen. Beispiel Ungelernte:

»Ungelernte im ersten Berufsjahr erhalten bisher im Osten 7,06 Euro, im Westen sind es 7,71 Euro. 8,50 Euro bedeuten mithin Zuwächse  von 20,4 und 10,2 Prozent. Selbst solch kräftige Lohnsteigerungen verwandeln sich allerdings ins Gegenteil: Allein das Streichen des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes sowie der vermögenswirksamen Leistungen führt nach Berechnung der NGG zu Verlusten von 1450  Euro im Jahr. Verrechnet mit den Lohnsteigerungen bleiben jährliche Verluste zwischen 100 und 170 Euro.«

Hinzu kämen weit höhere Einbußen durch den Wegfall von Zuschlägen, die bisher an Feiertagen  100 Prozent, in der Nachtarbeit 15 und für Überstunden 25 Prozent ausmachen. »Für einen durchschnittlichen Mitarbeiter der unteren Lohngruppen ergeben sich so leicht Jahreseinbußen von mehr als 1.100 Euro.«

Aber noch härter würde es die besser verdienenden Mitarbeiter treffen: »Für gelernte Fachkräfte in der Tarifgruppe 4 (West) bietet der BdS ein Plus von 1,1 Prozent auf den bisherigen Stundenlohn von 9,52 Euro an. Aufs Jahr gerechnet sind dies rund 207 Euro mehr. Dem stehen Einbußen von 1.450 Euro Euro bei den  VL, beim Weihnachts- und Urlaubsgeld gegenüber sowie ein nochmals vierstelliger Betrag wegen der gestrichenen Zuschläge.«

Für die Gewerkschaften und für die betroffenen Arbeitnehmer ist das ein klare Kampfansage – womit wir allerdings schon bei einem der strukturellen Probleme wären: Die Gewerkschaft NGG hat gerade in den genannten Unternehmen teilweise einen Organisationsgrad, der bei 5% liegt. Damit fehlt aber der Gewerkschaft das notwendige Drohpotenzial gegenüber den Arbeitgebern. Die betroffenen Arbeitnehmer müssen sich eben auch organisieren und kollektiv versuchen, zu agieren.

Und damit nicht der Eindruck erweckt wird, dass es hier um eine einseitige Arbeitgeberschelte geht – es geht auch ganz anders, worauf Stefan Sauer in seinem Artikel auch zu Recht hinweist:

»Unter dem Dach des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga haben Ketten wie Block House, Joey’s,  Le Crobag, Maredo, Tschibo, Wienerwald sowie zahlreiche  Warenhausrestaurants im Juli einen Tarifvertrag mit der NGG bis Ende Mai 2016 abgeschlossen. Er sieht bereits zum 1. Dezember 2014 einen untersten Tariflohn von 8,51 Euro vor. Auch für alle übrigen Tarifgruppen gibt es – unterschiedlich hohe – Zuwächse, und zwar auf Deutschlandweit gleichem Niveau. Jeder Azubi erhält 90 Euro mehr pro Monat.  Zulagen, Weihnachts- und Urlaubsgeld bleiben unangetastet.«

Es gibt eben nicht die „Schlechten“, sondern auch die „Guten“. Quod erat demonstrandum.
Wobei natürlich auch „das Gute“ immer ein relativer Begriff ist.

Fazit: Die Beschäftigten müssen verstehen, dass es einen gewaltigen Angriff auf ihr Gesamtlohngefüge geben soll und dass man sich dagegen zur Wehr setzen muss. Was alleine nicht geht. Bleibt nur der Versuch einer kollektiven Interessenvertretung über die Gewerkschaft, im vorliegenden Fall also der NGG. Man kann das partiell als Verbraucher unterstützen und punktuell auch einzelne schlechte Unternehmen von der Verbraucher- und Medienseite unter Druck setzen, die entscheidende Frage wird aber lauten: Wie gelingt es den Gewerkschaften, gerade in diesen Bereichen mehr Mitglieder zu gewinnen, um eine ausreichende Drohkulisse gegenüber den Arbeitgebern aufbauen zu können.