Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen und Bundesfreiwillige als Budgetbremse für die Rentner? Ein Exkurs über die faktische Kraft der Statistik in der realen Sozialpolitik

Preisfrage: Kann jemand erklären, wie es diejenigen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten oder die als Bundesfreiwillige gute Dinge zu tun versuchen, schaffen, den 20 Millionen Rentenbeziehern in Deutschland ihre Vorfreude auf den Sommer 2015, in dem die nächste Rentenerhöhung ansteht, zu verderben?

Geht nicht, weil das nichts miteinander zu tun hat?

Dann kennt man nicht wirklich die Tiefen, besser Untiefen der letztendlich nur historisch zu verstehenden Sozialpolitik. Wir haben es zugleich mit einem Lehrbuchbeispiel zu tun, an dem man studieren kann, wie die Dinge alle miteinander verklebt sind. Oder vielleicht hat man schlichtweg auch keine Zeit, sich über solche Zusammenhänge Gedanken machen zu können, denn man geht einem Zweitjob neben seinem eigentlichen Normaljob nach, sicher, weil man so gerne arbeitet – oder? Schauen wir einmal genauer hin, auf beide Sachverhalte.

Die 20 Millionen Rentner in Deutschland müssen sich 2015 mit einer deutlich niedrigeren Rentenerhöhung begnügen als zunächst erwartet. Dies ist auf eine Korrektur der Beschäftigtenstatistik zurückzuführen, die wiederum die Höhe der Rentenanpassung beeinflusst, berichtet Thomas Öchsner in seinem Artikel Rentenerhöhung fällt niedriger aus als erwartet. Nach Angaben von Rentenexperten müsse man davon ausgehen, dass durch diesen statistischen Einmaleffekt der Aufschlag bei den Renten im nächsten Jahr um etwa einen Prozentpunkt niedriger ausfallen wird. Wobei man die an sich erst einmal eher verharmlosend daherkommende Nachricht von einem Prozentpunkt auch so gelesen werden kann bzw. muss:

»Angenommen die Rentenerhöhung würde im Westen und Osten zwei Prozent betragen, käme nur ein Aufschlag von einem Prozent heraus. Bei einer Rente von 1000 Euro würde das Plus also statt 20 Euro nur zehn Euro betragen.«

Wie nun kann es zu einer Halbierung der eigentlich anstehenden Rentenerhöhung – die bescheiden genug ausfällt – kommen? Öchsner führt dazu aus:

»Die Bundesagentur für Arbeit hatte weitgehend unbemerkt zum 30. Juni 2013 drei große Gruppen in die Statistik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten neu aufgenommen. Dazu zählen knapp 300.000 Menschen mit einer Behinderung, die zum Beispiel in Werkstätten arbeiten. Hinzu kommen mehr als 30.000 Personen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe oder etwa Berufsbildungswerken beschäftigt sind, sowie knapp 80.000 meist junge Leute, die ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst leisten. Dabei handelt es sich überwiegend um Beschäftigte aus dem Niedriglohnbereich – und das schlägt sich in der nächsten und übernächsten Rentenanpassung nieder.« (Nur eine korrigierende Anmerkung: Die Änderung hat nicht im vergangenen Jahr stattgefunden, sondern erst in diesem, also 2014).

Darüber wurde auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ Anfang September kritisch berichtet: »Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese zusätzlich rund 400.000 Personen als sozialversicherungspflichtig beschäftigt gelten, nicht nur irgendwie als erwerbstätig, was ja auch Selbständige, geringfügig Beschäftigte oder Beamte sind. Also irgendwie „richtige“ Arbeitnehmer. Nun wird der eine oder die andere fragen, huch, Beschäftigte in Behindertenwerkstätten oder Teilnehmer am Bundesfreiwilligendienst – sind die wirklich „normal“ beschäftigt?« Eine gute und überaus berechtigte Frage. Denn Beschäftigte in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) bekommen bekanntlich gar kein „normales“ Entgelt, sondern eine Art Taschengeld und es darf an dieser Stelle nur darauf verwiesen werden, dass es derzeit eine Debatte über die Frage gibt, ob nicht auch diese Beschäftigten Anspruch haben auf den gesetzlichen Mindestlohn (vgl. weiterführend die aktuelle Publikation von Caroline Richter und Alexander Bendel: Zwischen Entgelt und Geltung: Zur Problematik von Lohnsystemen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, August 2014). Und auch die „Buftdis“, also die im Bundesfreiwilligendienst Tätigen bekommen ja nur ein Handgeld für das, was sie da machen.

Auch der DGB hatte sich Anfang September kritisch zu Wort gemeldet mit einer Pressemitteilung unter der Überschrift Geänderte BA-Statistik: Plötzlich 414.000 Beschäftigte mehr: »Ohne die zusätzlichen Personengruppen wäre nach dem neuen Konzept die sozialversicherte Beschäftigung absolut sogar um 67.000 Personen gesunken. Nun aber wird das Beschäftigungsniveau rein rechnerisch um 347.000 Personen höher ausfallen.« Wie praktisch. Wichtig ist der methodische Einwand des DGB gegen diese statistische „Korrektur“ der Beschäftigtenzahlen:

»Umgangssprachlich wird der Begriff der sozialversichert Beschäftigten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verwendet, die gegen Lohn oder Gehalt am regulären Arbeitsmarkt tätig sind. Das trifft auf viele Menschen in den neu erfassten Personengruppen aber nicht zu. Teilweise werden künftig auch nicht erwerbsfähige Personen mitgerechnet.

