Die Bundesregierung wirbt damit, dass sie durch zahlreiche gesetzgeberische und andere Maßnahmen den Kampf gegen den Pflegenotstand aufgenommen habe. Von besonderer Bedeutung gerade für die Krankenhäuser des Landes ist das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) als ein bereits umgesetzter Teil des „Sofortprogramms Pflege“. Dazu berichtet das Bundesgesundheitsministerium unter Leitung von Jens Spahn (CDU) unter der Überschrift „Krankenhausindividuelle Vergütung von Pflegepersonalkosten“: »Künftig sollen Pflegepersonalkosten besser und unabhängig von Fallpauschalen vergütet werden. Die Krankenhausvergütung wird ab dem Jahr 2020 auf eine Kombination von Fallpauschalen und einer Pflegepersonalkostenvergütung umgestellt wird. Dieses Pflegebudget berücksichtigt die Aufwendungen für den krankenhausindividuellen Pflegepersonalbedarf und die krankenhausindividuellen Pflegepersonalkosten für die unmittelbare Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen. Die DRG-Berechnungen werden um diese Pflegepersonalkosten bereinigt … Die Krankenhäuser und Kostenträger vor Ort vereinbaren die krankenhausindividuelle Pflegepersonalausstattung in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen auf der Grundlage der von den Krankenhäusern geplanten und nachgewiesenen Pflegepersonalausstattung und der entsprechenden Kosten (krankenhausindividuelle Kostenerstattung). Die zweckentsprechende Mittelverwendung ist nachzuweisen.«
Krankenhaus
Und jährlich grüßt der Ablasshandel? Fehlerhafte Abrechnungen der Krankenhäuser, der MDK als Jobmaschine und grundsätzliche Fragen an ein hyperkomplexes System
Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) hat sich – wieder einmal – zu Wort gemeldet: »Jede zweite von den Krankenkassen geprüfte Rechnung aus Deutschlands Kliniken ist nicht korrekt … Insgesamt prüfte der MDK 2018 circa 2,6 Millionen Behandlungsabrechnungen. In den meisten Fällen seien mehr Tätigkeiten abgerechnet worden, als notwendig gewesen wären. Unbestätigten Schätzungen von Kassenexperten zufolge handele es sich um vorläufige Schäden im einstelligen Milliarden-Euro-Bereich.« Das kann man diesem Artikel von Hannes Heine entnehmen: Jede zweite kontrollierte Rechnung falsch. Nun kann man an dieser Stelle anmerken, dass die Berichterstattung des Jahres 2019 ein Fortschritt ist, wenn man sie mit der des Jahres 2014 vergleicht.
In dem Jahr wurde beispielsweise dieser Bericht veröffentlicht: Mehr als die Hälfte aller Klinik-Abrechnungen ist zu hoch. Das blieb nicht umkommentiert: »Nun soll hier kein Methodenseminar veranstaltet werden – aber die Überschrift des Artikels ist schlichtweg Unsinn und sie führt den normalen Lesern auf eine falsche Fährte, die da lautet: Jede zweite Rechnung, die die Krankenhäuser ausstellen, sei falsch. Das ist aber bei weitem nicht der Fall. Denn die 53 Prozent beziehen sich nicht auf alle Rechnungen der mehr als 2000 Kliniken, sondern nur auf die geprüften Rechnungen. Und das ist allein deshalb schon ein erheblicher Unterschied, weil eben nicht alle Rechnungen geprüft wurden.«
Ein Lehrbuchbeispiel für das Verheddern der Bürokratie: Man will die Sozialgerichte entlasten und legt sie im Ergebnis lahm und weite Teile der Versorgung von Schlaganfallpatienten fallen dem Minutendiktat zum Opfer
Jedes Jahr erleiden bundesweit rund 200.000 Menschen eine Apoplexie, auch als Schlaganfall bekannt, ausgelöst durch eine Störung der Blutversorgung im Gehirn. Bei etwa einem Drittel der Patienten bleiben dauerhaft Schäden zurück, darunter Lähmungen, Koordinationsstörungen oder kognitive Einschränkungen. Wichtig ist deshalb in der Akutsituation schnell und richtig zu handeln. Das ist völlig unstrittig.
