Ein Streik unter dem Kreuz? Die einen sagen, das geht gar nicht, die anderen probieren es und viele reiben sich verwundert die Augen

Es ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz, wenn der Arbeitgeber das als Etikett auf ein Unternehmen klebt, das ansonsten weitgehend so vor sich hinwerkelt wie ein anderes, das aber als „kommunal“ oder „privat“ geführt wird. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um Kirchen oder Klöster, in denen die Brüder und Schwestern der jeweiligen Kirche ihr ganz eigenes Leben gestalten und das auch geschützt vor dem Staat machen sollen, sondern es geht um Wirtschafts- und Versorgungsunternehmen, die ausschließlich von Dritten finanziert werden, beispielsweise Krankenhäuser, die ihr Geld vom Beitrags- und Steuerzahler und von den Patienten bekommen und denen der normale Mensch – seien wir doch ehrlich – nicht ansieht, in welcher Trägerschaft sich denn nun die Klinik genau befindet. Er wird die Eingangshallen einer „katholischen“ Klinik ohne weiteres mit der einer in kommunaler Trägerschaft verwechseln können. Nicht einmal eine ordentliche Dosis Weihrauch macht hier den Unterschied, weil es die nicht gibt.

Aber für die Beschäftigten sieht das ganz anders aus. Ob sie die Klinik als Mitarbeiter irgendeines „normalen“ Unternehmens betreten – oder ob ihr Arbeitgeber ein „kirchlich gebundener“ Träger ist, das hat erhebliche Auswirkungen. Der „normale“ Arbeitnehmer hat einen Arbeitsvertrag mit der Kommune, dem Universitätsklinikum oder einem der privaten Träger von Krankenhäusern und alle damit verbundenen Pflichten, wie auch Rechte. Natürlich muss er den Weisungen seines Arbeitgebers Folge leisten, soweit sich die im rechtlich zulässigen Rahmen bewegen. Aber jeder Arbeitnehmer wird sicher kopfschüttelnd bis empört eine Vorgabe seines Arbeitgebers, von einer Scheidung der eigenen Ehe abzusehen oder den Tatbestand der Homosexualität bitte nicht öffentlich zu bekennen und auszuleben, so behandeln, was es ist – ein völlig übergriffiges Verhalten des Arbeitgebers gegenüber seinem Beschäftigten, denn das geht ihn schlichtweg nichts an, was man in seiner Freizeit und dem Privatleben so treibt. 

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Eine kurze Erinnerung an Oswald von Nell-Breuning, dem „Nestor der katholischen Soziallehre“

Die Sozialpolitik ist nicht nur von verwirrender Vielgestaltigkeit, sondern letztendlich nur historisch zu verstehen. Und gerade in den zurückliegenden Jahrzehnten war der Einfluss einzelner Persönlichkeiten von weitaus größerer Bedeutung, als man sich das in der technokratisch bestimmten Gegenwart vorstellen kann. Nicht nur, aber auch vor diesem Hintergrund ist es durchaus berechtigt, an einzelne Persönlichkeiten zu erinnern, die wichtige Impulse für die Sozialpolitik in Deutschland gegeben haben. Und angesichts der Bedeutung, die der katholische Soziallehre mit Sicherheit zugeschrieben werden muss, soll hier an den „Nestor der katholischen Soziallehre“ erinnert werden. Heute vor 25 Jahren, am 21. August 1991, starb Oswald von Neal-Breuning (1890-1991), der die sozialpolitischen Diskussionen der jungen Bundesrepublik mitgeprägt hat, im wahrhaft biblischen Alter von 101 Jahren. Eine Erinnerung an diesen beeindruckenden Jesuiten findet man beispielsweise in diesem Beitrag: Mahner und Kämpfer: »Vieles, was in den vergangenen Jahrzehnten als soziale Errungenschaft eingeführt wurde, hatte der Jesuit vorgedacht.« Als Beispiele nennt der Artikel die Forderung, Kindererziehung bei der Rente zu berücksichtigen, die in einem 1978 von Nell-Breuning erfassten Beitrag über „Versäumnisse der Rentengesetzgebung“ nachzulesen ist.  »In 1.800 Publikationen entwickelte der Jesuit Modelle der Mitbestimmung, äußerte sich zu Währungsfragen, zur Vermögensbildung, zum Steuerrecht, zur Familien- und Lohnpolitik.«