So wie bei den jetzt erstmals einbezogenen Menschen mit Behinderung in Behinderten-Werkstätten. Sie können in der Regel (noch) nicht auf dem regulären Arbeitsmarkt tätig sein und erhalten neben einem sehr geringen Einkommen meist Sozialhilfe. Die hier tätigen Menschen mit Behinderung stehen in der Regel in keinem Arbeitsverhältnis. Der Verdienst in den Werkstätten ist gering und liegt im Schnitt unter 200 Euro pro Monat.

Auch bei den Freiwilligendiensten FSJ, FÖJ und BFD handelt es sich um keine klassische Beschäftigung für Lohn und Gehalt. Beim Bundesfreiwilligendienst wird beispielsweise nur eine Art „Taschengeld“ gezahlt – und zwar maximal sechs Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung. Das sind aktuell 357 Euro im Westen und 300 Euro im Osten.«

Die damalige Kritik auch in meinem Blog-Beitrag auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ bezog sich vor allem auf die methodische Begründung für die Korrektur seitens der BA (vgl. hierzu die Erläuterungen im Monatsbericht der BA auf der Seite 10) und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Arbeitsmarktstatistik im engeren Sinne – die nun thematisierten Folgen für die Rentenpolitik hatte ich noch gar nicht auf dem Schirm. In den zutreffenden Worten des DGB:

»Die Bundesagentur für Arbeit begründet die Änderungen unter anderem mit einer Annäherung an die statistischen Erhebungen der Internatioanlen Arbeitsorgansiation ILO und deren „Erwerbstätigenkonzept“. Mit diesem statistischen Modell werden aber alle Erwerbstätigen erfasst, ganz gleich in welchem Umfang sie arbeiten. Auch Menschen, die nur eine Stunde pro Woche arbeiten oder für ihre Tätigkeit nur Sachleistungen erhalten, fallen unter die ILO-Definition.«

Ein „wunderbarer“ Ansatz, um am Ende das Problem der Arbeitslosigkeit nicht nur zu halbieren, wie es ein Peter Hartz mal in Aussicht gestellt hat, sondern sukzessive ganz zu beseitigen. Also statistisch gesehen, so meine damalige Kommentierung.

Nun aber zurück zum deutschen Rentner und seiner Vorfreude auf die nächste Rentenerhöhung, die durch diese statistische Rumfummelei arg strapaziert wird. Wie läuft hier der Übertragungsmechanismus? Dazu schreibt Öchsner in seinem Artikel:

»Wie kräftig eine Rentenerhöhung ausfällt, hängt maßgeblich davon ab, wie sich die Löhne und Gehälter pro Arbeitnehmer nach den sogenannten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR-Löhne) im Vergleich zum Vorjahr verändert haben. Den Ausschlag für 2015 gibt dabei der Vergleich der Einkommen von 2014 zu 2013. Da 2014 diese Geringverdiener neu in der Statistik hinzukommen, verringert dies den Lohnfaktor in der Rentenformel, was sich im Geldbeutel der 20 Millionen Ruheständler zunächst negativ bemerkbar macht.«

Bevor jetzt aber die Wutwelle zu pulsieren beginnt, muss man auch den folgenden Absatz zur Kenntnis nehmen: »2016 kehrt sich dies jedoch um. Die Rentenerhöhung wird dann entsprechend höher ausfallen, so dass unterm Strich die Rentner durch die statistischen Einmaleffekte nach den zwei Jahren weder besser noch schlechter gestellt sind.« Es sei denn, dass die Zahl der Niedriglöhner weiter ansteigt, in anderen Gruppen, wofür es in der Vergangenheit ja durchaus Beispiele gegeben hat. Wer sich wirklich für das Minenfeld der Berechnung der jährlichen Rentenanpassung interessiert, dem sei hier mein Blog-Beitrag Ein bescheiden gemachter Schluck aus der Pulle – wie die Rentenerhöhung 2014 berechnet wird. Zugleich ein Lehrstück für moderne „Formel-Sozialpolitik“ aus dem Juli 2014 empfohlen.

Fazit: Der Ärger für die Rentner ist berechtigt, aber auf ein „verlorenes Jahr“ begrenzt, wenn denn die optimistische Variante der nachträgliche Korrektur 2016 auch eintritt. Der eigentliche und weiterhin zu kritisierende Effekt der Korrektur der Beschäftigtenstatistik liegt darin, dass die Zahl der „normalen“, sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, was ja auch immer ein Qualitätsmerkmal darstellt, verwässert wird.

Aber bleiben wir beim Thema Arbeitsmarkt. Und werfen wir noch einen Blick auf eine ganz besondere Gruppe von Jobs. Den Zweitjobs.

