Auf der Rutschbahn in eine seit langem absehbare Verschärfung der Wohnungsnot

»Bereits in den Jahren vor 2022 war es nicht gelungen, gemäß den jeweiligen politischen Zielsetzungen deutlich über 300.000 Wohnungen pro Jahr fertigzustellen und ausreichend viel und bezahlbaren Wohnraum gemäß der bestehenden Nachfrage zur Verfügung zu stellen. Durch den Ukrainekrieg haben sich die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau in 2022 nun deutlich verschlechtert, aber gleichzeitig hat sich infolge der kriegsbedingten Zuwanderung die Nachfrage nach Wohnraum noch über dem Niveau des Jahres 2015 verstärkt. Das ambitionierte Ziel des Neubaus von jährlich 400.000 Wohnungen, von denen gemäß der Ampel-Regierung 100.000 Sozialmietwohnungen sein sollen, erhält durch die reale Entwicklung eine höhere Dringlichkeit und Bedeutung.« So beginnen die Forderungen des Bündnis „Soziales Wohnen“, die am 12. Januar 2023 veröffentlicht wurden. Kein Druckfehler: Anfang 2023 war das. Nicht Anfang 2024.

mehr

Energiearmut: Wenn sogar Jobcenter in Berlin Alarm schlagen und dringenden Handlungsbedarf sehen

»Angesichts stark gestiegener Energiepreise warnt EU-Arbeitskommissar Nicolas Schmit vor mehr Energiearmut in Europa. Es gebe bereits Millionen Menschen, die unter Energiearmut litten, „und diese Zahl könnte noch größer werden“, sagte Schmit.« Nein, dieses Zitat stammt nicht aus diesen Tagen, sondern ist dem Artikel EU-Kommissar warnt vor mehr Energiearmut entnommen, der am 17. Oktober 2021 veröffentlicht worden ist. Einige EU-Staaten hatten bereits vor Monaten Maßnahmen ergriffen. Frankreich etwa deckelt bis April die Preise für Strom und Gas und gibt Energiegutscheine aus: 100 Euro für sechs Millionen besonders bedürftige Haushalte.

Und auch in Deutschland war und ist – nunmehr durch die Auswirkungen des russischen Überfalls auf die Ukraine nochmals potenziert – der Anstieg der Energiepreise ein für viele Menschen existenzielles Problem. Das vor allem bei den Menschen mit niedrigen Einkommen und den vielen, die auf Transferleistungen wie Hartz IV angewiesen sind.

mehr

Die „Wohnkostenlücke“ im Hartz IV-System

Seit Jahren wird hier immer wieder über das Wohnkostenproblem im Grundsicherungssystem berichtet – vgl. nur als ein Beispiel den Beitrag Und wieder einmal grüßt täglich das Murmeltier: Hartz IV und die Wohnungsfrage vom 20. Dezember 2015. Dort wurde darauf hingewiesen, dass es neben dem „Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts“ nach § 20 SGB II als zweite Säule die Kostenübernahme für Unterkunft und Heizung gibt. Wobei man immer genau lesen muss, denn im hier relevanten § 22 SGB II heißt es im ersten Satz: »Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.« In dem Beitrag aus dem Jahr 2015 wurde genau an dieser Stelle angemerkt: »Und da fängt der Ärger an, denn es handelt sich bei der Formulierung „angemessen“ um einen der im Sozialrecht weit verbreiteten unbestimmten Rechtsbegriffe, deren Auslegung und Infragestellung Lohn und Brot für einen ganzen Zweig der Juristerei sicherzustellen vermag.«