Zu seiner Biografie (vgl. auch Kurzbiografie von Pater Oswald von Nell-Breuning SJ) erfahren wir: »Nachdem er 1908 am selben Gymnasium wie Karl Marx in Trier das Abitur abgelegt hatte, studierte Nell-Breuning in Kiel, München, Straßburg, Berlin und Innsbruck und trat 1911 im niederländischen s’Heerenberg in den damals in Deutschland verbotenen Jesuitenorden ein, zehn Jahre später wurde er Priester. 1928 erhielt er an der Frankfurter Hochschule Sankt Georgen einen Lehrstuhl für christliche Gesellschaftslehre und Ethik. Er war Mitverfasser der 1931 unter Papst Pius XI. veröffentlichten Sozialenzyklika „Quadragesimo anno“, die eine Sozialbindung des Eigentums forderte. Zwischen 1936 und 1945 bekam er Publikationsverbot, 1944 wurde er wegen „Misstrauens gegen den nationalsozialistischen Staat“ zu einer Geldstrafe und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, musste die Strafe aber nicht antreten.«

In den frühen Jahren der Bonner Republik beriet er Sozial- und Christdemokraten sowie Repräsentanten aus Wirtschaft und Gewerkschaften. Und er war dabei nie einseitig gebunden, er vermied es, vereinnahmt zu werden.

»Als ihm 1972 der Romano-Guardini-Preis verliehen wurde, betonte er, dass die Kirche nicht länger die Wahl von Betriebsräten verhindern dürfe. Dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) schrieb er bei der Übergabe des „Hans-Böckler-Preises“ ins Stammbuch, dass Arbeitgeber das Recht zur Aussperrung hätten.«

Nun hat Nell-Breuning wie bereits angedeutet ein umfassendes sozialpolitisches, nennen wir es besser: gesellschaftspolitisches Werk hinterlassen. Wer sich auseinandersetzen möchte mit der Frage, welchen Einfluss seine Gedanken auf die deutsche Sozialpolitik hatten (und haben), dem sei dieses im vergangenen Jahr veröffentlichte Sammelwerk zur Lektüre empfohlen:

Bernhard Emunds, Hans Günter Hockerts (Hg.): Den Kapitalismus bändigen. Oswald von Nell-Breunings Impulse für die Sozialpolitik, Paderborn 2015

Seine Gedanken und gesellschaftspolitischen Vorstellungen werden teilweise fortgeführt im Frankfurter Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschaftsethik und Gesellschaftsethik der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen.

In dem Beitrag Oswald von Nell-Breuning zum 3. Weg der Kirchen wurde heute dankenswerterweise vom Blog caritas-verdi.blogspot.de an Stellungnahmen von ihm erinnert, die man in den offiziellen Verlautbarungen der katholischen Kirche wohl nicht finden wird. Angesichts der seit langem anhaltenden Auseinandersetzung mit dem kirchlichen Sonderrecht, von dem Millionen Arbeitnehmer in unserem Land betroffen sind, sollen diese wichtigen Standpunkte an dieser Stelle gerne zitiert werden:

„Keine noch so idealen Vorstellungen von Dienstgemeinschaft vermögen es zu rechtfertigen, Menschen, die nichts weiter wollen als rechtschaffenen Broterwerb und gutes Fortkommen im Leben, ein religiös bestimmtes Dienstverhältnis aufzunötigen, das mehr Opfer und Verzichte abverlangt und weniger Freiheit und rechtliche Absicherung gewährt als ein Arbeitsverhältnis beim Staat oder in der Wirtschaft.“(Oswald von Nell-Breuning, Kirchliche Dienstgemeinschaft, Stimmen der Zeit 1977, S. 707)

„Die Kirchen sind nicht wie die Unternehmer von Haus aus Arbeitgeber; sie sind vielmehr erst durch die Entwicklung der neueren und neuesten Zeit in diese ihnen an sich fremde Rolle hineingewachsen, ohne sich bis jetzt dieser Tatsache mit allen sich daraus ergebenden Folgewirkungen voll bewusst geworden zu sein. Daraus erklärt sich das Suchen nach dem vermeintlichen „dritten Weg“. Diesen „dritten Weg“ werden sie nicht finden; den „dritten Weg“ gibt es nicht.“ (Oswald von Nell-Breuning, Arbeitnehmer in kirchlichem Dienst, Arbeit und Recht. Zeitschrift für Arbeitsrechtspraxis, Heft 11, Januar 1979)