»Nach aktuellen Zahlen der Bundesregierung ergänzten im vergangenen Jahr rund 2,35 Millionen Menschen ihren sozialversicherungspflichtigen Hauptberuf durch einen abgabenfreien Minijob. Das sind fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren«, berichtet Rainer Woratschka in seinem Artikel Zahl der Minijobber hat sich verdoppelt, wobei er – ganz korrekt formuliert – nicht alle Minijobber meint bzw. meinen kann, sondern diejenigen, die das neben einem anderen Job ausüben, also nicht die Gruppe der ausschließlich geringfügig Beschäftigten.

Doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren – darunter mag es Menschen geben, die gerne arbeiten, die vielleicht – aus welchen Gründen – möglichst spät nach Hause kommen wollen. Aber das wird eine überschaubare Gruppe sein. Daneben wird es eine Menge Menschen geben, die auf einen Zuverdienst angewiesen sind, weil sie in ihrem Hauptjob zu wenig Geld verdienen. Wobei das eben nicht nur ganz arme „working poor“ sein müssen, sondern auch viele heutige „Normalverdiener“ brauchen einen Zweitjob, um sich beispielsweise einmal im Jahr einen halbwegs ordentlichen Urlaub leisten zu können. Darüber wissen wir empirisch noch zu wenig bis gar nichts. Aber dass die Verdoppelung der Zweitjobs überwiegend auf arbeitssüchtige Menschen zurückzuführen ist, das glaubt doch wirklich keiner ernsthaft, außer, er oder sie muss es aus beruflichen Gründen so verkaufen.

Diesseits der großen „Jobwunderland“-Erzählung: Schmutzige Geschäfte auf Kosten der Reinigungskräfte und Rache für den gesetzlichen Mindestlohn seitens der großen Fastfood-Ketten

Während immer noch in vielen Medien mit Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt die große „Jobwunder“-Erzählung verbreitet und zuweilen vor sich her getragen wird wie eine Monstranz, kann man zahlreiche Veränderungen im überaus filigranen Arbeitsmarktgefüge auf den unterschiedlichen Etagen beobachten. An dieser Stelle soll erneut berichtet werden aus den unteren, eigentlich besonders schutzbedürftigen Bereichen des Arbeitsmarktes, wo zahlreiche Menschen arbeiten, deren Verhältnisse sich in den vergangenen Jahren teilweise schon deutlich verschlechtert haben.
Starten wir die Reise im Internet. Da blüht ja allerhand, auch die zweifelhaftesten Geschäftsmodelle können sich hier – zumindest wesentlich einfacher als in der „alten“ Geschäftswelt – entfalten. Und das sind dann nicht nur irgendwelche Geldverbrennungsmaschinen für verzweifelt nach Rendite suchende Investoren bzw. Spekulanten. Sondern das, was das Internet möglich macht vor allem auf der Ebene der Zwischenhändler, die dann die höchsten Margen einstreichen können, wenn sie es richtig machen, hat enorme Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen derjenigen, die gleichsam ganz am Ende der „Verwertungskette“ stehen. Die „natürlich“ zugleich die eigentliche Arbeit machen, an denen andere kräftig (mit)verdienen. Die dann diese Arbeit so neu organisieren, dass die gleiche Arbeit in anderen Bereichen dann wegfällt aufgrund der neuen Konkurrenz. Man schaue sich derzeit nur die ganze Story rund um Uber und dem Taxigewerbe an. Hier aber soll es um die Putzkräfte gehen. Denn die sind jetzt auch im Internet. Allerdings mit handfesten Folgen.

Darüber berichtet Charlotte Theile in ihrem Beitrag Schmutzige Geschäfte. Es geht um einen der schwierigsten „Märkte“, also für das Putzen in den Wohnungen und Häusern. Denn zum einen sind wir hier mit einem sehr hohen Anteil an schwarz arbeitenden Menschen konfrontiert oder wenn, dann mit in der Grauzone zwischen Illegalität und „normaler“, also sozialversicherungspflichtig ausgestalteter Beschäftigung, über die „Minijobs“. Und zum anderen gibt es bei vielen Haushalten durchaus einen Bedarf an diesen Putzkräften, dessen Realisierung sich aber überwiegend in einem der untersten Preissegmente bewegt oder aber der auch ungedeckt bleibt, weil ein Nachfrager, der sich an das Gesetz halten will oder muss, schlichtweg keine Putzkräfte zu den dafür erforderlichen Bedingungen findet. Schon seit vielen Jahren gibt es immer wieder Bestrebungen, das arbeitsmarktliche „Potenzial“ in diesem Bereich über legale Modelle zu erschließen. Man hat so einiges ausprobiert in der Vergangenheit, ob das nun „Dienstleistungsagenturen“ waren oder im Zuge der Hartz-Reformen der Ansatz, über eine Deregulierung bei der geringfügigen Beschäftigung die bis dato im illegalen Bereich angesiedelte Tätigkeit legaler zu machen.