Erleidet ein Patient einen Schlaganfall, dann muss er innerhalb von 30 Minuten in eine Spezialklinik eingeliefert werden, so die entsprechende gesetzliche Regelung. Dafür bekommt das abgebende Krankenhaus eine entsprechende Vergütung von den Krankenkassen. Das hört sich eindeutiger an, als es offensichtlich ist. Man muss kein Jurist sein um zu erkennen, dass in der Vorgabe „eine halbe Stunde“ eine Menge Konfliktstoff liegen kann, wenn nicht eindeutig klar ist, wann diese halbe Stunde beginnt und wann sie aufhört. Eine erst einmal unbestimmte Zeitvorgabe, die der Konkretisierung bedarf.
Bislang erhielten die beteiligten Krankenhäuser eine Vergütung, wenn die Zeit zwischen Beginn und Ende eines Rettungstransports 30 Minuten nicht überschritt. Aber im Juni 2018 hat das Bundessozialgericht (BSG) dieser Abgrenzung ein Ende bereitet. Dem BSG zufolge beginnt die Frist nunmehr mit der Entscheidung des behandelnden Arztes zur Verlegung in eine Neurochirurgie und endet mit der Übergabe an die Ärzte dieser Abteilung. Das hat enorme Folgen.
Warum prüfen, wenn man sich auszahlen lassen kann. Über einen modernen Ablasshandel bei Krankenhausrechnungen
Es geht um Geld. Um viel Geld. Bekanntlich wird das Gesundheitswesen und darunter der Krankenhausbereich als das Schwergewicht nicht ohne Grund als Haifischbecken bezeichnet, denn wo so viele Milliarden fließen wird nach allen Regeln des Zulässigen und darüber hinaus um die einzelnen Kuchenstücke gekämpft. Die Behandlung von Patienten in Krankenhäusern ist der größte Kostenblock der Krankenkassen, 2017 sind hier rund 75 Milliarden Euro bewegt worden. Bei solchen Größenordnungen in Verbindung mit den Besonderheiten eines auf DRGs basierenden Finanzierungssystems über Fallpauschalen kann man sich gut vorstellen, dass es zu Manipulationen kommen kann, um mehr Geld aus einer Behandlung zu generieren, als einem eigentlich zusteht.
Nun lässt sich argumentieren, dass es Verfehlungen in derart hochkomplexen Abrechnungssystemen wie zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen immer geben wird, dass man das nicht wird vermeiden können, sondern versuchen muss, durch Kontrollen das Ausmaß zu begrenzen. Aber eine andere Qualität hätte die ganze Sache, wenn es in diesem System strukturelle Anreize geben würde, die einen systematischen Missbrauch befördern. Und noch ärgerlicher wäre es, wenn man von diesen Anreizen weiß, aber nichts dagegen unternimmt.
Die Angst der Krankenkassen-Funktionäre vor einer Stärkung der Pflege in den Krankenhäusern
Es besteht Konsens darüber, dass es zu wenig Personal gibt – in der Kranken- und der Altenpflege. Uneinigkeit herrscht aber darüber, wie das Problem behoben werden kann. Insbesondere die Krankenkassen kritisieren die Pläne der großen Koalition (vgl. dazu auch Pressekonferenz Pflege im Krankenhaus des GKV-Spitzenverbandes). Die Argumente der Kassen sind nicht von der Hand zu weisen. Das meint zumindest Timot Szent-Ivanyi in seinem Artikel Kassen kritisieren Koalitionspläne gegen Pflegenotstand. Und schon im Untertitel schiebt er eine den einen oder andren überraschende Botschaft hinterher: »Krankenkassen fürchten, dass der Kampf ums Personal zulasten der Altenheime geht.« Wie das?
Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es hier um zwei große Pakete im Kontext einer Stärkung der Pflege in den Krankenhäusern geht – deren von vielen beklagte gegenwärtige Mangelsituation eine unmittelbare Folge ökonomischer Anreize ist, die nunmehr wenigstens etwas korrigiert werden sollen. Szent-Ivanyi beschreibt das rückblickend schon richtig: »Bisher sind die Kosten für die Pflegekräfte in den Pauschalen enthalten, die die Klinken für die Behandlung eines Patienten von den Kassen erhalten. Das führte dazu, dass die Kliniken jahrelang Pflegepersonal abbauten, um die Gewinne zu maximieren.«