„Gelänge es der Kirche (den Kirchen), sich zu den Entschluss durchzuringen, auch für ihre Anstalten und Einrichtungen sich des Tarifvertrags als einer vom staatlichen Recht dargebotenen Möglichkeit „zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen“ zu bedienen, dann würde(n) sie nach meiner festen Überzeugung nicht nur sich nicht das Allergeringste vergeben, sondern dürfte(n) sich davon einen hohen Gewinn an Ansehen und Vertrauen in breiten Kreisen der Arbeitnehmerschaft versprechen. – Die Unternehmerschaft hat lange gebraucht, um die hohen Vorzüge unseres Tarifvertragssystems zu begreifen, die selbstverständlich auch ihren Preis kosten. Mein dringender Wunsch ist, dass auch bei den Kirchen diese Einsicht sich bald siegreich durchsetzt.“ (Oswald von Nell-Breuning, Kirche(n) als Arbeitgeber,  ötv-magazin 3/1980)

Das letzte Zitat stammt aus dem Jahr 1980 – und man könnte es heute, im Jahr 2016, ohne Schwierigkeiten erneut verwenden, denn getan hat sich seitdem wenig.

Zweifel an der – willkürlichen – Trennung zwischen unter dem Kreuz arbeitenden und normalen Menschen führen zu einem Ping-Pong-Spiel zwischen ganz oben und noch höher

Man könnte es in vielerlei Hinsicht so einfach haben, wenn man rigoros den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat befolgen würde. Denn Religion und die möglicherweise, weil nicht zwangsläufig mit der Religionsausübung verbundene Mitgliedschaft in einer Kirche ist (eigentlich) ganz offensichtlich eine höchst private Angelegenheit. Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden, wenn er oder sie das eine, also seine religiöse Aktivität unterscheiden kann von dem, was des Staates ist. Und wenn der Staat als eine seiner Kernaufgaben Regeln des Zusammenlebens erlässt, die beispielsweise die Rechte (und Pflichten) von Arbeitnehmern in der Arbeitswelt normieren, sollte man meinen, dass das dann auch für alle Staatsbürger vollumfänglich zu gelten hat und es nicht normale und Staatsbürger light geben darf, wobei die Light-Variante an den Kirchen-Status gebunden ist. Vor allem nicht, wenn es sogar um Grundrechte geht.

Ja, die Theorie. Die Praxis sieht ganz anders und weitaus weniger einfach strukturiert aus, wie die meisten wissen. Da gibt es in Deutschland nicht nur enge Verknüpfungen zwischen Staat und (anerkannten) Kirchen, beispielsweise auf der Ebene des Einzugs und Weiterleitung der Kirchensteuer oder die Finanzierung kirchlichen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen aus Steuermitteln, sondern die (Staats-?)Kirchen haben umfangreiche Sonderrechte hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse der unter dem Kreuz arbeitenden Menschen. Mit der Folge, dass den in kirchlich gebundenen Einrichtungen arbeitenden Menschen elementare Grundrechte verweigert werden dürfen, nicht nur das Streikrecht. Sondern die Arbeitgeber in diesem Kontext können weitaus „flexibler“ Arbeitnehmer entlassen wegen ihres Verhaltens im privaten Raum, was bei keinem normalen Arbeitnehmer akzeptiert werden würde. 

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Tarifflucht bei einem privaten Reha-Konzern sowie neben dem Kreuz. Und Kommunen mit (schein)selbständigen Musikschullehrern sollten aufpassen

Wieder einmal wächst die Sammlung zum Thema Tarifflucht. Beginnen wir mit einem Beispiel aus der Welt der privaten, auf Gewinn gerichteten Gesundheitskonzerne, denen man das irgendwie auch zutraut und werfen wir dann den kritischen Blick in das große Lager der unter der Flagge kirchlicher Trägerschaft segelnden Einrichtungen.

Die Median Kliniken GmbH ist der größte private Betreiber von Reha-Einrichtungen in Deutschland. Das Berliner Unternehmen mit rund 13.000 Beschäftigten und 78 Standorten deutschlandweit soll nun Tarifflucht in richtigem großen Stil praktizieren, so der Vorwurf der Gewerkschaft ver.di: Größter privater Reha-Konzern Median begeht Tarifflucht im großen Stil – Fast alle Tarifverträge gekündigt – Betriebsräte erteilen Verhandlungsabsage.

Der Konzern will keine Tarifverträge mehr für die Beschäftigten abschließen. Seit Dezember 2014 ist das Unternehmen in Besitz des niederländischen Investmentfonds Waterland.

Median hat inzwischen für fast alle Kliniken die Manteltarifverträge gekündigt, die unter anderem Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen regeln. Mit der Begründung, so ein „marktorientiertes Handeln“ zu ermöglichen, will das Unternehmen Entgelte und Arbeitsbedingungen künftig mit Betriebsräten und einzelnen Beschäftigten aushandeln.