Und jetzt kommt also gleichsam als eine Art „Durchlauferhitzer“ das Internet dazu. Theile zitiert als Beispiel die Firma Helpling. Sie gehört Rocket Internet, einem Unternehmen der Samwer-Brüder, das kurz vor dem Börsengang steht.

»Seit einigen Monaten wirbt die Firma mit ihrem Online-Putz-Service. Ihre Slogans springen einem entgegen, bei Facebook, im Fitnessstudio. „Du trainierst. Helpling putzt“, heißt es dort, oder „So einfach geht sauber“. Ab 12,90 Euro werden Küche, Bad und Schlafzimmer gereinigt – und zwar, so verspricht es die Homepage, von „geprüften und versicherten Reinigungsprofis“, die „zuverlässig und bestens ausgebildet“ sind. 10,32 Euro die Stunde kommen beim „Helpling“, wie die Putzkräfte genannt werden, an. Im Moment gibt es 50 Prozent Rabatt.«

So was geht natürlich nicht auf Dauer aufgrund der damit verbundenen Notwendigkeit einer Quersubventionierung – sondern wie so oft auf real existierenden Märkten nur für eine gewisse Zeit, die aber ausreichen kann, um andere Konkurrenten in die Knie zu zwingen. In diese Richtung geht auch die Einschätzung von Akteuren aus der Branche selbst, wie Theile zitiert:

»Patrick Tracht, Inhaber der Münchner Reinigungsfirma Mr. Cleaner, hält die Konkurrenten aus dem Netz für Ausbeuter. Der Preiskampf, den die neuen Firmen losgetreten hätten, sei verheerend. „Wer putzen nur über den Preis bewirbt, macht das Geschäft kaputt“, sagt Tracht. Es gehe, schreibt er in einer aufgebrachten E-Mail, um nichts anderes, als möglichst schnell möglichst viel Marktanteil zu gewinnen – „egal zu welchen Kosten“ – und das Unternehmen dann weiterzuverkaufen.«

Unternehmen, die wie Mr. Cleaner 30 oder 40 Euro die Stunde nehmen, mit versicherten, fest angestellten Mitarbeitern, sind die Hauptzielgruppe der neuen Anbieter bzw. sagen wir es genauer: der neuen Vermittlungsagenturen, denn selbst putzen die ja nicht. Nicht nur Helpling, sondern auch Homejoy, Book A Tiger und Clean Agents setzen diese Firmen unter Druck. Und sie zielen auf eine reale „Marktlücke“, denn viele Haushalte wünschen sich eine Putzfrau – wollen aber weder Schwarzarbeit fördern, noch 40 Euro die Stunde zahlen. Zugleich gibt es Menschen, fast immer Frauen, für die zehn Euro ein guter Stundenlohn sind. Wenn – ja wenn das wirklich zehn Euro wären pro Stunde. Hier kommt ein weiterer Vorteil der neuen Anbieter zum Vorschein. Theile berichtet von einer Rekrutierungsveranstaltung für potenzielle Hellinge:

»“Ich habe bis jetzt nur meine eigene Wohnung geputzt.“ Kein Problem, sagt Wilhelm, dann schiebt er ein Blatt über den Tisch: „Weiterbildung zum Thema Reinigungsablauf“. Darauf stehen Empfehlungen, wie eine Wohnung zu putzen sei. Keine Arbeitsanweisungen, natürlich nicht, Helplinge sind ja selbständig.«

„Selbständig“ – wie praktisch.

Da haben andere Branchen ganz andere „Probleme“. Denn die sind nun konfrontiert mit dem beschlossenen gesetzlichen Mindestlohn. Und während die einen das hinnehmen, versuchen andere, sofort neue Umgehungsstrategien in die Welt zu setzen. Stefan Sauer berichtet unter der Überschrift Rache für den Mindestlohn, welchen Weg die großen Fastfood-Ketten einschlagen wollen, um den Mindestlohn zu umgehen. Das liest sich schon wie ein starkes Stück. Konkret geht es um Fastfood-Ketten und andere Großgastronomen, die im Bundesverband der Systemgastronomie (BdS) zusammen geschlossen sind. Zum Start der zweiten Runde der Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft NGG präsentierten die ein bemerkenswertes Angebot für die mehr als 100.000 Beschäftigte, wobei man zweimal lesen und wissen muss, es gibt keinen Druckfehler:

»Es soll teils sogar  zweistellige Entgeltsteigerungen bis zum Mindestlohnniveau geben, was unterm Strich aber Lohneinbußen von einigen hundert oder sogar mehreren tausend Euro pro Jahr bedeuten würde.«

„Es kann doch nicht sein, dass infolge der Mindestlohneinführung die Beschäftigten weniger in der Tasche haben als vorher“, mit diesen Worten der Fassungslosigkeit wird ein Gewerkschaftsfunktionär zitiert in dem Artikel. Doch. Valerie Holsboer, die Hauptgeschäftsführerin des BdS, umschreibt ihr systemgastronomisches „yes, we can“ mit freundlichen Worten: Angesichts der Mindestlohneinführung sei „klar, dass wir das Gesamtpaket bestehend aus Entgelt- und Manteltarifvertrag neu schnüren müssen“. Der BdS, in dem u.a. Mc Donald’s, Burger King, Pizza Hut, Kentucky Fried Chicken, Nordsee und Starbucks organisiert sind, geht folgendermaßen vor:
»Der alte Manteltarifvertrag wurde gekündigt und Eckpunkte  eines neuen vorgelegt: Demnach sollen Weihnachts- und Urlaubsgeld  komplett entfallen, ebenso Zuschläge für Überstunden, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsdienste sowie auch die Arbeitgeberanteile zu vermögenswirksamen Leistungen (VL).« Also alles, was Geld kostet.