mehr

Von Jahr zu Jahr wird der Fehlbetrag größer: Hartz IV und die Stromkosten

Wenn über Hartz IV diskutiert wird, dann gibt es oftmals eine Verengung auf den Regelsatz, der im laufenden Jahr für einen Alleinstehenden bei 432 Euro im Monat liegt. Aber man muss schon genau sein, den neben dem Regelbedarf für den Lebensunterhalt nach § 20 SGB II kennt die Grundsicherung auch noch die „Bedarfe der Unterkunft und Heizung“ nach § 22 SGB II: »Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.« Das Schlüsselwort bei dieser Vorschrift ist der Terminus „angemessene Kosten“ – denn Kosten, die über der lokal festgelegten Angemessenheit liegen, müssen von den Hartz IV-Empfängern aus dem Regelsatz für den Lebensunterhalt finanziert, also abgezweigt werden. In den zurückliegenden Jahren waren das jährlich mehr als 600 Mio. Euro.
Im Durchschnitt werden 397 Euro für die Kosten der Unterkunft und Heizung zu den 432 Euro gezahlt und außerdem als dritter Posten sei noch auf die Krankenversicherungsbeiträge hingewiesen, die ebenfalls zum Leistungspaket gehören.

Nun werden viele davon ausgehen, dass die Stromkosten eines Hartz IV-Haushaltes zu den „Kosten der Unterkunft und Heizung“ gehören – dem ist aber nicht so. Die sind im Regelbedarf enthalten: »Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens«, so heißt es im ersten Absatz (ohne Hervorhebung) des § 20 SGB II. Um welche Größenordnung es dabei geht, verdeutlicht der Blick auf die Zusammensetzung des Regelbedarfs:

mehr

Das Erlaubnis-Amt hat vor Gericht verloren: Hartz IV-Bezieher können auch ohne vorherige Genehmigung in eine andere Wohnung ziehen

Neben den Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts, also der Regelbedarf nach § 20 SGB II, werden auch die Kosten der Unterkunft und Heizung im Hartz IV-System übernommen – dazu gehört die Miete sowie Nebenkosten inklusive der Heizkosten. Strom müssen Betroffene hingegen aus dem Hartz IV-Regelsatz selbst zahlen.
Dass die Kosten der Unterkunft vom Jobcenter übernommen werden, gilt nur dem Grunde nach. Denn der § 22 Absatz 1 S. 1 SGB II ist nur auf den ersten Blick eindeutig, um möglicherweise überhöhten Mieten, die dann mit Steuergeldern bezahlt werden müssen, einen Riegel vorzuschieben: »Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.« Wobei ein einziges Wort eine Unmenge an Folgefragen und auch an Streitereien auslöst: „angemessen“. Das ist einer dieser unbestimmten Rechtsbegriffe, die dann mit Leben gefüllt werden müssen – und die Infragestellung der seitens des Staates und seiner Organe getroffenen Festlegungen, was noch angemessen ist oder eben nicht mehr, ist eine der sprudelnden Quellen zahlreicher Widersprüche und auch Klagen vor den Sozialgerichten.

Es geht hier um richtig viel Geld. Schauen wir beispielsweise auf das Jahr 2017. Damals wurden insgesamt 45 Mrd. Euro Gesamtausgaben für das SGB II ausgewiesen. Davon entfallen auf die „angemessenen“ Kosten der Unterkunft (KdU) mit 14,65 Mrd. Euro ein Drittel der Gesamtausgaben. Eine gewaltige Summe. Und dass die Kosten „angemessen“ sein müssen, das steht nicht nur auf dem Papier, sondern die Nicht-Anerkennung eines Teils tatsächlich gezahlter Mieten hat handfeste Folgen: Der Vorbehalt der „Angemessenheit“ führt dazu, dass viele Hartz IV-Empfänger aus ihren sowieso schon mehr als knapp kalkulierten Regelleistungen 600 Mio. Euro abzweigen mussten zur Finanzierung der von den Jobcentern nicht übernommenen Unterkunftskosten (vgl. hierzu den Beitrag Die Jobcenter und die „angemessenen“ Kosten der Unterkunft. Hoffnung auf höhere Zuschüsse durch neue Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 1. Februar 2020).

mehr