Die Gewerkschaft wirft dem Reha-Unternehmen vor, Betriebsräte an den einzelnen Standorten massiv unter Druck zu setzen, um so schnell wie möglich Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Die Betriebsräte erteilten dem Ansinnen der Konzernspitze jedoch eine Absage. Für Verhandlungen auf betrieblicher Ebene »stehen wir nicht zur Verfügung«, heißt es in einer von zahlreichen Betriebsräten unterzeichneten Resolution.

„Das ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten, die jeden Tag und rund um die Uhr einen engagierten und wichtigen Job machen“, wird ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler zitiert. Ohne Tarifverträge seien die Beschäftigten der Willkür des Arbeitgebers ausgeliefert.

Die Gewerkschaft hat versucht, auch mit Arbeitsniederlegungen auf die Herausforderung zu reagieren, darüber wurde im Juni berichtet, beispielsweise in diesem Artikel: Streiksaboteur des Tages: Median Kliniken GmbH.  So waren Beschäftigte der Rehaklinik Berlin-Kladow zum Streik aufgerufen.

»Streik? Ohne mich!« konterte das Unternehmen in einem Flugblatt … Median wolle »nicht zurück in die kapitalistische Steinzeit«, beteuert der Konzern in dem Propagandafoyer … Nur Tarifverträge soll es nicht mehr geben. Statt dessen will man »faire flexible Lohnmodelle« mit den Betriebsräten und einzelnen Beschäftigten aushandeln.«

Nun hatte die Gewerkschaft ver.di ja darauf hingewiesen, dass die Betriebsräte angekündigt haben, dass sie nicht für Einzelverhandlungen zur Verfügung stehen. Das war wohl auch so, am Anfang, wie das Beispiel der Fontana-Klinik in Bad Liebenwerda zeigt. Über die Situation dort wurde noch am 16. Juni 2016 berichtet: »In einer Resolution beharren Betriebsräte unterschiedlicher Median-Standorte demnach auf Verhandlungen mit der Gewerkschaft. Das bestätigt Gewerkschaftssekretär Ralf Franke für den Standort Bad Liebenwerda. Der dortige Betriebsrat habe diese Resolution ebenfalls unterzeichnet, wolle sich aber dennoch die Vorschläge der Geschäftsführung anhören.«
Das hat mittlerweile stattgefunden und offensichtlich mehr, denn am 27. Juni 2016 meldet der Konzern in einer Mitteilung: MEDIAN Fontana-Klinik: Gemeinsam flexibles Lohnmodell für alle Beschäftigen beschlossen:

»Geschäftsleitung und Betriebsrat der MEDIAN Fontana-Klinik in Bad Liebenwerda haben am Donnerstag einen Durchbruch erzielt und sich … bei gemeinsamen Gesprächen auf höhere Bezüge für die Beschäftigten geeinigt. Damit hat man es an der Klinik trotz heftigem Gegenwind durch die Gewerkschaft ver.di geschafft, hausintern eine schnelle und von beiden Seiten getragene Lösung zu finden. Bereits zum 1. Juli werden sich danach Löhne und Gehälter an der Fontana-Klinik in erster Stufe flexibel und berufsgruppenspezifisch erhöhen. Gleichzeitig wurden die Eckpunkte einer Arbeits- und Sozialordnung definiert.«

Und in einem anderen Artikel wird Dieter Stocker, Geschäftsbereichsleiter Ost bei MEDIAN, mit diesen Worten zitiert: „Wir gehen aber nicht mit der Gießkanne vor, wie bei der klassischen gewerkschaftlichen Tariferhöhung, sondern schauen genau, gemeinsam mit dem Betriebsrat, was in den einzelnen Berufsgruppen möglich ist. Dieses Modell könnte auch für andere Standorte von MEDIAN Schule machen.“

Man erkennt, dass es dem Konzern hier darum geht, die Gewerkschaft rauszudrängen bzw. zu verhindern, dass sie noch irgendwas mitzureden hat hinsichtlich der Arbeitsbeziehungen und man das vor Ort mit den Betroffenen selbst „regeln“ will. Dabei wird man auch am Anfang den Betriebsräten einige Zugeständnisse machen, um sie rüberzuziehen. Offensichtlich ist das an dem Standort bereits gelungen.