Das hätte enorme Auswirkungen. Beispiel Ungelernte:

»Ungelernte im ersten Berufsjahr erhalten bisher im Osten 7,06 Euro, im Westen sind es 7,71 Euro. 8,50 Euro bedeuten mithin Zuwächse  von 20,4 und 10,2 Prozent. Selbst solch kräftige Lohnsteigerungen verwandeln sich allerdings ins Gegenteil: Allein das Streichen des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes sowie der vermögenswirksamen Leistungen führt nach Berechnung der NGG zu Verlusten von 1450  Euro im Jahr. Verrechnet mit den Lohnsteigerungen bleiben jährliche Verluste zwischen 100 und 170 Euro.«

Hinzu kämen weit höhere Einbußen durch den Wegfall von Zuschlägen, die bisher an Feiertagen  100 Prozent, in der Nachtarbeit 15 und für Überstunden 25 Prozent ausmachen. »Für einen durchschnittlichen Mitarbeiter der unteren Lohngruppen ergeben sich so leicht Jahreseinbußen von mehr als 1.100 Euro.«

Aber noch härter würde es die besser verdienenden Mitarbeiter treffen: »Für gelernte Fachkräfte in der Tarifgruppe 4 (West) bietet der BdS ein Plus von 1,1 Prozent auf den bisherigen Stundenlohn von 9,52 Euro an. Aufs Jahr gerechnet sind dies rund 207 Euro mehr. Dem stehen Einbußen von 1.450 Euro Euro bei den  VL, beim Weihnachts- und Urlaubsgeld gegenüber sowie ein nochmals vierstelliger Betrag wegen der gestrichenen Zuschläge.«

Für die Gewerkschaften und für die betroffenen Arbeitnehmer ist das ein klare Kampfansage – womit wir allerdings schon bei einem der strukturellen Probleme wären: Die Gewerkschaft NGG hat gerade in den genannten Unternehmen teilweise einen Organisationsgrad, der bei 5% liegt. Damit fehlt aber der Gewerkschaft das notwendige Drohpotenzial gegenüber den Arbeitgebern. Die betroffenen Arbeitnehmer müssen sich eben auch organisieren und kollektiv versuchen, zu agieren.

Und damit nicht der Eindruck erweckt wird, dass es hier um eine einseitige Arbeitgeberschelte geht – es geht auch ganz anders, worauf Stefan Sauer in seinem Artikel auch zu Recht hinweist:

»Unter dem Dach des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga haben Ketten wie Block House, Joey’s,  Le Crobag, Maredo, Tschibo, Wienerwald sowie zahlreiche  Warenhausrestaurants im Juli einen Tarifvertrag mit der NGG bis Ende Mai 2016 abgeschlossen. Er sieht bereits zum 1. Dezember 2014 einen untersten Tariflohn von 8,51 Euro vor. Auch für alle übrigen Tarifgruppen gibt es – unterschiedlich hohe – Zuwächse, und zwar auf Deutschlandweit gleichem Niveau. Jeder Azubi erhält 90 Euro mehr pro Monat.  Zulagen, Weihnachts- und Urlaubsgeld bleiben unangetastet.«

Es gibt eben nicht die „Schlechten“, sondern auch die „Guten“. Quod erat demonstrandum.
Wobei natürlich auch „das Gute“ immer ein relativer Begriff ist.

Fazit: Die Beschäftigten müssen verstehen, dass es einen gewaltigen Angriff auf ihr Gesamtlohngefüge geben soll und dass man sich dagegen zur Wehr setzen muss. Was alleine nicht geht. Bleibt nur der Versuch einer kollektiven Interessenvertretung über die Gewerkschaft, im vorliegenden Fall also der NGG. Man kann das partiell als Verbraucher unterstützen und punktuell auch einzelne schlechte Unternehmen von der Verbraucher- und Medienseite unter Druck setzen, die entscheidende Frage wird aber lauten: Wie gelingt es den Gewerkschaften, gerade in diesen Bereichen mehr Mitglieder zu gewinnen, um eine ausreichende Drohkulisse gegenüber den Arbeitgebern aufbauen zu können.

Blanke Not oder „gestiegene Konsumlust“? Vermutungen über eine Tatsache: Die Anzahl der Zweitjobs wächst weiter. Das Problem sind die Minijobs an sich

So viele Deutsche wie nie haben Zweitjob, meldet Spiegel Online unter Berufung auf Daten der Bundesagentur für Arbeit, die von der Linken-Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann abgefragt worden sind. Ende vergangenen Jahres besserten 2,66 Millionen Menschen ihr Einkommen aus einer regulären Hauptbeschäftigung mit einem Minijob auf. Das waren 59.000 beziehungsweise 2,3 Prozent mehr als Ende 2011. 9,1% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben damit einen Zweitjob auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung. Der Anstieg ist offensichtlich: Ende 2003 hatten lediglich 4,3% der Arbeitnehmer mit regulären Jobs noch eine zusätzliche geringfügige Beschäftigung.

Reflexhaft setzt – wieder einmal – der Versuch einer Einordnung dieser Daten ein: Die »Linken-Politikerin Zimmermann sieht in der deutlichen Zunahme einen Beleg dafür, dass „für immer mehr Beschäftigte das Einkommen aus einem Job nicht mehr ausreicht“. Der überwiegende Teil der Zweitjobber mache dies „aus purer finanzieller Not und nicht freiwillig“.« Das bleibt nicht unwidersprochen: »Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums sagte hingegen, es gebe keine Erhebung zu dem Thema. Deshalb seien außer finanziellen Engpässen auch andere Gründe vorstellbar, etwa eine „gestiegene Konsumlust“.«

Das kommt einem sehr bekannt vor, gleichsam wie das Recycling einer kurzen Debatte, die wir bereits Anfang Oktober des vergangenen Jahres beobachten konnten: „Immer mehr Deutsche brauchen einen Zweitjob“ meldete Spiegel Online am 05.10.2012 mit Bezug auf den in der Saarbrücker Zeitung veröffentlichten Bericht „Zahl der Beschäftigten mit zusätzlichem Minijob hat sich seit 2003 mehr als verdoppelt“, der sich damals ebenfalls auf Daten bezogen hatte, die von Sabine Zimmermann bei der BA abgefragt wurden. Und auch damals gab es eine Art „Zweifrontenkrieg“ bei der Einordnung dieser Entwicklung, denn die Abgeordnete Zimmermann wurde damals zitiert mit den Worten, »die Entwicklung sei „ein deutlicher Hinweis darauf, dass Arbeit nicht mehr existenzsichernd ist und das Geld aus einem Job nicht mehr ausreicht“.«

»Gegen diese These spricht jedoch, dass vor allem Beschäftigte in reichen Teilen Deutschlands nebenbei jobben. In Baden-Württemberg lag ihr Anteil Ende 2011 bei 11,4 Prozent, im strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern dagegen nur bei 4,7 Prozent. „Der größere Teil der Beschäftigten mit Zweitjobs sind durchaus qualifizierte Leute mit gutem Einkommen, die sich noch etwas dazu verdienen“, sagte die Arbeitsmarktexpertin der Grünen, Brigitte Pothmer, der „Saarbrücker Zeitung“. Sie betonte jedoch ein anderes Problem der Entwicklung: Menschen, die in ihrem Betrieb Überstunden machten, müssten dafür alle Lohnnebenkosten einschließlich Steuern zahlen. Wer dagegen noch einen Minijob habe, brauche das nicht, so Pothmer. Das sei „extrem unfair gegenüber der Versichertengemeinschaft“. Ihre Forderung: Minijobs müssten unattraktiver gemacht werden. Etwa durch eine Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro, sagte Pothmer der Zeitung. Die Bundesregierung plant aber genau das Gegenteil. Sie will die Minijobs noch ausbauen und die beitrags- und steuerfreie Verdienstgrenze auf 450 Euro anheben.«

Die von Sabine Zimmermann vertretene „Not-These“ als treibende Kraft der Expansion der Zweitjobs ist auch ein wichtiger Baustein in der nur wenige Seiten umfassende „Expertise“ des Eduard Pestel Instituts in Hannover für die beiden Gewerkschaften ver.di und NGG, die im April 2013 unter der Überschrift „Veränderungen der Arbeitswelt“ veröffentlicht wurde. Auch dort hat man sich die Entwicklung der Minijobs – differenziert nach ausschließlich geringfügig Beschäftigte und im Nebenjob geringfügig Beschäftigte – für den Zeitraum 2003 bis 2013 angeschaut und kommt zu der folgenden Bewertung:

»Während sich die Zahl der ausschließlich im Minijob Beschäftigten bundesweit um knapp 11% erhöhte, „explodierte“ die Zahl derer mit einem Minijob als Nebenjob um durchschnittlich gut 120%. Insgesamt erhöhte sich die Zahl der Minijobarbeitsverhältnisse um gut ein Drittel.« Das Fazit des Instituts: »Der seit mindestens 15 Jahren unzureichende Inflationsausgleich führte zusammen mit der stetigen Ausweitung von Teilzeit- und Minijobverhältnissen und der damit verbundenen Arbeitszeitverkürzung (ohne Lohnausgleich) zu einer wachsenden Notwendigkeit der Aufnahme von Zweitjobs. Das geringere Niveau in Ostdeutschland dürfte eher den Mangel an Jobangeboten widerspiegeln als eine geringere Nachfrage seitens der potenziellen Zweitjobber.«

Um es an dieser Stelle deutlich zu sagen: Das ist alles Spekulation, insofern gilt grundsätzlich die Aussage aus dem Bundesarbeitsministerium, dass es neben finanziellen Engpässen auch andere Gründe sein könnten, die zu diesem Anstieg beigetragen haben, wir wissen das aufgrund der defizitären Forschungslage derzeit nicht genau zu bestimmen. Aber der Ansatz des Ministeriums, das mit einer „gestiegenen Konsumlust“ abweichend von der „Not-These“ zu begründen, hat schon ein putziges Moment.