Und dass die Gewerkschaft, also ver.di, Schwierigkeiten hat, in den Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens überhaupt Fuß fassen zu können, was ja Voraussetzung ist, um was für die Beschäftigten überhaupt tun zu können, liegt nicht nur in dem niedrigen Organisationsgrad begründet, sondern kann auch mit der Trägerschaft der Einrichtung zu tun haben, also wenn die unter dem Dach konfessioneller Trägerschaft operiert und damit die Sonderregelungen des kirchlichen Arbeitsrechts für sich beanspruchen kann.

Und auch aus diesem Lager gibt es wieder ein Beispiel für Tarifflucht, gleichsam in fortgeschrittenem Stadium, zu berichten. Konkret geht es um das katholische Dominikus Krankenhaus in Berlin, ein konfessionelles Krankenhaus in der Trägerschaft der Dominikus-Krankenhaus Berlin-Hermsdorf GmbH, die wiederum bei der Caritas Mitglied ist.
Und dieses Unternehmen macht auch gerade Schlagzeilen: „Vorne beten, hinten treten“ – ver.di kritisiert Kündigung von  über 80 Beschäftigten bei der Dominikus Service GmbH. So hat die Gewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg eine Pressemitteilung überschrieben. Der kann man entnehmen:

»Das katholische Dominikus Krankenhaus (Caritas) in Berlin löst seine Tochterfirma die Dominikus Service GmbH (DSG) auf und entlässt über 80 Beschäftige zum Ende des Jahres. Ein entsprechendes Kündigungsschreiben haben die Beschäftigten der DSG erhalten. In der DSG sind die Bereiche Küche/Cafeteria, Logistik, Reinigung, Hauswirtschaft und Bettenaufbereitung ausgelagert. Die Tätigkeiten sollen zukünftig von der Firma Klüh erbracht werden. Die Geschäftsführung begründet ihre Maßnahme, mit Einsparpotentialen durch die Vergabe an Klüh.«

Nun muss man wissen, dass mit der DSG bereits Tarifflucht begangen wurde, denn  jetzt wird in diesem Bereich des Krankenhauses nicht nach den Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas (AVR Caritas) bezahlt, sondern nur nach den branchenüblichen Löhnen. Das war das Ziel der damaligen Ausgliederung. So auch die Überschrift »Caritas hat schon Tarifflucht begangen« zu einem Interview mit Kalle Kunkel, Gewerkschaftssekretär bei ver.di. Offensichtlich gibt es eine gewisse Irritation über die Motive des nun anstehenden Abstoßens der DSG:

»Warum das Management von Dominikus diese Entscheidung getroffen hat, wissen wir nicht. Denn der größte Teil der bei der Servicegesellschaft Beschäftigten arbeitet im Reinigungsbereich. Auch in der Logistik, sowohl im Patienten- wie im Gütertransport, sind einige tätig. Ebenfalls in der Service GmbH angesiedelt sind die Stationsassistenz und die Küche. Für die meisten dieser Bereiche wird das Entgelt durch Mindestlohnregelungen oder allgemeinverbindliche Tarifverträge bestimmt. Im Reinigungsbereich liegt der Mindestlohn bei etwas unter zehn Euro. Das muss auch bei der neuen Firma gezahlt werden.«

Die erste Stufe der Tarifflucht war also die Auslagerung der Beschäftigten in die DSG und deren Abkoppelung von der katholischen AVR-Vergütung. Der zweite Schritt ist nun zum einen die weitere Verschärfung der Situation, indem die langjährigen Beschäftigten vor die Tür gesetzt werden. Denn es handelt sich nicht um einen Betriebsübergang, die betroffenen Arbeitnehmer müssen also nicht weiterbeschäftigt werden. Sie können sich dann bei dem neuen Unternehmen bewerben, aber haben keinen Anspruch auf Übernahme und vor allem nicht zu den alten Konditionen. Und zum anderen – so eine plausible These -, erhofft man sich weitere Einsparungen schlichtweg dadurch, dass der neue Dienstleister mit (noch) weniger Personal versuchen wird, die Bereiche abzudecken.

Anders formuliert: Der Träger entsorgt die bereits ausgelagerten Beschäftigten. Und er wird auf keinen Widerstand stoßen, selbst der Gewerkschaftsfunktionär merkt frustriert an:

Die Beschäftigten sehen für sich keine Perspektive, noch etwas zu erreichen. Deren Stimmung ist nicht so, dass sie sagen: »Morgen gehen wir in den Arbeitskampf.«

Sein Fazit: »Da zeigt sich mal wieder, dass die kirchlichen Unternehmer betriebswirtschaftlich kalkulierende Arbeitgeber wie alle anderen auch sind. Das christliche Aushängeschild, dass sie sich dranhängen, hat wenig Aussagekraft. Zumindest nicht in Bezug auf den Umgang mit den Beschäftigten, insbesondere, wenn es um die unteren Lohngruppen geht.«

Gibt es denn für Arbeitnehmer nicht wenigstens irgendwelche positiv daherkommenden Botschaften? Bei denen sie mal nicht das Nachsehen haben?