Man möge nur ein wenig nachdenken, dann wird man erkennen, dass es hier durchaus eine Vermischung der beiden Thesen geben könnte in der Realität: So wird von den „Konsumlust“-Theoretikern darauf hingewiesen, dass es gerade in den „reichen“ süddeutschen Bundesländern überdurchschnittlich viele Zweitjobs geben würde. Aber nur weil diese Bundesländer tatsächlich wohlhabend sind im Schnitt, bedeutet das bekanntlich nicht, dass deshalb jeder, der dort lebt, ebenfalls wohlhabend ist. Möglicher- und plausiblerweise werden gerade dort, wo natürlich auch das lokale und regionale Preisniveau recht hoch ist, viele Menschen auch aus der unteren und mittleren Mittelschicht dann gezwungen sein, einen Zweitjob zu machen, wenn sie ein an sich „ganz normales“ Konsumniveau aufrechtzuerhalten, zu dem beispielsweise gehören kann, einmal im Jahr in Urlaub zu fahren und dafür macht man dann den Zweitjob. Bei anderen wird der Zweitjob gerade in den hochpreisigen Regionen wiederum die einzige Möglichkeit sein, die Lebenshaltungskosten auf Dauer abdecken zu können – und wir hierbei nicht von einem Urlaub sprechen, sondern von Miete, Strom usw. Aber – auch das wissen wir nicht, empirische Daten fehlen (noch).
Was wir aber wissen und was gerade angesichts der neuen Meldungen nicht untergehen sollte in einem nicht zu entscheidenden, zugleich unterkomplexen Disput über Not versus Konsumlust ist die Tatsache, dass die Expansion der geringfügigen Beschäftigung auch und vor allem aus der Mechanik der geringfügigen Beschäftigung – also der „Minijobs“ – heraus vorangetrieben wird. Mit durchaus hochproblematischen Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt.
Immer wieder wird die Frage gestellt, ob die deregulierte geringfügige Beschäftigung dazu beigetragen hat, dass „gute“, weil „normale“ sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt wurde und wird in „schlechte“ Minijobs. Zu dieser wichtigen Frage hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr eine eigene Untersuchung veröffentlicht mit differenzierten, interessanten Befunden:

»Hinweise auf die Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Minijobs finden sich vor allem im Einzelhandel, im Gastgewerbe sowie im Gesundheits- und Sozialwesen … Minijobs kommen besonders häufig in Dienstleistungsbranchen zum Einsatz. Die IAB-Arbeitsmarktforscher Christian Hohendanner und Jens Stegmaier erklären dies damit, dass in diesen Branchen lange Öffnungszeiten, Kundenorientierung und teilweise stark schwankende Nachfrage eine große Rolle spielen: „Hier lässt sich der Faktor Arbeit optimal nutzen, wenn er in Minijobs gestückelt zum Einsatz kommt.“ So könnten Betriebe flexibel auf Kundenwünsche und -ströme reagieren. „Wenn beispielsweise längere Öffnungszeiten im Einzelhandel oder ein hohes Gästeaufkommen in der Gastronomie zu bewältigen sind, lässt sich dies mit Hilfe vieler kleiner Beschäftigungsverhältnisse passgenauer bewältigen“, schreiben die Arbeitsmarktforscher. Das Problem dabei ist: Wenn Minijobs der Sozialversicherung Beitragszahler entziehen, erhöht sich der Druck auf das Sozialversicherungssystem … Indizien für die Verdrängung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Minijobs gibt es vor allem für kleine Betriebe mit unter zehn Beschäftigten. In diesem kleinbetrieblichen Segment gehen also der Aufbau von Minijobs und die Reduktion der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung Hand in Hand.« (Quelle: „Minijobs: Hinweise auf Verdrängung vor allem im Einzelhandel und Gastgewerbe„)

Die Studie im Original: Christian Hohendanner und Jens Stegmaier: Umstrittene Minijobs. Geringfügige Beschäftigung in deutschen Betrieben (= IAB-Kurzbericht Nr. 24/2012), Nürnberg 2012.
Und immer wieder – nicht überraschend – wird darauf hingewiesen, welche desaströsen Auswirkungen die Minijobs auf die Arbeitsmarktpositionierung wie auch auf die soziale Sicherung der Frauen haben. Eine umfangreiche Bestandsaufnahme von Carsten Wippermann hierzu wurde im Frühjahr 2013 seitens des Auftraggebers, des Bundesfamilienministerium, veröffentlicht, allerdings ohne die ansonsten üblichen Verlautbarungen und Werbeaktionen, was darauf hindeutet, dass man sich nicht besonders identifizieren möchte mit den Befunden der Studie, die hier aber besonders empfohlen sei:

Carsten Wippermann: Frauen im Minijob – Motive und (Fehl-)Anreize für die Aufnahme geringfügiger Beschäftigung im Lebenslauf, Berlin 2013

Man kann es drehen und wenden, wie man will, viele Frauen bleiben in der „Geringfügigkeitsfalle“ hängen, da sie nichts anderes finden als Minijobs (man schaue sich nur die Stellengesuche des Einzelhandels an) und weil auch das deutsche Steuerrecht mit dem Institut des Ehegattensplitting und der unterschiedlichen Steuerklassen dies leider befördert.

Gerade auf diesen Zusammenhang hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung im vergangenen Jahr abgestellt und konkrete Reformperspektiven vorgetragen:

»Ursache des Problems sei zum einen der abrupte Anstieg der Abgaben- und Steuerbelastung an der oberen Verdienstgrenze der begünstigen Minijobs. Zusätzlich werde dieser „Fehlanreiz“ oft gerade für gut ausgebildete Ehefrauen noch durch die Effekte des Ehegattensplittings bei der Einkommensteuer verschärft, so die Studie: Jeder Mehrverdienst der Partnerin führe dann über den sinkenden Splittingvorteil zu einem überproportionalen Anstieg der Steuerlast. Nach den Daten der Studie leben allein zwei Millionen der rund sieben Millionen Minijob-Beschäftigten mit einem vollzeitbeschäftigten Ehepartner zusammen. Gleichzeitig haben mehr als drei Viertel der Minijobberinnen mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung, ermittelten die Forscher« (Quelle: „Minijobs verschärfen Fachkräftemangel“).
Die Studie im Original:
Werner Eichhorst, Tina Hinz, Paul Marx, Andreas Peichl, Nico Pestel, Sebastian Siegloch, Eric Thode, Verena Tobsch: Geringfügige Beschäftigung: Situation und Gestaltungsoptionen, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, 2012
»Erst die Verbindung aus Reformen bei Minijobs und Ehegattensplitting … führt zu nennenswerten Beschäftigungseffekten, die sich sowohl in höherem Arbeitsvolumen als auch in mehr Stellen niederschlagen. Die bestmögliche Variante sieht vor, das gegenwärtige Ehegattensplitting durch ein Realsplitting zu ersetzen. Die Minijobs sollten ab dem ersten Euro der Einkommensteuerpflicht unterliegen und steigende Beitragssätze zur Sozialversicherung aufweisen. Damit würde die heute bestehende Regelung für Einkommen zwischen 400 und 800 Euro auf den Bereich bis 400 Euro ausgedehnt. Das zusätzlich entstehende Steueraufkommen würde zur Absenkung des Einkommensteuertarifes verwendet. Durch diese Maßnahmen ließen sich 60.000 neue Vollzeitstellen schaffen …« („Reformen bei Minijobs und Ehegattensplitting könnten 60.000 neue Vollzeitstellen schaffen“). 
Man könnte zahlreiche weitere Belege für die Fragwürdigkeit der Minijobs, die es in dieser Form wirklich nur in Deutschland gibt, anführen. Angesichts der beobachtbaren Verzerrungseffekte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, besonders aber in bestimmten Branchen, vor dem Hintergrund der desaströsen frauenpolitischen Dimension dieser Beschäftigungsform und auch der hier noch gar nicht beschriebenen spezifischen „Geringfügigkeitsfalle“ im „Aufstocker-Bereich“ des Grundsicherungssystems – es ist Zeit, sich zu verabschieden von den Minijobs und diese zu integrieren in eine intelligentere Entlastung der unteren Einkommen von den Sozialabgaben.

Übrigens – wer es lieber visuell mag, dem sei an dieser Stelle die sehenswerte ZDF-Dokumentation „Die Minijob-Masche. Maximale Ausbeutung – minimaler Lohn“ empfohlen:

»Die ZDFzoom-Reporter Kirsten Moser und Christian Bock zeigen, wie ein Arbeitsmodell, das ursprünglich Hausfrauen und Studenten einen unkomplizierten Nebenjob ermöglichen sollte, außer Kontrolle gerät. Wie es Vollzeitstellen vernichtet, den Sozialstaat aushöhlt, Arbeitnehmer zweiter Klasse erschafft. Beide Reporter waren als Minijobber unterwegs, putzten Büros und schufteten im Supermarkt. Ihr Fazit: Minijobs, das ist oft minimales Geld bei maximaler Ausbeutung.
Einer der „Erfinder“ der Hartz-Reformen, Professor Jobst Fiedler, damals Berater bei Roland Berger, äußert sich im ZDFzoom-Interview kritisch: „Wir wollten eigentlich nur Putzfrauen legalisieren. Aus heutiger Sicht sind die Minijobs insgesamt ein Fehler gewesen.“«

Dem ist nichts hinzuzufügen.