Wie wäre es vielleicht mit diesem Fall, der sicher zahlreichen Kommunen einige Schweißperlen auf die Stirn treiben wird: Sozialversicherungspflicht für „selbständigen“ Musikschullehrer, so ist der Bericht über ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen überschrieben (Az.: L 8 R 761/14). „Selbstständige“, auf Honorarbasis bezahlte Lehrer an Musikschulen sind bei einer regelmäßigen umfassenden Tätigkeit gar nicht selbstständig. Sind zudem Arbeitsort, Zeit und auch die Lehrpläne vorgegeben, spricht dies für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, so die Quintessenz.

Zum Sachverhalt, der vielen anderen Kommunen sehr bekannt vorkommen wird:

»Der Musiklehrer war zwischen 2005 bis 2007 noch in der Musikschule angestellt. Aus Kostengründen beschloss 2008 der Rat der Stadt, die Musiklehrer nur noch als Honorarkräfte einzusetzen.
Zwischen 2011 und 2014 war der Gitarrenlehrer daraufhin nur noch eine Honorarkraft. Die Musikschule vereinbarte mit ihm ausdrücklich eine „selbstständige Tätigkeit als freier Mitarbeiter“.
Doch so „selbstständig“ war der Musiklehrer gar nicht, urteilte das LSG. Er war vielmehr mit seinem Unterricht an das Lehrplanwerk des Verbandes deutscher Musikschulen vertraglich gebunden. Weder hinsichtlich Arbeitszeit noch Arbeitsort oder gar bei der Auswahl der Schüler sei er frei gewesen. Auch habe er kein Unternehmerrisiko getragen, dem gleichwertige unternehmerische Chancen gegenübergestanden hätten.«

Diese Entscheidung des LSG NRW wird so einige Kommunen ins Grübeln bringen (müssen). Denn wie schreibt das LSG NRW in seiner Pressemitteilung zu dieser Entscheidung: »Der Senat hat die hergebrachten Rechtsgrundsätze zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit angewen­det und deshalb die Revision nicht zugelassen. Das Urteil hat dennoch grund­sätzliche Bedeutung für den Status von Lehrern an Musikschulen.«

Wenn selbst das Beten nicht mehr hilft. Auch die zusätzliche kirchliche Altersversorgung kann (und muss) in schwieriges Fahrwasser geraten

Über das derzeit immer schwieriger werdende Umfeld für die kapitalgedeckte betriebliche Altersversorgung wurde bereits in dem Beitrag Betriebsrenten als Butter in der Sonne? Das wäre ärgerlich für die Finanzindustrie und ihre Hoffnungen auf ein Riester-Substitut. Und Betroffene erleben ihr blaues Wunder vom 21. Juni 2016 berichtet.

Und wenn über Betriebsrenten gesprochen wird, dann denken viele Menschen an die zusätzlichen Renten, die an Industriearbeiter ausgezahlt werden oder wenn man das Glück hatte, sein Erwerbsarbeitsleben bei einem der großen Unternehmen des Landes verbracht zu haben, bei denen es in aller Regel eine betrieblicher Altersvorsorge gab und gibt. Aber dieses Zubrot fürs Alter gibt es auch im öffentlichen Bereich für die Nicht-Beamten dort und bei zahlreichen Unternehmen der Sozialwirtschaft, von denen sich viele unter dem Dach der großen Kirchen bzw. ihrer Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie befinden. Und da wird man hellhörig, wenn man lesen muss: »Die Altersversorgung für 1,2 Millionen Beschäftigte der Kirche und der Caritas ist in Schieflage geraten.« So Matthias Dobrinski in seinem Artikel Katholisches Kapital. Konkret geht es um die Kirchliche Zusatzversorgungskasse KZVK mit Sitz in Köln. Sie ist die betriebliche Altersversorgung für 1,2 Millionen Beschäftigte im Dienst der katholischen Kirche oder des Sozialträgers Caritas. Derzeit beziehen 154.000 Menschen über sie eine Zusatzrente. Die KZVK ist damit eine der größten Pensionskassen in Deutschland.

»Diese Kasse hat unbestreitbar ein Problem: 2014 weist der Geschäftsbericht einen Fehlbetrag von 5,5 Milliarden Euro aus – Schuld daran ist vor allem die lange Niedrigzinsphase, unter der auch andere Versorgungskassen leiden, von denen einige tatsächlich inzwischen Leistungen kürzen mussten«, so Dobrinski in seinem Artikel, was sehr erinnert an die Ausführungen in dem Blog-Beitrag vom 21.06.2016 über die generelle Problembeschreibung die betriebliche Altersvorsorge betreffend.

Bereits im April 2016 hatte Daniel Deckers darüber in der FAZ berichtet unter der Überschrift Milliarden-Loch in Pensionskasse der katholischen Kirche über den „Sanierungsfall“ KZVK. Im Herbst 2015 hatte sich herausgestellt, dass die Bilanz der KZVK in einem Umfang von 22,5 Milliarden Euro zum 31. Dezember 2014 eine Deckungslücke von 5,5 Milliarden Euro aufweist.
„Veränderte Annahmen zur langfristigen Entwicklung der Verzinsung auf den Kapitalmärkten, die sich aus der Politik der EZB ergeben“, so ein Sprecher der KZVK, hätten »eine Neubewertung der Verpflichtungen und die Bilanzierung eines Ausgleichspostens erforderlich gemacht.«

Und das kam hinzu: Im Dezember 2015 verlor die KZVK vor dem Bundesgerichtshof einen Prozess gegen mehrere Einrichtungen, die mit der Erhebung eines sogenannten Sanierungsgeldes nicht einverstanden waren (vgl. dazu den Beitrag Sanierungsgeld für die Kirchliche Zusatzversorgungskasse) . Die Kasse hatte den in der Branche durchaus üblichen Zusatzbeitrag seit dem Jahr 2002 erhoben. Das Urteil war im wahrsten Sinne teuer, denn die KZVK muss jetzt allen Dienstgebern im Raum der verfassten Kirche und der Caritas die Sanierungsgelder zuzüglich der Nettoverzinsung zurückerstatten. In Rede stehen weit mehr als eine Milliarde Euro.

»Sollte es in den kommenden Jahren nicht gelingen, die Deckungslücken zu schließen, drohen der katholischen Kirche finanzielle Verwerfungen bis hin zur Zahlungsunfähigkeit ganzer Bistümer«, so Deckers in seinem damaligen Artikel.

Nur wenige Tage später wurde dann dieser Artikel von Daniel Deckers veröffentlicht: Milliarden-Deckungslücke wächst weiter. Er bezieht sich erneut auf die Folgen des Urteils des Bundesgerichtshofs aus dem Dezember 2015:

»In der Zwischenzeit hatte die Kasse, die mittlerweile 1,1 Millionen Pflichtversicherte und annähernd 150000 Rentenempfänger aus dem Raum der verfassten Kirche und der Caritas zählt, auf diesem Weg 1,12 Milliarden Euro eingenommen. Diese Summe soll im Laufe dieses Jahres zurückgezahlt werden, und zwar allen Beteiligten einschließlich der Zinsen in Höhe von etwa 263 Millionen Euro.«

Geld fällt bekanntlich nicht vom Himmel, sondern muss auch im kirchlichen Kontext besorgt werden. »Die Erstattung des Sanierungsgeldes erfolgt aus dem Anlagevermögen der KZVK, das derzeit etwa 16 Milliarden Euro beträgt«, klärt uns Deckers auf. Die Deckungslücke der KZVK wächst damit auf etwa vier Milliarden Euro.

»Die „dauerhafte Erfüllbarkeit“ dieser Ansprüche sei nunmehr „nicht gegeben“, heißt es in einer Vorlage des Vorstands der KZVK für die Bischöfe. Die Kasse will daher noch in diesem Jahr damit beginnen, die Deckungslücke durch ein sogenanntes „Finanzierungsgeld“ zu schließen.«

Das ist natürlich eine fragile Strategie, denn nicht auszuschließen ist eine erneute Klage von betroffenen kirchlichen Unternehmen dann gegen das „Finanzierungsgeld“.
Was auf alle Fälle sicher in den Raum gestellt wird: Der »Beitrag der kirchlichen und caritativen Unternehmen von derzeit 4,8 Prozent des Bruttolohnes (wird) bis zum Jahr 2024 auf 7,1 Prozent (angehoben).«

Und dann kommt eine wichtige Einordnung der Vorgänge:

»Die 1974 eingeführte obligatorische Zusatzversorgung zeigt damit immer stärker ihr Doppelgesicht. Einerseits ist sie heute mehr denn je ein Element zur Vorsorge gegen Altersarmut sowie ein Argument zugunsten einer Beschäftigung bei einem kirchlichen Arbeitgeber, wie es beim Deutschen Caritas-Verband in Freiburg heißt. Andererseits sind die damit verbundenen Aufwendungen vor allem für diejenigen Einrichtungen eine Belastung, die im Wettbewerb mit privaten Anbietern stehen.«

 Wieder zurück zu dem neuen Artikel von Matthias Drobinski. Der berichtet uns:

»Nach der Darstellung der KZVK und auch des Sekretariats der Bischofskonferenz in Bonn ist die Lage der Kasse nicht schön, aber auch nicht katastrophal: Die Kapitalanlagen beliefen sich 2015 schließlich auf 17,9 Milliarden Euro. Und wenn man schrittweise die Beiträge der Bistümer und der Caritas anhebe, komme man schon hin … Auch soll der Aufsichtsrat, in dem bislang vor allem Kirchenfunktionäre sitzen, professionalisiert werden.«

Doch seitens der Bistümer werden Zweifel vorgetragen. Es gebe Finanzdirektoren, die von einer „Bad Bank“ sprächen.

Und sie beziehen sich dabei auch auf ein Rechtsgutachten, dass die Deutsche Bischofskonferenz »schon vor drei Jahren erstellen ließ: Was passiert, wenn die KZVK die Rentenansprüche nicht mehr erwirtschaften könnte, die sie den Mitarbeitern garantiert hat? Die Antwort: Die Bistümer müssten einspringen. Dann aber wäre vor allem im Norden und Osten Deutschlands so manches Bistum faktisch pleite.«

Und Drobinski weist auf eine andere Konfliktstelle hin, wenn er schreibt:

»Hinter dem Streit verbirgt sich auch ein innerkirchlicher Nord-Süd-Konflikt: Den reichen Bistümern im Süden, Südwesten und Westen ist noch ungut in Erinnerung, wie sie einspringen mussten, als das Erzbistum Berlin faktisch zahlungsunfähig war – und wie vor allem das Erzbistum München-Freising auf den Kosten des desaströs heruntergewirtschafteten Weltbild-Verlages sitzen blieb. Und jetzt im Zweifel wieder klamme Bistümer retten?«

Fazit: Selbst für die, die einen direkten Draht nach oben haben müssten, stellen sich die gleichen (plus hausgemachte) Probleme, wie wir sie insgesamt beobachten müssen für die betriebliche Altersvorsorge.

Übrigens: Parallele Entwicklungen haben wir auch in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. So berichtet Thomas Öchsner in seinem Artikel Magere Zeiten für Rentner über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL), mit Abstand größten Zusatzversorgungskasse in Deutschland: »Diese hat zum 1. Juni 2016 den Garantiezins für Mitglieder, die freiwillig über ihren Arbeitgeber zusätzlich einen Teil ihres Gehalts in einen Riester-Vertrag oder sozialabgabenfrei für eine spätere Betriebsrente zurücklegen, von 1,75 Prozent auf konkurrenzlos niedrige 0,25 Prozent gesenkt. „Einen solchen Vertrag zu unterschreiben, lohnt sich damit nicht mehr“, sagt der Finanzmathematiker Werner Siepe, der sich seit einem Jahrzehnt mit der VBL beschäftigt.« Es geht hier nicht um die etwa 1,9 Millionen Pflichtversicherte mit einer obligatorischen Zusatzversorgung, denn hier gibt es keinen Garantiezins, es handelt sich um eine umlagefinanzierte Zusatzversorgung. Es geht um die fast 250 000 Versicherte mit freiwillig abgeschlossenen Zusatzversorgungsverträgen. Was die Absenkung hier bedeutet, kann dieses Beispiel aufzeigen: »Ein 37 Jahre alter Angestellter, der noch Ende 2011 einen VBL-Extra-Vertrag unterschrieben hat und 30 Jahre bis zur Rente mit 67 genau 175 Euro monatlich einzahlt, hätte noch eine garantierte Zusatzrente von 617 Euro bekommen. Bei einem Neuabschluss von Juni 2016 an sind es jedoch nur noch 208 Euro. Das entspricht einem Minus von fast 70 Prozent.«

Wir dürfen gespannt sein, was aus dem Bundesarbeitsministerium in Herbst dieses Jahres an konkreten Vorschlägen kommen wird, die Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge betreffend.